Eröffnungsrede der. Ministerin für Schule, Jugend und Kinder NRW. Ute Schäfer. für die 2. Kölner ADHS-Fachtagung. am 26./27.



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Transkript:

Eröffnungsrede der Ministerin für Schule, Jugend und Kinder NRW Ute Schäfer für die 2. Kölner ADHS-Fachtagung am 26./27. März 2004 Ich freue mich, dass Sie mich zu Ihrer 2. Fachtagung hier in Köln eingeladen haben und mir damit die Möglichkeit geben, mich mit Ihnen zum Thema Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche mit ADHS? Strategie für pädagogische Fachkräfte in Schule und Jugendhilfe auszutauschen. Mit der Fragestellung, mit der Sie sich heute und morgen in den zahlreichen Foren, Arbeitsgruppen und Workshops im Detail beschäftigen werden, greifen Sie eine Thematik auf, die von hoher Aktualität ist. Angesichts der zunehmenden Zahl von Kindern und Jugendlichen, die von ADHS betroffen sind, ergeben sich für alle Betroffenen, und das sind nicht nur die Kinder und deren Familien, eine Vielzahl von Problemen und Ungewissheiten. Was ist ADHS? Wer kann mir und meinem Kind helfen? Was kann Schule tun, um zu helfen? Welche Handlungsmöglichkeiten hat die Jugendhilfe? sind nur einige wenige Fragen, denen Sie sich als Fachleute zu stellen haben. Ich weiß, dass die fachlichen Einschätzungen zur Behandlung von ADHS insbesondere für Kinder und Jugendliche z.t. auseinander gehen. Aber gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich zu fragen, welche Strategien können Fachkräfte in Schule und Jugendhilfe entwickeln, um von ADHS betroffenen Kindern und Jugendlichen und ihren Familien sinnvoll zu helfen und ihnen die gleichen Chancen zu eröffnen wie gesunden Kindern. Ich denke, Sie erwarten hierzu keine Patentrezepte. Solche habe ich nicht und diese wird es und das wissen Sie wahrscheinlich aus Ihrer beruflichen Praxis heraus viel besser als ich meines Erachtens wegen der Vielfalt der Fallkonstellationen auch nicht geben. Jedes einzelne Kind und jeder Jugendliche hat seine eigene Geschichte, sein eigenes soziales Umfeld und muss individuell mit Unterstützung der verschiedenen Professionen gefördert werden. In dem einen Fall kann unter Umständen schon ein Training von Eltern und Kind in Verbindung mit einer Zusammenarbeit mit der Schule gute Erfolge bringen, während in einem anderen Fall zusätzlich eine Medikation des Kindes oder aber eine Therapie erforderlich ist.

- 2 - Um den betroffenen Kindern und Jugendlichen und nicht zuletzt auch deren Eltern helfen zu können, müssen flankierende Maßnahmen getroffen werden. Hierzu gehören meines Erachtens : 1. Frühes Erkennen Dies bedeutet, dass die Wahrnehmungskompetenz der Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten geschärft werden muss, um die Störung bei Kindern schon so früh wie möglich zu erkennen. 2. Kontinuität der Arbeit sowie richtiges und rasches Handeln Der Übergang der Kinder vom Kindergarten zur Grundschule, aber auch von der Grundschule zur weiterführenden Schule, muss gesichert werden. Hierbei muss insbesondere die Schule sich ihrer Verantwortung bewusst werden und sich ihrer Aufgabe stellen. 3. Die Rolle der Jugendhilfe ist wichtig zur Unterstützung Das Instrumentarium der Jugendhilfe ist unterstützend und begleitend in die Maßnahmen mit einzubeziehen. 4. Beratung der Eltern und Unterstützung im Alltag Die von der Situation z.t. überforderten Eltern sind durch Beratung und Information zu unterstützen, damit diese den Alltag mit ihren Kindern meistern können. 5. Verbundsysteme schaffen Durch Vernetzung der beteiligten Professionen müssen sinnvolle Kooperations- und Kommunikationswege hergestellt werden. Schärfung der Wahrnehmungskompetenz von Erzieherinnen und Erziehern Der größte Teil der Kinder kommt heute bereits mit drei Jahren in den Kindergarten. Dies bedeutet, dass die Erzieherinnen und Erzieher regelmäßig die ersten Personen im Leben der Kinder sind, die sich über einen längeren Zeitraum nämlich bis zur Einschulung - professionell mit den Kindern auseinandersetzen. Die Erzieherinnen und Erzieher haben damit aber nicht nur die spannende Aufgabe, die Kreativität und die Lernbegierde dieser Kinder zu unterstützen und sie zu animieren, die Welt, die sie umgibt, kennen zu lernen und zu erforschen. Sie haben daneben auch die im positiven Sinne zu verstehende Pflicht, die Kinder durch das Erlernen von Grundkompetenzen auf die Schule vorzubereiten. Dies gilt sowohl im Hinblick auf das Sozialverhalten als auch darauf, dass die Kinder bereits im Kindergarten lernen sollen, sich

- 3 - bestimmten Aufgaben altersgemäß mit der erforderlichen Ausdauer und Konzentration zu widmen. Und genau an dieser Stelle ist es bedeutsam, dass die Erzieherinnen und Erzieher in der Lage sind, so frühzeitig wie möglich zu erkennen, ob sich ein Kind wie die anderen entwickelt oder ob es Verhaltensauffälligkeiten zeigt, die in Richtung einer ADHS weisen. Hier gilt es die Wahrnehmungskompetenz der Erzieherinnen und Erzieher entweder bereits in der Ausbildung oder aber später im Beruf durch gezielte Fortbildungsangebote zu schärfen. Nicht dass Sie mich an dieser Stelle missverstehen. Es geht mir nicht darum, dass die Erzieherinnen und Erzieher Diagnosen stellen sollen. Das können sie nicht und das dürfen sie auch nicht. Aber ich denke, dass es ganz wichtig ist, dass die Personen, bei denen sich die Kinder einen großen Teil ihres Tages aufhalten, die neben Mutter und Vater zu ihren Bezugspersonen geworden sind, über bestimmte "Störungsbilder" bei der Entwicklung kleiner Kinder Bescheid wissen müssen. Und hierzu gehört sicherlich auch die ADHS. Das heißt, sie müssen diese auch als Beeinträchtigung erkennen können. Wenn dies gelingt, und entsprechend darauf reagiert wird, könnte sicher schon einer Vielzahl von Kindern geholfen werden, ohne dass die Störung sich nachhaltig auf die Entwicklung des Kindes und auf dessen Familie auswirkt und es zu einer seelischen Behinderung kommt. Sicherung des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule sowie von der Grundschule zu weiterführenden Schulformen Daneben ist es aber ebenso von Bedeutung, dass Erkenntnisse im Hinblick auf Entwicklungsstörungen, also auch in Bezug auf ADHS, die in den Kindertagesstätten oder während der Schullaufbahn eines Kindes gewonnen wurden, nicht bei der Einschulung oder beim Besuch einer weiterführenden Schule verloren gehen oder unbeachtet bleiben. An diesen Schnittstellen ist es Aufgabe der an der Erziehung und Bildung des betroffenen Kindes beteiligten Personen und Institutionen, durch geeignete Kommunikationsprozesse die Förderung des Kindes an der Stelle fort zu setzen, an der Kindertagesstätte oder Grundschule mit ihrer Hilfe aufhören mussten. Hier gilt es Prozesse zu etablieren, die aufeinander aufbauend die Entwicklung der betroffenen Kinder kontinuierlich und ohne Brüche begleiten.

- 4 - Dies kann einmal bedeuten, was in vielen Fällen schon gute Übung ist, dass sich Kindertagesstätten und Grundschulen bereits im Vorfeld der Einschulung intensiv über die einzuschulenden Kinder austauschen müssen. Dies hat aber auch zur Folge, dass sich weiterführende Schulen stärker als bislang für die spezifischen Entwicklungen ihrer neuen Schülerinnen und Schüler interessieren und sich an Erkenntnissen der Grundschule orientieren müssen. Schule muss sich ihrer Verantwortung bewusst werden und die Förderung aufmerksamgestörter Kinder und Jugendlicher als Aufgabe annehmen Gerade im Bereich Schule wird deutlich, wie wichtig bei der schulischen Förderung von Kindern mit ADHS die Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten und Diensten ist. Weder eine medizinische noch eine pädagogische oder psychologische Diagnose können für sich allein eine wirksame Hilfe für ein Kind begründen. Erst das Zusammenführen der unterschiedlichen Kompetenzen kann zu einer zielgerichteten schulischen Förderung führen. Dabei kann das pädagogische Vorgehen nur in jedem Einzelfall in enger Abstimmung mit allen Beteiligten festgelegt werden. In diesem Zusammenhang werde ich immer wieder in Briefen von Eltern oder Verbänden aufgefordert, doch endlich in einem Erlass die Förderung von Kindern mit ADHS in der Schule zu regeln. Ich habe bisher von einem solchen Erlass abgesehen. Noch gibt es keine gesicherten Aussagen, welche Maßnahmen denn tatsächlich wirksam sind, welches der unterschiedlichen Therapie- und Förderkonzepte für die Schule brauchbar ist. Wichtig ist für mich in erster Linie, dass wir den Schulen Hilfestellung leisten, das Problem ADHS zu erkennen, dass die Lehrerinnen und Lehrer wissen, wo sie Ansprechpartner finden und die Förderung von Kindern mit ADHS als ihre Aufgabe annehmen. Die Bezirksregierungen und Schulämter haben bereits bei Bedarf entsprechende Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte angeboten. Im Amtsblatt des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder habe ich in der Vergangenheit auf überregionale Veranstaltungen zu diesem Thema hingewiesen. In meinem Haus habe ich für den Bereich der Schule eine federführende Zuständigkeit festgelegt, sodass bei entsprechenden Anfragen gezielte Hinweise an Eltern, Lehrerinnen und Lehrer und an Betroffene gegeben werden können.

- 5 - Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass Kinder mit ADHS sicher einen besonderen pädagogischen Förderbedarf haben. Aber ich unterscheide diesen Förderbedarf deutlich von einem sonderpädagogischen Förderbedarf. Sonderpädagogischer Förderbedarf ist erst dann anzunehmen, wenn diese Kinder und Jugendlichen in ihren aktuellen Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so eingeschränkt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule nicht hinreichend gefördert werden können. Ebenso bin ich sehr skeptisch, ob eigene Schulen für Kinder und Jugendliche mit ADHS zur Lösung des Problems beitragen. Es scheint aus vielen Gründen sinnvoller zu sein, die Kindern in den Schulen und den Klassen zu fördern, die sie besuchen, und sie nicht auszusondern. Instrumentarium der Jugendhilfe ist unterstützend und begleitend in die Maßnahmen mit einzubeziehen Die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe ist zunächst einmal eine unterstützende und begleitende. Sie ist häufig erste Anlaufstelle der Eltern oder wird von der Schule im Einzelfall angesprochen. Die Träger der öffentlichen und der freien Jugendhilfe verfügen über eine Vielzahl von Familienberatungsstellen, die auch im Bereich der ADHS großes Fachwissen haben. Dies bedeutet, dass all diese Stellen bei Problemen mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern von den Eltern und den Kindern in Anspruch genommen werden können. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass seelisch behinderten oder von einer solchen Behinderung bedrohten Kindern und Jugendlichen unter bestimmten Voraussetzungen Eingliederungshilfe nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz gewährt werden kann. Dies ermöglicht auch Kindern und Jugendlichen aus sozialschwächeren Elternhäusern die Möglichkeit, erforderliche ambulante und stationäre therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Daneben kann Jugendhilfe auch den Erzieherinnen und Erziehern sowie den betroffenen Lehrkräften beratend zur Seite stehen und Kommunikations- und Arbeitsprozesse zwischen Eltern, Kindern und anderen beteiligten Personen, wie beispielsweise Ärztinnen und Ärzten, Lehrerinnen und Lehrern helfend und steuernd unterstützen.

- 6 - Unterstützung der von der Situation z.t. überforderten Eltern Bei alledem sind jedoch auch die Eltern und das soziale Umfeld der aufmerksamkeitsgestörten Kinder nicht zu vergessen. Insbesondere die Eltern sind erfahrungsgemäß von der Situation überfordert. Sie wissen regelmäßig nicht, wie sie mit ihrem Kind umgehen sollen und machen Fehler bei der Reaktion auf unangemessene Verhaltensweisen ihres Kindes. Sie wissen beispielsweise auch nicht, welche Ärztinnen und Ärzte oder Therapeutinnen und Therapeuten sich mit ADHS auskennen und wie ADHS sinnvoll behandelt werden kann. Nicht selten ist das familiäre Umfeld der betroffenen Kinder also Eltern, Geschwister, Verwandte, Freunde - vor einer richtigen Diagnose und Behandlung über Jahre hinweg dermaßen belastet worden, dass auch hier familienberatende Einrichtungen mit Hilfen ansetzen müssen. Aus diesem Grund ist es notwendig, die Eltern schon in einem frühen Stadium, d.h. schon bei ersten möglichen Anzeichen, an die richtigen Beratungsstellen weiter zu leiten, die ihnen auf ihre Fragen antworten geben und sie an kompetente Institutionen weiterleiten können, ohne die Eltern mehr als sie es ohnehin schon sind zu verunsichern. Erst wenn die Eltern und dessen bin ich mir sicher, meine Damen und Herren nicht mehr verunsichert und von der Richtigkeit der Diagnose und der Behandlung überzeugt sind, werden sie in der Lage sein, ihr Kind aktiv zu unterstützen und ihm die erforderliche und angemessene Hilfe zuteil werden zu lassen. Sinnvolle Kooperations- und Kommunikationswege durch Vernetzung der beteiligten Professionen Bisher habe ich mit meinen Ausführungen lediglich Teilaspekte herausgegriffen, die jedoch jeder für sich genommen sicher nicht zum angestrebten Ziel, dem Sie sich mit dem Titel der heutigen Fachtagung verschrieben haben, der Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche mit ADHS, führt. Es nutzt nur wenig, wenn sich bereits im Kindergartenalter erste Anzeichen einer ADHS bemerkbar machen und dies von einer Erzieherin oder einem Erzieher erkannt wird. Erst wenn diese Erzieherin oder dieser Erzieher kompetente Ansprechpartnerinnen und -partner sowie Beratungsstellen kennt, die den Eltern weiter helfen können, und wenn im Falle einer erkannten

- 7 - ADHS die Kindertagesstätte in Kenntnis des Störungsbildes die erforderliche Hilfestellung im Tagesablauf des Kindes bieten kann, schließt sich der Kreis. Dies bedeutet, dass erst durch die Schaffung von sinnvollen Kooperations- und Kommunikationswegen, die durch eine Vernetzung aller beteiligten Professionen abgesichert und verbindlich gemacht werden muss, den von ADHS betroffenen Kindern und deren Familien angemessen geholfen werden kann. Es ist meines Erachtens gerade bei einer ADHS unbedingt erforderlich, dass alle Personen und Institutionen, die in irgendeiner Weise zur Behandlung von ADHS beitragen bzw. die behandelnden Personen unterstützen, vernetzt zusammenarbeiten. Erst durch eine solche Vernetzung, durch die Fachleute der einen Profession Fachleute der anderen relevanten Professionen kennen lernen und bei der professionsübergreifend das Wohl des Kindes im Vordergrund steht, wird eine sorgfältige Diagnose und ein umfassendes Behandlungskonzept überhaupt erst möglich. Ich möchte deshalb an dieser Stelle auch dem Kompetenznetzwerk ADHS Köln für seine meines Erachtens herausragende Arbeit recht herzlich danken. Ich denke, dass Ihre Arbeit für die von ADHS betroffenen Kinder und deren Eltern hier in Köln und Umgebung von unschätzbarem Wert ist. Herzlichen Dank! Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einige kurze Anmerkungen zu zwei Bereichen, die ich auch für nicht unwichtig halte. Das sind die Mädchen und die jungen Erwachsenen. Soweit mir bekannt ist, ist der Anteil der von ADHS betroffenen Mädchen niedriger als der von Jungen. Bei den Mädchen steht meistens die Aufmerksamkeitsstörung im Vordergrund und sie sind zumeist weniger ausgeprägt hyperaktiv. Aus diesem Grund fallen sie weniger auf, so dass die Störung bei Mädchen seltener oder meist erst später erkannt wird. Ich möchte Sie daher bitten, bei Ihren Überlegungen und Beratungen die besondere Situation von Mädchen nicht aus dem Blick zu verlieren. Darüber hinaus möchte ich Ihr Augenmerk auf die jungen Erwachsenen lenken, bei denen ADHS zu Schulzeiten nicht erkannt wurde, aber die nach wie vor unter der Störung leiden. Auch wenn diese jungen Menschen die Schulzeit in vielen Fällen schon hinter sich gelassen haben, kann die öffentliche Jugendhilfe auch diesen über 18-Jährigen noch erforderliche Hilfen leisten.

- 8 - Ich bin sicher, dass Sie auf dieser Fachtagung viele interessante Aspekte der ADHS erörtern werden. Ich hoffe, dass Sie heute und morgen im Rahmen der zahlreichen Veranstaltungen viele weiter führende und fruchtbare Diskussionen führen und sich Strategien für die pädagogische Fachkräfte in Schule und Jugendhilfe herauskristallisieren, die zu mehr Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen mit ADHS führen. Ich wünsche Ihrer Tagung viel Erfolg und bin gespannt auf Ihre Ergebnisse. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.