Unfallgeschehen älterer Verkehrsteilnehmer Jörg Ortlepp 18. April 2013, Bonn
Wer sind ältere Menschen? Bundesstatistik: Ältere Menschen > 65 Jahre Definition der WHO Alternde Menschen (50-60 Jahre) Ältere Menschen (60-75 Jahre) Alte Menschen (75-90 Jahre) Sehr alte Menschen (90-100 Jahre) Langlebige Menschen (> 100 Jahre) Divergenzen Biologisches Alter vs. funktionales Alter Selbstbild vs. Fremdbild Quellen: Statistisches Bundesamt (Bevölkerungs-/Unfallstatistik...-2006, Becker et al. 2001, BSV-Kalender 2008
Ausgangslage und Rahmenbedingungen Bevölkerungsentwicklung bis 2060 100% Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung 80% < 65 Jahre 65-79 Jahre 80 Jahre 60% 40% 20% 16% 23% 28% 32% 34% 0% 2010 2020 2030 2050 2060 Datenquelle: Statistisches Bundesamtes
Veränderungen der Wahrnehmungsleistungen im Alter Altersweitsichtigkeit Nachlassen der Akkomodationsfähigkeit und somit der dynamischen Sehschärfe Einschränkung des Gesichtsfelds Verminderte Helligkeits-, Kontrast- und vermehrte Blendempfindlichkeit Eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule im Hals-/ Lendenbereich Verringerung der Tiefenwahrnehmung Verringerte Selektionsfähigkeit (geteilte Aufmerksamkeit) Multi-Tasking-Fähigkeit (Mehrfachtätigkeit) Längere Informations- und Orientierungszeiten
Veränderungen der Kompetenzen im Alter Sind nicht universell, sondern individuell Sind nicht vom chronologischen, funktionalem Alter ( biologische Uhr, Lebensstil, Lebensumfeld) abhängig Höhepunkt der Leistungsfähigkeit wird in unterschiedlichen Lebensaltern erreicht
Wie verhalten sich Senioren im Straßenverkehr? Vorsichtiges Fahren? Langjährige Fahrpraxis wirkt positiv? Vermeiden unnötiger / risikoträchtiger Verkehrskonflikte? Die Alten sind potenzielle Gefahrenquellen im Straßenverkehr. Klischee oder Wirklichkeit?
Mobilitätscharakteristika älterer Menschen Anzahl der täglichen Wege verringert sich auf 2,5 Wege Durchschnittliche Wegdauer beträgt altersunabhängig 25 Minuten Durchschnittliche Verkehrsleistung reduziert sich bis auf 9 km/tag Die Weggeschwindigkeit beträgt im Mittel 15,5 km/h (gegenüber 26 km/h bei 18-49-Jährigen) Durchschnittliche täglich zurückgelegte Wegelänge nach Altersklassen (Quelle: MiD 2002)
Verkehrsteilnahme älterer Menschen Verkehrsmittelnutzung im Vergleich zu anderen Altersgruppen 12% 1% 7% 18-50 Jahre 54% 18% 7% Fuß Rad MIV (Pkw-/Lkw-Fahrer) MIV 15% (Pkw-Mitfahrer) MIV (Krad) ÖV 0% 9% > 65 Jahre 34% 14% 0% 7% 45% Datengrundlage: MiD 2002 50-65 Jahre 15% 25% 0% 9% 32% > 65 Jahre 10% Fuß Rad 32% Fuß MIV (Pkw-/Lkw-Fahrer) 34% MIV (Pkw-Mitfahrer) MIV (Krad) ÖV 9% Rad MIV (Pkw-/Lkw-Fahrer) MIV (Pkw-Mitfahrer) MIV (Krad) ÖV 9%
Index [%] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.v. Unfallentwicklung 1991-2012 Die Anzahl verunglückter Senioren ist von 33.000 auf 45.000 (um ca. 36 %) gestiegen. 160 Verunglückte nach Altersgruppen 140 120 bis 14 Jahre 15-24 Jahre 25-64 Jahre über 65 Jahre 133 100 80 84 60 57 55 40 20 0 1991 1996 2001 2006 2011 Datenquelle: Zeitreihen des Statistischen Bundesamtes und Dezember 2012
Index [%] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.v. Einwohnerbezogene Unfallentwicklung 1991-2012 120 Einwohnerbezogene Unfallentwicklung 1991-2012 133 100 94 80 83 73 70 60 49 40 20 alle Verunglückten (646) alle Getöteten (14) alle Schwerverletzten (164) alle Leichtverletzten (468) Verunglückte ab 65 (283) Getötete ab 65 (15) Schwerverletzte ab 65 (97) Leichtverletzte ab 65 (171) Klammerwerte beziehen sich auf das Jahr 1991 und entsprechen 100 %. 38 31 0 1991 1996 2001 2006 2011 Datenquelle: Zeitreihen des Statistischen Bundesamtes und Dezember 2012
Struktur der Getöteten Verkehrsbeteiligung, 2011 26% 22% 50% 53% 7% Datenquelle: Statistisches Bundesamtes
Anteil der Senioren als Hauptverursacher von Unfällen mit Personenschaden, 2011 Datenquelle: Statistisches Bundesamtes
Anteil beteiligter Senioren und als Hauptverursacher von Unfällen mit Personenschaden, 2011 Anteil Beteiligung davon als Hauptverursacher Fußgänger Fahrräder Land-Zugm. Insgesamt Pkw Übrige Kfz Sonstige Mofas, Mopeds Motorräder Güter-Kfz Busse Fußgänger Fahrräder Land-Zugm. Insgesamt Pkw Übrige Kfz Sonstige Mofas, Mopeds Motorräder Güter-Kfz Busse 0% 10% 20% 30% 0% 20% 40% 60% 80% Datenquelle: Statistisches Bundesamtes
Unfallschwere, 2001 2006 Datenquelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes
Unfallschwere, 2001 2006 Datenquelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes
Mittlere Unfallbelastung, 2001 2006 Datenquelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes
Fehlverhalten von Pkw-Fahrern nach Alter U(P,SS), 2004-2006 Datenquelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes
Fehlverhalten von Pkw-Fahrern nach Alter U(P,SS), 2004-2006 Datenquelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes
Fehlverhalten der Pkw-Fahrer Keine Altersabhängigkeit bei folgenden Fehlverhalten erkennbar: Abstand Überholen Vorbeifahren Nebeneinander fahren Ruhender Verkehr, Verkehrssicherung Datenquelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes
Unfallanalyse nach Unfalltypen U(P,SS), 2001 2006 Landstraßen Alter des Hauptverursachers Datenquelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes
Unfälle von Senioren an Knotenpunkten Auffällig als Kfz-Lenker und Radfahrer bei Abbiegeunfällen Jüngere wie ältere Verkehrsteilnehmer machen die selben Fehler Ältere Kraftfahrer relativ mehr Fehler beim Linksabbiegen Unsicheres Vortasten, falsche Aufstellpositionen Weitere (Fehl-)Verhalten: Rotlichtverstöße (bei allen Verkehrsteilnehmern beobachtbar), falsches Verhalten der Kraftfahrer beim Grünpfeil, Ungewissheit (Vorfahrt) am freien Rechtsabbieger
Unfallanalyse nach Unfalltypen, 2001 2006 Innerorts, Unfälle mit Getöteten Datenquelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes Alter des Hauptverursachers
Durchführung und Auswertung der Befragung: Hommerich Forschung Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.v. Befragung von 2.700 Senioren in Berlin Unsicherstes Verkehrsmittel
Durchführung und Auswertung der Befragung: Hommerich Forschung Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.v. Befragung von 2.700 Senioren in Berlin Besonders unsichere Verkehrssituationen Pkw-Fahrer: In Baustellenbereichen In Straßen mit Straßenbahnverkehr Beim Überholen auf Landstraßen
Durchführung und Auswertung der Befragung: Hommerich Forschung Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.v. Befragung von 2.700 Senioren in Berlin Besonders unsichere Verkehrssituationen Fußgänger: Auf Gehwegen, die auch von Radfahrern benutzt werden Beim Überqueren an Kreuzungen ohne Ampeln Beim Überqueren von Straßen mit Straßenbahngleisen Auf Gehwegen, auf denen Autos parken
Durchführung und Auswertung der Befragung: Hommerich Forschung Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.v. Befragung von 2.700 Senioren in Berlin Besonders unsichere Verkehrssituationen Radfahrer: Auf Hauptverkehrsstraßen ohne Radwege Beim direkten Linksabbiegen Beim Fahren gegen die Fahrtrichtung in dafür freigegebenen Einbahnstraßen An Einmündungen und Zufahrten Im Kreisverkehr
Durchführung und Auswertung der Befragung: Hommerich Forschung Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.v. Befragung der Senioren in Berlin Nur teilweise gute Deckung zwischen subjektivem Empfinden der Senioren und realem Unfallgeschehen, vor allem bei Radfahrern und Fußgängern Komplexe und zeitkritische Verkehrssituationen sind problematisch Fußgänger Fahrradfahrer Pkw-Fahrer Risiken lassen sich im Straßennetz verorten Knotenpunkte Überquerungsstellen mehrstreifige Richtungsfahrbahnen
Fazit Besonders komplexe Verkehrssituationen weisen für ältere Menschen ein höheres Risiko auf als für andere Verkehrsteilnehmer. Ältere wie jüngere Erwachsene verhalten sich aber generell vergleichbar (machen dieselben Fehler, haben dieselben Schwierigkeiten z. B. als Kraftfahrer beim Linksabbiegen). Ältere Kraftfahrer machen dieselben, aber relativ gesehen mehr Fehler" als jüngerer Fahrer beim Linksabbiegen (insbesondere dann, wenn Führungshilfen fehlen). Für Mobilitätsbehinderte Menschen ist die Bordkante ein maßgebender Konflikt, der auch zu Unfällen führt.
Fazit Fehlverhalten der Fahrzeugführer nimmt mit dem Alter zu Ältere Menschen verursachen bezogen auf ihren Bevölkerungsanteil weniger Unfälle als die Gesamtbevölkerung Ältere Menschen weisen ein deutlich höheres Risiko auf, bei Verkehrsunfällen getötet oder schwer verletzt zu werden Hauptverursacher von Unfällen kommen mit höherem Alter zunehmend selbst zu Schaden
Fazit Vereinfachung des Verkehrsinfrastruktursystems, um Fahraufgaben in aufeinander folgende Schritte aufzuteilen, Verlangsamung des Verkehrsablaufs, um verzögerte Wahrnehmungs-leistungen und Reaktionen zu kompensieren und Fehler revidierbar zu machen: Fehlerverzeihendes Verkehrssystem Verbesserung bei der Gestaltung und Organisation von Knotenpunkten und Querungsstellen (Erkennbarkeit, Orientierung, Übersichtlichkeit, Räumzeiten, Sicherung der Linksabbieger) Verbesserung der Erkennbarkeit bzw. Lesbarkeit von Verkehrszeichen, Markierungen, Leitsystemen und Verkehrsanlagen
Weitere Informationen: www.udv.de unfallforschung@gdv.de Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.v. Unfallforschung der Versicherer Wilhelmstraße 43/43G 10117 Berlin Tel. 030-2020-5872