UNDESINSTITUT ÜR RISIKOBEWERTUNG Krisenkommunikation in den Bereichen Landwirtschaft und Lebensmittel Astrid Epp Abteilung Risikokommunikation Fachgruppe Risikoforschung, -wahrnehmung, -früherkennung und -folgenabschätzung
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) errichtet am 1. November 2002 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) 760 Mitarbeiter (davon 300 Wissenschaftler) Bewertung gesundheitlicher Risiken aus den Bereichen Lebensmittel, Futtermittel, Bedarfsgegenstände, Produkte, Chemikalien Trennung von Risikobewertung und Risikomanagement weisungsunabhängig in wissenschaftlicher Bewertung gesetzlicher Auftrag zur Risikokommunikation
Risikokommunikation - Krisenkommunikation
Warum ist der Lebensmittelbereich so anfällig für Krisen? Lebensmittel sind elementar ein Kontakt mit ihnen ist unvermeidbar Verbraucher entfernen sich zunehmend vom Herstellungsprozess Schlaraffenland-Effekt: Hunger wurde durch Angst ersetzt
BfR-Studie Wahrnehmung von Pflanzenschutzmitteln (2010) stimme eher zu Pflanzenschutzmittel erhöhen die Produktivität der Landwirtschaft. 86 Pflanzenschutzmittel erhöhen die Haltbarkeit von Lebensmitteln. 61 Pflanzenschutzmittel werden auch in der ökologischen Landwirtschaft eingesetzt. 54 Pflanzenschutzmittel sind bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unschädlich für den Mensch. Pflanzenschutzmittel helfen, das Welthungerproblem zu lösen. Pflanzenschutzmittel sind bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unschädlich für die Umwelt. 30 28 33 Pflanzenschutzmittel sind für die Herstellung von Lebensmitteln notwendig. 23 BfR 2010, Alle Befragten; n = 1.003; Mehrfachnennungen möglich; Angaben in Prozent
Eurobarometer (2010): Einschätzung möglicher Risiken Für wie wahrscheinlich halten Sie es, von den folgenden möglichen Gefahren betroffen zu sein? In einem Autounfall verletzt werden 29 63 8 Lebensmittel essen, die Ihre Gesundheit beeinträchtigen 43 56 1 0 20 40 60 80 100 Eurobarometer Spezial 354 Lebensmittelrisiken (2010) Alle Angaben in % Deutschland n = 1546 wahrscheinlich nicht wahrscheinlich weiß nicht
Vertrauenskrisen gesundheitliche Krisen ökonomische Krisen Krisen und ihre Ursachen BSE (2000) Acrylamid (2002) Gammelfleisch (2006) Dioxin in Fleisch und Eiern (2011) Pflanzenschutzmittelrückstände (o.j.) EHEC 0104:H4 (Sprossen) (2011) Norovirus (Erdbeeren) (2012) Etikettenschwindel mit Bioeiern (2013) Pferdefleisch in Rindfleischlasagne (2013) Naturereignisse Neue Erkenntnisse Verfeinerung der Analytik Skandalisierung Fahrlässiges oder vorsätzliches Handeln
Krisenkommunikation umfasst alle konzeptionellen und organisatorischen Anstrengungen zur Prävention, Vorbereitung, Bewältigung und Nachbereitung von Krisenfällen hat vor, während und nach einer Krise zu geschehen folgt den Grundsätzen der Offenheit, Transparenz und Glaubwürdigkeit Ziele der Krisenkommunikation sind eine unverzügliche, transparente, sachgerechte und wahrheitsgetreue (Medien-)Berichterstattung und Information der Bevölkerung über Ursachen, Auswirkungen und Folgen einer Krise sowie die Festigkeit von Vertrauen und Glaubwürdigkeit (BMI 2008: 14).
EHEC 2011: Kommunikation in einer Krise Ausbruch Beginn Anfang Mai 2011 Höhepunkt am 22. Mai 2011 Beendet am 26. Juli 2011 Gesundheitliche Folgen Akute Gastroenteritis = 2987 Erkrankte (davon 18 Todesfälle) HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom) = 855 Erkrankte (davon 35 Todesfälle) Insgesamt 3.842 Erkrankte 53 Todesfälle Quelle: RKI 2011
Medienpräsenz von EHEC und BfR im Zeitverlauf Zeitraum: 16.05.2011 bis 30.06.2011 300 250 200 150 100 50 0 Erster bestätigter 175 EHEC- 175 189 179 Todesfall 176179 160 155 127 148 118 118 57 61 33 2 8 6 15 12 3 9 8 1 8 15 4 12 30 42 3 3 25 26 23 18 18 Brüssel zahlt für Verluste durch EHEC EHEC-Keime auf spanischen Gurken stimmen Im Hamburger Institut für Hygiene nicht und Umwelt konnten Salatgurken mit dem Erreger-Typ aus Spanien als Träger von EHEC der betroffenen identifiziert werden Patienten überein Suche Madrid verlangt nach Empfehlung des BfR EU-Kompensation EHEC- und RKI bis auf Quelle weiteres Tomaten, Salatgurken und Blattsalate nicht roh zu verzehren. 275 246 269 24 34 4 5 54 42 37 36 40 33 17 21 35 9 6 7 4 2 3 3 1 3 5 9 1 4 7 1 21.5. 22.5. 23.5. 24.5. 25.5. 26.5. 27.5. 28.5. 29.5. 30.5. 31.5. 1.6. 2.6. 3.6. 4.6. 5.6. 6.6. 7.6. 8.6. 9.6. 10.6. 11.6. 12.6. 13.6. 14.6. 15.6. 16.6. 17.6. 18.6. 19.6. 20.6. 21.6. 22.6. 23.6. 24.6. 25.6. 26.6. 27.6. 28.6. 29.6. 30.6. EHEC & BfR EHEC Kritik am deutschen Krisenmanagement. Sprossen stehen unter Verdacht (v.a. am 08.06.11 und 09.06.11) BfR bestätigt Kontamination von Sprossen mit EHEC-Stamm O104:H4 Empfehlung, auf Gurken, Tomaten und Blattsalat zu verzichten, muss nicht mehr aufrecht erhalten werden. BfR, BVL und RKI empfehlen bis auf weiteres Sprossen nicht roh zu verzehren BfR rät auch vom Verzehr von selbstgezogenen rohen Sprossen und Keimlingen ab 105 142 97 103 92 96 84 Anzahl der Beiträge im Analysezeitraum vom 16.05.2011 bis 31.08.2011 (n=5.284)
Veränderung der Gemüsekäufe im Juni 2011 Veränderung der Gemüsekäufe Juni 2011 zum Vorjahreszeitraum Tomaten -25% Gurken -41% Eisbergsalat Kopfsalat -33% -28% Kohlgemüse insgesamt 17% Weißkohl 36% Wirsing 49% Blumenkohl Broccoli 18% 19% Buschbohnen 33% Quelle: Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbh -50% -30% -10% 10% 30% 50%
Bekanntheit von EHEC Im Mai diesen Jahres kam es in Deutschland zu einer Häufung von Infektionen mit dem Darmbakterium EHEC. Haben Sie davon gehört oder gelesen? EHEC-Ausbruch 2011 nicht bekannt 7 % 93 % EHEC-Ausbruch 2011 bekannt BfR-Umfrage 2011, n = 1.002; Angaben in Prozent
Bedrohung durch EHEC Haben Sie oder Ihre Familie sich durch EHEC bedroht gefühlt? Sagen Sie es mir bitte auf einer Skala von 1 überhaupt nicht bedroht bis 5 sehr bedroht. 42 28 19 8 3 überhaupt nicht bedroht (1) (2) (3) (4) sehr bedroht weiß nicht/ (5) keine Angabe BfR-Umfrage 2011, n = 931; Angaben in Prozent
Information bezüglich EHEC durch staatliche Stellen Fühlten Sie sich bezüglich EHEC von staatlicher Seite ausreichend informiert? Sagen Sie es mir bitte auf einer Skala von 5 sehr gut bis 1 sehr schlecht. 17 33 32 11 5 3 sehr gut (5) gut (4) teils/teils (3) n = 931; Angaben in Prozent schlecht (2) sehr schlecht (1) weiß nicht/ keine Angabe
Verständlichkeit der Informationsvermittlung Fanden Sie die Informationen zu EHEC verständlich? nein weiß nicht/ keine Angabe 3 % 12 % 85 % ja BfR-Umfrage 2011, n = 931; Angaben in Prozent
Genutzte Informationsquellen Welche Informationsquellen haben Sie persönlich genutzt, um sich über EHEC zu informieren? Fernsehen Zeitschriften/Zeitungen Radio Internet Freunde / Verwandte Ärzte/Apotheker öffentliche Institutionen/Behörden/Staat Verkäufer im Lebensmittelgeschäft Verbraucherschutzorganisationen/-zentralen Hersteller von Lebensmitteln nichts, noch nie informiert Arbeitsumfeld Sonstiges weiß nicht/keine Angabe 14 % 8 % 6 % 6 % 5 % 3 % 1 % 1 % 2 % 30 % 46 % 60 % 69 % 85 % n = 931 (Mehrfachnennungen möglich); Angaben in Prozent
Vertrauenswürdige Informationsquellen Fanden Sie diese Informationsgeber vertrauenswürdig? Ärzte/Apotheker 98 % Internet 80 % öffentliche Institutionen/Behörden/Staat 78 % Verbraucherschutzorganisationen/-zentralen 78 % Zeitschriften/Zeitungen Radio Fernsehen Freunde und Verwandte Verkäufer im Lebensmittelgeschäft Hersteller von Lebensmitteln keine dieser Informationsquellen 10 % 53 % 53 % 78 % 78 % 75 % 69 % n = 881 (Mehrfachnennungen möglich); Befragte, die entsprechende Quelle nutzten; Angaben in Prozent
Beurteilung der staatlichen Maßnahmen zum Schutz vor EHEC Haben die zuständigen Stellen in Deutschland aus Ihrer Sicht genügend Anstrengungen unternommen, um die Bevölkerung vor dem EHEC-Erreger zu schützen? nein 21 % weiß nicht/ keine Angabe 8 % 71 % ja n = 931; Angaben in Prozent
Information des BfR über Aufgaben im Krisengeschehen http://www.bfr.bund.de/cm/343/ehec_was_macht_das_bfr_im_aktuellen_ausbruchsgeschehen.pdf
Kommunikation von Unsicherheit Tatsächlich?
Nachvollziehbarkeit veränderter Verzehrsempfehlungen Fanden Sie es verständlich, dass es zunächst eine Empfehlung gab, auf rohen Salat, Tomaten und Gurken zu verzichten, diese Empfehlung dann aber aufgrund neuer Informationen wieder aufgehoben wurde? nein 23 % weiß nicht/ keine Angabe 3 % 74 % ja BfR-Befragung 2011, n = 931; Angaben in Prozent
Verhaltensänderungen aufgrund von EHEC während des Ausbruchs Haben Sie Ihr Verhalten während des EHEC-Ausbruchs verändert, um sich vor dem Keim zu schützen? Was haben Sie getan, um sich vor EHEC zu schützen? Verzicht auf bestimmte Lebensmittel 72 % nein ja Verzicht auf rohen Verzehr von Obst, Gemüse oder Sprossen Obst, Gemüse oder Sprossen nicht in Restaurant/Imbiss/Kantine/Mensa essen best. Lebensmittel intensiver gewaschen häufiger die Hände gewaschen 59 % 52 % 51 % 49 % 49 % 51 % Einkaufsverhalten verändert Obst bzw. Gemüse öfter geschält 48 % 39 % verstärkt auf Küchenhygiene geachtet best. Lebensmittel mit höheren Wassertemperaturen gewaschen selbst versorgt beim Bio-Händler gekauft 2 % 1 % 39 % 33 % BfR- Umfrage 2011, n = 931; Angaben in Prozent weiß nicht/keine Angabe/nichts davon 1 % n = 479 (Mehrfachnennungen möglich); Angaben in Prozent
Bekanntheit Dioxin Anfang dieses Jahres wurden erhöhte Dioxinwerte in Futtermitteln festgestellt, weshalb auch bestimmte Lebensmittel wie Eier und Fleisch erhöhte Dioxinwerte enthielten. Haben Sie davon gehört oder gelesen? nein weiß nicht/ keine Angabe 1 % 14 % 85 % ja n = 931; Angaben in Prozent
Bedrohung durch Dioxin: Haben Sie oder Ihre Familie sich durch Dioxin in Lebensmitteln bedroht gefühlt? 63 Prozent fühlen sich durch Dioxin (überhaupt) nicht bedroht. Demgegenüber empfinden 13 Prozent explizit eine Bedrohung. 39 24 23 10 3 1 überhaupt nicht bedroht (1) (2) (3) (4) sehr bedroht weiß nicht/ (5) keine Angabe n = 803; Befragte, die von Dioxin gehört oder gelesen hatten; Angaben in Prozent und Median
Vergleichende Risikoeinschätzung: EHEC vs. Dioxin Wie würden Sie ihr persönliches Risiko gesundheitliche Schäden zu erleiden, beim Vergleich der beiden Ereignisse Dioxin in Lebensmitteln und EHEC einschätzen? Risiko von Dioxin ist sehr viel höher Risiko von Dioxin ist etwas höher 14 % 16 % beide Risiken sind gleich hoch 40 % das Risiko von EHEC ist etwas höher 14 % das Risiko von EHEC ist sehr viel höher weiß nicht/keine Angabe 8 % 8 % n = 803; Befragte, die von Dioxin gehört oder gelesen hatten; Angaben in Prozent
Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung zu EHEC EHEC-Ausbruch war eine gesundheitliche, keine Vertrauenskrise Die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung bezüglich EHEC war eher gering. Die Hälfte der Befragten fühlte sich von staatlicher Seite bezüglich EHEC sehr gut bzw. gut informiert. Die große Mehrheit der Befragten fand die Informationen zu EHEC verständlich. Die meisten Personen haben sich über die klassischen Medien (TV, Radio, Zeitungen/ Zeitschriften) zum Thema EHEC informiert.
Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung zu EHEC Nach Ansicht von 71 % der Bevölkerung haben die zuständigen Stellen genügend Anstrengungen zum Schutz der Bevölkerung unternommen. Etwa die Hälfte der Befragten hat während des Ausbruchsgeschehens ihr Verhalten geändert (z.b. Verzicht auf den Verzehr von bestimmten Lebensmitteln). Für Dreiviertel der Befragten war die Änderung der Verzehrsempfehlung verständlich Die durch Dioxin empfundene Bedrohung ist insgesamt gering, durchschnittlich aber leicht höher als bei EHEC
Fazit: Kommunikation in echten Krisenzeiten Staatlichen Stellen als Informationsgeber wird vertraut Empfehlungen öffentlicher Institutionen zur Risikominimierung werden umgesetzt Unsicherheit (z.b. Änderung von Verzehrsempfehlungen) wird akzeptiert den zuständigen Stellen wird vertraut, die Bevölkerung zu schützen
Danke! Gaby-Fleur Böl Guido Correia-Carreira Stephanie Kurzenhäuser-Carstens Mark Lohmann Abteilung Risikokommunikation Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Mario Hopp Kommunikationsforschung, Berlin
UNDESINSTITUT ÜR RISIKOBEWERTUNG DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT Astrid Epp Bundesinstitut für Risikobewertung Max-Dohrn-Str. 8-10 D-10589 Berlin Tel. 0 30-184 12 3351 Fax 0 30-184 12 6 3351 astrid.epp@bfr.bund.de www.bfr.bund.de