Eritrea. Von Ministerialdirigent Dr. Dietrich Nelle, Berlin. Stand:

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Transkript:

1 Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Verlag für Standesamtswesen GmbH Frankfurt am Main Berlin, Februar 2020 ISBN 978-3-8019-1235-2 Von Ministerialdirigent Dr. Dietrich Nelle, Berlin Stand: 23.8.2004 Hinweis (13.1.2020) * Im Mai 2015 hat die eritreische Justizministerin Hashim ein neues Zivilgesetzbuch sowie eine neue Zivilprozessordnung veröffentlicht und damit den Eindruck erweckt, beide Gesetze seien auch in Kraft gesetzt 1. Die Geltung jedenfalls des Zivilgesetzbuchs ist jedoch bis heute nicht abschließend geklärt. Während Art 1 ZPO bestimmt, dass diese erst mit ihrer bislang nicht erfolgten Verkündung im Gesetzblatt in Kraft tritt 2, fehlt im Zivilgesetzbuch eine entsprechende Klausel. Überdies sind belastbare Grundlagen für eine Entscheidung dieser Frage auch anderweit nicht vorhanden. So gibt es keinen autoritativen Hinweis, ob der Unterschied zwischen beiden gleichzeitig veröffentlichten Gesetzen einer bewussten Entscheidung oder einem Lapsus des Gesetzgebers entsprungen ist. Vor allem aber sind die Voraussetzungen für das In-Kraft- Setzen von Gesetzen auch über die hier in Rede stehenden Gesetze hinaus nicht belastbar geklärt, da die Verfassung von 1997 nach wie vor nicht implementiert ist 3. Hinzu kommt, dass eine landesweit einheitliche Anwendung rechtlich gültiger Gesetze keineswegs gesichert ist, sodass auch die vorherrschende Rechtspraxis nur begrenzt Aufschluss über die maßgebliche Rechtslage zu geben vermag 4. Insofern verwundert es * Das Standdatum ist auch das Datum des letzten Abrufs aller in diesem Hinweis genannten Internetquellen. 1 Vgl Government of Puts Into Effect New Civil and Penal Codes, tesfanews v 11.5.2015, www. tesfanews.net/government-of-eritrea-puts-into-effectnew-civil-and-penal-codes/; tesfanews v 17.5.2015, The Publication and Enforcement of the New Codes, Timely and Indispensable: Minister Fawzia Hashim, www. tesfanews.net/the-publication-and-enforcement-of-newcodes-timely-and-indispensable/#disqus_thread. 2 Gleichwohl geht die Datenbank Natlex der Internat Arbeitsorganisation ILO wohl von der Geltung der ZPO aus (lässt allerdings bezeichnenderweise das für die Angabe des Datums des Inkrafttretens vorgesehene Feld offen), http://www.ilo.org/dyn/natlex/natlex4. detail?p_lang=&p_isn=101052&p_classification=01.03. 3 Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, Report of detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in, A/HRC/29CRP, Ziff 299ff, 310. 4 Abraha, Marriage Law in : Types and Methods of Proof, 2018, S 2, http://dx.doi.org/10.2139/ssrn. 3201871. 235. Lieferung

2 nicht, dass es sowohl Stimmen gibt, die von einer Geltung des Zivilgesetzbuchs ausgehen 5 als auch solche, die dies verneinen 6. Gleichwohl ist die praktische Bedeutung dieser Frage nicht überzubewerten. Für weite Bereiche der im Bericht behandelten Materie ist nämlich die Frage, ob noch das Vorläufige Gesetzbuch von 1991 oder das neue Zivilgesetzbuch von 2015 anzuwenden ist, von geringer praktischer Bedeutung. Beide Gesetze sind (bei unterschiedlicher Artikelnummerierung) über weite Strecken textgleich, das neuere Gesetz nimmt vor allem eine Bereinigung obsoleter Textteile und redaktionelle Verbesserungen vor. Auch vom die Geltung des neuen Gesetzes verneinenden Rechtsstandpunkt aus kann deshalb als Faustregel angenommen werden, dass das neue Gesetz größtenteils den aktuellen Rechtsstand zutreffend reflektiert. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass das neue Gesetz einen Paradigmenwechsel in der wichtigen Frage vollzieht, ob auch islamische Eheschließungen unter das neue Gesetz fallen sollen. Während diese bereits in der äthiopischen Vorläufergesetzgebung und auch im Vorläufigen Zivilgesetzbuch ausgenommen blieben (Art 579 VZGB, Abschnittsüberschrift vor Art 581 VZGB), bezieht sie das neue Gesetz (Art 545 Abs 2 ZGB, Abschnittsüberschrift vor Art 522 ZGB) nun mit ein, mit der Konsequenz, dass für diese entsprechend zb das allgemeine Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren und die allgemeinen Ehehindernisse einschließlich des Polygamieverbots gelten würden. Da ernsthafte Versuche von Regierung oder Justiz, das neue Gesetz in diesem Punkt auch tatsächlich durchzusetzen, nicht bekannt geworden sind, kann jedenfalls insoweit nicht von einer effektiven Geltung der Neuregelung ausgegangen werden. Abweichungen finden sich auch im Kindschaftsrecht; die Abstammung vom Vater kann danach entgegen der Regelung in Art 740 Abs 3 VZGB auch in Fällen festgestellt werden, in denen die Mutter nicht entführt oder vergewaltigt wurde (vgl Art 653 ff ZGB). Die Vaterschaft anfechten können danach der Ehemann und die Mutter innerhalb von drei Jahren nach der Geburt sowie zeitlich unbegrenzt das Kind; im Falle einer künstlichen Befruchtung ist eine Anfechtung nicht möglich. Für Adoptionen wird ein Altersunterschied von 18 Jahren zwischen Annehmendem und zu Adoptierendem verlangt (Art 672 Abs 1 ZGB). Eine Eintragung von Eheschließungen in religiöser oder gewohnheitsrechtlicher Form wird auch bei Geltung des neuen Zivilgesetzbuchs nach richtiger Auffassung nicht zur Voraussetzung der Wirksamkeit der Eheschließung; die entspre- 5 Bejahend ohne nähere Belege, die in der Lit wohl hm: n Center for Strategic Studies, Blog-Beitrag v 7.11.2015, http://www.ecss-online.com/civil-codeof-state-of-eritrea-2015/; Schröder, Marriage, Vital Events Registration & Issuance of Civil Status Documents in, 2017, Ziff 20, https://migrationlawclinic.files. wordpress.com/2017/05/paper-gc3bcnther-schrc3b6dereritrea-marriage.pdf; Ton, Zur Anerkennung eritreischer Eheschließungen, Asylmagazin 3/2018; Schweizerische Flüchtlingshilfe, : Registrierung von Eheschließungen, Bern 2018, S 2; von dieser Position geht offenbar auch die dt Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage aus: Deutscher Bundestag, Drucksache 19/2075, S 8, Antwort auf Frage 20, ebenso wie die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, Report of detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in, A/HRC/29CRP, Ziff 295. 6 Verneinend äußerte sich der zuständige Mitarbeiter des eritr Justizministeriums in einer mündlichen Äußerung gegenüber einer brit Regierungsmission, UK Home Office, Report of a Home Office Fact-Finding Mission Conducted 7-20 February 2016, Ziff 16.1.2 D; unentschieden Abraha (Fn 4), S 2; Lifos, varnad av barn, Lifos Report, Stockholm 2018, S 8 (15).

2a Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Verlag für Standesamtswesen GmbH Frankfurt am Main Berlin, Februar 2020 ISBN 978-3-8019-1235-2 chende Pflicht ist vielmehr als Ordnungsvorschrift zur Erleichterung der Nachweisführung zu verstehen (vgl Art 520, 521, 545 Abs 1, 3, 546 Abs 1, 3 ZGB) 7. Letztlich liegt es nahe, in den Bereichen, in denen nicht die genannten Ausnahmen gelten, weiter den alten Gesetzestext als maßgeblich zugrunde zu legen, die Novelle im Sinne einer modernen Interpretation dieses Textes aber gleichwohl zusätzlich mit im Auge zu behalten. Dr. Dietrich Nelle (Diese Seite hat Anschluss an Seite 3) 7 In diesem Sinne auch die Bundesregierung, BT- Drucksache 19/2075 (Fn 5), aao, sowie Abraha (Fn 4) S 9ff. 235. Lieferung

3 Inhalt Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Verlag für Standesamtswesen GmbH Frankfurt am Main Berlin, August 2005 ISBN 3-8019-1162-4 I. Vorbemerkungen 4 II. Staatsangehörigkeit 7 A. Allgemeines 7 B. Die gesetzlichen Bestimmungen 8 1. Entwurf der Eritreischen Staatsverfassung v 22. 5. 1997 8 2. Proklamation Nr 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit v 6. 4. 1992 8 III. Ehe- und Kindschaftsrecht 11 A. Allgemeines 11 1. Rechtsquellen 11 2. Internationale Abkommen 13 3. Internationales Privat- und Verfahrensrecht, interreligiöses Recht 14 4. Personenrecht 14 5. Eherecht 15 6. Kindschaftsrecht 18 7. Namensrecht 20 8. Personenstandsrecht 21 B. Die gesetzlichen Bestimmungen 21 1. Entwurf der Eritreischen Staatsverfassung v 22. 5. 1997 21 2. Proklamation Nr 2/1991 über das Vorläufige Zivilgesetzbuch 22 3. Dekret Nr 52/1965 über die Vorläufige Zivilprozessordnung v 8. 10. 1965 51 4. Proklamation Nr 58/1994 über den Landbesitz v 24. 8. 1994 52 162. Lieferung

4 I. Vorbemerkungen 1 1. ist mit weniger als vier Millionen Einwohnern ein relativ kleines, aber dennoch heterogenes Land. Die wichtigsten Bevölkerungsgruppen sind die semitische 2 Sprachen sprechenden Tigräer 3 (knapp 2 Millionen Personen), Tigrer (rd 800.000) und die südarabischen Dialekt sprechenden Rashaida, die kuschitischen 4 Afar 5 (auf Amharisch auch Adal, auf Arabisch Danakil, rd 300.000), Saho 6 (rd 150.000), die Belawi (rd 120.000) und Blen (auch Bilen, rd 70.000) sowie die nilo-saharischen 7 Kunamana 8 (rd 140.000) und Nara (über 60.000). Amtssprachen sind Tigräisch, Arabisch und Englisch, wobei Tigräisch hauptsächlich im Hochland, Arabisch hauptsächlich in den lange Zeit unter ottomanischer bzw ägyptischer Herrschaft stehenden Küstengebieten und Englisch in urbanen Gebieten im internationalen Verkehr gesprochen werden. Auch das in der Zeit der Zugehörigkeit zu Äthiopien stark geförderte Amharisch ist noch weit verbreitet, während Italienisch inzwischen außerhalb der Hauptstadt Asmara nur selten anzutreffen ist 9. Während die Tigräer zum weitaus 1 Abkürzungen: EPLF-ZGB Zivilgesetzbuch der Eritreischen Volksbefreiungsfront StAVO Staatsangehörigkeitsverordnung VZGB Vorläufiges Zivilgesetzbuch VZPO Vorläufige Zivilprozessordnung Abgekürzt zitierte Literatur: Adulnasser The Institution of Family Arbitration in Abdella, Asmara 1999 Barrera Dangerous Liaisons Colonial Concubinage in 1890 1941, Evanston Il, 1996 Castellani Recent Developments in Land Tenure Law in, Horn of Africa, Madison Wi, 2000 Castellucci Il nuovo diritto eritreo: Il diritto di famiglia, in: Favali (Hrsg), New Law for New States: Politica del diritto in, Turin 1998, S 193ff Conti Rossini Principi di diritto consuetudinario dell, Rom 1916 David Le Droit de la famille dans le Code civil éthiopien, Mailand 1967 French Legal Literature of : A Bibliographic Essay, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulations 24 (2001) 417ff Green/Baden Gender Profile of the State of, Brighton 1995 Juvenile Jus- Federal Supreme Court, Protection of tice Project Children Under the New Ethiopian Family Law, Addis Ababa 2001 Mehari Redae Some Points on the Legislative Background of the Revised Family Code, Addis Ababa 2001 Monateri»Running on the Horn«: The case of Beni Amer and Akele Guzai Customary Laws in, in: Favali (Hrsg), New Law for New States: Politica del diritto in, Turin 1998, S 149ff Nelle Neue familienrechtliche Entwicklungen am Horn von Afrika (Äthiopien,, Dschibuti, Somalia und Sudan), StAZ 2004, 93ff Pfützner Die Sprachen Äthiopiens, in: Hildemann/ Fitzenreiter (Hrsg), Äthiopien, 2. Aufl 2002 Sedler Ethiopian Civil Procedure, Oxford/Addis Ababa 1968 Silkin Women Can Only Be Free When the Power of Kin Groups is Small New Marriage Laws and Social Changes in the Liberated Zones of, International Journal of the Sociology of Law 17 (1989) 147ff Tsehainesh Woman s Access to Land and Property Tekle Rights in, Asmara 1998 Worky Zerai/ Women and Law in, Asmara 2001 Gidey Kalet 2 Pfützner S 149ff. 3 Vgl Giday Degefu Korado, Traditional Mechanisms of Conflict Resolution in Ethiopia, Addis Ababa 2000, S 109ff. 4 Pfützner S 154. 5 Vgl Guedda, Le mariage coutumier dans la societé Afar, Science et Technique Revue de l'iserst (Dschibuti) 1989, 131ff. 6 Capomazza, Il diritto consuetudinario degli Acchelè-Guzai, Asmara 1937, S 1ff; Monateri S 149ff. 7 Pfützner S 149ff. 8 Die Kunamana gehören zu den wenigen matrilinear organisierten Gesellschaften der Region; vgl Cittadini, A Kunama Marda Marriage, Journal of Ethiopian Studies IV (1966) 137ff. 9 Vgl Simeone-Senelle, Les langues en Erythrée, Chroniques Yéménites 2000, 157ff.

5 Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Verlag für Standesamtswesen GmbH Frankfurt am Main Berlin, August 2005 ISBN 3-8019-1162-4 überwiegenden Teil dem orthodoxen Glauben angehören, sind die übrigen Bevölkerungsgruppen vorwiegend islamisch. Unter den Blen und Kunamana gibt es auch einen großen Anteil von katholischen Glaubensangehörigen. Auch werden noch traditionelle Naturreligionen praktiziert. 2. Die heutige Vielfalt s spiegelt sich auch in der Geschichte des Landes. Bereits in den vier Jahrtausenden vor Christi Geburt wanderten in das heutige nilotisch-, kuschitisch- und semitischsprechende Volksgruppen zu, welche das Gebiet zu einem der ersten afrikanischen Zentren von Landanbau und Viehzucht machten. Außerdem war es seit dem dritten vorchristlichen Jahrtausend für seinen Handel über das Rote Meer berühmt 10. Ab dem fünften Jahrhundert wurde es Teil des axumitischen bzw später äthiopischen Königreichs, mit welchem es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in wechselnden Graden von Unabhängigkeit verbunden blieb. Von 1886 1941 stand es unter italienischer Herrschaft und wurde anschließend bis 1952 britisches Protektorat. 1952 wurde es durch Entscheidung der Vereinten Nationen föderativ Äthiopien angegliedert, welches es 1962 durch Annexion in eine Provinz des Landes umwandelte. Bereits 1961 begann in ein bewaffneter Unabhängigkeitskampf der n Peoples Liberation Front (EPLF) zunächst gegen die kaiserliche und später gegen die sozialistische Zentralregierung in Addis Ababa, welcher 1991 zum Sieg der verbündeten regionalen Widerstandsbewegungen in, Tigre und anderen äthiopischen Provinzen sowie 1993 durch Referendum auch formal zur Unabhängigkeit s 11 führte, das noch im selben Jahr den Vereinten Nationen als bislang jüngster Staat Afrikas beitrat 12. 3. Dieser Vielfalt entspricht auch das Rechtswesen des Landes. Unterschiedliche rechtliche Schichten überlagern und durchdringen sich wechselseitig. Die älteste dieser Schichten bildet das traditionelle regionale Gewohnheitsrecht 13, welches noch heute selbst in urbanen Gebieten ein wichtiger Faktor im Rechtsdenken der Bevölkerung ist 14. Wichtige Spezifika dieser Schicht sind bei allen Eigenheiten im Detail eine vorwiegend patrilineare und patrilokale Ausrichtung sowie eine vergleichsweise geringe Stabilität familienrechtlicher Bindungen 15. Eine zweite Schicht bildet das religiöse Recht, insbesondere in Form des äthiopisch-orthoxen Christentums 16 sowie des sunnitischen Islams der hanafitischen Schule. In beiden Ausprägungen wurde das religiöse Recht im praktischen Leben kaum in vollem Umfang angewandt, vermittelte aber wichtige moralische Orientierungen und bewirkte im Vergleich zum traditionellen Gewohnheitsrecht eine Verbesserung der Stellung der Frau und eine Festigung der 10 Vgl den berühmten Periplus Maris Erythräi, ein im 1. Jahrhundert von einem namentlich nicht bekannten ägypt Händler in griech Sprache verfasstes Handbuch für Seefahrer im Roten Meer. 11 Dazu Amare Tekle, The 1993 Referendum on Independence from Ethiopia, Genf 2003. 12 Zur staatl Identität s vgl Hoyle, The n National Identity: A Case Study, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulations 24 (2001) 382ff; Hecker, StAZ 1996, 321. 13 Vgl Francesco da Offejo, Dall': Lettere sui costumi abissini, Rom 1904, S 90ff; Conti Rossini S 1ff; Russell, n Customary Law, Journal of African Law 3 (1959) 99; Monateri S 149ff. 14 Vgl Tsehainesh Tekle S 7. 15 Vgl Silkin S 148ff; Tsehainesh Tekle S 2. Für eine matrilineare Struktur bekannt sind jedoch die Kunamara, vgl o Fn 8. 16 Vgl Tzadua, Le diverse forme del matrimonio e il loro carattere dissolubile e indissolubile della chiesa d'etiopia, Quaderni di studici etiopici 6 7 (1985/87) 5ff. 162. Lieferung

6 familienrechtlichen Beziehungen 17. Die dritte Schicht bildet die Vermittlung kontinentaleuropäischen Rechtsdenkens in der Zeit italienischer Vorherrschaft von 1886 bis 1941 18. Hierüber legte sich in den folgenden Jahren als vierte Schicht ab 1960 die Geltung des äthiopischen Zivilrechts, welches seinerseits gleichfalls ein aus ähnlichen Elementen gebildetes Amalgam darstellt 19. Als fünfte Schicht sind die spezifischen Erfahrungen einer in jahrzehntelangem Bürgerkrieg befindlichen Gesellschaft zu nennen 20. Nach unabhängigen Schätzungen ist während des Bürgerkriegs fast ein Zwanzigstel der Bevölkerung umgekommen und rund jeder Neunte wurde Opfer von Vertreibung 21. Ein erhebliches Folgeproblem stellt der große Anteil von Waisenkindern dar, welche auf fast drei Prozent der Gesamtbevölkerung geschätzt werden und von denen mehr als die Hälfte dringend unterstützungsbedürftig ist. Andererseits hat nicht zuletzt die wichtige Rolle, welche die Frauen während der Zeit des Bürgerkriegs im gesellschaftlichen und privaten Leben zwangsläufig übernehmen mussten, aber auch ihr vergleichsweise hoher Bildungsstand ihre soziale Stellung deutlich verbessert 22. Die sechste und jüngste Schicht bildet die Neukodifizierung des Rechtes seit der Unabhängigkeit 1991, welche bislang jedoch noch überwiegend vorläufigen Charakter aufweist. 4. Die Rechtsspaltung im Lande bedingt einen unübersichtlichen Aufbau des Justizwesens. Die staatliche Gerichtsbarkeit ist dreizügig angelegt mit der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie Militär- und Sondergerichten. Die für familienrechtliche Streitigkeiten zuständigen ordentlichen Gerichte sind im Grundsatz vierstufig aufgebaut 23. Die Woreda Guezat- sowie die Awrada Guezat-Gerichte sind entsprechend den beiden unteren Ebenen lokaler Verwaltung gegliedert und für Streitigkeiten mit sehr niedrigen Streitwerten zuständig. Für alle anderen Streitigkeiten ist das Obergericht die Eingangsinstanz. Es ist unter anderem ausschließlich zuständig für Streitigkeiten in Bezug auf Fragen der Staatsangehörigkeit und Vaterschaft sowie für die Anerkennung ausländischer Urteile und von Schiedssprüchen. Hinzu kommt der Oberste Gerichtshof, welcher nahezu ausschließlich als Rechtsmittelinstanz tätig wird 24. Bei den Gerichten auf den beiden unteren Stufen sind jeweils Einzelrichter tätig, bei den beiden oberen Stufen jeweils mit drei Richtern besetzte Kammern. Die weitreichende Mitwirkung von Familienschiedsrichtern behält das eritreische Recht, im Gegensatz etwa zum neuen äthiopischen Familienrecht, bei (vgl Art 722 ff VZGB). Ferner gibt es in der Zivilprozessordnung nicht geregelte ehrenamtliche Dorfgerichte (Atbia Danias) 25. In diesen sprechen örtliche Respektspersonen, welche vom Justizministerium auf Vorschlag der örtlichen Gerichtspräsidenten eingesetzt werden, in Kleinststreitigkeiten Recht. Sie sind die formalisierte Gestalt der traditionellen Rechts- 17 Vgl David S3,5ff. 18 Vgl Barrera S 14ff; Tekeste Negash, Italian Colonisation in 1882 1941: Policies, Praxis and Impact, Studia Historica Uppsalensia 148 (1987) 44ff, 55ff. 19 Vgl statt aller David. 20 Vgl Wilson, Women and the n Revolution: The Challenge Road, Trenton NJ, 1991, S 1ff; Green/Baden S 12ff. 21 Vgl Tsehainesh Tekle S 1. 22 Vgl French S 425ff. 23 Vgl Arnold RabelsZ 1960, 53ff; Aberra Jemberre, Legal History of Ethiopia 1434 1974, Rotterdam 1998, S 211ff; Knowles, Ethiopia, in: Allot (Hrsg), Judicial and Legal Systems in Africa, 2. Aufl, London 1970, S 181ff. 24 Arnold (o Fn 23) S 55ff. 25 Vgl Knowles (o Fn 23) S 186ff.

7 Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Verlag für Standesamtswesen GmbH Frankfurt am Main Berlin, August 2005 ISBN 3-8019-1162-4 pflege durch Dorfälteste (shamagile). Die Hauptaufgabe dieser Gerichte ist nicht die Entscheidung streitiger Verfahren, sondern die Vermittlung und Schlichtung. Ein Rechtsmittel gegen untergerichtliche Entscheidungen kann jeweils bei der nächsthöheren Stufe eingelegt werden. Lehnt das höhere Gericht die Aufhebung des vorherigen Urteils ab, ist ein weiteres Rechtsmittel nicht statthaft. Die islamischen Sharia-Gerichte wurden 1944 der staatlichen Gerichtsbarkeit eingegliedert, wo sie als gesonderte Spruchkörper fortgeführt werden 26. Die Tätigkeit der Sharia-Gerichte wurde in den vorrangig muslimischen Gebieten sogar ausgeweitet; zugleich wurde aber die Berufungsmöglichkeit zur staatlichen Gerichtsbarkeit offen gehalten. Das Gerichtswesen leidet unter Mangel an qualifiziertem Personal, staatlicher Einflussnahme und schlechten Infrastrukturen 27. Andererseits wird die zügige Abwicklung von Verfahren durch ein geringes Aufkommen an Streitfällen und die fortdauernde Neigung zu informellen Streitschlichtungsmechanismen gefördert. II. Staatsangehörigkeit A. Allgemeines Die Staatsangehörigkeitsverordnung 1 von 1992 knüpft erkennbar an die italienische Gesetzgebung von 1933 an. Die Staatsangehörigkeit wird originär grundsätzlich durch Abstammung übertragen (Art 2 Abs 1 StAVO). Dabei kann nicht nur der Vater, sondern ebenso die Mutter ihre eritreische Staatsangehörigkeit an die Kinder weitergeben (vgl auch Art 3 Abs 1 Verf). Eine doppelte Staatsbürgerschaft bleibt jedoch grundsätzlich ausgeschlossen 2 (vgl Art 2 Abs 5, 4 Abs 2 lit e, 6 Abs 1 lit b, 8 Abs 1 lit a StAVO). Eine Person eritreischen Ursprungs ist, wer 1933 als dem Jahr, in welchem die damalige Kolonialmacht Italien eine umfassende Registrierung der örtlichen Bevölkerung begann in ansässig war (Art 2 Abs 2 StAVO). Im Ausland ansässige Personen, welche die Voraussetzungen für den Erwerb eritreischer Staatsangehörigkeit erfüllen, müssen sich an das eritreische Innenministerium wenden, um die bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben und die eritreische Staatsangehörigkeit zu beantragen (Art 2 Abs 5 StAVO). Das Gleiche gilt für Personen, welche zwischen 1934 und 1951 also vor Beginn der Eingliederung von als Provinz nach Äthiopien in ansässig waren und weder die eritreische Staatsangehörigkeit zurückgewiesen haben noch Handlungen gegen den Befreiungskampf des eritreischen Volkes unternommen haben (Art 3 StAVO). Personen, welche nach 1952 in eritreisches Territorium zugewandert sind, müssen dort mindestens zehn Jahre vor 1974 ansässig gewesen sein, bei 26 Vgl Knowles (o Fn 23) S 187ff; Sedler S 10. 27 US Department of State, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor, Country Report on Human Rights Practices 2001, Washington 2002, S 5. 1 Eritr Proklamation über die Staatsang Nr 21/1992 v 6.4.1992, veröff in Gazette of n Laws, Bd 2/ 1992, Nr 3, ik 6.4.1992; vgl dazu Hecker, StAZ 1996, 321ff (322 zum Übergangsrecht). 2 Vgl n Nationality Law (Proclamation Nr 21/ 1992) Gaps in the Law, Asmara 2000, S 22, 45ff, 57ff. 162. Lieferung