Zeiten des Wandels sind auch Zeiten der Chancen! Generationenbeziehungen im Fokus Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello Übersicht TEIL I Zeiten des Wandels: Herausforderungen des demografischen und sozialen Wandels TEIL II Zeiten des Wandels: Worauf es letztlich ankommt 1
Zeiten des Wandels Megatrends: Herausforderungen und Chancen Demographischer Wandel: Diversität (Generationen, Gender, Kultur) Wertewandel: Individualisierung, Pluralisierung Technologiewandel Schnelllebigkeit und Demokratisierung von Wissen Beschleunigung Veränderte Generationenstrukturen Überalterung oder Unterjüngung?! Mehr hochaltrige Menschen! Weniger Kinder > Bohnenstangenfamilie! Längere gemeinsame Lebenszeit der Generationen! Grössere Mobilität familiale Generationen leben zunehmend getrennt 2
Veränderte Generationenbeziehungen? Vorurteile und offene Fragen 1934/1935 Generationenbeziehungen seit jeher ambivalent und konflikthaft.. Quelle: Albert Studer-Auer, Die Offensive des Lebens, Bern 1941 Die zunehmende Überalterung erdrückt die Erwerbsfähigen, weil der entsprechende Nachwuchs fehlt. 3
Garantierte Solidarität? Der Generationenvertrag Grosser Generationenvertrag (Gesellschaft) Sozialstaatliche Massnahmen mit dem Ziel, (vormals) wichtige intergenerationelle Solidarität des Familienverbundes durch kollektive Formen der sozialen Sicherung zu ersetzen. Kleiner Generationenvertrag (Familie) Intrafamiliäre intergenerationelle Hilfe- und Unterstützungsleistungen (funktional, sozial und emotional): von Jung zu Alt, von Alt zu Jung. Grosser Generationenvertrag primär von der mittleren Generation gesichert 4
Notwendigkeit eines neuen Solidarpakts Nicht nur die mittlere Generation muss Verantwortung übernehmen für die Finanzierung der Sozialsysteme. Einsteiger- wie auch die Aussteiger-Generation sollen vermehrt aktiv mittragen. Diskutierte Lösungen: Verlängerung der Lebensarbeitszeit früherer Einstieg und späterer Ausstieg Erhöhung der Arbeitsproduktivität Ausschöpfung des Erwerbspersonenpotentials Frauen, Migranten Generationensolidarität gesellschaftlich kaum wahrgenommen und geschätzt Generationenbilanzen berechnen, wie viele Steuern, Gebühren, Prämien etc. eine Generation dem Staat abliefert und wie viel sie in Form von Renten, Familienzulagen, Bildungs- und Gesundheitsausgaben bezieht. Solche Bilanzen sind heikel: - Sie sind stark abhängig von ökonomischen Prognosen und Änderungen der sozialpolitischen Rahmenbedingungen. - Sie blenden reale und monetäre private Transfers zwischen den Generationen aus. Und die sind sehr gross! 5
Die Familie - Garantin des kleinen Generationenvertrags Familiale Hilfe- und Unterstützungsleistungen (funktional, sozial und emotional): von Jung zu Alt, von Alt zu Jung. Längere Lebenserwartung als Herausforderung für die Generationensolidarität familial und gesellschaftlich Männer Frauen Geschätzte Pflegequoten Bedeutung des zu Hause bleiben können im hohen Alter trotz Krankheit und Behinderung: Intimität, Nähe, Privatheit Eigene Rhythmen, Autonomie und Selbstbestimmung. Individualisierung und Singularisierung verstärken die Tendenz! 6
Hohe Erwartungen an familiale Solidarität variieren je nach Betroffenheit Die gesellschaftlichen Erwartungen Einstellungen zu familialer Solidarität variieren nach Alter und Betroffenheit Gelebte Solidarität in den Familien Rund 2/3 aller pflegebedürftigen älteren Menschen in der Schweiz werden zu Hause betreut - hauptsächlich von Angehörigen. Gefordert sind Partner/Partnerinnen, vor allem aber die erwachsenen Kinder mehrheitlich die Töchter. Der Preis dafür ist hoch - gesundheitlich, psychisch, sozial. Hidden Economy : - rund 1.2 Mia Stunden private Pflegearbeit - zu 80% von Frauen geleistet. - Wert: rund 10 12 Mia CHF (Haushaltproduktion 2007 Schweiz) 7
Pflege der Eltern - eine ambivalente Angelegenheit Hohes Pflichtgefühl, den Eltern zu helfen - gleichzeitig Bedauern, dass die Eltern zu viel erwarten und zu wenig die Hilfe schätzen. Fast die Hälfte der Töchter beklagt, dass die Eltern nicht realisieren würden, dass sie sich auch um die eigene Familie kümmern müssen. Viele pflegende Töchter sind in einen zweiten Vereinbarkeitskonflikt Familie-Beruf: 2/3 geben an, ihr Arbeitspensum reduziert zu haben und 16 Prozent gaben gar den Job auf. Perrig-Chiello/Höpflinger, 2012, Huber Verlag 15 Was bringt die Zukunft? Knappere Humanressourcen in Familien (Bohnenstangenfamilie): Wahlverwandtschaften werden wichtiger. Ausbau der Unterstützung durch Freunde, Nachbarn,... nur möglich, wenn auch professionelle Angebote ausgebaut werden. Ausbau der ambulanten Pflege führt nicht zur Verdrängung intergenerationeller Unterstützung, sondern stärkt die familialen Generationenbeziehungen. Trend zur Spezialisierung und Technologisierung : Angehörige primär für informelle Hilfe zuständig, Professionelle für Pflegeleistungen. Knappere Humanressourcen in vielen Betrieben (Fachkräftemangel) 8
Die Arbeitswelt hat sich verändert Effizienzsteigerung als Hauptziel Arbeitsverdichtung- u. Beschleunigung Fragmentierung Ständige Erreichbarkeit Entgrenzung der Arbeit Kürzere Halbwertzeit von Wissen und Kompetenz Verlust an Sicherheit WERTEWANDEL Neue Anforderung in der Arbeitswelt aufgrund des Strukturwandels Gestiegene Anforderungen an die formale Aus- und Weiterbildung. Gestiegene Anforderungen an Mobilität, Flexibilität und Umgang mit Diversität: 3-facher Generationenwandel: - Beschäftigte - Kunden - Produkte Gestiegene Anforderungen an Soft Skills: - Methodenkompetenz, insbesondere Lernfähigkeit, Abstraktionsfähigkeit, Offenheit für Neues, Organisations-, Planungsfähigkeit, Kreativität. - Sozialkompetenz, insbesondere kommunikative Stärke - Selbstkompetenz, insbesondere Selbststeuerungsfähigkeit, Motivation. 9
Wissen ist Macht Lebenslanges Lernen Infragestellung des traditionellen Transfermusters von Wissen. Demokratisierung des Wissens: Wissen ist überall zugänglich (Internet). Nicht Wissensaneignung (Pauken) sondern Wissensmanagement. Wissensinhalte und Technologie veralten schnell. Lebenslanges Lernen notwendig. Gut zu wissen: Das Gehirn ist ein ganzes Leben lang plastisch : Neuronale Verbindungsmuster werden über das ganze Leben geformt. Weiterbildung mit zunehmendem Alter immer wichtiger, aber... 10
Übersicht TEIL I Zeiten des Wandels: Herausforderungen des demografischen und sozialen Wandels TEIL II Zeiten des Wandels: Worauf es letztlich ankommt Gesellschaftliche Ebene Keine Dreiteilung des Lebens! Alter altersdifferenziert altersintegriert alt mittel Freizeit/ Ruhestand Arbeit Bildung Arbeit Freizeit/ Ruhestand jung Bildung 11
Gesellschaftliche Ebene Künftige Herausforderungen erfordern neue Perspektiven 1. Lebenslaufperspektive: Lebensläufe von Frauen und Männern werden flexibler, unabhängiger voneinander. Die bisherige altersdifferenzierte Sichtweise des Lebenslauf wird ersetzt werden müssen durch eine altersintegrierende. 2. Genderperspektive: Frauen sind beliebte Caregiver, aber sie geraten dadurch in einen Dauerkonflikt Familie-Beruf. Die intergenerationelle Solidarität in Familie und Gesellschaft hängt von einer paritätischen Mitwirkung von Frauen und Männern ab. 3. Wertediskussion: Neben der finanziellen Sicherung der Sozialwerke müssen auch Aspekte wie Solidarität und Sicherheit vermehrt thematisiert und neu definiert werden. Gesellschaftliche Ebene Solidarität und Beziehungssicherheit als Grundwerte Beginn und Ende des Lebens sind vulnerable Phasen, wo Menschen existentiell auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Jedes Individuum wechselt im Laufe seines Lebens von einer Altersgruppe zur nächsten. Eine ungleiche Behandlung einer Altersgruppe ist nicht à priori ungerecht, sondern kann durch unterschiedliche Bedürfnisse oder gesellschaftliche Ansprüche begründet werden und ist damit akzeptabel. Die intergenerationelle Teilung von Lasten und Vergünstigungen ist letztlich gerecht, soweit jede Generation erwarten kann, im Lebensverlauf gleich behandelt zu werden wie die vorangegangenen. 12
Individuelle Ebene Sein statt Haben Selbsterkenntnis als Ziel - heute nötiger denn je Selbsterkenntnis - Basis für die Erkenntnis der Welt. Was sind meine Stärken, was die Schwächen? Wo ist Entwicklungspotential? Zu viel Haben, zu wenig Sein. Existenzweise Haben: Der Mensch definiert sich über das, was er hat. Er entfremdet sich dabei zunehmend von sich selbst, wird dabei krank und unglücklich. Existenzweise Sein: Der Mensch definiert sich über das, was er ist. Er ist achtsamer sich und anderen gegenüber. SELBSTENTFALTUNG: SEIN statt Haben! (Erich Fromm) Individuelle Ebene Charakterstärken Das Geheimnis resilienter Menschen? Resiliente Menschen besitzen bis zu 7 Charakterstärken, die typisch für sie sind => Signaturstärke! 13
Individuelle Ebene Charakterstärken Der gute Mix macht s! Mässigung Selbstregulation(-kontrolle), Wille Mentale Stärke Mut und Gerechtigkeit Selbstverantwortlichkeit, Ausdauer, Emotionale Stärke Ehrlichkeit, Tapferkeit, Tatendrang, Fairness Liebe und Menschlichkeit Fähigkeit zu lieben und geliebt zu werden: Interpersonale Stärke Freundlichkeit, Mitgefühl, soziale Intelligenz Weisheit und Wissen Neugier, Urteilsvermögen, Aufgeschlossenheit, Kognitive Stärke Weitsicht Kreativität Transzendenz Sinn für das Schöne, Dankbarkeit, Hoffnung, Spirituelle Stärke Humor, Religiosität und Spiritualität Charakterstärken können erlernt werden! Literatur Perrig-Chiello, P. & Dubach, M. (2012)(Hrsg.). Brüchiger Generationenkitt? Generationenbeziehungen im Umbau. Zürich: vdf-hochschulverlag ETH Zürich. Bühlmann, F., Schmid, C., Farago, P., Höpflinger, F., Levy R., Joye, D., Perrig-Chiello, P., Suter, C. (2012). Sozialbericht Schweiz. Fokus Generationen. Zürich: Seismo Verlag. Perrig-Chiello, P. (2014). Erwerbstätige im Sandwich: Die mittlere Generation als Garantin der Generationensolidarität in Familie und Gesellschaft. In J. Cosandey (Hrsg.). Generationenungerechtigkeit überwinden. Zürich: NZZ Verlag libro (pp. 57-75) Perrig-Chiello, P. & Höpflinger, F. (Hrsg.)(2012). Pflegende Angehörige in der Schweiz.Bern: Huber 14