Forum B Schwerbehindertenrecht und betriebliches Gesundheitsmanagement Diskussionsbeitrag Nr. 7/2007



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Diskussionsforum Teilhabe und Prävention Herausgegeben von: Dr. Alexander Gagel & Dr. Hans-Martin Schian in Kooperation mit: Prof. Dr. Wolfhard Kohte Prof. Dr. Ulrich Preis PD Dr. Felix Welti Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Institut für Deutsches und Europäisches Sozialrecht, Universität zu Köln Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in Europa, Christian- Albrechts-Universität zu Kiel Forum B Schwerbehindertenrecht und betriebliches Gesundheitsmanagement Diskussionsbeitrag Nr. 7/2007 April 2007 Die Krankheitskündigung und die Prävention von Erkrankungen nach der Lastenhandhabungsverordnung von Dr. Jana Zipprich Dr. Jana Zipprich setzt sich in ihrem Beitrag mit einem aktuellen Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt (Urteil vom 27. November 2006-18/16 Sa 340/06) auseinander. In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit ging es um eine krankheitsbedingte Kündigung wegen dauernder Leistungsunfähigkeit. Gestützt wurde diese auf ein ärztliches Attest, demzufolge Arbeitsunfähigkeit bestand, da bei Wiederaufnahme der Tätigkeit die Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustandes drohe. Die Entscheidung des Gerichts ist insbesondere hinsichtlich der Kriterien für die Beurteilung der Unmöglichkeit der Erbringung von Arbeitsleistung interessant. In ihrer Würdigung betont Frau Zipprich die Bedeutung der vom Gericht in seiner Argumentation nicht berücksichtigten Lastenhandhabungsverordnung für solche Fallkonstellationen und die Bezüge zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement. Sie kommt dabei zu folgenden Thesen: 1. Eine dringende ärztliche Empfehlung, bestimmte Tätigkeiten zu vermeiden, führt dazu, dass arbeitsschutzrechtlich geprüft werden muss, ob andere Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen. 2. Solange eine solche Beschäftigungsmöglichkeit nicht ernsthaft geprüft und versucht worden ist, kann eine personenbedingte Kündigung nicht realisiert werden. 3. Gesetzliche Anforderungen an die Gestaltung der Tätigkeit ergeben sich dabei z.b. aus 81 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX und aus 2 Abs. 2 S. 2 LasthandhabV. Dr. Alexander Gagel Marcus Schian Dr. Hans-Martin Schian Wir möchten Sie auch auf die Sammlung aller bisher erschienenen Diskussionsbeiträge im Internet unter www.iqpr.de aufmerksam machen und Sie herzlich einladen sich an der Diskussion durch eigene Beiträge und Stellungnahmen zu beteiligen.

Die Krankheitskündigung und die Prävention von Erkrankungen nach der Lastenhandhabungsverordnung - Anmerkung zu LAG Frankfurt, Urteil vom 27. November 2006-18/16 Sa 340/06 - I. Wesentliche Aussagen des Urteils 1. Eine ärztliche Empfehlung zur Änderung der Arbeitsbedingungen ist allein noch kein Nachweis einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit, die eine Kündigung sozial rechtfertigen kann. 2. Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung liegt nicht vor, wenn lediglich die Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustands besteht und sich der Arbeitnehmer bereit erklärt, seine gesundheitsgefährdende Tätigkeit weiter auszuüben. 3. Eine krankheitsbedingte dauerhafte Leistungsminderung kann eine Kündigung nur rechtfertigen, wenn eine erhebliche Abweichung von der Normalleistung vorliegt. Diese muss die gesamte Tätigkeit erfassen und kann erst festgestellt werden, wenn eine geeignete Beschäftigung versucht worden ist II. Der Fall Die Parteien streiten um die ordentliche personenbedingte Kündigung und um Arbeitsvergütung. Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges Paketunternehmen mit ca. 1000 Mitarbeitern in der betreffenden Niederlassung. Der Kläger wurde mit dem Fahren, Schieben, Be- und Entladen von mit Paketen beladenen Wagen beschäftigt. Die dabei zu bewegenden Pakete waren in vielen Fällen schwerer als 5 10 kg. Der Kläger legte im September 2004 eine ärztliche Bescheinigung eines Arztes für Orthopädie vor. Danach besteht eine Wirbelsäulenerkrankung. Aufgrund seiner Wirbelsäulenerkrankung sollte der Kläger das Arbeiten mit Lasten bestimmter Gewichte und das Arbeiten unter Zwangshaltungen zeitlich begrenzt vermeiden. Die Einhaltung der ärztlich empfohlenen Verhaltensregeln sollte dazu dienen, eine Verbesserung der Beschwerdesymptomatik zu erreichen und eine Verschlechterung des Krankheitsbildes zu vermeiden. Eine arbeitsmedizinische Untersuchung des Klägers kam im Wesentlichen zum Ergebnis, dass keine gesundheitlichen Bedenken für den Fall bestehen, dass das Heben, Tragen und Absetzen von Lasten von häufiger 5-10 kg/selten bis 15 kg nicht überschritten wird und keine andauernden Arbeiten in Zwangshaltungen vorliegen. In der Folgezeit beschwerte sich der Kläger schriftlich beim Manager und dem Betriebsrat darüber, dass ihn sein Partime-Supervisor angewiesen hat, Pakete mit einem Gewicht von 40 kg alleine zu tragen. Der Kläger war in der Folgezeit wegen eines grippalen Infekts und wegen einer bei der Arbeit erfolgten Quetschung des rechten Mittelfingers arbeitsunfähig erkrankt. Er wurde darüber hinaus an zwei Tagen, an denen er seine Arbeit wieder aufnehmen wollte, von einem Mitarbeiter der Beklagten wieder nach Hause geschickt. Die Beklagte versetzte den Kläger in die Unload-Abteilung. Die Leistung des Klägers in dieser Abteilung für die Dauer von täglich 1,5 Stunden habe auf 3,5 Stunden umgerechnet 400 Pakete betragen, während der Durchschnitt bei 700-1000 Paketen pro Schicht liege. Der Kläger habe seine Tätigkeit nur schlecht erledigt, sich ständig beschwert und sei häufig 2

früher nach Hause geschickt worden. Es sei der Beklagten nicht möglich, den Kläger auf einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz umzusetzen. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen der krankheitsbedingten dauerhaften Minderung der Leistungsfähigkeit. Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben und begehrte die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung sowie die Zahlung ausstehender Arbeitsvergütung. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. III. Die Entscheidung Das LAG Frankfurt hat zunächst geprüft, ob der Kläger seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit auf Dauer nicht mehr ausüben kann. Eine entsprechende negative Prognose ergebe sich aus den konkreten ärztlichen Bescheinigungen. Da der Kläger im Betrieb der Beklagten bisher mit schweren Paketgewichten gearbeitet hatte und die Beklagte auch behauptet hat, dass der Kläger die Arbeiten unter Zwangshaltungen erbringen muss, könne zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers unter Beibehaltung der bisherigen Arbeitsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit verschlechtern wird. Diese Wahrscheinlichkeit reiche jedoch nicht aus, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, auf Dauer seine arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten zu erbringen. Aus den ärztlichen Bescheinigungen ergebe sich nicht, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, seine bisherige Tätigkeit weiter auszuüben. Aus der Wortwahl der ärztlichen Bescheinigung ergebe sich nur, dass der Kläger den ärztlichen Rat zwar befolgen sollte, um eine Verschlechterung des Gesundheitszustands zu vermeiden. Aus der ärztlichen Empfehlung, die Arbeitsbedingungen zu ändern, könne aber nicht weder auf die Unmöglichkeit der Weiterarbeit zu unveränderten Bedingungen, noch darauf geschlossen werden, dass sich der Gesundheitszustand in absehbarer Zeit ganz erheblich oder wesentlich verschlechtern wird. Es liege aufgrund des nur empfehlenden Charakters der ärztlichen Bescheinigungen im Verantwortungsbereich des Klägers, für die Erhaltung seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit Vorsorge zu treffen und eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands in Kauf zu nehmen. Eine entsprechende ärztliche Empfehlung könne zwar den Arbeitgeber verpflichten, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers zu prüfen und ihn auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz umzusetzen oder zu versetzen. Ist ihm das nicht möglich, habe es damit sein Bewenden, wenn sich der Arbeitnehmer für die Arbeit auf dem belastenden Arbeitsplatz entscheide. Aus diesem Grund könne es auch dahinstehen, ob die Beklagte im Rahmen der in ihrem Betrieb bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten verpflichtet war, dem Kläger eine leidensgerechte Tätigkeit zuzuweisen. Schließlich beträfen die von der Beklagten behaupteten Auswirkungen der Erkrankung des Klägers nicht die arbeitsvertraglichen Leistungspflichten im Ganzen oder im Wesentlichen, so dass die Leistungserbringung nicht unmöglich sei. Anschließend prüfte das Gericht, ob die Kündigung wegen der krankheitsbedingten Minderung der Leistungsfähigkeit gerechtfertigt sein kann. Dies wurde ebenfalls abgelehnt. Bei einer versuchsweisen Umsetzung in die Unload-Abteilung habe sich nur eine Minderleistung von 11,4 % von der Normalleistung ergeben. Dies reiche nicht aus. 3

IV. Würdigung/Kritik Erkrankt ein Arbeitnehmer und wird daraufhin arbeitsunfähig, kann das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet werden. Dabei handelt es sich nicht um eine Kündigung aus Fürsorge. Auch wenn die Motivation des Arbeitgebers in diesen Fällen dahin gehen kann, den Arbeitnehmer vor der Verschlimmerung seiner Erkrankung zu bewahren, lässt sich aus 618 BGB kein eigenständiges Kündigungsrecht ableiten. Die Kündigung aus Fürsorge wurde zwar in der Literatur nach einer Entscheidung des LAG Hamm (LAG Hamm vom 02.11.1989, LAGE 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 6) diskutiert. Die Rechtsprechung hat diesen Ansatzpunkt in der Folgezeit jedoch zu Recht nicht weiterverfolgt. Vielmehr muss der Arbeitgeber in solchen Fällen prüfen, ob der krankheitsbedingten Minderung der Leistungsfähigkeit durch organisatorische Maßnahmen begegnet werden kann (BAG vom 12.07.1995, AP Nr. 7 zu 626 BGB Krankheit; LAG Köln vom 21.12.1995, LAGE Nr. 24 zu 1 KSchG Krankheit; KR-Griebeling, 8. Aufl. 2007, 1 KSchG Rdnr. 379; Zipprich, Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen durch manuelles Handhaben von Lasten, 2006, S. 183). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird die Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung wie jede andere personenbedingte Kündigung in drei Stufen überprüft. Danach ist zunächst eine negative Prognose erforderlich. Da das Kündigungsrecht kein Sanktionsmittel für in der Vergangenheit liegende Umstände ist, kommt es darauf an, ob die durch die Arbeitsunfähigkeit hervorgerufene Störung der Vertragsdurchführung auch in Zukunft andauern wird (ErfK-Ascheid/Oetker, 7. Aufl. 1 KSchG Rdnr. 193). Wenn die krankheitsbedingte Störung der Vertragsdurchführung eine negative Prognose für die Zukunft begründet, ist dies kündigungsrechtlich nur von Bedeutung, wenn diese Störung auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führt. Erst in diesem Fall bedingt die Leistungsstörung die Kündigung ( 1 Abs. 2 S. 1 KSchG). Dies ist nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer auf einen anderen freien Arbeitsplatz umgesetzt werden kann, auf dem keine betrieblichen Beeinträchtigungen mehr zu erwarten sind (BAG vom 05.07.1990, AP Nr. 26 zu 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG vom 24.11.2005 2 AZR 514/04). Gegebenenfalls ist eine Änderungskündigung zu erwägen, bevor das Arbeitsverhältnis endgültig beendet wird (BAG vom 22.09.2005 2 AZR 519/04). Schließlich sind in einer Interessenabwägung die gegenseitigen Vertragsinteressen gegeneinander abzuwägen. Dabei ist gegenüber dem Interesse des Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz zu behalten (Bestandsinteresse) zu prüfen, ob die Störungen des Arbeitsverhältnisses so gewichtig sind, dass die erheblichen betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers überwiegen (ErfK-Ascheid/Oetker, a.a.o. Rdnr. 183). In der Rechtsprechung zu krankheitsbedingten Kündigungen wird üblicherweise zwischen verschiedenen Varianten unterschieden, wie eine Krankheit des Arbeitnehmers auf die Vertragsdurchführung einwirken kann. Je nachdem, welche Fallgruppe vorliegt, sollen sich dann die Rechtfertigungsvoraussetzungen auf den weiteren Prüfungsstufen unterscheiden (dauernde oder langanhaltende Arbeitsunfähigkeit, häufige Kurzerkrankungen, Minderung der Leistungsfähigkeit). 4

Der typische Fall bei chronischen Rückenerkrankungen ist, dass der Arbeitnehmer nicht (mehr) in der Lage ist, schwere Lasten zu handhaben. Je nachdem, wie weit die Erkrankung fortgeschritten ist, kann jede der Fallgruppen der Rechtsprechung einschlägig sein. Die Prognoseentscheidung war im vorliegenden Fall relativ eindeutig. Denn aus den ärztlichen Attesten ergab sich klar, dass sich der Gesundheitszustand bei unveränderter Tätigkeit verschlechtern wird (es fehlte allerdings offenkundig die gutachtliche Erfassung der Fähigkeiten und Ressourcen, die für Eingliederungsmaßnahmen unverzichtbar ist - dazu Gagel/Schian SGb 2002, 529). Zudem hatte der Kläger seinen Willen deutlich gemacht, auch zu unveränderten Bedingungen weiterarbeiten zu wollen. Ob erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen vorliegen, hängt entscheidend von der Frage ab, ob der Arbeitsplatz angepasst oder der Arbeitnehmer anderweitig beschäftigt werden kann. Das LAG verzichtete auf diese Prüfung, da sich der Kläger nicht geweigert hatte, seine Tätigkeit weiter auszuüben. Dies war hier möglich, weil der Arbeitgeber eine substantielle Beeinträchtigung betrieblicher Interessen nicht vorgetragen hatte. Im Allgemeinen kann aber die Unmöglichkeit einer Weiterbeschäftigung ohne eine Prüfung, ob die Arbeitsbedingungen geändert werden können, nicht festgestellt werden. In den Fällen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit infolge einer Rückenerkrankung muss berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber Regelungen getroffen hat, um gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die Tätigkeit zu verhindern. Es gibt eine klare gesetzliche Regelung für den Fall, dass bei der Arbeitsleistung Lasten gehandhabt werden und dadurch Gesundheitsgefahren entstehen können. Diese gesetzgeberischen Wertungen müssen auch im Kündigungsrechtsstreit beachtet werden. Die Lastenhandhabungsverordnung aus dem Jahr 1996 (BGBl. I S. 1842, abgedruckt bei Kittner/Pieper, Arbeitsschutzrecht) enthält verbindliche Vorgaben für die Prävention von Erkrankungen durch die berufliche Tätigkeit. Zuerst wird der Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeit so zu organisieren, dass Lasten nicht mehr manuell gehandhabt werden müssen ( 2 Abs. 1 LasthandhabV). Wenn das Handhaben von Lasten nicht vermieden werden kann, muss durch eine Gefährdungsbeurteilung nach 5 ArbSchG geklärt werden, ob die Beschäftigten durch ihre Tätigkeit Gesundheitsgefahren ausgesetzt sind. Dabei ergeben sich aus dem Anhang der Lastenhandhabungsverordnung die Kriterien, aus denen sich eine Gefährdung ergeben kann. Dabei ist das Gewicht einer Last nur einer von vielen Umständen. Weitere Kriterien, die die konkrete Gesundheitsgefährdung beeinflussen, sind zum Beispiel die Körperhaltung, mit der die Last bewegt wird. So ist bekannt, dass das Handhaben von Lasten eine besonders ungünstige Wirkung auf den Körper hat, wenn es mit einer Drehbewegung verbunden ist. Aus den Kriterien des Anhangs, die bei der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen sind, ergeben sich zugleich Ansatzpunkte für mögliche Veränderungen der Tätigkeit. Denn dies ist nach der gesetzlichen Regelung der nächste notwendige Schritt bei der Prävention von Erkrankungen. Wenn durch die Gefährdungsbeurteilung festgestellt wurde, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer gefährdet ist, müssen geeignete Maßnahmen getroffen werden, um die Gefährdung zu reduzieren 5

( 2 Abs. 2 S. 2 LasthandhabV). Schließlich muss die körperliche Eignung der Beschäftigten berücksichtigt werden, wenn potentiell gesundheitsgefährdende Tätigkeiten zugewiesen werden ( 3 LasthandhabV). Diese Pflicht des Arbeitgebers, die Gesundheitsgefährdung durch die Tätigkeit durch geeignete Maßnahmen zu reduzieren, wirkt auf das zwischen den Arbeitsvertragsparteien bestehende Pflichtengefüge. Denn es ist seit langem anerkannt, dass arbeitsschutzrechtliche Pflichten des Arbeitgebers über 618 BGB auch schuldrechtlich zwischen den Vertragsparteien des Arbeitsvertrages wirken. Die dem Privatrecht zugehörige Vorschrift des 618 BGB wird durch die Regelungen des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzrechts konkretisiert (BAG vom 10.03.1976, AP Nr. 17 zu 618 BGB; ErfK-Wank, 618 BGB Rdnr. 4). Der Arbeitnehmer hat einen schuldrechtlichen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber, der darauf gerichtet ist, nicht mit gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten beschäftigt zu werden (BAG vom 17.02.1998, AP Nr. 26 zu 618 BGB). Dieser Anspruch ist in den hier diskutierten Fällen darauf gerichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit die Gesundheitsgefährdung durch die Tätigkeit reduziert wird. Er ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit 2 Abs. 2 S. 2 LasthandhabV (Zipprich, Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen durch manuelles Handhaben von Lasten, 2006, S. 131). Handelt es sich um einen schwerbehinderten Beschäftigten, ergibt sich der Anspruch auf Veränderung der Arbeitsbedingungen zugleich aus 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 SGB IX (BAG vom 14.03.2006 9 AZR 411/05, vom 04.10.2005 9 AZR 632/04 mit Anmerkung von Kohte in jurispr-arbr 27/2006 Anm.2 und Beitrag von Faber in Forum B 10 + 11/2006). Unterlässt der Arbeitgeber die gebotenen Maßnahmen, kann dies zu einem Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers führen (BAG vom 17.02.1998 und vom 08.05.1996, AP Nr. 27 und 23 zu 618 BGB). Aber auch wenn der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Reduzierung der Gesundheitsgefährdung durch Gestaltung der Arbeitsbedingungen noch nicht geltend gemacht hat, ist der Arbeitgeber objektiv dazu verpflichtet. Das ergibt sich aus der Qualität der Arbeitsschutznorm als Rechtspflicht. Diese sind unabhängig davon zu erfüllen, ob sich der davon Betroffene darauf beruft. Eine andere Kammer des LAG Frankfurt hatte sich bereits im Jahr 2000 intensiv mit der Wirkung der Lastenhandhabungsverordnung auf die krankheitsbedingte Kündigung auseinander gesetzt (LAG Frankfurt vom 15.09.2000 2 Sa 1833/99, juris). Dabei hat das Gericht im Rahmen der Interessenabwägung geprüft, ob der Arbeitgeber seinen Pflichten aus der Lastenhandhabungsverordnung nachgekommen war und sich dabei maßgeblich auf die abgestufte Darlegungs- und Beweislastverteilung gestützt. Da der Arbeitnehmer behauptet hatte, seine Erkrankung beruhe auf den Arbeitsbedingungen, war der Arbeitgeber gehalten, im Einzelnen darzulegen, dass er die Vorschriften der Lastenhandhabungsverordnung beachtet hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der erhebliche betriebliche Interessen nicht verletzt sind, wenn der Arbeitnehmer anderweitig beschäftigt werden kann, wirken sich die Anforderungen der Lastenhandhabungsverordnung jedoch bereits auf der zweiten Prüfungsstufe aus. Dann ist die Kündigung nicht erforderlich, wenn es eine Möglichkeit gibt, den Arbeitnehmer so zu beschäftigen, dass sich die Erkrankung auf die Leistungserbringung nicht mehr auswirkt. Aus dem Arbeitsvertrag und 2 Abs. 2 S. 2 6

LasthandhabV ergibt sich nicht nur die Möglichkeit, sondern die Pflicht zur anderweitigen Beschäftigung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der Arbeitnehmer bereit erklärt, seiner gesundheitsgefährdenden Tätigkeit weiterhin nachzugehen. Zum anderen kann es dem Arbeitgeber verwehrt sein, sich auf eine negative Prognose zu berufen, wenn die Arbeitsleistungserbringung aus Umständen gestört ist, die durch die gesetzlichen Regelungen gerade verhindert werden sollten. Denn ohne die Erfüllung der Präventionspflichten steht noch nicht fest, welchen Einfluss die Erkrankung auf die Vertragsdurchführung hat. In diesem Sinne ist bereits entschieden, dass auf Arbeitsunfällen beruhende Fehltage eine negative Zukunftsprognose nicht begründen können (BAG vom 14.01.1993 2 AZR 343/92 -, NZA 1994, S. 309f.). Verallgemeinernd kann sich eine rechtlich akzeptable Negativprognose nur auf Arbeitsbedingungen beziehen, die dem Arbeitsschutzrecht entsprechen; solange die Arbeitsbedingungen nicht korrekt angepasst sind, kann sich aus daraus resultierenden Erkrankungen keine Negativprognose ableiten lassen (Kohte AiB 1990, 125, 130). V. Ausblick In den Fällen dieser Art kann eine befriedigende Lösung nur gefunden werden, wenn die gesetzlichen Leitentscheidungen des Arbeitsschutzrechts beachtet werden. Dabei kommt es verstärkt auf die Durchführung des betrieblichen Präventionsverfahrens nach 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX (betriebliches Eingliederungsmanagement) an. Danach muss bei einer länger als sechs Wochen andauernden Arbeitsunfähigkeit geprüft werden, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden, mit welchen Leistungen oder Hilfen neuer Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Diese Vorschrift betrifft nicht nur schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer, sondern alle Beschäftigten. Im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements kann dann mit den Daten der Gefährdungsbeurteilung nach 5 ArbSchG in Verbindung mit 2 Abs. 2 S. 1 LasthandhabV gearbeitet werden. Wenn eine Gefährdungsbeurteilung noch nicht erstellt worden ist, kann das betriebliche Präventionsverfahren der Anlass sein, dieser Verpflichtung nachzukommen. Wie oben schon ausgeführt, ist das betriebliche Eingliederungsmanagement nach 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX dann einer krankheitsbedingten Kündigung vorrangig. Denn das betriebliche Eingliederungsmanagement ist eine besondere Ausprägung des das gesamte Kündigungsrecht durchziehenden Ultima-ratio-Prinzips (LAG Berlin vom 27.10.2005 10 Sa 783/05 - LAGE 1 KSchG Krankheit Nr. 37, Leitsätze in BB 2006, S. 560). Zur Verfasserin Frau Dr. Jana Zipprich promovierte nach dem Jurastudium an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am dortigen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeits-, Unternehmens und Sozialrecht (Prof. Dr. W. Kohte). Zur Zeit absolviert sie Ihr Referendariat in Sachsen-Anhalt. Ihre Meinung zu diesem Diskussionsbeitrag ist von großem Interesse für uns. Wir freuen uns auf Ihren Beitrag. 7