Medizin- und Biostrafrecht SS 2014 PD Dr. Luís Greco. E. Sterbehilfe als vorsätzliches Tötungsdelikt

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Transkript:

E. Sterbehilfe als vorsätzliches Tötungsdelikt

I. Einleitende Bemerkungen Begriff der Sterbehilfe Einschlägige Vorschriften: insb. 212, 216 StGB 212 Totschlag (1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen. 216 Tötung auf Verlangen (1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (2) Der Versuch ist strafbar.

I. Einleitende Bemerkungen Tod = Hirntod, d.h. Erlöschen aller Hirnfunktionen. Def. in 3 II Nr. 2 TPG: endgültiger, nicht behebbarer Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen.

II. Tötung eines Anderen: Abgrenzung von Selbst- und Fremdtötung 1. Allgemeines Kriterium Tatherrschaft als Herrschaft über den letzten, todbringenden Akt 2. Präzisierungen, Schwierigkeiten a)tatherrschaftswechsel beim Eintritt der Bewusstlosigkeit? BGHSt 32, 367 (374) Fall Wittig. b) Konstellationen mittelbarer Täterschaft bei verantwortungsausschließendem Irrtum oder Zwang eigentlich Fremdtötung. Schwere Grenzfälle: BGHSt 32, 38 (Sirius-Fall); BGH GA 1986, 508 (vorgetäuschter Mitnahme- Selbstmord)

II. Tötung eines Anderen: Abgrenzung von Selbst- und Fremdtötung 2. Präzisierungen, Schwierigkeiten c) Mittäterschaftskonstellation Nach der Rspr. Fremdtötungen. Gisela-Fall, BGHSt 19, 135. Nicht so eindeutig Scophedal-Fall, BGH NStZ 1987, 365.

III. Sterbehilfe 1. Systematik der Sterbehilfe (traditionelle) Grundlage: Tun v. Unterlassen Aktive Sterbehilfe: direkt (= Tötungsabsicht), strafbar. indirekt (= Absicht der Schmerzlinderung, Wissentlichkeit oder bedingter Vorsatz bzgl. Tötung) straflos. Passive Sterbehilfe ( = sterben lassen): straflos, wenn Wille des Patienten beachtet wird. Behandlungsabbruch

III. Sterbehilfe 2. Aktive direkte Sterbehilfe Eintritt des Todes wird beabsichtigt. Rechtsfolge: Strafbar. Arg. 216 StGB. (P) Straflosigkeit im Fall des Unvermögens, sich selbst zu töten? Dagegen BGH NJW 2003, 2326 (2327 f.).

III. Sterbehilfe 3. Aktive indirekte Sterbehilfe Absicht der Schmerzlinderung, Wissentlichkeit oder bedingter Vorsatz bzgl. Tötung: straflos. Begründung str.: Sozialadäquanz, Schutzzweck der Norm bzw. erlaubtes Risiko, Pflichtenkollision, 34 StGB (BGHSt 42, 301, 305), Einwilligung? Str., ob Absicht bzgl. der Schmerzlinderung erforderlich ist, oder Wissen ausreicht.

III. Sterbehilfe 4. Passive Sterbehilfe a) Allgemein Sterben Lassen. Maßgeblich: (wirklicher oder mutmaßlicher) Wille des Patienten. Kein Recht zur Zwangsbehandlung. Dogmatische Begr.: Entfallen der Garantenstellung.

3. Passive Sterbehilfe b) Feststellung des Patientenwillens 1901a BGB (1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. () (2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. (3) ()

3. Passive Sterbehilfe c) Präzisierungen aa) Reine Sterbehilfe bzw. Sterbebegleitung bzw. Hilfe beim Sterben bei einer irreversiblen Krankheit werden schmerzlindernde Mittel ohne lebensverkürzende Nebenwirkung verabreicht. straflos.

3. Passive Sterbehilfe c) Präzisierungen bb) Hilfe zum Sterben = Beihilfe zur Selbsttötung des Patienten auch straflos Diskussion de lege ferenda, AE-Sterbegleitung (http://sterberecht.homepage.t-online.de/ae-sterbebegleitung.pdf), Einführung eines Straftatbestands für den Fall der Gewinnsucht

3. Passive Sterbehilfe c) Präzisierungen bb) Behandlungsabbruch BGHSt 40, 257: Einstellen der künstlichen Ernährung nach einer verbreiteten Auffassung, Unterlassen. BGHSt 55, 191 (Fall Putz): Abschneiden des Ernährungsschlauchs BGH: Behandlungsabbruch. Ob Tun oder Unterlassen, irrelevant; maßgeblich ist der (reelle oder mutmaßliche) Wille des Patienten. (deshalb auch unklar, ob Fall der passiven Sterbehilfe) Zum Ganzen näher Rosenau, FS Rissing van Saan, 2011, S. 547 ff.

III. Die sog. Früheuthanasie = Tötung lebensunfähiger Neugeborener. h.m.: Grundsätze des Behandlungsabbruchs anwendbar.

IV. Tötung auf Verlangen ( 216 StGB) 1. Rechtsgrund Leben als überindividuelles Rechtsgut? Leben als indisponibles Gut? Sicherung der Freiheit und Authentizität des Selbsttötungsentschlusses.

IV. Tötung auf Verlangen ( 216 StGB) 2. Tatbestand - ausdrückliches Verlangen: unmissverständliches Verlangen - ernstliches Verlangen = Verlangen, das auf fehlerfreier Willensbildung beruht. - keine Willensmängel - natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit - keine depressive Augenblicksstimmung Motivirrtümer: ungeklärt, wohl auch relevant. lesenswert: BGH NStZ 2011, 340

IV. Tötung auf Verlangen ( 216 StGB) 2. Tatbestand - bestimmt worden: = 26 StGB das Verlangen muss handlungsleitender Antrieb sein. s. etwa BGHSt 50, 80 (91 f.) Kannibalen-Fall. gewisses Ausschlussverhältnis zum Mord (Motivbündel). besonderes persönliches Merkmal (i.s.v. 28 II StGB [Lit.]; die Rspr. zieht 28 I StGB nicht heran)

V. Rechtspolitische Bemerkungen S. insb. AE-Sterbebegleitung, http://sterberecht.homepage.t-online.de/ae-sterbebegleitung.pdf