Adam Wille, Schlehen-Apotheke Leipzig 16.04.2009 Corticoide im Alltag korrekte Bezeichnung: Corticosteroide Corticoide die Universaltherapie? zwischen hochwirksam und hochgiftig cortex = lat. Rinde stereo = griech. das Feste oeides = griech. ähnlich sinngemäß: Wirkstoffe, die dem in der Nebennierenrinde produzierten Steroidhormon Cortisol ähnlich sind und ähnlich auf den Organismus wirken Corticoide im Alltag Physiologie von Cortisol Auszug eines Forumsbeitrages von http://www.medizin-forum.de Hallo, ich weiß nicht genau ob das richtig ist was ich hier mache, brauche aber Antworten & Hilfe. Meine Mutti leidet seit 3 Jahren an einer Lungenfibrose, die sie sich im Urlaub durch schlechte Luft geholt hatte. Sie ist seitdem auf ständige Sauerstoffzufuhr angewießen & nimmt auch starke Medis. Zudem bekam sie noch durch 1 Medikament Zucker. [ ] starke Medis bekam durch 1 Medikament Zucker? was noch in Nebenniere?
Physiologie von Cortisol Synthese von Cortisol: Nebennierenrinde (NNR) Cortison HO Cortisol = Hydrocortison HO Physiologie von Cortisol Auseinandersetzen des Körpers mit exogen (von außen) zugeführtem Cortisol am besten zu Zeitpunkt der höchsten Eigenproduktion und freisetzung O O OH HO O OH v.a. frühmorgentliche Wirkung! O O Chronopharmakologie: metabolische Inaktivierung zu Cortison wenn nicht mehr gebraucht Wirkung bestimmter Arzneistoffe bei Anwendung am Patienten zu unterschiedlichen Tageszeiten Physiologie von Cortisol zirkadiane Freisetzung, d.h. körpereigene Produktion findet zu unterschiedlichen Tageszeiten in unterschiedlichem Ausmaß statt Cortison-Wirkmechanismus Cortisol ist allgemeines Stresshormon Eingriff in verschiedenste Organfunktionen v.a. erwünscht bei Gabe in über-physiologischer Dosis: Hemmung von Entzündungs- und Abwehrreaktionen
Cortison-Wirkungen Corticoide haben: Cortison-Wirkungen Pharmazeutische Wunsch-Zielstellung: mineralo-corticoide Wirkungen Regulation des Mineralstoffwechsels gluco-corticoide Wirkungen Regulation des Zucker- & Fettstoffwechsels Entzündungshemmung Antiallergische Wirkung Immunsupprimierung Entwicklung von Substanzen mit starker gluco-corticoider und geringstmöglicher mineralo-corticoider Wirkung Stoff relative glucocorticoide Wirkstärke relative mineralocorticoide Wirkstärke Cortisol 1 1 Prednison 4 0,8 Prednisolon 4 0,8 Methylprednisolon 5 0,5 Triamcinolon 2,5-5 <0,1 Dexamethason 25 <0,1 Betamethason 30 <0,1 Fluocortolon 4 <0,1 Cortison-Wirkungen Cortison-Wirkungen Ausnahme: gewollt mineralocorticoide Wirkung bei Fludrocortison (Astonin H ) Stoff relative glucocorticoide Wirkstärke relative mineralocorticoide Wirkstärke Cortison 1 1 Prednison 4 0,8 Prednisolon 4 0,8 Dexamethason 25 <0,1 Fludrocortison 10 125 Einsatz bei Mangel an Cortisolproduktion (Morbus Addison), da enormer Mangel an Mineralocorticoid-Stimulation
Exkurs: Spironolacton Spironolacton: Gegenspieler des körpereigen Mineralocorticoids Aldosteron, welches Natrium aus dem Körper schleust Aldosteron-Antagonist Einsatz bei Ödemen und Ascites, wenn diese durch ein Zuviel an Aldosteron-Wirkung hervorgerufen werden (Herzinsuffizienz, Leberzirrhose) Nebenwirkungen: übermäßiger Flüssigkeitsverlust, zu hoher Serum-Kaliumspiegelanstieg, Gynäkomastie Gesamtbild Cushing-Syndrom bei zuviel Corticoid-Wirkung im Körper Vollmondgesicht Osteoporose Stiernacken / Büffelnacken Dickleibigkeit Striae rubrae abdominales Muskelschwäche Purpura Hautgeschwüre Exkurs: Gynäkomastie
Vollmondgesicht Striae rubrae abdominales Umverteilung von Körperfettgewebe Stiernacken/Büffelnacken Dickleibigkeit Umverteilung von Körperfettgewebe
Zu Hilf... so drastische Nebenwirkungen? Nutzen-Risiko-Abwägung? WOZU BRAUCHEN WIR CORTICOIDE?
Indikationen für Corticoide Glucocorticoide als Arzneimittel bei: angeborenem oder erworbenem Mangel an körpereigener Cortisol-Produktion (Morbus Addison) Asthma bronchiale rheumatoider Arthritis Colitis ulcerosa & Morbus Crohn Autoimmunkrankheiten Chemotherapien zur Therapie selbst & zur Antiemese Neurodermitis, ClusterKopfschmerz, Nasenpolypen, Wichtige Corticoid-Arzneimittel Hydrocortison-Ampullen in der Intensivmedizin Wirkstoff: Hydrocortison 100mg, Glucocorticoid Einsatz bei septischem Schock (200-300mg/24h) über Spritzenpumpe als Dauerinfusion nur in Kombination mit Katecholaminen (Noradrenalin, Dobutamin) nachgewiesenes verbessertes Ansprechen der Blutgefäße auf Katecholamin-Therapie, jedoch Inkaufnahme von v.a. erhöhtem Infekt-Risiko ausschleichen notwendig! (warum?) Corticoide bei Mangel körpereigenen Cortisols lebenslange Gabe von Hydrocortison (=Cortisol) zur Wettmachung des Produktionsmangels nach folgendem Schema Wichtige Corticoid-Arzneimittel Ventolair Inhalator Wirkstoff: Beclomethason 50-100µg, Glucocorticoid Einsatz bei Rauchgasvergiftungen Dosierschema: 4 Sprühstoße a 100µg vor Ort, 4 Sprühstöße bei Eintreffen im Krankenhaus, 4 Sprühstöße alle 2 Stunden bis Symptome abklingen Anpassung in Stressituationen! (Stresshormon) Verhinderung eines Lungenödems durch Stabilisierung der Gefäßwände ( kein Austritt von Flüssigkeit in Lungengewebe)
Wichtige Corticoid-Arzneimittel Cortison-Wirkmechanismus Urbason solubile forte Ampullen Lodotra Tabletten (TEMPUS-Galenik) Wirkstoff: Methylprednisolon, Glucocorticoid Einsatz bei traumatischen Spinalkanalläsionen Hochdosis-Therapie über mindestens 24h hilft zur besseren Versorgung der Rückenmarksverletzung (Gefahr Querschnittslähmung) schneller Einsatz nach Trauma notwendig, optimal sofort, bis innerhalb von 3h (spätestens jedoch 8h) bei Schädel-Hirn-Trauma hingegen sogar schädlich! Cortison-Wirkmechanismus Wichtige Corticoid-Arzneimittel Lodotra Tabletten Wirkstoff: Prednison 1-5mg, Glucocorticoid Budenofalk magensaftresistente Kapseln Wirkstoff: Budesonid 3mg, Glucocorticoid Einsatz bei rheumatoider Arthritis Dosierschema: variiert, je nach Krankheitszustand und patientenindividuellem Ansprechen Gabe gegen 22.00h abends (!!), nicht wie sonst üblich morgens beim Aufstehen Wirkstoff wird zeitverzögert freigesetzt und kommt pünktlich morgens an Einsatz nur bei im Übergang von Dünn- zu Dickdarm lokalisierter Entzündung des Darmes in übrigen Bereichen des Darmes keine ausreichend hohe Freisetzung von Budesonid aus Kapseln! (besondere pharmazeutisch-technische Arzneiform soll Wirkstoff genau dort freisetzen, sonst nirgends!) Dosierschema: 9mg tgl., hierbei keine Gabe als 1x 9mg frühmorgens, sondern als 3x 3mg über den Tag! wichtig: Nüchterneinnahme!
Wichtige Corticoid-Arzneimittel Rectodelt Zäpfchen Corticoid im Einsatz Dexamethason-Gabe zur PONV-Prophylaxe Wirkstoff: Prednison 100mg, Glucocorticoid Einsatz bei kindlichen Pseudo-Krupp-Anfällen und Anfällen von Bronchospasmen Dosierschema: 1 Zäpfchen initial rektal einführen, 1 zusätzliches bei unzureichender Wirkung Abschwellen verlegter Atemwege im Kehlkopf durch anti-entzündliche Glucocorticoid-Wirkung (gewisse Dauer bis Eintreten nach rektaler Gabe!) Corticoid im Einsatz Dexamethason-Gabe bei Chemotherapie Wichtige Corticoid-Arzneimittel Celestan solubile Ampullen Wirkstoff: Betamethason 4mg, Glucocorticoid Einsatz bei notwendiger Beschleunigung der Lungenreifung bei drohender Frühgeburt zwischen SSW 24 und 34 Dosierschema: 2x 12mg i.m. im Abstand von 24h nachgewiesene vermehrte Bildung von Surfactant (Lungen-auskleidender Schutzfilm) Lunge freier entfaltbar bessere Atmung möglich
Mögliche Nebenwirkungen bei Corticoid-Gabe wichtig daher: Osteoporose Infektanfälligkeit (Aktivierung latenter Infekte: TBC) Muskelschwund, Muskelschmerzen Hautschwund ( Papierhaut, Pergamenthaut ) diabetische Stoffwechsel-Entgleisung Atrophie der Nebennierenrinde (daher nie schnell absetzen nach längerer Gabe!) entsprechen weitestgehend Cushing-Syndrom - wo möglich: Corticoide niedrig dosiert einsetzen - sogenannte Cushing-Schwelle beachten: bis etwa 5mg Prednisolon oder äquivalentes Corticoid (s. Tabelle weiter oben) auch im Dauergebrauch (> 3 Wochen konstanter Einnahme) kein erhöhtes Risiko von Nebenwirkungen vgl. endogene Sekretion beim Gesunden: ~25mg Cortisol bei Tagesdosen über 5mg Prednisolon-Äquivalent länger als 3 Wochen: erhöhtes Nebenwirkungs-Risiko! wenige Probleme hingegen bei hochdosierter Stoßtherapie mit Corticoiden - v.a. zu Therapiebeginn bei entsprechenden Krankheitsbildern oder akuten klinischen Situationen hohe Dosen wie 100mg Prednisolon / Tag intravenös akute allergische Erscheinungen (Arzneimittelallergie!) akute entzündliche Hauterkrankungen akute sonstige Entzündungen (Leber, Darm, ) - bei längerer Gabe langsame Dosisreduktion nötig, bei kurzzeitiger Anwendung nicht notwendig
Beispiel eines Absetzplanes nach jahrelangem Gebrauch hochdosierten Prednisolons: Lokaltherapie mit Glucocorticoiden alle 2 Wochen bei 20mg/d alle 5-7d bei 10mg/d alle 5-7d bei 5mg/d alle 1-4 Wochen Halbierung der Gesamtdosis 10mg morgens, 10mg spätnachmittags 2,5mg weniger spätnachmittags 5mg morgens, 5mg spätnachmittags 2,5mg weniger spätnachmittags 2,5mg morgens, 2,5mg spätnachmittags 0,5mg weniger spätnachmittags - Dermatologie: Verwendung eines Schemas zur Einteilung nach auf der Haut schwach bis stark wirksamen Stoffen schwach wirksam Prednisoloncreme, Hydrocortisoncreme, Linola H N mittelstark wirksam Dexamethason-Crème, Decoderm, Cerson bei 2,5mg/d usw. 1,25mg morgens, 1,25mg spätnachmittags stark wirksam Dermatop, Ecural, Sicorten plus, Jellin, Advantan sehr stark wirksam Dermoxin, Dermoxinale Lokaltherapie mit Glucocorticoiden Lokaltherapie mit Glucocorticoiden - Dermatologie: - Pulmologie: Verwendung hochwirksamer Substanzen, die systemisch wirkend toxisch wären, bei Applikation auf Haut jedoch diese Toxizität nicht aufweisen Verwendung hochwirksamer Substanzen, die systemisch wirkend toxisch wären, bei Applikation über Atemwege jedoch diese Toxizität nicht aufweisen Vorsicht bei großflächiger Anwendung, Aufnahme in Blutkreislauf steigert sich dann insgesamt auf teilweise hohe Mengen, die systemische Nebenwirkungen aufweisen können! gilt jedoch nur wenn richtig angewandt! geringe Mengen gelangen auch über Resorption der Lunge in Blutkreislauf, werden aber sehr rasch in der Leber deaktiviert (First-Pass-Effekt) problemlos auch bei Schwangeren