Verbindliche Anforderungen im Mathematikunterricht am Ende der 2. Klasse in: Grundlagen ausbauen und sichern von Anfang an DIDAKTISCHER LEITFADEN UND MEDIEN FÜR DIE SCHULINTERNE FORTBILDUNG Ursula Manten und Kathrin Cottmann Hrsg.: Landesinstitut für Schule NRW / Soest Spätestens seit TIMSS, PISA und IGLU stehen die Schulen unter einem besonderen (Leistungs-)Druck. Parallelarbeiten und die Festlegung von verbindlichen Anforderungen auch auf Bundesebene - sind Folgen davon. Wie können Schulen mit den neuen Anforderungen umgehen, ohne Leistung lediglich an Tests zu messen ( teaching to the test )? Wie kann Lehrerinnen und Lehrern geholfen werden, diese Ansprüche umzusetzen? Denn nach Aussage der Richtlinien sind die Lehrerinnen und Lehrer verpflichtet,...die verbindlichen Anforderungen der Lehrpläne im Unterricht nachhaltig umzusetzen und jeder Schülerin und jedem Schüler durch differenzierten Unterricht jene individuelle Förderung zukommen zu lassen, die zu tragfähigen Grundlagen für das weitere Lernen führt (Richtlinien). Dies klingt noch sehr abstrakt. Konkretisieren wir die Forderung an Hand des Lehrplans Mathematik. Die verbindlichen Anforderungen, also die Grundlagen, die die Kinder im Verlauf der ersten beiden Schuljahre erwerben können müssen, um erfolgreich in den Klassen 3 und 4 weiterlernen zu können, sind vier aufeinander bezogene Kategorien zugeordnet: Fähigkeiten Kenntnisse Fertigkeiten und Einstellungen. Im Mathematikunterricht der Grundschule werden in der Regel vorrangig Fertigkeiten und Kenntnisse (z. B. das Auswendigkönnen von Algorithmen, besonders im Zusammenhang mit den schriftlichen Normalverfahren) ausgebildet. Die verbindliche Anforderungen in diesen beiden Kategorien stellen eine Fortschreibung der Anforderungen des 85er Lehrplans dar, d.h. es werden keine gänzlich neuen Ansprüche an die Kinder gestellt. Die Entwicklung von Fähigkeiten sowie der Ausbau einer positiven Einstellung zum Mathematiklernen hingegen werden im Unterricht meist weitaus weniger berücksichtigt. Der neue Lehrplan weist ihnen bewusst eine zentrale Position zu: 1.1 Fähigkeiten und Fertigkeiten Der Mathematikunterricht fördert die Selbstständigkeit und die mathematische Mündigkeit der Schülerinnen und Schüler. Schon in der Grundschule lernen sie, in altersgemäßer Weise mathematisch zu argumentieren, zu kommunizieren, Probleme zu lösen und zu modellieren. Dazu gehört es, Sachsituationen zu mathematisieren, eigene Überlegungen zu mathematischen Sachverhalten anzustellen, Zusammenhänge
nachvollziehbar zu begründen, Aufgaben kreativ zu bearbeiten und zur Lösung von Aufgaben zu kooperieren. Der Mathematikunterricht entwickelt und fördert Vorgehensweisen, die über das Fach hinaus von Bedeutung sind, wie Ordnen, Verallgemeinern, Beispiele angeben, Entsprechungen aufdecken oder Gedanken auf Ähnliches übertragen. Den Einstellungen dem Mathematikunterricht gegenüber widmet der neue Lehrplan ebenfalls einen Abschnitt: 1.3 Einstellungen und Haltungen Der Mathematikunterricht unterstützt die Schülerinnen und Schüler in ihrem individuellen Lernen durch Hilfen und Rückmeldungen. So erfahren sie, dass sie etwas können und dass ihre mathematische Aktivität bedeutungsvoll ist. Ein solcher Unterricht fördert Freude an der Mathematik und eine positive Einstellung zum Mathematiklernen auch über die Grundschule hinaus. Auf diese Weise entwickeln sich: Selbstvertrauen in die eigenen mathematischen Kompetenzen Interesse und Neugier an mathematikhaltigen Phänomenen Motivation, Ausdauer und Konzentration im Prozess des mathematischen Arbeitens ein konstruktiver Umgang mit Fehlern und Schwierigkeiten Einsicht in den Nutzen des Gelernten für die Bewältigung von mathematikhaltigen Problemen und Lebenssituationen. Der Grundschulverband nennt neun Prinzipien eines zeitgemäßen Grundschulunterrichts. Dort steht ebenfalls den Erwerb von Fähigkeiten im Vordergrund: Stärkung des Selbstvertrauens der Kinder Schaffung einer positiven Lernatmosphäre Ermöglichung eigen-aktiven Handelns Lernen von und mit anderen Lernen an bedeutsamen Inhalten individualisierte Förderung (vgl. Grundschulverband Hf. 81 (1/2003), S. 2ff.). Es wird deutlich, dass die verbindlichen Anforderungen nur dann von allen Kindern erreicht werden können, wenn eine bestimmte Unterrichtskultur gepflegt wird. Die damit verknüpften Ideen sind nicht neu, und sie werden auch bereits in den Richtlinien und dem Mathematik-Lehrplan von 1985 eingefordert, dennoch sei noch einmal auf die im neuen Lehrplan besonders betonten Unterrichtsprinzipien hingewiesen.
1.) Entdeckendes Lernen Der Mathematikunterricht sollte möglichst viele Gelegenheiten zum selbstständigen Lernen bereitstellen, ein Lernen in Sinnzusammenhängen ermöglichen und die Kinder durch ergiebige Aufgabenstellungen herausfordern. Die Begleitung der individuellen Prozesse und Stützung durch adäquate Arbeitsmittel sind entscheidende Unterrichtsfaktoren. Substanzielle Aufgaben haben eine zentrale Bedeutung für guten Unterricht. Sie beinhalten differenzierte Fragestellungen auf unterschiedlichem Niveau, ermöglichen verschiedene Lösungswege und fordern vielfältige Formen des Kreativ-Seins, Mathematisierens, Begründens, Darstellens und Kooperierens. (LP Mathematik) 2.) Beziehungsreiches Üben Üben sichert, vernetzt und vertieft vorhandenes Verständnis. Es dient der Geläufigkeit und der Beweglichkeit. Deshalb sind Übungen möglichst problemorientiert, operativ oder anwendungsbezogen angelegt. Viele Inhalte erfordern einen hinreichenden Anteil an anschauungsgestützten Übungen. Automatisierende Übungen bauen auf einer sicheren Verständnisgrundlage auf. Sie erfolgen nicht zu früh. Dieses Zitat macht die enge Vernetzung von Aneignung und Übung deutlich.in erster Linie müssen die Kinder mathematische Zusammenhänge verstehen. Nur auf dieser Grundlage ist das Einschleifen von Automatismen sinnvoll und die Ausbildung von Fertigkeiten möglich. 3.) Individuelles und gemeinsames Lernen Im Hinblick auf das Erreichen der verbindlichen Anforderungen durch alle Kinder muss der Mathematikunterricht den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Lernmöglichkeiten der Kinder entsprechend individuelle Lernwege ermöglichen. Das Miteinander- und Voneinander-Lernen stellt eine wichtige Ergänzung dar. In der Auseinandersetzung mit anderen lernen die Kinder,...die eigene Sichtweise zu artikulieren, sich über andere Lösungswege auszutauschen, sachbezogene Rückmeldungen zu geben und zu nutzen (und) über verschiedene Herangehensweisen nachzudenken und sie zu bewerten Eine Möglichkeit dieses Austausches erhalten Kinder beispielsweise in Rechenkonferenzen. 4.) Darstellungsformen Die Repräsentation mathematischer Begriffe und Operationen in verschiedenen Darstellungsformen (Handlungen, Bilder, Sprache, Symbole) ist für eine solide Begriffsbildung unverzichtbar. Sie unterstützen nachhaltig den Aufbau innerer Bilder, gesicherter Vorstellungsgrundlagen. Besonders im Zahlenraum bis 100 müssen die Beziehungen zwischen verschiedenen Darstellungsformen immer wieder hergestellt werden,...damit Begriffe und Operationen im Denken der Schülerinnen und Schüler nicht ausschließlich durch Zahl- und Rechenzeichen, sondern auch durch dynamische Vorstellungen repräsentiert werden.
Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse sind in Kapitel 3 des Lehrplans der inhaltsbezogenen Beschreibung (Bereiche, Aufgabenschwerpunkte und Unterrichtsgegenstände sind verbindlich) noch einmal vorangestellt. Daraus benennen die verbindlichen Anforderungen die für das weitere Lernen grundlegenden, unverzichtbaren Voraussetzungen. Hierzu noch einige klärende Erläuterungen: Im Zahlenraum bis 100 addieren und subtrahieren kann bei Aufgaben des Typs ZE +/- ZE mit Zehnerübergang auch mit einem Hilfsmittel, das die Vermeidung zählenden Rechnens unterstützt oder halbschriftlich erfolgen. Verschiedene Rechenwege bei Additions- und Subtraktionsaufgaben nutzen setzt Operationsverständnis und die Kenntnis verschiedener Rechenwege voraus. die unter Nutzung von Zahlbeziehungen und Rechengesetzen flexibel genutzt werden können. Dies ist ein hoher Anspruch. Was sind einfache Sachaufgaben? Das Textverständnis muss für die Kinder hinsichtlich der Sache und der Sprache gesichert sei. Im Kontext der Lebenswirklichkeit und eigener Erfahrungen sollte die Lösung nicht mehr als nur wenige Rechenschritte erfordern. Tabellen und Diagrammen Daten entnehmen erfordert das Erfassen der strukturierten Darstellung aufeinander bezogener Daten (Spalten / Zeilen) sowie die Interpretation von graphischen Darstellungen (beispielsweise Balkendiagramm), Die enthaltenen Daten müssen natürlich wiederum der Lebenswirklichkeit der Kinder entnommen sein. Um am Ende der Klasse 2 die Aufgaben des kleinen Einspluseins automatisiert und deren Umkehrungen sicher verfügbar (zu) haben, müssen Übungen problemorientiert, operativ oder anwendungsbezogen angelegt sein. Übungsformate (z.b. Zahlenmauern, Zahlendreiecke etc) sind in mehreren Klassenstufen einsetzbar und beinhalten eine natürliche Differenzierung. Um Grundvorstellungen im Zahlenraum bis 100 entwickeln zu können, müssen die Kinder die Struktur und den Aufbau unseres Zahlensystems verstanden haben. Vielfältige praktische Aufgaben zur Orientierung im Hunderterraum sind erforderlich (Bündeln, z. B. mit Alltagsmaterial wie Streichhölzer, Büroklammern, Perlen; Schätzen; strukturiertes Zählen...) um Aufbau und Struktur erfassen und verinnerlichen zu können. Erst wenn die Zehnerbündelung verstanden ist, sind die Kinder in der Lage im Zahlenraum bis 100 zu rechnen. Die rein symbolische Darstellung der Zahlen darf erst dann erfolgen, wenn die dekadische Struktur verstanden ist. Vergleichsgrößen aus dem Alltag der Kinder helfen, Grundwissen und basale Größenvorstellungen in den Bereichen, Geld, Längen und Zeit aufzubauen.
Der für das erfolgreiche Weiterlernen sehr wichtige Aspekt der positiven Einstellung wird in den Verbindlichen Anforderungen näher erläutert: Die Kinder sollen...erfahren, dass sie mathematische Kompetenzen besitzen Fehler zum Lernen gehören die Auseinandersetzung mit Aufgaben auch lohnt, wenn der Lösungsweg nicht sofort ersichtlich ist. Der Anspruch verbindliche Anforderungen erreichen zu müssen, ist beim zweiten Hinsehen nicht so hoch wie vielleicht befürchtet, denn vieles von dem, was verlangt wird, gehört in der Grundschule seit Langem zum Alltag. Lehrplangerechter Unterricht setzt die Entwicklung schuleigener Arbeitspläne sowie die Zusammenarbeit des Kollegiums zur Weiterentwicklung der Unterrichtskultur voraus. Beides dient der Sicherheit im Umgang mit den verbindliche Anforderungen. Damit diese von allen Kindern erreicht werden können, müssen Lernvoraussetzungen und Lernfortschritte jedes einzelnen Kindes vom ersten Schulalltag an wahrgenommen und berücksichtigt werden. Durch gezielte Beobachtung können in den ersten Schulwochen Auffälligkeiten erkannt, fehlende bzw. wenig ausgeprägte Fähigkeiten und grundlegende Fertigkeiten durch gezielte Förderung entwickelt bzw. verbessert werden. Die Schuleingangsphase ist die bedeutsamste (Schul-)Zeit eines Kindes; nicht erworbene Grundlagen sind später schwer wieder aufzuholen. Darum beschäftigen wir uns im Folgenden mit den verbindlichen Anforderungen unter der Fragestellung: Welche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse müssen im Hinblick auf die formulierten Verbindlichen Anforderungen bereits in den ersten Schulwochen gesichert werden? Formulieren Sie die verbindlichen Anforderungen so, dass die Relevanz der ersten Schulwochen deutlich wird.