arbeits-/sozialrechtliche Entscheidungen



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Transkript:

12/11 Neueste ober- und höchstgerichtliche arbeits-/sozialrechtliche Entscheidungen Arbeitsrecht Inhaltsübersicht: - Kündigung gegenüber einem minderjährigen Auszubildenden ----------------------------------------------- S.1 - Mitbestimmung bei Versetzungen während eines Arbeitskampfs ----------------------------------------------------------------- S.2 - Keine zeitliche Begrenzung des Vertrauensschutzes für Altverträge bei der Auslegung einer Verweisungsklausel als Gleichstellungsabrede ----------------------------------- S.3 - Überlassung von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes an private Einsatzbetriebe - Betriebsgröße ------------------ S.4 - Sozialauswahl und Altersdiskriminierung ----------------- S.4 Arbeitsrecht Kündigung gegenüber einem minderjährigen Auszubildenden Das Berufsausbildungsverhältnis beginnt mit einer Probezeit. Während dieser Zeit kann es gemäß 22 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) sowohl vom Auszubildenden als auch vom Ausbildenden jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Eine solche Kündigung muss jedoch noch während der Probezeit zugehen. Ist der Auszubildende minderjährig und damit nach 106 BGB nur beschränkt geschäftsfähig, wird die Kündigung nach 131 Abs. 2 BGB erst dann wirksam, wenn sie seinem gesetzlichen Vertreter zugeht. Ist eine Kündigungserklärung mit dem erkennbaren Willen abgegeben worden, dass sie den gesetzlichen Vertreter erreicht, und gelangt sie - etwa durch den Einwurf des Kündigungsschreibens in seinen Hausbriefkasten - tatsächlich in dessen Herrschaftsbereich, ist der Zugang bewirkt. Eine Kündigung, die ein Bevollmächtigter erklärt, von dessen Bevollmächtigung der Gekündigte nicht zuvor durch den Vollmachtgeber in Kenntnis gesetzt wurde, ist gemäß 174 BGB unwirksam, wenn der Kündigung keine Vollmachtsurkunde beigefügt ist und der Gekündigte die Kündigung aus diesem Grund unverzüglich zurückweist. Der am 15. April 1991 geborene Kläger schloss - vertreten durch seine Eltern - mit der Beklagten einen Vertrag über eine Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik für die Zeit ab 1. August 2008. Der Ausbildungsvertrag enthielt eine dreimonatige Probezeit. Der Ausbildende erklärte mit Schreiben vom 31. Oktober 2008, dem letzten Tag der Probezeit, die Kündigung. Das Schreiben war gerichtet an den Kläger, gesetzlich vertreten durch die Eltern, und wurde durch Boten am selben Tag in den ge- Newsletter recht 12/11 1

meinsamen Hausbriefkasten des Klägers und seiner an diesem Tag verreisten Eltern eingeworfen. Dort fand es der Kläger zwei Tage später und verständigte seine Mutter telefonisch von der Kündigung, die vom Kündigungsschreiben nach ihrer Rückkehr am 3. oder 4. November 2008 tatsächlich Kenntnis erhielt. Mit einem Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten, das beim Ausbildenden am 13. November 2008 einging, wies der Kläger die Kündigung nach 174 Satz 1 BGB zurück, weil der Kündigung keine Vollmachtsurkunde beigefügt war. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung des Ausbildungsverhältnisses. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Kündigung wurde gegenüber den Eltern des Klägers als dessen gesetzlichen Vertretern erklärt. Mit dem Einwurf in den gemeinsamen Briefkasten der Familie war der Zugang der Kündigung bewirkt. Die Ortsabwesenheit der Eltern stand dem nicht entgegen. Für den Zugang reichte es aus, dass das Schreiben in den Herrschaftsbereich der Eltern gelangt war und sie es unter normalen Umständen zur Kenntnis nehmen konnten. Die Kündigung scheiterte auch nicht an der fehlenden Vollmachtsurkunde. Die Zurückweisung einer Kündigungserklärung nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ist ohne das Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls nicht mehr unverzüglich isd. 174 Satz 1 BGB. [Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Dezember 2011-6 AZR 354/10 - Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Februar 2010-13 Sa 68/09 -] Mitbestimmung bei Versetzungen während eines Arbeitskampfs Die Versetzung arbeitswilliger Arbeitnehmer aus einem nicht bestreikten Betrieb in einen von einem Arbeitskampf betroffenen Betrieb desselben Arbeitgebers, die der Begrenzung von Streikfolgen dient, bedarf nicht der Zustimmung des Betriebsrats des abgebenden Betriebs nach 99 Abs. 1 BetrVG. Dessen Mitbestimmungsrecht entfällt bei einem solchen Einsatz von Streikbrechern, weil ansonsten die Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers ernsthaft beeinträchtigt würde. Die Arbeitgeberin betreibt einen Lebensmittelgroßhandel. Am Standort Frechen unterhält sie zwei Betriebe, ihre Zentrale und ein Logistikzentrum. Während eines zunächst auf den Abschluss eines Verbandstarifvertrags und später nur noch auf den Abschluss eines betriebsbezogenen Haustarifvertrags gerichteten Arbeitskampfs im Logistikzentrum versetzte sie dorthin arbeitswillige Arbeitnehmer der Zentrale vorübergehend zur Streikabwehr. Den Betriebsrat der Zentrale beteiligte sie hieran nicht. Ihrem Antrag auf Feststellung, dass eine derartige personelle Maßnahme nicht der Zustimmung des Betriebsrats der Zentrale bedürfe, hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts entsprochen. Eine Versetzung arbeitswilliger Arbeitnehmer von einem Betrieb des Arbeitgebers in einen ihm gehörenden bestreikten Betrieb zur Verrichtung von Streikbrucharbeit unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats des abgebenden Betriebs. Die mit dem gesetzlichen Zustimmungserfordernis und dem darauf bezogenen Anhörungsverfahren verbunde- Newsletter recht 12/11 2

nen Erschwernisse sind geeignet, die Kampfparität zu Lasten des Arbeitgebers ernsthaft zu beeinträchtigen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Streik auf den Abschluss eines Verbands- oder eines betriebsbezogenen Haustarifvertrags gerichtet ist. Der Arbeitgeber ist jedoch nach 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet, dem Betriebsrat rechtzeitig vor Durchführung der personellen Maßnahme mitzuteilen, welche Arbeitnehmer er vorübergehend zur Streikabwehr einsetzen will. [Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. Dezember 2011-1 ABR 2/10 - Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 13. August 2009-7 TaBV 116/08 -] Keine zeitliche Begrenzung des Vertrauensschutzes für Altverträge bei der Auslegung einer Verweisungsklausel als Gleichstellungsabrede Eine vor dem 1. Januar 2002 arbeitsvertraglich vereinbarte dynamische Verweisung auf einen Tarifvertrag ( Altvertrag ) ist gewöhnlich dann als Gleichstellungsabrede auszulegen, wenn sie auf den einschlägigen Tarifvertrag verweist, an den der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt selbst gebunden ist. Endet seine Tarifgebundenheit zu einem späteren Zeitpunkt, entfällt die Dynamik der Verweisung. Der Tarifvertrag bleibt dann statisch in der zur Zeit des Wegfalls der Tarifgebundenheit geltenden Fassung Inhalt des Arbeitsvertrages. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechung inzwischen aufgegeben. Es gewährt hinsichtlich sog. Altverträge jedoch Vertrauensschutz, zu dessen zeitlicher Begrenzung kein Anlass besteht. Die Parteien hatten im Jahr 1992 einen formularmäßigen Arbeitsvertrag unterzeichnet, in dem die Vergütung nach einer bestimmten Tarifgruppe des damals geltenden Tarifvertrages für den Einzelhandel Brandenburg vereinbart worden war. Im übrigen sollte sich das Arbeitsverhältnis nach den jeweils geltenden Tarifverträgen der infrage kommenden Sparte richten. Die beklagte Arbeitgeberin trat 1997 aus dem Arbeitgeberverband aus. Im März 2008 begehrte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung entsprechend des aktuellen Tarifvertrages des Einzelhandels Brandenburg. Die Beklagte verweigerte dies, weil aus ihrer Sicht in der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel eine Gleichstellungsabrede zu sehen sei. Die Klägerin macht mit ihrer Klage Vergütungsdifferenzen zwischen dem aktuellen Tarifentgelt und der an sie tatsächlich gezahlten Vergütung geltend. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Die Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag ist als Gleichstellungsabrede auszulegen. In ihrer Gesamtheit nimmt sie hinreichend klar auf den zu jener Zeit geltenden Tarifvertrag für den Einzelhandel Brandenburg Bezug. Der Vierte Senat hat seine Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede inzwischen zwar geändert (vgl. BAG 18. April 2007-4 AZR 652/05 - BAGE 122, 75). Für Verweisungsklauseln, die vor dem 1. Januar 2002 vereinbart worden sind, gewährt er aber Vertrauensschutz, so dass es auch im vorliegenden Fall bei der früheren Auslegungsregel verbleibt. Die Klägerin kann deshalb keine Vergütung nach dem aktuel- Newsletter recht 12/11 3

len Tarifstand verlangen. [Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. Dezember 2011-4 AZR 79/10 - Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3. November 2009 16 Sa 1228/09 und 1365/09 -] Überlassung von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes an private Einsatzbetriebe - Betriebsgröße In Privatbetrieben eingesetzte Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes zählen bei den Schwellenwerten der organisatorischen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) mit. Nach 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind Arbeitnehmer im Sinn dieses Gesetzes Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten nach 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG - ua. - auch Beamte, Soldaten sowie Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, die in Betrieben privatrechtlich organisierter Unternehmen tätig sind. Sie sind jedenfalls bei den organisatorischen Bestimmungen des BetrVG zu berücksichtigen, die auf die Anzahl der Arbeitnehmer des Betriebs abstellen. 38 Abs. 1 BetrVG regelt die Zahl der in einem Betrieb mindestens freizustellenden Betriebsratsmitglieder und knüpft hierzu an die Betriebsgröße an. In Betrieben mit in der Regel 901 bis 1.500 Arbeitnehmern sind mindestens drei Betriebsratsmitglieder freizustellen. Bei der Belegschaftsgröße zählen die in 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG genannten Personen mit. Der Betriebsrat eines privatrechtlich organisierten Serviceunternehmens hat - über die unstreitigen zwei Freistellungen hinaus - die Freistellung eines dritten Betriebsratsmitglieds verlangt. Die Arbeitgeberin beschäftigt ca. 750 eigene Arbeitnehmer. Daneben setzt sie auf der Grundlage eines Personalgestellungsvertrags ca. 460 Vertragsarbeitnehmer eines Universitätsklinikums ein, für das sie verschiedene Dienstleistungen erbringt. Das Universitätsklinikum ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Der Antrag des Betriebsrats hatte - wie schon in den Vorinstanzen - vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Bei der Betriebsgröße, die für die Mindestzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder maßgeblich ist, sind die der Arbeitgeberin vom Universitätsklinikum gestellten Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Der für die Freistellung eines dritten Betriebsratsmitglieds maßgebliche Schwellenwert von 901 Arbeitnehmern ist daher überschritten. [Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15. Dezember 2011-7 ABR 65/10 - Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. September 2010-14 TaBV 3/10 -] Sozialauswahl und Altersdiskriminierung Nach 1 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) muss der Arbeitgeber bei Kündigungen aus betrieblichen Gründen zwischen den von ihrer Tätigkeit her vergleichbaren Arbeitnehmern eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten vornehmen. Eines der dabei zu berücksichtigenden Kriterien ist das Lebensalter. Die Regelung zielt darauf ab, ältere Arbeitnehmer bei Kündigungen zu schützen. Gemäß 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann die Sozialauswahl zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur auch innerhalb von Altersgruppen - etwa der der 21 bis 30 Jahre alten, der der 31 bis 40 Jahre alten Arbeitnehmer usf. - vorge- Newsletter recht 12/11 4

nommen werden. Das Lebensalter ist dann nur im Rahmen der jeweiligen Gruppe von Bedeutung. Der Altersaufbau der Belegschaft bleibt auf diese Weise weitgehend erhalten. Der gesetzliche Regelungskomplex der Sozialauswahl verstößt nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000. Er führt zwar zu einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters. Diese ist aber durch rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a) der Richtlinie gerechtfertigt. Einerseits tragen die Regelungen den mit steigendem Lebensalter regelmäßig sinkenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung. Andererseits wirken sie durch die Möglichkeit der Bildung von Altersgruppen der ausschließlich linearen Berücksichtigung des ansteigenden Lebensalters und einer mit ihr einhergehenden Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer entgegen. Das Ziel, ältere Arbeitnehmer zu schützen, und das Ziel, die berufliche Eingliederung jüngerer Arbeitnehmer sicherzustellen, werden zu einem angemessenen Ausgleich gebracht. Dies dient zugleich der sozialpolitisch erwünschten Generationengerechtigkeit und der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat auf dieser Grundlage - wie schon die Vorinstanzen - die Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin abgewiesen, die ua. die Bildung und den Zuschnitt von Altersgruppen in einer Auswahlrichtlinie von Arbeitgeberin und Betriebsrat gerügt hatte. Eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV bedurfte es nicht. Die unionsrechtliche Lage ist durch mehrere Entscheidungen des Gerichtshofs aus den letzten Monaten hinreichend geklärt. [Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Dezember 2011-2 AZR 42/10 - Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 14. August 2009-11 Sa 320/09 -] 12 1 Soweit nicht anders gekennzeichnet, handelt es sich um bearbeitete Pressemeldungen des BAG 2 Bereich Recht E-mail: rechtundratgeber@verdi.de Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin V.i.S.d.P. Bereichsleiter Recht Jens Schubert Newsletter recht 12/11 5