A. Anspruch des A gegen R auf Rückgabe des Kruges 1



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Transkript:

A. Anspruch des A gegen R auf Rückgabe des Kruges 1 I. Anspruch A gegen R auf Rückgabe des Kruges aus 985 BGB A könnte einen Anspruch gegen R auf Herausgabe des Kruges aus 985; 986 BGB haben. Der Anspruch des 985, 986 BGB (immer zusammen prüfen!) hat drei Voraussetzungen: 1. Eigentum des Anspruchstellers 2. Besitz des Anspruchsgegners. 3. Kein Recht zum Besitz des Besitzers gegenüber dem Eigentümer ( 986 BGB). 1. Eigentum des A Voraussetzung hierfür wäre zunächst 2, dass A Eigentümer des Kruges ist: Dies war er zwar anfänglich auch, aber er könnte sein Eigentum zwischenzeitlich an R durch Übereignung verloren haben. Die Eigentumsverhältnisse an einer Sache sind (innerhalb des gewohnten Anspruchsaufbaus!) immer chronologisch zu prüfen. Man geht vom ursprünglichen Zustand aus und untersucht sämtliche nachfolgende Ereignisse, die ernstlich zu einem Eigentumswechsel geführt haben können, in ihrer zeitlichen Abfolge. Ein Eigentumswechsel kann kraft Gesetzes (z.b. Erbschaft, 1922 BGB), kraft Hoheitsaktes (z.b. Zuschlag bei der Zwangsversteigerung eines Grundstückes) oder auf rechtsgeschäftliche Weise (Übereignung einer beweglichen Sache nach 929 S. 1 BGB oder Übereignung eines Grundstückes nach 873 i.v.m. 925 BGB) stattfinden. 1 2 Behandeln Sie die Frage grundsätzlich in der gestellten Reihenfolge! Der Fallensteller hat sich in aller Regel etwas dabei gedacht. Scheitert der Anspruch - wie hier - bereits an der ersten Voraussetzung, brauchen Sie die anderen gar nicht zu erwähnen. Lösung Fall 6 Marco Wicklein 2005 Seite 1 von 10

Die Übereignung einer beweglichen Sache erfordert gem. 929 S. 1 BGB zum einen eine Einigung des alten und neuen Eigentümers über den Eigentumsübergang sowie zum anderen die Übergabe der Sache. a) Bewegliche Sache Der Krug ist ein körperlicher Gegenstand, also eine Sache gem. 90 BGB. Er ist auch beweglich, seine Übereignung richtet sich somit nach 929 S. l BGB 3. b) Einigung Fraglich ist nun, ob sich beide auch über den Eigentumsübergang geeinigt haben. Hiergegen könnte zunächst die fehlende Einigung über den Kaufpreis sprechen. Jedoch beachtete man dabei nicht die Grundkonzeption des BGB, die gerade die getrennte Wirksamkeit von Verpflichtungsgeschäft (hier Kaufvertrag) und Verfügungsgeschäft (hier Übereignung) bezweckt (Abstraktionsprinzip). Eine Einigung scheitert auch nicht am Fehlen ausdrücklicher Erklärungen von A und R zum Eigentumsübergang, denn auch Verfügungsgeschäfte können konkludent geschlossen werden. Somit ist das gesamte Verhalten von A und R auszulegen, um zu ermitteln, ob bereits zu dem Zeitpunkt, in dem A dem R den Krug mitgab, ein endgültiger Eigentumsübergang von A auf R gewollt war oder vielleicht ein Eigentumsvorbehalt nach 449, 929 S. 1, 158 Abs. 1 BGB vereinbart wurde. Die folgenden Überlegungen konnten von Ihnen noch nicht erwartet werden: Gegen eine Übereignung spricht zwar auf den ersten Blick, dass A damit auf die Sicherungsfunktion des Eigentums verzichtet hätte, obwohl er selbst noch keinen Gegenwert in der Hand hatte. Doch könnte man auch anzunehmen, dass er in Anbetracht der langen Geschäftsbezie- 3 Grundstücke und ihr Zubehör werden nicht nach 929ff BGB übereignet! Daher ist zu zeigen, dass 929 BGB hier überhaupt einschlägig ist. Lösung Fall 6 Marco Wicklein 2005 Seite 2 von 10

hung mit R hierauf bewusst verzichtete. Zudem wäre es systemwidrig, aus der Vorleistung der einen Seite - die in der Vertragsabwicklung ja die Regel ist (vgl. 320 BGB)! - darauf zu schließen, dass sie ihre Verpflichtung nur teilweise, nämlich mit Vorbehalt, erfüllt. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Eigentumsvorbehalt nach allgemeiner Ansicht keineswegs schon deshalb als vereinbart anzusehen ist, weil der Käufer den Kaufpreis noch nicht bezahlt hat. Das erfordert vielmehr weitere Anhaltspunkte. Insgesamt ist daher von einem Übereignungswillen des A auszugehen. Dieser ist auch bei R gegeben 4, so dass A und R sich über den Übergang des Eigentums am Krug geeinigt haben. c) Übergabe Weiterhin ist zur Übereignung nach 929 S. 1 BGB die Übergabe erforderlich. Diese liegt im Besitzerwerb des neuen Eigentümers und der vollständigen Besitzaufgabe des Alteigentümers. Auch dies ist hier erfüllt. R hat daher Eigentum am Krug erworben. 2. Ergebnis Mangels Eigentümerstellung kann A somit keinen Anspruch gegen R auf Herausgabe des Kruges aus 985, 986 BGB haben. II. Anspruch A gegen R auf Rückgabe des Kruges aus 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB A könnte gegen R einen Anspruch aus 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB 5 auf Rückübereignung des Kruges haben. Voraussetzung hierfür wäre, dass R den Krug durch Leistung des A ohne rechtlichen Grund erlangt hätte. 4 5 Falsch wäre es, hier mit der Schenkungsabsicht des R zu argumentieren! Davon wusste A lt. SV nichts. Auch die Willenserklärungen, die den dinglichen Vertragsschluss bewirken, sind nach dem Empfängerhorizont auszulegen. D.h., dass die geheime Motivation des R auf die Auslegung keinen Einfluss haben kann. Der Bereicherungsanspruch aus 812 Abs. 1 S. 1 BGB (Kondiktion) zerfällt in zwei selbständige Einzelansprüche: Die Leistungskondiktion (l. Alt.) und die Eingriffskondiktion (2. Alt.). Beide sollten Sie bereits jetzt getrennt halten und daher auch exakt bezeichnen, welchen Sie prüfen. Lösung Fall 6 Marco Wicklein 2005 Seite 3 von 10

1. Leistung Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Diese Definition sollten Sie sich unbedingt merken! Der Krug ist ein Vermögenswert und wurde R durch A übereignet und übergeben. Eine Leistung des A liegt demnach vor. 2. Ohne rechtlichen Grund Fraglich ist aber, ob diese Leistung auch ohne rechtlichen Grund erfolgte. Ein solcher kann nämlich in einem Kaufvertrag zwischen A und R bestehen. a) Kaufvertrag entstanden Der Kaufvertrag kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustanden, Angebot und Annahme (vgl. 151 BGB). Problematisch ist hier nur die wechselseitige Übereinstimmung der abgegebenen Willenserklärungen. Von einer solchen Übereinstimmung kann aber in der Regel nur ausgegangen werden, wenn sich die Parteien über die wesentlichen Pflichten des Rechtsverhältnisses, die essentialia negotii, geeinigt haben. Darüber hinaus gilt die gesetzliche Auslegungsregel des 154 BGB, wonach im Zweifel dann keine vertragliche Bindung zustande gekommen ist, wenn die Parteien über einen subjektiv regelungsbedürftigen Punkt keine Einigung erzielt haben. Unter beiden Gesichtspunkten ist fraglich, ob zwischen A und R eine vertragliche Einigung zustande kam. Die nachfolgenden Erörterungen konnten selbstverständlich noch nicht in dieser Ausführlichkeit von Ihnen erwartet werden! Lösung Fall 6 Marco Wicklein 2005 Seite 4 von 10

aa) Essentialia Negotii Notwendig für einen wirksamen Kaufvertrag ist gem. 433 Abs. 2 BGB die Pflicht des Käufers zur Zahlung des Kaufpreises. Deren Vereinbarung ist demnach eine essentialia negotii. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass für die Wirksamkeit eines Kaufvertrages immer dessen zahlenmäßige Festlegung erforderlich wäre. Vielmehr enthält das BGB in den 315ff selbst Regelungen für den Fall, dass bei Vertragsschluss eine solche Vereinbarung noch nicht geschlossen wurde. Es ist allerdings fraglich, ob hier einer dieser Fälle der 315ff. BGB vorliegt. Die Frage kann jedoch offen bleiben, wenn auch ohne Bezugnahme auf diese gesetzlichen Wertungen ein Vertragsschluss ohne Bestimmung der Höhe des Kaufpreises zustande gekommen wäre. Hierfür könnte zunächst sprechen, dass z.b. beim Dienstleistungs- und Werkvertrag auch keine Vereinbarung über die Höhe der Vergütung getroffen werden muss ( 612 II BGB bzw. 632 II BGB). Jedoch kann auch gerade aus dem Fehlen einer solchen Vorschrift im Recht des Kaufvertrages geschlossen werden, dass hier die Einigung über die Höhe: des Kaufpreises nach dem Willen des Gesetzgebers unverzichtbar sein solle. Aus den 612 II, 632 II BGB allein lässt sich die Wirksamkeit der Vereinbarung zwischen A und R somit nicht herleiten. Entscheidend für die Wirksamkeit spricht jedoch, dass sich A und R sowohl darüber einig waren, dass ein entgeltlicher Eigentumsübergang beabsichtigt ist, als auch dass diese Austauschbeziehung bereits jetzt endgültig sein soll. Damit haben sie aber die typische Lage eines Kaufvertrages herbeiführen wollen. Darüber hinaus war ihre Einigung bezüglich der Gegenleistung -des R auch noch konkreter als bloß, dass überhaupt ein Kaufpreis bezahlt werden solle. Denn immerhin hat A ein Angebot zu 5.000 gemacht. Auch wenn R dies zu hoch erschien, musste er doch bemerken ( 157 BGB), dass A nicht zu einem massiven Preisnachlass bereit war. Andererseits war auch für A erkennbar, dass R nicht zu 5.000 abschließen wolle. Darauf ließ er sich aus Sicht des R ( 157 BGB), auch ein, indem er weitere Verhandlungen anbot. Beide gemeinsam wollten jedoch bereits vor der Einigung über die Kaufpreishöhe das Geschäft als solches außer Frage stellen. Lösung Fall 6 Marco Wicklein 2005 Seite 5 von 10

Diesen Willen der Parteien ernst zunehmen fordert nun das dem BGB zugrunde liegende Konzept der Privatautonomie. Daher kann dem Handeln von A und R hier nicht die Rechtswirksamkeit abgesprochen werden. Dies umso weniger, als schutzwürdige Interessen Dritter, die eine Einschränkung der Privatautonomie erfordern könnten, nicht berührt sind. Die Kaufpreishöhe ist daher keine essentialia negotii, nur die Vereinbarung, dass überhaupt ein Kaufpreis gezahlt werden soll. A und R haben sich folglich über die wesentlichen Pflichten eines Kaufvertrages geeinigt. Ihre Willenserklärungen stimmen darin überein. bb) Offener Dissens ( 154 Abs. 1 S. 1 BGB) Gegen dieses Ergebnis spricht nicht die gesetzliche Auslegungsregel des 154 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach im Zweifel dann keine vertragliche Bindung zustande gekommen ist, wenn die Parteien über einen subjektiv regelungsbedürftigen Punkt keine Einigung erzielt haben 6. Denn es gab keine Erklärung einer Partei, dass über die Kaufpreishöhe eine Vereinbarung getroffen werden soll, mithin ist die Kaufpreishöhe kein subjektiv regelungsbedürftiger Punkt. Zudem enthält 154 BGB nur eine Auslegungsregel für Zweifelsfälle, hier wollten A und R aber einen wirksamen Vertrag. Zu den 154, 155 BGB muss man sich merken: Fehlt bereits eine Einigung über die essentialia negotii, so sind die Dissensvorschriften des BGB nicht einschlägig. Es liegt dann nämlich ein Totaldissens oder logischer Dissens vor, so dass es von vornherein an einem Vertrag fehlt. 6 Häufiges Missverständnis: 154 BGB regelt nicht die essentialia negotii! Diese müssen objektiv, d.h. unabhängig von der Vorstellung der Parteien vereinbart sein. Sind sie es nicht, versagt die Rechtsordnung der - unzureichenden - Willensübereinstimmung die erwünschte Rechtsgeltung. Dagegen regelt 154 BGB nur, inwieweit die subjektiven Vorstellungen der Parteien über das, was sie regeln wollen, für den Vertragsschluss erforderlich ist. Hierfür ist es unbeachtlich, ob der Punkt wichtig ist oder nicht! Lösung Fall 6 Marco Wicklein 2005 Seite 6 von 10

b) Kaufvertrag untergegangen Der Vertrag könnte aber nachträglich dadurch wieder weggefallen sein (vgl. 142 Abs. 1 BGB) 7, dass A seine Willenserklärung angefochten hat. Die Anfechtung erfolgt gem. 143 Abs. 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner. Eine solche Erklärung des A gegenüber R ist jedoch zumindest nicht ausdrücklich erfolgt. Aber auch eine konkludente Anfechtungserklärung des A ist in der Aufforderung, entweder den Krug oder 5.000 ihm zu geben nicht enthalten. Vielmehr entspricht es in erster Linie dem Interesse des A, den Vertrag fortzuführen und so doch sein Geld zu bekommen. Unabhängig von der Frage, ob A überhaupt ein Anfechtungsrecht hat, ist der Vertrag daher nicht durch Anfechtung weggefallen. 3. Ergebnis Die Leistung des A erfolgte daher mit Rechtsgrund. Ein Anspruch des A auf Herausgabe des Kruges aus 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB besteht somit nicht. 7 Folge der wirksamen Anfechtung ist, dass das Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist, 142 Abs. 1 BGB. Daher ist - wenn eine Anfechtungserklärung vorliegt, oder eine Willenserklärung möglicherweise als solche ausgelegt werden könnte - die Anfechtung am Ende des Vertragsschlusses zu prüfen. Lösung Fall 6 Marco Wicklein 2005 Seite 7 von 10

B. Anspruch des A gegen R auf Zahlung von 5.000 A könnte gegen R einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 5.000 aus 433 Abs. 2, 315, 316 BGB 8 haben. I. Wirksamer Kaufvertrag Voraussetzung dieses Anspruchs ist zunächst, dass zwischen A und R überhaupt ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen wurde. Dies ist nach den vorhergehenden Ausführungen gegeben, der Anspruch besteht daher dem Grunde nach. II. Problem: Kaufpreishöhe Fraglich ist allerdings, ob er auch in der von A geforderten Höhe von 5.000 besteht. Ausdrücklich wurden diese 5.000 nämlich nicht vereinbart. 1. Einseitiges Bestimmungsrecht aus 315 Abs. 1 BGB Dies wäre gem. 315 Abs. 1 BGB dennoch zu bejahen, wenn A das Recht hätte, die Höhe des Kaufpreises zu bestimmen und die Bestimmung in Höhe von 5.000 billigem Ermessen entspräche. Hier wurde allerdings kein solches Recht des A bestimmt, vielmehr sollte gemeinsam ein Kaufpreis gefunden werden. Daher ist 315 Abs. 1 BGB nicht einschlägig. 8 Die Anspruchsgrundlage ist nicht nur 433 Abs. 2 BGB! Ausschließlich aus dem Vertrag zwischen A und R ergibt sich ein Zahlungsanspruch des A in Höhe von 5.000 nämlich sicher nicht. (Sie könnten dies allerdings auch in einer gesonderten Prüfung vorneweg behandeln). Sie müssen aber im Obersatz die Anspruchsgrundlage - zumindest im Wesentlichen - vollständig benennen. Gehören dazu - wie hier - mehrere, müssen Sie diese auch in einer logischen Reihenfolge angeben. Lösung Fall 6 Marco Wicklein 2005 Seite 8 von 10

2. Bestimmungsrecht des Gläubiger aus 316 BGB Es könnte daher die gesetzliche Auslegungsregel 9 des 316 BGB anzuwenden sein, wonach im Falle, dass die Gegenleistung hier der Kaufpreis nicht bestimmt wurde, im Zweifel der Gläubiger das Bestimmungsrecht hat. Sie wirkt daher in zweierlei Hinsicht. Zum einen vervollständigt sie den Vertrag um die fehlende Bestimmungsvereinbarung und ergänzt insoweit 154 Abs. 1 BGB. Zum anderen legt sie die bestimmungsberechtigte Partei im Sinne des 315 Abs. 1 BGB fest. Gläubiger des Kaufpreisanspruches ist A, so dass dieser Auslegungsregel zufolge, A die Höhe des Kaufpreises bestimmen könnte. Es ist aber zu beachten, dass 316 BGB nur im Zweifel gilt, also nur eine Auslegungsregel darstellt, d.h. unanwendbar ist, wenn sich aus der getroffenen Regelung anderes ergibt. Hier vereinbarten A und R, dass sie sich über die Höhe des Kaufpreises noch einigen wollten. Sie schlossen daher gerade aus, dass eine Seite den Preis einseitig festsetzen kann. Es ist daher eigentlich kein Raum für die nur im Zweifel anwendbare Auslegungsregel des 316 BGB. Es stellt sich aber die Frage, ob man 316 BGB hier nicht analog anwenden kann. Dies setzt eine vergleichbare Interessenlage und eine planwidrige Regelungslücke voraus. Auch in diesen Fällen ergibt sich ein Bedürfnis für die Anwendbarkeit des 316 BGB, weil man bei einer Auslegung der beiderseitigen Erklärungen zu dem Ergebnis kommt, dass dessen Anwendbarkeit im Interesse der Parteien liegt. Denn sowohl A als auch R wollten den Vertrag schließen, nur haben sie vergessen zu regeln, wer für den Fall einer Nichteinigung über den Kaufpreis die Entscheidung treffen solle. Diese Interessenlage ist mit dem in 316 BGB geregelten Fall vergleichbar. Daneben besteht eine planwidrige Regelungslücke, da keine andere Regelung eingreift, durch die man zu einer Kaufpreisbestimmung gelangen kann. Aus diesem Grunde kann man 316 BGB im vorliegenden Fall analog anwenden 10. Die Interessen lassen sich auf diesem Wege sachgerecht schützen, da nach 315 Abs. 1 BGB die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist. 9 Das BGB enthält viele Auslegungsregeln. Beachten Sie bei deren Anwendung, dass hierfür immer erst dann Raum ist, wenn die (eigentliche) Auslegung der Willenserklärungen kein eindeutiges Ergebnis gebracht hat. Die Auslegungsregeln des BGB sind also stets sekundär! Lösung Fall 6 Marco Wicklein 2005 Seite 9 von 10

Dem A steht demnach ein Bestimmungsrecht für den Kaufpreis zu. 3. Maßstab für die Bestimmung der Kaufpreishöhe Fraglich ist, welcher Maßstab für die Bestimmung der Kaufpreishöhe durch A gilt. 316 BGB (analog) verweist durch die Formulierung die Bestimmung auf den 315 Abs. 1 BGB zurück. Danach ist die Ausübung des Bestimmungsrechts des A an das billige Ermessen gebunden. Unbillig wäre es auf jeden Fall, den Preis, von dem A wusste, dass R ihn nicht akzeptiert hat (5.000 ), nunmehr einseitig festzusetzen. Sofern sich die Parteien nicht einigen ist es daher (auch) hier Aufgabe des Gerichtes, den allgemeinen Maßstab billiges Ermessen zu konkretisieren. Maßstab hierfür wären zum einen die 5.000 als Obergrenze, und zum anderen der Verkehrswert des Kruges 11. III. Ergebnis A hat gegen R aus 433 Abs. 2, 315, 316 BGB einen Anspruch auf Zahlung eines Kaufpreises, der nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. Aus dem Sachverhalt ergibt sich, dass beide Parteien letztlich mit einem Preis unter 5.000 rechneten. C. Nacharbeit Zu den 154, 155 BGB (Dissens): MEDICUS, BGB AT, Rn. 430ff; BROX, Rn. 206ff. Zu den 315ff. BGB: MEDICUS, SchR AT, Rn. 194-207 Zum Fall der (analogen) Anwendung des 316 BGB: MÜNCHKOMM/GOTTWALD, 316 Rn. 5 und 315 Rn. 13 BGH NJW-RR 1988, 971 10 11 Für eine Anwendbarkeit des 316 BGB in diesen Fällen auch BGH NJW-RR 1988, 971; Münch- Komm/Gottwald, 316 Rn. 5 und 315 Rn. 13. In der Praxis würde der Fall wohl so ablaufen, dass A den R auf Zahlung von 5.000 verklagt. Da sein Anspruch aber nicht in dieser Höhe besteht, wird er mit einem Teilbetrag seiner Klage abgewiesen. Dementsprechend hat er dann auch selbst einen Teil der Kosten des Rechtsstreits zu zahlen. Lösung Fall 6 Marco Wicklein 2005 Seite 10 von 10