Der Hauptgeschäftsführer Verein Deutscher Zementwerke e.v. 30. Januar 2012 Stellungnahme des Vereins Deutscher Zementwerke e. V. im Rahmen der Konsultation der EU-Kommission zu den Beihilfeleitlinien für die Kompensation der Strompreiseffekte des CO 2 -Emissionshandels Sehr geehrte Damen und Herren, mit diesem Schreiben beteiligt sich der Verein Deutscher Zementwerke e. V. an der Konsultation der EU-Kommission zum Entwurf der Leitlinien für bestimmte Beihilfemaßnahmen im Zusammenhang mit dem System für den Handel mit Treibhausemissionszertifikaten nach 2012. In dem Entwurf skizziert die EU-Kommission die beihilferechtlichen Kriterien zur Gewährung einer Kompensation für emissionshandelsbedingte Strompreissteigerungen und identifiziert auf Basis einer quantitativen Bewertung zehn entlastungsberechtigte Sektoren - die Zementindustrie ist hier bislang nicht genannt. Im Folgenden möchten wir deshalb die Bedeutung einer solchen Kompensation für die deutsche Zementindustrie hinreichend unterstreichen und mithilfe einer qualitativen Argumentation darlegen, aus welchen Gründen die Branche durch die Strompreiseffekte des Emissionshandels der Gefahr ausgesetzt ist, Marktanteile zu verlieren, die zu einer Verlagerung von Treibhausgasemissionen ins Nicht-EU- Ausland führen. Kochstraße 6-7 10969 Berlin Telefon: (030) 2 80 02-0 Telefax: (030) 2 80 02-250 info@vdzement.de www.vdzement.de Hauptgeschäftsführer: Dr. Martin Schneider Vereinsregister-Nr. 3236 Amtsgericht Düsseldorf Stromkosten gefährden die Wettbewerbsfähigkeit der Zementindustrie Die deutsche Zementindustrie verbraucht jährlich rund 3,5 Terrawattstunden Strom. Gemessen an der Bruttowertschöpfung der Branche beträgt der Anteil der Strombezugskosten (einschließlich Netzentgelte und staatlich induzierter Kosten) 25 Prozent, das entspricht Gesamtstromkosten der Zementindustrie von etwa 250 Mio. Euro pro Jahr. Nimmt man die Brennstoffkosten hinzu, beläuft sich der Anteil der Energiekosten an der Bruttowertschöpfung sogar auf annähernd 50 Prozent. Die Zementherstellung zählt daher innerhalb des produzierenden Gewerbes zu einer der Branchen mit der höchsten Energieintensität.
- 2 - Die Stromkosten, die maßgeblich durch die Entwicklung des Großhandelspreises für Strom beeinflusst werden, stellen einen wichtigen Standortfaktor für die Zementindustrie dar. So hat die Einpreisung von CO 2 -Kosten während der ersten beiden Emissionshandelsperioden bereits dazu beigetragen, dass die Strompreise an der Leipziger Strombörse EEX im Vergleich zum Jahr 2005 um rund ein Drittel gestiegen sind. Da eine Wälzung der Stromkostensteigerungen auf die Zementpreise nur sehr eingeschränkt möglich ist, gerät die Wettbewerbsfähigkeit der Zementindustrie dadurch zusehends in Gefahr. Hinzu kommt, dass Deutschland im europäischen Vergleich zu den Ländern mit den höchsten Industriestrompreisen gehört. Dies schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrien, insbesondere in grenznahen Regionen. So liegen die Industriestrompreise in den Niederlanden bereits heute etwa zehn Prozent unter denen in Deutschland, in Frankreich liegen sie sogar rund 30 Prozent darunter. Anders als ihre europäischen Nachbarn werden deutsche Stromverbraucher zudem die enormen Kosten zur Bewältigung der Energiewende zu schultern haben. Auch dies stellt im europäischen Vergleich eine Zusatzbelastung für energieintensive Branchen in Deutschland dar. Mit Blick auf die dritte Emissionshandelsperiode und der damit einhergehenden Verknappung der CO 2 -Zertifikate ab 2013 ist ein Anstieg des CO 2 -Preises auf 30 Euro/t CO 2 durchaus wahrscheinlich. Die damit verbundenen Kosten werden von den Stromerzeugern in voller Höhe auf den Strompreis weitergewälzt. Dadurch erhöhen sich die Strombezugskosten für die energieintensive Zementindustrie zusätzlich. Bei einem Zertifikatspreis von 10 Euro/t CO 2 und dem von der EU-Kommission verwendeten CO 2 -Faktor (0,465 t CO 2 /MWh) entspricht dies emissionshandelsbedingten Stromkosten von etwa 18 Mio. Euro pro Jahr. Eine Erhöhung des Zertifikatspreises auf 30 Euro/t CO 2 würde die indirekten CO 2 -Kosten für die Zementindustrie auf rund 55 Mio. Euro/a verdreifachen. Pro Arbeitsplatz entstünden hierdurch Mehrkosten von 7.000 Euro/a. Die Notwendigkeit einer Strompreiskompensation für die Zementindustrie eine qualitative Betrachtung Die EU-Kommission bestimmt im Entwurf der Leitlinien quantitative und qualitative Kriterien zur Bestimmung derjenigen Sektoren, die aus beihilferechtlicher Sicht künftig einen Anspruch auf eine Kompensation emissionshandelsbedingter Strompreissteigerungen geltend machen können. In der Liste der begünstigten Sektoren ist die europäische Zementindustrie bislang nicht enthalten, da auf Basis der gewählten Indikatoren und Annahmen die quantitativen Schwellenwerte knapp unterschritten werden (indirekte CO 2 -Kosten / Bruttowertschöpfung: 4,4 Prozent; Handelsintensität: 6,8 Prozent). Laut Leitlinienentwurf besteht in diesem Fall die Möglichkeit einer qualitativen Bewertung der Beihilfefähigkeit. Hiervon macht der Verein Deutscher Zementwerke e. V. im Folgenden Gebrauch. Insbesondere soll im Rahmen der qualitativen Analyse dargelegt werden, weshalb die indirekten CO 2 -Kosten für die deutsche Zementindustrie unverhältnismäßig hoch sind und die historische Handelsintensität, die die EU-Kommission als ein Kriterium der Bewertung zugrunde legt, ungeeignet ist, den internationalen Wettbewerbsdruck in der Zementindustrie zu messen.
- 3 - Indirekte CO 2 -Kosten Das Kriterium der indirekten Stromkosten im Verhältnis zur Bruttowertschöpfung berücksichtigt zwar die Stromintensität eines Industriezweigs, die Wahl eines EU-weiten CO 2 - Emissionsfaktors spiegelt jedoch nicht die tatsächliche (indirekte) Kostenbelastung der deutschen Zementindustrie wider. Der von der EU-Kommission zugrunde gelegte CO 2 -Emissionsfaktor von 0,465 t CO 2 /MWh spiegelt nicht die tatsächlich eingepreisten indirekten Kosten im deutschen Strommix wider und somit auch nicht die von der deutschen Zementindustrie über den Strompreis zu tragenden Zusatzbelastungen. Der Grund hierfür ist, dass Strom in Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich CO 2 -intensiv erzeugt wird und die Stromerzeuger die CO 2 -Kosten als Opportunitätskosten bereits heute zu 100 Prozent an die Kunden weitergeben. Dementsprechend ist für Deutschland ein deutlich höherer CO 2 -Emissionsfaktor anzusetzen, der ein Überschreiten der quantitativen Grenze von 5 Prozent indirekter Kosten an der Bruttowertschöpfung mühelos ermöglichen würde. Die regionale Differenzierung des CO 2 -Emissionsfaktors, wie von der EU-Kommission in den Leitlinien vorgesehen, begrüßt der VDZ deshalb ausdrücklich. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Differenzierung auch bei der qualitativen Bewertung der Beihilfefähigkeit zu berücksichtigen ist. Nicht zuletzt stehen seit März 2011 für die Stromerzeugung in Deutschland 8,5 Gigawatt an Kernkraftkapazität nicht mehr zur Verfügung. Der Anteil fossiler Stromerzeugung hat sich damit deutlich gesteigert. Die schrittweise Abschaltung der verbleibenden Kernkraftwerke bis 2022 wird diesen Trend verstärken und damit die CO 2 - Intensität der deutschen Stromerzeugung weiter erhöhen. Handelsintensität Das Kriterium der Handelsintensität, das die EU-Kommission für die Bewertung der Beihilfefähigkeit zugrunde legt, ist ungeeignet, das tatsächliche Risiko des Verlusts von Marktanteilen heimischer Zementproduzenten bzw. das Risiko der Verlagerung von CO 2 -Emissionen infolge der Strompreiseffekte des Emissionshandels abzubilden. Als zweites Kriterium zur Bewertung der Beihilfefähigkeit zieht die EU-Kommission die statistisch berechnete Handelsintensität der Jahre 2005 bis 2007 heran. Auf Basis dieser historischen Betrachtung kann jedoch keine adäquate Bewertung der Handelsintensität in der Zementindustrie erfolgen. Die errechnete statische Kennzahl bezieht sich auf die Vergangenheit und erlaubt keinerlei Rückschlüsse auf künftige Wettbewerbspotenziale und Verlagerungsrisiken infolge der zusätzlichen direkten und indirekten Belastungen des EU- Emissionshandels ab 2013. Zur Bewertung des Risikos eines Verlusts von Marktanteilen an Produzenten außerhalb der EU ist vielmehr die preisliche Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich. Hintergrund ist, dass es sich beim Produkt Zement bzw. Klinker um ein homogenes Massengut handelt, das komplexe Normungsvorgaben und Qualitätsanforderungen erfüllen muss. In der Zementindustrie kann daher nicht wie in anderen Industriesektoren - mittels Produktdifferenzierung eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden.
- 4 - Aus diesem Grund muss die Höhe der Produktionskosten bzw. die Differenz der Produktionsvollkosten (einschließlich indirekter und direkter CO 2 -Kosten sowie Frachtkosten) innerhalb und außerhalb der EU zur realistischen Bewertung des CO 2 -Verlagerungsrisikos in der Zementindustrie zugrunde gelegt werden. Neben einer Analyse aktueller Kosten müssen hierbei auch künftige Kostenentwicklungen einbezogen werden. Nur so können die Wettbewerbspotenziale, die sich infolge der direkten und indirekten Belastungen des EU- Emissionshandels ab 2013 ergeben, angemessen berücksichtigt werden. Modellrechnungen der Beratungsgesellschaft McKinsey aus dem Jahr 2008 belegen, dass sich die Differenz der reinen Produktionskosten (ohne CO 2 -Kosten und Frachtkosten) zwischen Deutschland und Produzenten in Ägypten, Saudi-Arabien und China im Jahr 2020 auf rund 20 Euro/t Klinker belaufen wird (s. Abbildung 1). Vor diesem Hintergrund stellen die Kosten für den Überseetransport aus diesen Ländern den entscheidenden Wettbewerbsfaktor dar. Für das Jahr 2020 erwartet McKinsey Frachtkosten von 20 Euro für den Transport einer Tonne Klinker von Ägypten in die Niederlande. Derzeit liegen die Frachtraten für eine vergleichbare Strecke lediglich bei 11 bis 12 Euro/t Klinker. Da laut McKinsey-Studie bereits ab einer Differenz der Produktionsvollkosten zwischen EU- und Nicht-EU-Produzenten von etwa 5 Euro/t Klinker die Gefahr der Substitution heimischer Produktion durch Importe aus dem Nicht-EU-Ausland besteht, erscheint die Verdrängung deutscher Klinkerproduktion durch Produzenten aus dem Nicht-EU-Ausland durchaus realistisch. Angesichts der zusätzlichen Belastungen der europäischen Zementindustrie durch indirekte und direkte CO 2 -Kosten in der dritten Emissionshandelsperiode droht ein erheblicher Verlust von Marktanteilen bzw. die Verlagerung von CO 2 -Emissionen außerhalb der EU, da die Wettbewerber keine vergleichbaren Kosten zu schultern haben. Die Verwendung von importiertem Klinker würde so erhebliche Mengen an CO 2 -Emissionen verlagern sowie zusätzliche Emissionen durch die CO 2 -intensivere Produktion und den Transport verursachen. Die McKinsey-Studie stellt zudem fest, dass bereits heute ausreichende Klinkerkapazitäten in Nicht-EU-Ländern für Exporte zur Verfügung stehen und Produzenten dort in weitere Anlagen investieren werden, falls zusätzlicher Bedarf entsteht und Klinker gewinnbringend nach Europa exportiert werden kann. Vor diesem Hintergrund müssen bei einer realistischen Betrachtung des Verlagerungsrisikos in der europäischen Zementindustrie die Produktionskosten einschließlich indirekter und direkter CO 2 -Kosten den Produktionskosten im Ausland (inklusive der Frachtkosten) gegenübergestellt werden. Das entscheidende Kriterium für die Bewertung des Verlagerungsrisikos in der Zementindustrie ist daher nicht die historische Handelsintensität, sondern die Differenz der Produktionsvollkosten und die daraus resultierende zukünftige Handelsintensität.
- 5 - Fazit Aufgrund des signifikanten Anteils der Stromkosten an den Zementherstellkosten sowie der Schwierigkeit, diese Kosten im Markt weiterzugeben, gefährden emissionshandelsbedingte Strompreissteigerungen die Wettbewerbsfähigkeit der Zementproduktion in Deutschland. Vor dem Hintergrund der aktuell sehr niedrigen Frachtraten für Klinkerimporte in die EU wiegt diese Kostenbelastung umso schwerer und verstärkt den Trend einer schleichenden Verlagerung von energieintensiver Produktion und CO 2 -Emissionen ins Ausland. Eine Kompensation emissionshandelsbedingter Strompreiseffekte ist daher für die Zementindustrie dringend erforderlich. Mit freundlichen Grüßen Verein Deutscher Zementwerke e. V. Dr. Martin Schneider i. V. Manuel Mohr Anlage Abbildung 1: Klinkerproduktionskosten Deutschland und Ausland in 2020 Produktionskosten Klinker in Euro/t Klinker, 2020 Quelle: McKinsey-Analyse; VDZ Experteninterviews