Kinder zeigen, was sie können und was sie gelernt haben Herbsttagung, Laborschule Bielefeld, 14.11.2014 Ulrich Hecker Anspruch der Grundschule: Eine Schule für alle Kinder Die Verschiedenheit der Kinder respektieren und individuelles Lernen fördern, die Gemeinsamkeit der Verschiedenen ermöglichen, als Lernquelle nutzen und weiter entwickeln, für Kinder und Pädagogen ein sinnstiftender Lern- und Lebensort. 2 1
Der größte Stolperstein auf diesem Weg aber gleicht einem Felsen: Die rechtlichen Grundlagen sind noch nicht ausreichend auf einen veränderten Unterricht abgestimmt. Ein Beispiel: Welchen Sinn macht es z.b., die Arbeiten zum gleichen Zeitpunkt zu schreiben? fragt die junge Grundschullehrerin Maike Gotta aus Hessen in der Grundschulzeitschrift : Weil die für mich unerlässlichen Leistungsnachweise nach jedem Thema von den Kindern zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschrieben werden, dürfen sie nicht als Klassenarbeit gelten. Darin kann ich keinen Sinn erkennen. Und seien wir ehrlich viel zu oft noch liegen die Stolpersteine auch noch in den Köpfen von Lehrerinnen und Schulleitungen. Die Schülerinnen und Schüler der Grundschule sind Kinder! 2
Heterogenität? Kein Fremdwort. Alltag! Alle anders. Alle gleich. Eine Klasse. 24 (inzwischen 26) Kinder. 26 Geschichten. 4 Kinder mit besonderem Förderbedarf Falscher Mythos der sieben G s: Die gleichen Schüler lösen beim gleichen Lehrer im gleichen Raum zur gleichen Zeit im gleichen Tempo die gleichen Aufgaben mit dem gleichen Ergebnis. (Ingvelde Scholz 2008, S.2) 3
Heterogenität erfordert neue Lernkultur Der didaktische Schlüssel ist das gemeinsame Thema, das gemeinsame Projekt. Es muss so angelegt sein, dass Kinder auf unterschiedlichen Niveaus arbeiten können, dass jedes Kind mit seinen Möglichkeiten zur gemeinsamen Thematik beitragen kann. Die Differenzierung findet im Thema statt, nicht außerhalb. Die Bearbeitungen und Erfahrungen werden präsentiert und kommunikativ ausgetauscht Zur Planung inklusiven Unterrichts sehr lesenswert: Ada Sasse (unter Mitarbeit von Sabrina Lada) Unterrichtsvorbereitung und Leistungseinschätzung im Gemeinsamen Unterricht 4
Kompetenzorientiertes Förderkonzept statt Defizitblick: Orientierung an den Kompetenzen statt isoliertem Abarbeiten: sinnvolles Lernen in belangvollen Zusammenhängen statt Vereinzelung: kommunikative Einbettung statt Hilflosigkeit unterstützen: individuelle Könnenserfahrungen ermöglichen statt Sondermaßnahme: Kernauftrag der Schule Die neue Lernkultur einer zeitgemäßen Schule erfordert eine pädagogische Leistungskultur. 5
Zwei Arten von Prüfungen Zwei Funktionen von Leistungsbewertung Kontrollieren, ob bestimmte Leistungsniveaus erreicht und festgelegte Normen erfüllt sind, um einzustufen oder auszusondern Beobachten und erkunden, um Begabungen und Lernpotenziale aufzuspüren, um das individuelle Lernen zu verbessern und um den Unterricht darauf abzustimmen Eine förderliche Leistungsbewertung unterstützt eigenständiges und selbstreguliertes Lernen Erkennen von Stärken und Lernpotenzialen Individuelles Feedback und Lernanregungen, Förderangebote Selbst- und Partnereinschätzung Förderliche Leistungsbewertung ist Rückenwind für Kinder und ihr Lernen 6
Pädagogisches Leistungsprinzip Kinder an schulische Leistungsanforderungen und den produktiven Umgang mit der eigenen Leistungsfähigkeit heranzuführen, ist eine wesentliche Aufgabe der Grundschule. Dabei ist sie einem pädagogischen Leistungsverständnis verpflichtet, das Leistungsanforderungen mit individueller Förderung verbindet. Für den Unterricht bedeutet dies, Leistungen nicht nur zu fordern, sondern sie vor allem auch zu ermöglichen und zu fördern. Deshalb geht der Unterricht stets von den individuellen Voraussetzungen der Kinder aus und leitet sie dazu an, ihre Leistungsfähigkeit zu erproben und weiterzuentwickeln. Leistungsbewertung: Nicht von oben herab! Leistungsbewertung: im Dialog! Saul Steinberg 7
Leistung ist mehr als Schul-Leistung Merkposten für den Umgang mit Leistungsbeurteilungen und Zensuren Im Schulrecht aller Bundesländer gibt es Formulierungen wie diese: In die Leistungsbewertung gehen alle im Unterricht erbrachten Leistungen ein. Dazu gehören Mitarbeit und Mitgestaltung im Unterricht, mündliche, schriftliche und praktische Leistungen, auch Hausaufgaben, Projektpräsentationen und Lernerfolgskontrollen, auch die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu handeln. Diese Aussage gilt es für einen pädagogisch vertretbaren Umgang mit Zensuren zu nutzen. 8
Konzept Pädagogische Leistungskultur mit konkreten Arbeitsaspekten für die Praxis: 9
Lernstände feststellen Lernentwicklungen bestätigen Lerngespräche führen eigene Lernwege beschreiben Schlüsselstrategien für das LehrerInnenhandeln Themen, Aufgaben, Lern-Ziele klären, verstehen und vereinbaren Aus Beobachtungen, Gesprächen, Lernaktivitäten und -ergebnissen vielfältige Daten über den Lernerfolg gewinnen Feedback geben, das die Lernenden weiterbringt, individuelle Rückmeldungen mit Förderangeboten verbinden Aktivieren der Kinder als Unterstützung füreinander (Partner- und Gruppenarbeit, Partnerbewertung, Helfersystem) Stärkung der Eigenverantwortung für den Lernerfolg (Selbstreflexion, individuelle Interessen, selbstgesteuertes Lernen, Eigenverantwortung, Selbsteinschätzung) 10
Was sollen Kinder lernen? Lerngegenstände, Kompetenzerwartungen, Leistungsanforderungen transparent machen 11
Die große (und keineswegs neue) Idee: Die Ergebnisse von Leistungsbewertungen dazu nutzen, den Unterricht auf die Bedürfnisse der Kinder abzustimmen. 1. Werkzeugkiste Lernstandsbeobachtung 2. Dokumentation der Lernwege, Portfolio, Lerntagebuch 3. Kritische Stellen im Lernprozess 4. Kompetenzorientierte Kriterienzeugnisse und Zeugnisse für Kinder 12
1. Werkzeugkiste Lernstandsbeobachtung 13
Standardisierte Tests, z.b.: Die Aufgabe für die Kinder besteht darin, in Sätzen möglichst rasch das Wort zu finden, das nicht in den Satz passt. Ermittelt wird so die Fähigkeit, erlesene Wörter und Sätze mit Hilfe grammatischen Strukturwissens auf Stimmigkeit zu überprüfen. (Ausführlich unter www.lesetest1-4.de) 14
Melina, Klasse 1, zwei Wochen nach Schulbeginn 15
Die Beobachtungen können in einem Beobachtungsbogen festgehalten werden und ermöglichen so einen Überblick über die sehr unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder: 16
2. Lernwegdokumentation, Portfolio und Lerntagebuch Portfolio der Kompetenzen Kinder dokumentieren ihre Lernentwicklung fächerübergreifend in einem Format, das von den Lehrerinnen im Dialog mit Eltern und Kindern entworfen, vereinbart und dann auch evaluiert wird. 17
Portfolio: Vorschlag für eine inhaltliche Gliederung aus: Mechthild Pieler, Was ist ein Portfolio? LISUM Berlin-Brandenburg 2008 Leistungen bestätigen Eintragung in den Mathepass Geschafft! Nur über motivierende Leistungsrückmeldungen, die auch Vertrauen in die Lernergebnisse schaffen, können Lernpfade entwickelt und begleitet werden. Andreas Schleicher 18
Auch für Leistungen, die Sozialkompetenz zeigen, kann es Urkunden für Kinder geben: Die Leistung, als Präsidentin einige Zeit den Morgenkreis oder Klassenrat geleitet zu haben oder als Klassensprecher/in mit und für die Klasse Vorhaben geplant, Konflikte besprochen, im Kinderrat mitgearbeitet zu haben, ist durchaus einer solchen Bestätigung wert. Lern-Landkarten visualisieren Lernspuren und sind ein Instrument zum selbstbestimmten Lernen Gisela Gravelaar, Wartburgschule Münster 19
Goldene Karten Kompetenzbeschreibungen sind verbunden mit vielfältigen Aufgaben und Übungsmöglichkeiten 20
Dokumentation verschiedener Leseaktivitäten im Portfolio (Beispiel von Mechthild Pieler) Über das eigene Lernen nachdenken, z.b.: Wochenrückblick Diese Woche hatte ich mir vorgenommen, zu lernen... Ich habe gelernt... Am meisten hat mir gefallen... Ich hätte gerne... Ich brauche jetzt... Als nächstes werde ich... 21
Über das eigene Lernen nachdenken (Ausschnitt) Mit einem Selbsteinschätzungsbogen schätzen Kinder ihre Fähigkeiten ein. Auf diese Weise können sie sich über ihre eigenen Leistungen mündlich und auch schriftlich äußern. Die Selbsteinschätzungsbögen können allein oder im Gespräch mit der Lehrerin bearbeitet werden. Wichtig ist, dass sich Lehrerin und Kinder auf die Kategorien des Bogens verständigt haben. Über das eigene Lernen nachdenken Kinder denken über das eigene Lernen nach. Sie werden von Anfang an dazu ermutigt, ihre Gedanken auch schriftlich niederzulegen. 22
Für eine neue Kultur des Selbermachens Statt zu reproduktivem Lernen oder spielerischem Konsum einladenden Arbeitsmitteln werden neben verschiedenen alltäglichen Informationsquellen (Sach- und Geschichtenbücher, Zeitschriften, Lexika usw.) und Alltagsmaterialien nur wenige ausgewählte Werkzeuge (Buchstabentabelle, Wörterbuch, 100er Feld...) benötigt, die die Eigenproduktion in den Fächern unterstützen bzw. als Schlüssel dienen können.... Falko Peschel, Offener Unterricht. Teil II: Fachdidaktische Überlegungen, Hohengehren 2002: Schneider Verlag Der Wert der Mühe Arbeitsergebnisse sind gesammelte Lernspuren : produzieren sammeln auswählen dokumentieren reflektieren präsentieren Den Leistungen ein Gesicht geben: Das Gesicht der Kinder! 23
Vorgaben nach Art der Schule und die Handschrift der Kinder 24
Herbst ohne Worte 25
Herbst mit vielen Wörtern Herbst mit wichtigen Wörtern 26
3. Kritische Stellen im Lernprozess Im Austausch die Frage nach den kritischen Stellen im Lernprozess stellen: Welche Stellen im Lernprozess tragen das Risiko in sich, dass Kinder hier und im Weiteren scheitern? Wie können wir Lernchancen erhöhen? Wie können wir Lernrisiken mindern? Wie den Teufelskreis des Misslingens verhindern? 27
Frage nach der didaktischen Realisierung Wie können die kritischen Stellen bewältigt werden? Qualitätsvolle Förderideen Sinnstiftende und anregende Lernumgebung 28
Erlernte Hilflosigkeit? Wie wir heute Lernen verstehen: Lernen betont neben der Individualität des Lernens vor allem die Aktivität des Lernenden. Nicht das Aufkommen von Hilflosigkeit unterstützen, sondern individuelle Könnenserfahrungen ermöglichen. 29
Ermutigende Zuwendung von Erwachsenen Die Lehrerin ist Lernbegleiterin. Als Fachfrau für Lernen organisiert sie die Lernumgebung der Lerngruppe und begleitet die Lernprozesse der Kinder. Gelingender Unterricht ist nur im Arbeitsbündnis zwischen Lehrerin und Schüler möglich. Das gilt besonders für gemeinsame Lern- und Zielvereinbarungen. 4. Kompetenzorientierte Kriterienzeugnisse und Zeugnisse für Kinder 30
Heide Bambach Horst Bartnitzky 31
aus: Horst Bartnitzky: Zeugnisse als Lernreflexion mit einem Vorschlag für Schulen, in: Bartnitzky/Speck-Hamdan (Hg.): Leistungen der Kinder wahrnehmen würdigen fördern (Band 118 der Beiträge zur Reform der Grundschule ), S. 247) Zeugnisse sind nur ein Element in der Ökologie pädagogischer Leistungskultur 32
Lerngespräche Mit-Sprache: Verantwortlich sein für das eigene Lernen 33
Sprechzeiten für Kinder, Eltern, Lehrer/innen 34
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Ausschnitte aus einem Zeugnis für ein Kind mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. 36
Weitere Informationen zu den Zeugnisformularen: www.regenbogenschule.de > Lernen Leben > Schul-Abc > Zeugnisse Wenn Sie zur weiteren Bearbeitung die Formulare im Word-Format erhalten möchten, schreiben Sie eine E-Mail an: info@ulrich.hecker.de Ulrich Hecker www.ulrich-hecker.de Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und: frohes Schaffen! 37