Antituberkulotika Tuberkulose-Seminar auf dem 39. Wissenschaftlichen Kongreß des Bundesverbandes Deutscher Krankenhaus-Apotheker e.v. (ADKA) - Hamburg, den 17.05.2014 - Prof. Dr. med. Stefan Schubert Universität Leipzig / Fachbereich Infektions- und Tropenmedizin
Allgemeines: Tuberkulose aktuelle epiemiologische Situation global: - häufigste bakterielle Todesursache (ca. 1,4 Millionen Todesfälle / Jahr) Ursache: Fehlen medizinischer Behandlung für Millionen von Menschen v.a. in den Tropen und in armer Bevölkerung weiterer Gebiete! - ca. 1/3 der Weltbevölkerung ist latent infiziert, aber nur 5 10% der Infizierten erkranken im Laufe ihres Lebens Prozentsatz steigt, je schwächer das Immunsystem ist z.b. durch HIV/AIDS oder durch immunsuppressive Therapie - ca. 9 Millionen Neuerkrankungen / Jahr Europa: seit 1990 besonders Osteuropa (v.a. Rußland und ehemalige Sowjetrepubliken) - hier auch besonders hohe Anzahl resistenter Tuberkulose-Stämme Deutschland: seit vielen Jahren rückläufig allerdings seit 2009 Verlangsamung dieses Trends 2010: 4330 Neuerkankungen gemeldet Risikogruppen: enge Kontaktpersonen offener TB, Immungeschwächte, Obdachlose am häufigsten jedoch im höheren Alter Infektion in Kindheit während / nach 2. Weltkrieg erworben, danach jahrzehntelang latente TB, im hohen Alter durch Aktivierung als Folge des altersbedingten Nachlassens der allgemeinen Resistenz Erkrankung, oft z.b. als Halslymphknoten TB = häufige Diff.-Diagnose zu einem Lymphom oder anderem Malignom)
Allgemeines - Fortsetzung: ansteckend: nur die offene Lungen-TB Erreger: Mykobakterien des MTb-Komplexes (M. tuberkulosis hominis, M. bovis, M. africanum, M. microti) weitere Mykobakterien: atypische Mykobakterien (MOTT = Mycobakterioses others than tuberkulosis): viele Arten, weit verbreitet in der Natur, viele apathogen, einige selten Ursache von Entzündungen der Haut (z.b. M. marinum - von Fischen, z.b. bei Aquarienfreunden oder bei Schwimmern) oder Lymphknoten einige ausgesprochene opportunistische Erreger ( Erkrankungen erst bei fortgeschrittenem Immundefekt, z.b. bei AIDS; Beispiele: M. avium intracellulare bzw. MAC = M. avium complex, M. xenopi, M. kansasii) weitere Krankheiten durch Mykobakterien: Lepra (durch M. leprae), Buruli-Ulkus (durch M. ulcerans - nur in Afrika) Lokalisationen: pulmonal (Lungen-TB ca. 80%), extrapulmonal (ca. 20 % - fast in allen Organen möglich wie Knochen-, Nieren-, Perikard-TB, tuberkulöse Meningitis; Streuung in verschiedene Organe = Miliar-TB) Latente TB: Infektion ohne Erkrankung meist lebenslang ohne Erkrankung, jedoch besonders durch Immunschwäche wie AIDS bzw. Therapie mit Immunsuppressiva / Chemotherapeutika in der Hämato- Onkologie oder Rheumatologie Anstieg der Erkrankungsgefahr v.a.durch TNF-α-Blocker wie REMICADE = Infliximab oder Glukokortikoid-Langzeitbehandlung, daher vorher Patient auf latente TB mit IGRA-Test (s.u.) untersuchen wenn positiv, dann Kontraindikation oder unter TB-Schutz, z.b. mit INH 9 Monate bzw. Rifampicin 4 Mo Symptomatik: häufige Allgemeinsymptome: subfebrile Temperaturen, Nachtschweiß (ähnlich der B-Symptomatik wie bei Lymphomen ) Lungen-TB: typisch chronischer Husten mit blutigem Auswurf (Hämoptysen) extrapulmonale TB: je nach Organlokalisation u.a. Pleura- bzw. Percardergüsse, Lymphknotenvergrößerungen, Knochenzerstörungen
Allgemeines - Fortsetzung: Diagnostik: Lungen-TB: Thorax-Röntgen Sputum (forcierte Expektoration oder Bronchoalveoläre Lavage, bei Kleinkindern Magensaft) Mikroskopie (Ziehl-Neelsen-Färbung), PCR und Kultur (dauert bis 6 Wo für Resistenztestung) im mykobakteriologischen Labor multibazillär (viele Bakterien): bereits Mikroskopie + paucibazillär (nur wenige B.): Mikroskopie -, oft erst Kultur + extrapulmonale Tuberkulosen: je nach Lokalisation Röntgen u.a. bildgebende Untersuchungen flüssige Untersuchungsmedien (Ergüsse, Liquor): Mikroskopie, PCR und Kultur Gewebsbiopsien: patho-histologische Untersuchungen, ggf. zusätzlich mit neuen molekulargenetische Untersuchungen in der Pathologie sowie (nativer Versand!) Mikroskopie, PCR und Kultur in der Mikrobiologie (wegen Resistenztestung kann der Pathologe nicht feststellen!) latente Tuberkulose: Haut-Tuberkulintest bzw. neuerdings IGRA-Tests (Interferon-γ-releasing assays = Quantiferon-Test bzw. ELISPOT) - diese Tests können nicht zwischen latenter TB und Erkrankung an TB unterscheiden, sondern nur anzeigen, ob eine Immunreaktion auf Mykobakterien stattgefunden hat oder noch stattfindet) Differentialdiagnosen: Sarkoidose sowie weitere chronisch-granulomatöse Infektionskrankheiten
Therapie der Tuberkulose: stets Kombinationstherapie! Medikamente: Erstrangmedikamente: deutsche internationale tgl. Dosis b. Erw. minimal / maximal Abkürzung (mg/kgkg) (mg) Isoniazid INH H 5 (4-6) 200 / 300 Rifampicin RMP R 10 (8-12) 450 / 600 Pyrazinamid PZA Z 25 (20-30) 1500 / 2500 Ethambutol EMB E 15 (15-25) 800 / 1600 international unterschiedliche Empfehlungen bei E Zweitrangmedikamente: u.a.: Streptomycin SM 15 (i.v., i.m.) 1000 Fluorchinolone: Levofloxacin LFX 15 1000 Moxifloxacin MFX 400 weiterhin Rifabutin RFB 5 450 Protionamid PTO Dosis abhängig, ob mit oder ohne INH
Therapie-Fortsetzung: Zweitrangmedikamente mit unklarer Wirkung gegen TB: tgl. Standarddosis (mg) Amoxicillin/Clavulansäure AMX/CLV 2 x 875/125 Clarithromacin CLR 2 x 500 Imipenem IMP 3 x 1000 Linezolid LZD 1x 600 Isoniazid/Hochdosis HD-H 1x 1000 u.a. Fixkombinationen Vorteil: weniger Tabletten bei uns nicht bewährt bewährte Kombination von Isozid mit Pyridoxin (Vit. B6) : Isozid comp
Therapie - Fortsetzung: wichtigste Nebenwirkungen:. Leber Niere ZNS periph. NS Auge Blut Haut INH + + + (+) Pellagroid RMP + (+) (+) (+) PZA + (+) EMB + Photodermatose weitere Hinweise: zu RMP: Orange- bis Rotfärbung des Urins während Behandlung ist ganz harmlos, Patienten müssen vorher darauf aufmerksam gemacht werden zu PZA: Anstieg der Harnsäure während der Behandlung löst aber nicht gleich Gicht aus, kann aber durch Allopurinol aufgehalten werden zu EMB: Optikusschädigung, i.d.r. beginnend mit Rot-Grün-Schwäche
Therapie - Fortsetzung: Grundschema der TB-Behandlung (unkomplizierte Erkrankung): 2 Monate 4-fach (Initialphase) / 4 Monate 2-fach (Erhaltungsphase) INH / RMP / PZA / EMB INH / RMP möglichst alle Tabletten auf einmal früh nüchtern - wenn schlecht toleriert, dann zumindest INH und RMP vor dem Frühstück Kontrollen und Fragen vor und während der Therapie: vorher: Eigen- und Familienanamnese TB-Fälle früher in der Familie? Schwanger- schaft? HIV? Ausländer aus Endemiegebieten mit hohen TB-Resistenzen? Leber-, Nierenwerte, Harnsäure, Blutbild, Entzündungsparameter (CRP, LDH, BSR), Augenarzt; während der Behandlung: Leber- u. Nierenwerte in der 1. Wo 1 2x,; wenn unauffällig, dann im 1. Mo noch 2-3x (einschl. Harnsäure); wenn weiter unauffällig (v.a. Leberwerte!), dann etwa 4-6wöchentlich (einschl. Entzündungsparameter); Augenarztkontrollen nach 4 und 8 Wochen (bzw. 4-wöchentlich, solange EMB eingesetzt wird) nach spätestens 6 Wochen im mykobakteriologischen Labor Kulturergebnis mit Resistenztestungen erfragen, falls noch nicht vorliegend; Therapie umgehend umstellen, wenn Resistenzen festgestellt worden sind
Therapie Fortsetzung: z.b. Therapie bei Anstieg der Leberwerte (Transaminasen): - kurzfristige Kontrollen (einschl. Bilirubin), Anstieg bis zum 5-fachen des oberen Normalwertes von ALAT kann toleriert werden wenn darüber ansteigend oder wenn Bilirubin > 2-fach des oberen Normwertes: - Therapie mit allen 3 hepatotoxischen Medikamenten unterbrechen ggf. bei zwingender Indikation fortsetzen mit EMB, SM und LFX, nach Normalisierung der Leberwerte wieder mit Erstrangmedikamenten fortsetzen jedoch einschleichend gestaffelt: INH 50 mg/d Steigerung auf 300 mg/d in 5 7 Tagen, danach RMP 75 mg/d Steigerung auf 450 600 mg/d in 5 7 Tagen, danach PZA 500 mg/d Steigerung auf 1500 2500 mg/d in 5 7 Tagen dies engmaschigen Leberwert-Kontrollen; bei erneuter Anstieg dann das jeweilige Medikament endgültig herausnehmen und die Therapie entsprechend modifizieren einschließlich Verlängerung der Therapiedauer
Therapie- Fortsetzung: Großes Problem der zunehmenden Resistenzen Monoresistenz (SDR): Polyresistenz (PDR): Multiresistenz (MDR): Extensive Resistenz (XDR): gegen jeweils ein TB-Medikament gegen mindestens zwei Erstrang-Medikamenten, jedoch nicht gleichzeitig gegen INH + RMP gegen mindestens INH + RMP gegen mindestens INH + RMP + einem Fluorchinolon + einem der injizierbaren Medikamenten Amikacin, Capreomycin oder Kanamycin Behandlungserfolge bei Resistenzen sehr eingeschränkt (bei MDR-TB international bei 48-64%, bei XDR-TB nur bei 40%)! MDR: 2011 weltweit 650 000 Patienten mit MDR-TB Todesrate bei diesen Patienten bei 150 000 jährlich! XDR-TB: bis Ende 2011 bereits aus 84 Ländern gemeldet (in Deutschland bisher nur Einzelfälle) Therapie der PDR und v.a. MDR mit mehreren Medikamenten bis mindestens 20 Monate (verlängerte Initialphase bis mindestens 8 Monate), evtl. auch mit operativen Eingriffen - Behandlungskosten mindestens 7-fach höher als bei unkompl. TB (>50 000 /Fall)! für XDR-TB noch keine allgemeinen oder speziellen Empfehlungen Behandlung in spezialisierten Kliniken!
Therapie atypischer Mykobakteriosen z.b. von MAC-Infektionen bei AIDS - sehr komplex! fast nur bei CD4-Werten < 50/µl - Interaktionen mit der antiretroviralen Therapie beachten (v.a. deshalb möglichst kein Rifampicin mit Protease-Inhibitoren eher Rifabutin und Spiegelkontrollen) - Akuttherapie: z.b. Clarithromycin + Ethambutol + evtl. Rifabutin - Erhaltungstherapie: wie Akuttherapie ohne Rfabutin absetzen, wenn CD4-Zellen >6 Monate > 100/µl - Primärprophylaxe erwägen, wenn CD4-Zellen dauerhaft < 50/µl bleiben z.b. Azithromycin 1x2 Tabl. A 600 mg / Woche
laufende Aktualisierung der Empfehlungen durch - DZK (Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose) - DGP (Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin) abzurufen unter: https://www.thieme-connect.de/ejournals/kooperation/72/1341556322843 Konsultationsmöglichkeit beim DZK: Tel.: 030-81490922 aktuelle Literatur: T. Schaberg, T. Bauer, R. Loddenkemper: Moderne Tuberkulosetherapie; Internist 2013.54:630-638