486 Sensomotorische Funktionen nach Schlaganfall: Fugl-Meyer-Assessment (FMA) Hintergrund Die Fugl-Meyer-Skala ist ein 113-Items umfassendes Schlaganfall-spezifisches Messinstrument zur Bewertung der sensomotorischen Funktionen und des Gleichgewichts, der Gelenkbeweglichkeit und der Gelenkschmerzen, also primär der Schädigungsebene (1993). Es ist eine der ältesten quantitativen Messmethoden, welche die Erholung nach Schlaganfall erfasst (Fugl-Meyer et al. 1975). Sie wurde von einem schwedischen Arzt 1975 eingeführt und basierte auf den Rückbildungsstadien nach Twitchel und Brunnström. Diese basieren darauf, dass initial nach dem Schlaganfall eine schlaffe Parese einsetzt, in der Folge die Reflexe zurückkehren, dann Massensynergien einsetzen und im Weiteren der immer selektivere Einsatz ausgewählter Muskelgruppen auftritt, welcher proximal beginnt (Brunnstrom 1966; Twitchell 1951). Das Fugl-Meyer-Assessment wird für klinische Zwecke und in der Forschung angewendet. Dabei unterstützt es die Einschätzung des Schädigungsgrades, beschreibt die Erholung nach einem Schlaganfall und dient der Behandlungsplanung (Gladstone et al. 2002). Die 3-stufige Skala (0= keine Funktion, 1= teilweise Funktion, 2= vollständige Funktion) wurde aufgrund einer Pilotstudie mit 20 hemiparetischen Patienten einer 5- oder 7-stufigen Skala vorgezogen (Fugl-Meyer et al. 1975), die in der Literatur heute noch empfohlen wird (Streiner 1995). Dem Autor ist keine deutsche validierte Version bekannt, hingegen ist der Test auf Englisch und Französisch validiert. Das Fugl-Meyer-Assessment für die obere Extremität wird im deutschsprachigen Raum in Studien oft eingesetzt. Zur Dokumentation der Rehabilitation der oberen Extremitäten mit Robotik wurde das FMA obere Extremitäten von Wei et al. (2011) empfohlen. ICF-Klassifikation Körperfunktionen b260 Die Propriozeption betreffende Funktionen
Sensomotorische Funktionen nach Schlaganfall: Fugl-Meyer-Assessment (FMA) 487 Aktivitäten/ Partizipation b2702 Druck- und Berührungsempfinden b280 Schmerzen b710 Funktionen der Gelenksbeweglichkeit b750 Funktionen der motorischen Reflexe b755 Funktionen der unwillkürlichen Bewegungsreaktionen b760 Funktionen der Kontrolle von Willkürbewegungen d4106 Seinen Körperschwerpunkt verlagern d4153 In sitzender Position verbleiben d4154 In stehender Position verbleiben d4401 Einen Gegenstand ergreifen Praktikabilität Patientengruppe Patienten nach Schlaganfall. Das Fugl-Meyer- Assessment ist für die ambulante und stationäre Rehabilitation geeignet. Zeitaufwand Ein Zeitaufwand von mind. 35 Minuten, dies ist aber knapp bemessen (Gladstone et al 2002). Der Test verlangt eine lange Aufmerksamkeitsdauer, was den Einsatz bei akuten Schlaganfall-Patienten einschränkt. Wenn nur die motorischen Items getestet werden, wird ein Aufwand von zwanzig Minuten bei Patienten mit milden motorischen Defiziten und zehn Minuten bei Patienten mit schweren Defiziten beschrieben (Gladstone et al. 2002). Kosten Geringe Auslagen für Testsmaterial (Reflex- Hammer, Stift, Blatt Papier, zylinderförmiges Objekt, Tennisball, Stoppuhr) Ausbildung 1 bis 2 Stunden Einführung durch gut ausgebildete Therapeuten (Gladstone et al. 2002). Gladstone et al. von der University of Toronto, Kanada, haben ein Trainingsvideo entwickelt. Praktische Durchführung Das Fugl-Meyer-Assessment besteht aus verschiedenen, unilateralen Aufgaben und Bewegungsaufträgen. Auf Aufforderung des Testers wird jede dieser Aufgaben durchgeführt und die Leistungen mit der Skala bewertet. Format Funktionelle Leistung Skalierung 0, 1 oder 2 Totalscore 0-226 Punkte Subskalen Motorik der oberen Extremität: 0-66 Punkte Motorik der unteren Extremitäten: 0-34 Punkte Gleichgewicht: 0-14 Punkte Sensibilität: 0-24 Punkte Gelenkbeweglichkeit: 0-44 Punkte Gelenkschmerzen: 0-44 Punkte Reliabilität (Zuverlässigkeit) Duncan et al. (1993) untersuchten die Intratester-Reliabilität mit 19 chronischen Schlaganfall-Patienten zu drei Zeitpunkten mit einem 3- wöchigen Intervall. Dabei resultierten je nach untersuchtem Bereich Pearson-Korrelations-
488 koeffizienten von 0.86 bis 0.99, was für eine sehr hohe Intratester-Reliabilität spricht. Sanford et al. (1993) veröffentlichten eine Studie mit 12 Patienten, die in das Chedoke- McMaster Rehabilitation Centre in Hamilton (Ontario, Kanada) eingetreten waren und von drei erfahrenen Physiotherapeuten in zufälliger Reihenfolge getestet wurden. Der Interclass- Correlation-Coefficient ICC des Totalscores war mit 0.96 sehr gut. Der ICC der einzelnen Subskalen war mit 0.67 für Gelenkschmerzen bis 0.97 für Motorik der oberen Extremitäten ebenfalls gut. Ebenfalls gute Resultate erhielten Lin et al. (2004) in ihrer Studie. Die Intertester-Reliabilität des Totalscores des Fugl-Meyer-Assessments erreichte einen ICC von 0.93. Der entsprechende ICC der Subskalen reichte von 0.85 bis 0.96. Validität (Gültigkeit) Die Augenscheinvalidität und die Inhaltsvalidität wurden als sehr gut beschrieben. Dabei wurde die obere Extremität gegenüber der unteren Extremität übergewichtet und die Reflexe waren überrepräsentiert (Gladstone et al. 2002). Auch wurde die distale Feinmotorik der oberen Extremitäten im Vergleich zur Grobmotorik zu wenig stark berücksichtigt. Schädigungen der Rumpfmuskulatur wurden nicht berücksichtigt (Gladstone et al. 2002). Für die Beurteilung des Gleichgewichts liegen heute spezifischere Instrumente wie z.b. die Berg Balance Scale vor. Die Konstruktvalidität ist mit mehreren Studien untersucht worden (Chae et al. 1998; Malouin et al. 1994; Platz et al. 2005). Im Vergleich mit der ADL-Performance wurde eine Übereinstimmung des Totalscores von 0.75, der Subscores Hygiene (0.89), Fortbewegung (0.76), Ernährung (0.72) und Anziehen (0.76) festgestellt (Fugl-Meyer 1980). Die konvergente Validität wurde von Dettmann et al. (1987) bei 15 Schlaganfall- Patienten zusammen mit dem Barthel-Index untersucht. Alle Messungen wurden von einem Physiotherapeuten durchgeführt. Der Pearson- Korrelationskoeffizient betrug für den Totalscore 0.67, für den motorischen Subscore des Fugl-Meyer-Assessments 0.74, für den motorischen Subscore der oberen Extremitäten 0.75 sowie für den Subscore Gleichgewicht 0.76. Wood-Dauphinee et al. (1990), Rabadi et al. (2006) und Lin et al. (2004) bestätigten diese Werte mit einem grösseren Kollektiv. Gowland et al. (1993) untersuchten die konkurrente Validität des Chedoke-McMaster Stroke Assessments mit dem Fugl-Meyer- Assessment. Der Totalscore des Impairment- Inventory des Chedoke-McMaster Stroke Assessments korrelierte mit dem Fugl-Meyer- Assessment mit einem r=0.95, die Subscores des Fugl-Meyer-Assessments korrelierten von r=0.76 bis r=0.95. Bei der Untersuchung der prädiktiven Validität wurden bei drei verschiedenen Messzeitpunkten (14, 30 und 90 Tage nach Schlaganfall) nur eine schwache Korrelation mit dem Barthel- Index gefunden (Spearmans Rho 0.29 bis 0.38) (Lin et al 2004). Dies belegt, dass die prädiktive Validität betreffend der Vorhersage, ADL- Funktionen selbständig erledigen zu können, nur sehr gering ist. Responsivität (Empfindlichkeit) Obwohl ein Deckeneffekt bei Patienten mit einer milden Schädigung festgestellt wurde, ist das FMA empfindlich für Patienten mit einer schweren oder moderaten Schädigung (Gladstone et al. 2002). Duncan et al. (2000) beschrieben die Responsivität innerhalb einer prospektiven Studie mit 459 Schlaganfall-Patienten. Dabei wurde für alle Schweregrade von Schlaganfall eine Ver-
Sensomotorische Funktionen nach Schlaganfall: Fugl-Meyer-Assessment (FMA) 489 besserung festgestellt. Die grösste Erholung wurde innerhalb des ersten Monates beschrieben, ein Plateau stellte sich 6 Monaten nach Ereignis ein. Rabadi et al. (2006) untersuchten die Responsivität des Action Research Arm Tests (ARAT) und des Fugl-Meyer-Assessments bei 104 Patienten nach einem akuten Schlaganfall. Die durchschnittliche Veränderung der Scores von Eintritt bis Austritt betrug 10 ± 15 Punkte für den ARAT und 10 ± 13 für die motorische Subskala des Fugl-Meyer-Assessments. Die Standardized response mean -Werte (SRM) waren moderat für den ARAT (SRM=0.68) und für das Fugl-Meyer-Assessment (SRM=0.74). Beurteilung Diagnostik/ Befund emfpohlen Ergebnis/ Verlauf empfohlen Prognose teilweise empfohlen 1) Kommentar 1) Die Aussagen über die prädiktive Validität werden in der Literatur widersprüchlich angegeben. Der zeitliche Aufwand für den ganzen Test ist relativ hoch, jedoch können auch nur einzelne Bereiche (z.b. Motorik der oberen Extremität oder Gleichgewicht) für sich benutzt werden, was der Anwendbarkeit in der Klinik wieder entgegen kommt. Aus diesem Grund wurde die gekürzte Version S-FMA (shortened Fugl- Meyer Assessment) entwickelt (Fu et al. 2011), die bei der Untersuchung von Schlaganfall-Patienten betreffend prädiktiver Validität und Responsivität sehr gute Werte erzielte. Literatur Literatursuche: Pubmed; 11/2011 Autor: Hansjörg Lüthi Brunnstrom S. Motor testing procedures in hemiplegia: based on sequential recovery stages. Phys Ther 1966; 46:357-75. Chae J, Bethoux F, Bohine T, Dobos L, Davis T, Friedl A. Neuromuscular stimulation for upper extremity motor and functional recovery in acute hemiplegia. Stroke 1998; 29 (5):975-9. Dettmann MA, Linder MT, Sepic SB. Relationships among walking performance, postural stability, and functional assessments of the hemiplegic patient. Am J Phys Med 1987; 66 (2):77-90. Duncan PW, Jorgensen HS, Wade DT. Outcome measures in acute stroke trials: a systematic review and some recommendations to improve practice. Stroke 2000; 31 (6):1429-38. Duncan PW, Propst M, Nelson SG. Reliability of the Fugl- Meyer assessment of sensorimotor recovery following cerebrovascular accident. Phys Ther 1983; 63 (10):1606-10. Fu TS, Wu CY, Lin KC, Hsieh CJ, Liu JS, Wang TN, Ou- Yang P. Psychometric comparison of the shortened Fugl-Meyer Assessment and the streamlined Wolf Motor Function Test in stroke rehabilitation. Clin Rehabil 2011. Fugl-Meyer A, Jaasko L, Leyman I, Olsson S, Steglind S. The post-stroke hemiplegic patient. 1. a method for evaluation of physical performance. Scand J Rehabil Med 1975; 7 (1):13-31. Fugl-Meyer AR. Post-stroke hemiplegia assessment of physical properties. Scand J Rehabil Med Suppl 1980; 7:85-93. Gladstone DJ, Danells CJ, Black SE. The fugl-meyer assessment of motor recovery after stroke: a critical review of its measurement properties. Neurorehabil Neural Repair 2002; 16 (3):232-40. Gowland C, Stratford P, Ward M, Moreland J, Torresin W, Van Hullenaar S, Sanford J, Barreca S, Vanspall B, Plews N. Measuring physical impairment and disability with the Chedoke-McMaster Stroke Assessment. Stroke 1993; 24 (1):58-63. Lin JH, Hsueh IP, Sheu CF, Hsieh CL. Psychometric properties of the sensory scale of the Fugl-Meyer Assessment in stroke patients. Clin Rehabil 2004; 18 (4):391-7. Malouin F, Pichard L, Bonneau C, Durand A, Corriveau D. Evaluating motor recovery early after stroke: comparison of the Fugl-Meyer Assessment and the Motor Assessment Scale. Arch Phys Med Rehabil 1994; 75 (11):1206-12.
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