Stellungnahme des Berliner Behindertenverbandes e.v. anlässlich der Anhörung im Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr am 20. April 2016 Der Berliner Behindertenverband e.v. (Kurzform BBV) dankt dem Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr für die Gelegenheit zur Stellungnahme. Der BBV ist eine parteiunabhängige, weltanschauungsübergreifende und solidarische Selbsthilfeorganisation von und für Menschen mit Behinderung, chronischer Krankheit, von deren Angehörigen und Freunden/-innen. Der BBV versteht sich als politischer Interessenvertreter, weshalb er auch aktiv - teilweise mit mehreren Vereinsmitgliedern - unter anderem in den Arbeitsgemeinschaften der Senatsverwaltungen, im Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen oder in den Behindertenbeiräten der Bezirke sich mit seiner Expertise einbringt. Vorbemerkungen zur Vorlage zur Änderung der Bauordnung für Berlin (Drucksache 17/2713): Schon die Einlassungen auf dem Vorblatt, weshalb die BauOBln geändert werden soll (siehe Punkt A. Problem), zeigt aus Sicht des BBV einen klaren Tenor auf: Hier werden als Gründe für die Gesetzesnovellierungen eben nicht die notwendigen Anpassung der BauOBln an die Vorgaben gemacht, die sich aus der UN-BRK (zwingend) ergeben. Im folgenden gehen wir auf die drei wesentlichsten Kritikpunkte des BBV ein. 1 von 7
Art. 39 Aufzüge Im Art. 39 stehen in der alten Bauordnung detaillierte Angaben, wie groß eine Bewegungsfläche vor den Aufzügen sein muss. In diesem Fall 1,50 x 1,50 m. In der neuen Fassung soll nur noch folgender Satz stehen: Vor den Aufzügen muss eine ausreichende Bewegungsfläche vorhanden sein. Der Hinweis, dass derartige Angaben die Technische Baubestimmungen oder DIN- Normen ausreichend ausführen, greift nicht. Technische Baubestimmungen sind kein einklagbares Recht. Sie sind nicht mehr als eine nette Empfehlungen. Ferner: laut Bundesgerichtshof stellen DIN-Normen keine Rechtsnormen, sondern lediglich private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter dar (Urteil des VII. Zivilsenats vom 14.6.2007 VII ZR 45/06). Was demnach Architekten und Bauträger als ausreichend betrachten, wird sicherlich nicht ausreichend sein, so die langjährige Erfahrungen des BBV. Aus diesem Grund wurde nämlich genau diese Präzisierung von (früheren) Abgeordneten aufgenommen. Daher lehnt der BBV die Streichungen von sinnvollen Detailangaben kategorisch ab. Eine Deregulierung der Bauordnung sprich: wichtige Punkte in der Bauordnung zu streichen wird weiterhin dazu führen, dass die Verpflichtung zur Überwachung der Barrierefreiheit gemäß Artikel 9 der UN-BRK nicht mehr gewährleistet werden kann. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. 2 von 7
Art. 50 Barrierefreies Bauen Der BBV begrüßt es, dass der Wert ab wann barrierefreie Wohnungen errichtet werden müssen, gesenkt wird (von vier Wohnungen in der alten Bauordnung auf zwei Wohnungen in der Neufassung). Der BBV lehnt aber die vorgeschlagene 1/3 Lösung (bis 31.12.2019) bzw. die 1/2 Lösung (ab dem 01.01.2020) ab. Wir sind vielmehr der Meinung - wie der Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen und die Monitoring-Stelle - dass grundsätzlich eine Verknüpfung mit der Aufzugspflicht nach 39 Absatz 4 BauOBln vorzunehmen ist. Damit kann in ökonomisch realisierbarer Weise eine dringend notwendige Steigerung der Zahl barrierefreier Wohnungen bei Neubauten erreicht werden. Es entstehen hierdurch für die Bauherren keine erheblichen Mehrkosten, da ohnehin Aufzüge vorzuhalten sind. Diese stellen in der Regel den kostenintensivsten Bestandteil bei der Herstellung von Barrierefreiheit dar. Ferner ist der BBV der Meinung, dass mit der vorgeschlagen 1/3 und 1/2 Lösung in den kommenden Jahren nicht genügend barrierefreie Wohnungen errichtet werden, um A. den bereits heute bestehenden Fehlbedarf an barrierefreien Wohnungen zu decken (Stichwort 41.0000 fehlende barrierearme Wohnungen ) B. und den zukünftig stark steigenden Bedarf aufzufangen (Stichwort demografischer Wandel ). Auch die vorgesehene Beschränkungen auf den allgemeinen Besucher- und Benutzerverkehr wird vom BBV abgelehnt. Eine klare Trennung erscheint dem BBV in der Realität kaum praktikabel. Doch weitaus schlimmer ist die damit einhergehende Diskriminierung von potentiellen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Der BBV verweist zudem ausdrücklich auf die Vorgaben der UN-BRK hin, wonach der Staat verpflichtet wird, dafür Sorge zu tragen, dass auch Private insbesondere beim Wohnungsbau barrierefrei bauen sollen (Art. 9). 3 von 7
Bausachverständige Barrierefreiheit Die Bauordnung sieht keine Einführung von Bausachverständigen für barrierefreies Bauen vor. Obwohl dies in den gerade erst im Mai 2015 verabschiedeten 10 Behindertenpolitischen Leitlinien des Landes Berlin unter Punkt zwei angekündigt wurde: BPL 2: Barrierefreiheit Die Erarbeitung von Anforderungen an sog. Sachverständige für Barrierefreiheit und deren Einbeziehung in Planungs- und Bauprozesse. Der Regierende Bürgermeister, Michael Müller (SPD), hatte die Einführung der Sachverständigen zudem im Rahmen einer Veranstaltung von Selbstaktiv öffentlich bekräftigt. Die Einführung von Bausachverständigen ist zudem keine einzigartige Besonderheit. In Wien etwa, wird folgendes vorgeschrieben: 63. Belege für das Baubewilligungsverfahren k) eine Bestätigung des Planverfassers, dass die Grundsätze des barrierefreien Planens und Bauens eingehalten werden; Ferner möchte der BBV an dieser Stelle abermals auf den Art. 9 der UN- BRK hinweisen. Demnach sind nicht nur Mindeststandards für die Barrierefreiheit von öffentlich zugänglichen Gebäuden auszuarbeiten und zu erlassen. Auch deren Einhaltung ist zu überwachen. Hier möchten wir auf den Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung der Vereinten Nationen verweisen, der sich in seinen "Abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands" vom 17.04.2015 besorgt über die unzulängliche Umsetzung der Vorschriften zur Zugänglichkeit äusserte. Der Ausschuss empfahl, "gezielte, wirksame Maßnahmen einzuführen wie etwa zwingende Auflagen, Überwachungsmechanismen und wirksame Sanktionen bei Verstoß, um die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen in allen Sektoren und Lebensbereichen (...) auszuweiten" Genau dieses vorgeschriebene Ziel der Überwachung, würden Bausachverständige erfüllen. Der BBV fordert daher die Aufnahme eines Bausachverständigen in der BauOBln. Dies ist auch eine Forderung einer Vielzahl anderer Verbände (z.b. Deutscher Blindenund Sehbehindertenverband e.v., etc.) 4 von 7
Fazit des BBV: Das Bauordnungsrecht ist das wichtigste Instrument zur Schaffung baulicher Barrierefreiheit bei Neubauten im Land Berlin. Barrierefreiheit ist ein grundlegendes Prinzip der UN-BRK (siehe Anhang). Sinn und Zweck der Schaffung von Barrierefreiheit ist es, Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen. Zudem gibt die UN-BRK vor, dass ausreichend barrierefreier Wohnraum geschaffen werden muss. All dies setzt die derzeit diskutierte Vorlage nur mangelhaft und/oder halbherzig um und muss aus Sicht des BBV nachgebessert werden. Interessanterweise braucht man sich auch gar nicht der UN- BRK zu bemühen. Denn auch die Berliner Verfassung gibt eindeutige Vorgaben vor (Art. 11 und 28). Siehe Anhang. Ferner ist es eine spannende Frage, ob eine Deregulierung bzw. eine Anpassung an eine nicht demokratische entstandene Musterbauordnung Vorrang geniesst, vor den eigentlichen Ziele und Aufgaben, die sich aus der aktuellen Gesetzgebung ergeben (Berliner Verfassung, UN-BRK, etc.). Dies kann jeder Abgeordnete nur für sich selbst beantworten und vor sich selbst verantworten. 5 von 7
Anhang Berliner Verfassung Artikel 11 Menschen mit Behinderungen dürfen nicht benachteiligt werden. Das Land ist verpflichtet, für die gleichwertigen Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung zu sorgen. Artikel 28 (1) Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) Artikel 1 Zweck Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Artikel 4 Allgemeine Verpflichtungen (1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten, a) alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen; b) alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen; Artikel 9 Zugänglichkeit (1) Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen mit dem Ziel, für Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländli- 6 von 7
chen Gebieten offen stehen oder für sie bereitgestellt werden, zu gewährleisten. Diese Maßnahmen, welche die Feststellung und Beseitigung von Zugangshindernissen und - barrieren einschließen, gelten unter anderem für a) Gebäude, Straßen, Transportmittel sowie andere Einrichtungen in Gebäuden und im Freien, einschließlich Schulen, Wohnhäusern, medizinischer Einrichtungen und Arbeitsstätten; b) Informations-, Kommunikations- und andere Dienste, einschließlich elektronischer Dienste und Notdienste. (2) Die Vertragsstaaten treffen außerdem geeignete Maßnahmen, a) um Mindeststandards und Leitlinien für die Zugänglichkeit von Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit offen stehen oder für sie bereitgestellt werden, auszuarbeiten und zu erlassen und ihre Anwendung zu überwachen; b) um sicherzustellen, dass private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offen stehen oder für sie bereitgestellt werden, anbieten, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen; c) um betroffenen Kreisen Schulungen zu Fragen der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen anzubieten; d) um in Gebäuden und anderen Einrichtungen, die der Öffentlichkeit offen stehen, Beschilderungen in Brailleschrift und in leicht lesbarer und verständlicher Form anzubringen; e) um menschliche und tierische Hilfe sowie Mittelspersonen, unter anderem Personen zum Führen und Vorlesen sowie professionelle Gebärdensprachdolmetscher und -dolmetscherinnen, zur Verfügung zu stellen mit dem Ziel, den Zugang zu Gebäuden und anderen Einrichtungen, die der Öffentlichkeit offen stehen, zu erleichtern; f) um andere geeignete Formen der Hilfe und Unterstützung für Menschen mit Behinderungen zu fördern, damit ihr Zugang zu Informationen gewährleistet wird; g) um den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, einschließlich des Internets, zu fördern; h) um die Gestaltung, die Entwicklung, die Herstellung und den Vertrieb zugänglicher Informations- und Kommunikationstechnologien und -systeme in einem frühen Stadium zu fördern, sodass deren Zugänglichkeit mit möglichst geringem Kostenaufwand erreicht wird. 7 von 7