Die Rationalität der Moral

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Transkript:

Oliver Hallich Die Rationalität der Moral Eine sprachanalytische Grundlegung der Ethik mentis PADERBORN

EINLEITUNG Sind moralische Normen und Werte begründbar, und wenn ja, wie? Dies ist seit jeher eine zentrale Frage der Ethik. Mit ihr sieht sich früher oder später jeder konfrontiert, der sich nicht damit begnügt, bestimmte moralische Ansichten einfach zu haben, sondern auf sie zu reflektieren und damit, in wie rudimentärer Weise auch immer, Ethik zu betreiben beginnt. 1 Da eine solche Reflexion auf das Phänomen der Moral keinesfalls das Privileg von Moralphilosophen, vielmehr ein durchaus alltägliches Phänomen ist fast jeder Mensch, der moralische Ansichten hat, wird gelegentlich auch auf sie reflektieren 2, ist auch die Frage nach der Begründbarkeit moralischer Normen und Werte keine rein akademische. Sie betrifft auf existentielle Weise das Selbstverständnis von Wesen, die Handlungen oder Personen gut oder schlecht nennen, von Rechten und Pflichten sprechen, Fragen nach dem Erlaubten, Gebotenen oder Verbotenen stellen und sich in Situationen finden können, die sie als moralische Konflikte erfahren. Es ist das Kennzeichen der philosophischen Ethik gegenüber anderen, nichtphilosophischen Formen der Reflexion auf das Phänomen der Moral, dass sie sich bei der Thematisierung der Begründungsfrage nicht auf eine vorgegebene Begründungsinstanz berufen darf, in Bezug auf die Geltungsansprüche legitimiert werden könnten, sei es die eines Gottes, die der Natur oder der Tradition. Sie treibt im Vergleich zur nicht-philosophischen Ethik die Begründungsfrage weiter voran, indem sie die Frage nach der Begründbarkeit moralischer Normen und Werte als Frage nach der Begründbarkeit der dafür angeführten Rechtfertigungsgründe selbst stellt. 3 Während zum Beispiel im Rahmen einer theologischen Ethik die Frage danach, warum es moralisch verboten ist, Ehebruch zu begehen, durch Hinweis auf die Zehn Gebote als beantwortet gelten kann, muss die philosophische Ethik auf eine solche vorgegebene Begründungsinstanz verzichten und ohne sie Geltungsansprüche zu begründen versuchen. Es erstaunt daher nicht, dass die Moralphilosophie vor allem dann floriert, wenn etablierte Bezugssysteme zur Begründung moralischer Normen und Werte zweifelhaft zu werden und ihre Verbindlichkeit zu verlieren beginnen. Dies gilt schon für die sokratische Ethik als Replik auf die Verunsicherung durch den sophistischen Relativismus, es gilt aber auch für die großen moralphilosophischen Entwürfe der Neuzeit, Kantianis- 1 Diese hier zur ersten Orientierung eingeführte Unterscheidung von Ethik und Moral ist in der Moralphilosophie üblich; vgl. z.b. Frankena 1963, e3f./d20; Birnbacher/Hoerster 1976, 9; Patzig 1983, 4f.; Steinvorth 1990, 207; Tugendhat 1993, 39; Hastedt/Martens 1994b, 9; Schneider 1994, 14; Leist 2000, 2; Pieper 2000, 17,27f.; Höffe 2002b, 58f.; Kettner 2002, 410; Birnbacher 2003, 1 3; Kellerwessel 2003, 38; Ricken 2003, 16 18. 2 Vgl. Birnbacher/Hoerster 1976, 9f.; Pieper 2000, 17. 3 Vgl. Tugendhat 1981, 60f., 83 86; Vossenkuhl 2006, 40f.

20 Einleitung mus und Utilitarismus, die beide als Reflex auf die abnehmende Verbindlichkeit religiöser Orientierungen aufgefasst werden können. Auch der vielbeschworene gegenwärtige»ethik-boom«mag ein Reflex einer solchen Verunsicherung sein. Mit den folgenden Untersuchungen sollen nun erneut jene Fragen nach den Begründungsgrundlagen moralischer Überzeugungen gestellt werden, um deren Beantwortung sich die Moralphilosophie von jeher bemüht: Wie können wir, wenn überhaupt, die mit unseren Wertüberzeugungen und normativen Ansichten erhobenen Geltungsansprüche begründen? Beruht Moral auf bloßen Dezisionen? Unterliegen wir mit unseren moralischen Äußerungen, wie es John Mackie in seinem einflussreichen Buch mit dem programmatischen Titel Ethics. Inventing Right and Wrong behauptet, einem Irrtum, da wir uns auf objektive Werte zu beziehen glauben, die es gar nicht gibt? Auf welche rationalen Grundlagen unseres moralischen Denkens können wir uns berufen? Der zur Beantwortung dieser Fragen gewählte Zugang ist der der sprachanalytischen Philosophie. Die ersten drei Kapitel der Arbeit sollen diesen Zugang legitimieren und in den historischen Kontext der analytischen Ethik des 20. Jahrhunderts stellen. Im Eingangskapitel wird die Rolle der Sprachanalyse für die Ethik bestimmt und die Programmatik einer kritischen, d. h. den faktischen Sprachgebrauch nicht nur beschreibenden, sondern ihn, falls nötig, korrigierenden metaethischen Reflexion auf die Bedeutung der moralischen Ausdrücke präzisiert. Die beiden folgenden Kapitel zeichnen Grundzüge der analytischen Ethik vom Anfang des 20. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts nach. Das zweite Kapitel stellt die für die Diskussion von Moore bis Hare, also von Anfang bis ungefähr Mitte des 20. Jahrhunderts, charakteristische Debatte zwischen Kognitivismus und Nonkognitivismus dar; das folgende Kapitel hat die Auseinandersetzung zwischen Deskriptivisten und Nondeskriptivisten, die prägend für die 50er bis 70er Jahre des 20. Jahrhunderts war, sowie diejenige zwischen Realisten und Anti-Realisten, die die Diskussion seit den 70er Jahren dominiert, zum Gegenstand. Beabsichtigt ist dabei, das eigene Vorgehen in die Theorielandschaft im Bereich der analytischen Ethik einzuordnen und deutlich zu machen, wie das im Folgenden zu entwickelnde Begründungsmodell an die analytische Ethikdiskussion des 20. Jahrhunderts anknüpft. Im zweiten Teil der Arbeit wird dann auf metaethischer Grundlage ein Begründungsmodell für moralische Normen entwickelt. Die leitende Grundidee ist dabei folgende: Bezogen auf normative moralische Äußerungen als eine Teilklasse moralischer Äußerungen soll gezeigt werden, dass und wie es möglich ist, moralische Äußerungen durch den Nachweis der Wahrheit oder Falschheit faktischer Aussagen zu begründen, ohne aber moralische Sätze selbst als Tatsachenaussagen aufzufassen. 4 Der moralische Satz»Man soll nicht stehlen.«etwa 4 Grundsätzlich werden in dieser Arbeit terminologische Präzisierungen immer dann vorgenommen, wenn sich dies aus systematischen Gründen als notwendig erweist. Dies gilt insbesondere für

Einleitung 21 hat, so werde ich argumentieren, selbst nicht die semantische Struktur einer Tatsachenaussage, aber er hängt mit Tatsachenaussagen zusammen, und wir können ihn begründen, indem wir nach der Wahrheit oder Falschheit eben dieser Tatsachenaussagen fragen. Ein solcher Zusammenhang zwischen moralischen Sätzen und Tatsachenaussagen besteht, so soll gezeigt werden, weil diese Sätze, obwohl selbst nicht rein beschreibend, doch einen beschreibenden Gehalt haben. Dieser legt einen Sprecher, der die Regeln korrekten Sprachgebrauchs einhalten will, darauf fest, bestimmte Tatsachenaussagen für wahr zu halten. Ich werde dafür plädieren, die Erörterung von Begründungsfragen nicht auf der Ebene der moralischen Sätze selbst, sondern auf der Ebene jener Tatsachenaussagen, mit denen sie zusammenhängen, zu führen. Insgesamt werde ich also in Bezug auf normative moralische Äußerungen eine Doppelstrategie verfolgen: Zum einen werde ich für einen Nondeskriptivismus, also eine Position plädieren, der zufolge moralische Sätze nicht rein beschreibend sind, zum anderen aber ein Begründungsverfahren entwickeln, das wesentlich auf dem beschreibenden Gehalt dieser Sätze basiert. Der Ausgangspunkt für dieses Begründungsmodell ist die in Kapitel IV entwickelte Argumentation zum deskriptiven Gehalt normativer Sätze. Hier soll gezeigt werden, dass normative Sätze einen durch die Anwendungskriterien für das Wort»Sollen«festgelegten deskriptiven Gehalt haben. Dieser legt einen Sprecher, der das Wort»Sollen«korrekt verwenden will, darauf fest, bestimmte faktische Aussagen für wahr zu halten. Genauer: Die Bedeutungsregeln für das Wort»Sollen«legen den Sprecher des Satzes»Man soll X tun.«darauf fest, einen rein beschreibenden Satz wie»x ist gefordert (geboten, verboten, erlaubt).«für wahr zu halten. 5 Normative Sätze sind also durch einen deskriptiven Bezug auf bestimmte Sachverhalte, die ich als»forderungssachverhalte«bezeichnen werde, charakterisiert. Im folgenden Kapitel werden diese Überlegungen zum deskriptiven Gehalt normativer Sätze dann in eine nondeskriptivistische Theorie integriert, indem gezeigt wird, dass die Bedeutung normativer Sätze, sofern diese in einem moralischen Sinne verwendet werden, sich nicht in ihrem beschreibenden Gehalt erschöpft. Hier wird nachgewiesen, dass der Sprecher des Satzes»Man soll X tun.«sich nicht nur auf eine Forderung (ein Gebot, Verbot etc.) bezieht, sondern, sofern»sollen«hier in einem moralischen Sinne verwendet wird, auch ausdrückt, dass er diese Forderung als berechtigt anerkennt. Dieser Ausdruck des Anerkennens einer Forderung kann als Teil der Bedeutung normativer Ausdrücke in ihrer moralischen Verwendung aufgefasst werden. Da es sich hierbei um ein nicht- Ausdrücke wie»satz«,»äußerung«,»aussage«,»aussagesatz«und»urteil«, die ich vorläufig unter Verzicht auf nähere Präzisierungen in einem umgangssprachlichen Sinne verwende. Zur genaueren Bestimmung dieser Begriffe vgl. Kap. VI 2.1., Abschn. 16 21. 5 Dass es sich dabei tatsächlich um rein beschreibende Sätze handelt, kann an dieser Stelle noch nicht begründet werden.

22 Einleitung deskriptives Bedeutungselement handelt, sind normative Sätze, wenn sie in einem moralischen Sinne verwendet werden, nicht rein beschreibend. In den beiden folgenden Kapiteln, in deren Zentrum die Unterscheidung von Satz und Äußerung steht, werden dann Konsequenzen des bis dahin entwickelten Nondeskriptivismus aufgezeigt. In Kapitel VI wird dafür argumentiert, dass normative Sätze in ihrer moralischen Verwendung durch einen nicht eliminierbaren Sprecherbezug gekennzeichnet sind. Die Berücksichtigung dieses Sprecherbezuges verlangt von uns, das Problem der Begründung moralischer Normen nicht als Problem der Begründung von Sätzen, sondern als Problem der Begründung von Äußerungen, also der Verwendung von Sätzen durch einen Sprecher im Kontext von Sprechakten, aufzufassen. Der Fehler der traditionell in der normativen Ethik gestellten Fragen wie»was soll ich tun?«oder»wofür sind wir verantwortlich?«besteht, so soll gezeigt werden, darin, dass sie diesen Sprecherbezug ignorieren. Fragen dieser Art sind daher, sofern sie als moralische Fragen interpretiert werden, als falsch gestellte Fragen aufzufassen, und wir sollten sie durch andere Fragen ersetzen. Nach diesen vorwiegend destruktiven Thesen wird in Kapitel VII eine Neuformulierung des Begründungsproblems auf der Grundlage der Unterscheidung von Satz und Äußerung vorgelegt: Sie besagt, dass wir nicht Sätze der Form»A soll X tun.«, sondern Äußerungen bzw. die durch diese Äußerungen ausgedrückten Gedanken zu begründen haben. Bei den zu begründenden moralischen Äußerungen handelt es sich um solche, mit denen ein Sprecher unter Verwendung eines normativen Satzes die Anerkennung einer Forderung zum Ausdruck bringt. Die Gedanken, die durch solche moralischen Äußerungen ausgedrückt werden, werde ich als moralische Überzeugungen (worunter keine Glaubenszustände zu verstehen sind) bezeichnen. Unter verschiedenen Aspekten wird erläutert, was genau es heißt, das Problem der Begründung moralischer Normen auf diese Weise als Problem der Begründung nicht von Sätzen, sondern von moralischen Äußerungen bzw. Überzeugungen aufzufassen. Auf der Grundlage dieser Präzisierung des Begründungsproblems wird in den folgenden Kapiteln gezeigt, wie wir moralische Normen begründen können, indem wir nach der Wahrheit oder Falschheit von Tatsachenaussagen fragen. Dazu wird zunächst der Zusammenhang zwischen normativen moralischen Äußerungen und Tatsachenaussagen präzisiert und gezeigt, dass diese Äußerungen zwar nicht aus Tatsachenaussagen folgen, aber auf zwei Weisen mit ihnen zusammenhängen: erstens dadurch, dass jemand, der eine solche Äußerung macht, die Wahrheit bestimmter Sätze voraussetzt, zweitens dadurch, dass er die Wahrheit bestimmter Sätze impliziert. Von der Wahrheit oder Falschheit der vorausgesetzten Sätze hängt ab, ob der Sprecher sich irrt oder nicht; von der Wahrheit oder Falschheit der implizierten Sätze hängt ab, ob der Sprecher aufrichtig ist oder nicht. Fragen wir nach der Begründbarkeit einer solchen moralischen Äußerung, so haben wir vor allem zu fragen, ob die Sätze, deren Wahrheit ein Sprecher voraussetzt, tatsächlich wahr sind oder nicht (Kapitel VIII). Was dies konkret

Einleitung 23 bedeutet, wird in Kapitel IX gezeigt, in dem nunmehr auf die Argumentation zum deskriptiven Gehalt normativer Sätze zurückgreifend der Satztypus spezifiziert wird, in Bezug auf den wir die Frage nach Wahrheit oder Falschheit zu stellen haben, wenn wir moralische Normen begründen wollen. War in Kapitel IV gezeigt worden, dass der Sprecher des Satzes»Man soll X tun.«, wenn er»sollen«korrekt verwenden will, die Wahrheit eines Satzes wie»x ist gefordert.«voraussetzen muss, so wird nun dafür argumentiert, dass»x ist gefordert.«als elliptische Rede für einen Satz der Form»A fordert X von B.«aufzufassen ist. Das bedeutet, dass wir in Begründungskontexten den Satz»X ist gefordert.«zunächst einmal in nicht-elliptische Rede überführen müssen, d. h. wir müssen einen Satz der Form»A fordert X von B.«erst einmal benennen und in Bezug auf diesen Satz dann fragen, ob er wahr oder falsch ist. Von der Einsetzung für»a«im offenen Satzschema»A fordert X von B.«möchte ich dabei sagen, dass sie eine Normquelle, von der Einsetzung für»x«, dass sie einen Norminhalt und von der Einsetzung für»b«, dass sie einen Normadressaten bezeichnet. Wie wir Äußerungen wie»diese Handlung ist moralisch gefordert.«oder»man soll dies tun.«durch den Nachweis der Wahrheit oder Falschheit eines Satzes der Form»A fordert X von B.«begründen können, wird konkret in Kapitel X gezeigt. Zwar können wir den mit einer solchen Äußerung erhobenen Gültigkeitsanspruch nicht positiv begründen, indem wir die Wahrheit eines Satzes der Form»A fordert X von B.«nachweisen, wohl aber können wir diesen Gültigkeitsanspruch als unbegründet nachweisen, indem wir zeigen, dass ein solcher Satz falsch oder sprachlich defekt ist. Da dieses Verfahren ein rein negatives ist und darauf beruht, Gültigkeitsansprüche als nicht berechtigt auszugrenzen, nenne ich es eliminatives Verfahren. Es wird sich jedoch erweisen, dass dieses Verfahren nur von sehr begrenzter Tragweite ist, vor allem, weil ein Satz der Form»A fordert X von B.«problemlos von einem Sprecher wahr gemacht und damit das eliminative Verfahren, wie es bis dahin entwickelt wurde, unterlaufen werden kann. Darum wird es in den folgenden Kapiteln zu einem eliminativen Verfahren zweiter Stufe erweitert. Diese Erweiterung besteht darin, dass zusätzliche Typen von Tatsachenaussagen spezifiziert werden, in Bezug auf die wir die Frage nach Wahrheit oder Falschheit stellen können, um die fraglichen moralischen Äußerungen zu begründen. Eine solche Frage ist, wie in Kapitel XI nachgewiesen werden soll, diejenige, ob faktische Annahmen, die eine Person über die fordernde Instanz die Normquelle macht, zutreffen oder nicht. Es wird hier zu zeigen sein, dass wir manchmal aufgrund faktischer Annahmen einer Normquelle Autorität zuschreiben, d. h. dass wir glauben, dass die Normquelle Eigenschaften hat, aufgrund derer das, was sie fordert, zu Recht gefordert ist und daher getan werden sollte. Auch in Bezug auf diese faktischen Annahmen können wir fragen, ob sie wahr oder falsch sind. Sind sie falsch, basiert die moralische Überzeugung auf fehlerhaften faktischen Annahmen und muss als im Lichte der Fakten irrational und korrek-