Persönliche Haltung oder Methode: Was unterstützt den Einsatz bei frühen Interventionen?



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Transkript:

Persönliche Haltung oder Methode: Was unterstützt den Einsatz bei frühen Interventionen? Ulfert Hapke, Dr. phil. Dipl.-Psych. Dipl. Soz.-Päd. Universität Greifswald Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin Kontakt: hapke@uni-greifswald.de

Begriffsbestimmungen Frühinterventionen Persönliche Haltung Methode

Frühintervention Früh hat zwei Dimensionen: 1. Frühzeitig in der Entwicklung, z.b. einer Alkoholabhängigkeit 2. Frühzeitig hinsichtlich der Motivation eines Menschen an einem Problem etwas zu ändern

Zielsetzung von Früherkennung und Frühintervention I n t e r v e n t i o n en

Interventionsmethoden Schriftlich: Aufdrucke, Broschüren, Selbsthilfemanuale, Informationen, Expertensysteme Audiovisuell: Rundfunk, Fernsehen, Kino, Theater, Konzerte, Werbespots, Suchtwochen, Informationssendungen Interpersonal: Information und Beratung

Interventionen im zeitlichen Verlauf (Caplan, 1964) Primäre Prävention: Die Entstehung verhindern Sekundäre Prävention: Frühzeitig erkennen und intervenieren Tertiäre Prävention: Beeinträchtigungen und Folgen gering halten oder mildern Rehabilitation: Wiederherstellung biologischer, psychischer und sozialer Funktionen

Zielgruppen für Interventionen bei Alkoholproblemen

Gründe für Frühinterventionen in der medizinischen Versorgung Hohe Prävalenz Erreichbarkeit Thematische Nähe Günstige Motivationslage Vernetzbarkeit zur Suchthilfe

Frühinterventionen frühe Identifikation frühe Intervention Screening z.b. Beratung

Früherkennung durch Screening Screening Überweisung Anzahl 298 87 Beratung abgelehnt 9 % 3 % Arbeitslos 24 % 42 % Geschieden 24 % 44 % Alkoholmissbrauch 19 % 7 % Schw. Alk.-abh. (SESA) 23 45 Alkoholfolgekrankheit 44 % 78 % Hapke, Rumpf & John (1998) Addiction, 93; 1777-1785

Ist Pro-Aktives Screening einfach? Negative Antizipationen machen es schwer Rollenverständnis kann hinderlich sein Vertretermentalität oder Sensibilität für das Setting?

Beispiele für Screening 1 Visite, vier Patienten im Zimmer. Der Oberarzt fragt im Kontext mit anderen Fragen: Herr Meyer, wie häufig und wie viel Alkohol haben Sie in der letzten Zeit Alkohol getrunken? Och, normal so mein Bierchen am Abend Können sie das auch konkreter benennen? An wie vielen Tagen in der Woche trinken Sie Alkohol und wie viel? Hm, in der letzten Zeit nicht so viel ( sehen sie Herr Hapke, die wollen doch gar nicht )

Beispiele für Screening 2, Chirurgie 1. AUDIT-C und LAST zusammen mit anderen Fragebögen zum Rauchen, Ernährung etc. vor der OP. 2. Dem Patient wird eine allgemeine Gesundheitsberatung nach der OP angeboten. 3. Nach Indikation, werden dem Patienten weitergehende Beratungsangebote gemacht. 4. Ein Suchtberater kommt zwei mal wöchentlich auf die Station und führt ein Gespräch mit den Patienten.

Beispiele für Screening 3, Postpartum 1. Sie haben vor der Schwangerschaft geraucht. Ich würde sie gerne Beraten, damit sie später nicht wieder damit anfangen. (Teilnahme an der Beratung 20-30%) 2. Sie haben zu Beginn der Schwangerschaft mit dem Rauchen aufgehört. Das gelingt bei weitem nicht jeder Frau, wie haben sie das geschafft?... Sie haben damit ein hohes Verantwortungsbewusstsein bewiesen Gibt es Gründe für Sie, jetzt wieder mit dem Rauchen zu beginnen? Erzählen sie mir davon Gibt es Gründe für Sie weiterhin Tabakabstinent zu bleiben? Wenn Sie wollen, kann ich sie darüber informieren, was es einem leichter macht. (Teilnahme an einer Beratung 80-90%)

Interventionen folgen der Motivationslage und Diagnostik Aufrechterhaltung Handlung Vorbereitung Risikokonsum Absichtsbildung Missbrauch Absichtslosigkeit Abhängigkeit

Diagnose und Beratung Abhängigkeit Behandlungsorientiert Missbrauch Problemorientiert Risikokonsum Konsumorientiert: Punktabstinenz und Reduktion Hapke (2000), Sekundärpräventive Interventionen. Lambertus

Alkoholabhängige Patienten im Krankenhaus Behandlungsmotivation (BM) und Abstinenzmotivation (AM) AM: Nein AM: Ja BM: Nein 45,2% 24,5% BM: Ja 18,3% 12,1% Freyer, J. Tonigan, S., Keller, S., John, U., Rumpf, H.-J. & Hapke, U. (2004), Journal of Studies on Alcohol.

Stadien und Prozesse der Verhaltensänderung Absichtslosigkeit Absichtsbildung Vorbereitung Handlung Aufrechterhaltung Steigern des Problembewusstseins Emotionales Erleben Neubewertung des persönlichen Umfeldes Selbst-Neubewertung Wahrnehmen förderlicher/hinderlicher Bedingungen Kognitiv-affektiv Selbstverpflichtung Stimulus-Kontrolle Konditionierung Nutzen hilfreicher Beziehungen (Selbst-) Verstärkung Verhaltensorientiert

Persönliche Grundhaltungen (Carl Rogers, 1951) Bedingungsfreie Wertschätzung Empathie (Einfühlung) Authentizität (Kongruenz, Echtheit)

Motivational Interviewing (MI) Miller & Rollnick, 1991, 2002 Prinzipien Interventionen und Gesprächstechniken Strukturierte Vorgehensweisen Umgang mit Widerstand

Spirit of MI Zusammenarbeit statt Konfrontation Entfaltung und Entwicklung von motivationalen Prozessen statt Belehrung und argumentative Überzeugung Autonomie und Selbstverantwortung des Klienten statt Expertenorientierung und Autorität des Beraters

Persönliche Haltung und Methode gehören zusammen Haltung: Empathie & Wertschätzung Methode: Offene Fragen & Reflektionen

Persönliche Haltung und Methode gehören zusammen Haltung: Experten- und Pathologieorientierung Methode: Geschlossene Fragen, Wertungen und Verhaltensvorgaben

Häufige Havarien im Gespräch Der Ehrgeiz zu verstehen und zu helfen und der Wunsch nach Selbstbestätigung des Beraters führen zu einer Hypothesenorientierung in der Gesprächsführung, Vorgabe von Problemlösungen und Ungeduld.

Beispiel: Havarien im Setting Das Methadonprogramm untersagt den Beigebrauch. Wird die Kontrolle durch den Berater eingeleitet, verlässt der Patient die konstruktive Beziehung. Kontrolle und Beratungstätigkeit trennen!

Beispiel: Havarien im Setting Die Institution verlangt harte Fakten, aber der Klient ist noch nicht so weit, über seine Alkoholassoziierten Probleme zu reden.

Ausbildungskonzepte für MI MI-Training in Gruppen: Einführung ca. 18 Zeitstunden 12 x 2 Std. Supervision oder 3-4 Supervisionstage Context-Bound-Training: Einführung ca. 9 Zeitstunden in Abständen 1 zu 1 Training in der konkreten Situation

Zusammenfassung Screening und Kurzberatung sind effektive Instrumente der Frühintervention. Die persönliche Haltung, die Methoden und das Setting müssen aufeinander abgestimmt sein. Die Beteiligten müssen ausgebildet werden. Frühintervention muss als Behandlungsauftrag in medizinischen Versorgungseinrichtungen implementiert und finanziert werden.