Verkehrslärm Schutzvorkehrungen und Regelungsdefizite M. Jäcker-Cüppers Vorsitzender des Arbeitsrings Lärm der DEGA (ALD) Fachveranstaltung Lärmschutz konkret im Elbtal Coswig, 22.11.2013
Gliederung Vorstellung des ALD Akustische Grundlagen Lärmwirkungen und Zielwerte Besonderheiten beim Lärmschutz Lärmschutzpolitik Grundsätze Maßnahmen Lärmaktionsplanung Lärmsanierungsprogramm Fazit Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 2
Vorstellung des ALD ALD: Im Mai 2009 gegründete Fachgruppe der DEGA mit ca. 310 Mitgliedern und einem Informationsund Geschäftszentrum (IGZ) in Berlin DEGA: akustischer Fachverband (1800 Mitglieder) ALD vom BMU gefördertes Projekt Mitfinanzierung der Veranstaltungen im Elbtal Ziele und Aufgaben Information und Beratung der Öffentlichkeit in allen Lärmfragen (Dienstleistung) Strategische Einflussnahme auf alle Akteure mit dem Ziel, den Lärmschutz in Deutschland und Europa zu verbessern (Politik) ALD-Website (www.ald-laerm.de), Newsletter, Veranstaltungen ALD einzige deutsche Organisation, die sich prioritär mit allen Fragen des Lärms befasst Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 3
Akustische Grundlagen: Was ist Lärm? Lärm = beeinträchtigende Geräusche Beeinträchtigungen, z. B.: Belästigung, Störung (Lärm als unerwünschte Geräusche = subjektive Bewertung der Geräusche) Gesundheitliche Schäden (z. B. Hörschäden); können auch Folge positiv wahrgenommener Geräusche sein (z. B. in Diskotheken) Geräusche, Schall: Gegenstand der Akustik Beeinträchtigungen: Gegenstand der Humanwissenschaften (Lärmwirkungsforschung) Gesucht: Zusammenhang zwischen Schall und Beeinträchtigungen ( Dosis-Wirkungs-Beziehung ) Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 4
Akustische Grundlagen: Schalldruck, Schalldruckpegel Luftschall: Übertragungen der Schwingungen der Schallquelle (z. B. Stimmband) durch die Luft mittels Druckschwankungen p, die sich dem atmosphärischen Luftdruck p a überlagern. Je höher p, desto lauter wird der Schall wahrgenommen: p hat hohen Wertebereich: p min : p max wie 1 : 10.000.000 p als Potenz ausgedrückt : p 2 = f (10 0,1 Lp ) mit L p Schalldruckpegel in dezibel (db) (L pmin = 0, L pmax = 140) Besondere Rechenregeln: Beispiel 1: 2 Schallquellen mit je 60 db erzeigen einen Gesamtpegel von 60 + 3 db Beispiel 2: analog 10 Schallquellen: Gesamtpegel = 60 + 10 db Hohe und niedrige Töne werden bei gleichem Schalldruck weniger laut wahrgenommen als Töne bei 1000 Hz A-Bewertung der Pegel : L p in db(a) Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 5
Akustische Grundlagen: Traditionelle Indikatoren 1 Wahl des geeigneten Indikators für die Schalldosis: Zuordnung zur untersuchten Wirkung und zur Geräuschart: Beispiel Störung des Schlafs: Flug- und Schienenverkehr: Störung durch das Geräusch des jeweils einzelnen Flugzeugs oder Schienenfahrzeug Beispiel Störung der Kommunikation: Störung durch den Hintergrundpegel (z. B. das Rauschen einer Autobahn) Zwei wichtige Indikatoren: Maximalpegel L max (db) Dauerschallpegel oder Mittelungspegel L m (db) Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 6
Akustische Grundlagen: Mittelungspegel L Am Maximalpegel L Amax Pegel = Hochzahl A-Bewertung: Nachbildung des Ohrfilters Maximalpegel L Amax Energetisch äquivalenter Dauerschallpegel L Am Pegelverlauf L(t) in Stadtstraße, 1500 Kfz/Stunde (DTV ~ 25.000) Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 7
Akustische Grundlagen: L DEN EU-Richtlinie zum Umgebungslärm (ULR): L DEN : gewichteter Ganztagespegel (Day, Evening, Night: Zuschlag für 4 Abendstunden + 5 db(a), Zuschlag für 8 Nachtstunden: + 10 db(a); Beispiel L m, L DEN in db(a) 80 L DEN = 76,3 Malus E =5 Malus N =10 75 70 L D = 75 L E =73 65 L N = 67 60 06:00 18:00 22:00 06:00 Uhrzeit Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 8
Akustische Grundlagen: Moderatoren Befragungsergebnisse zeigen: Menschen reagieren auf potentiell störende Geräusche sehr unterschiedlich je nach: Quellenart (Straße, Schiene, Flug, Gewerbe, Nachbarn etc.); besondere Störung durch nicht ortsübliche und illegale Quellen Situation (Tageszeit, gestörte Aktivität etc.) individueller Disposition (Lärmempfindlichkeit, Alter, seelischer und gesundheitlicher Zustand etc.) Perspektiven der Lösung des Lärmproblems Lärmwirkung lässt nur zum Teil durch den db(a)-pegel erklären Oben genannte Einflussfaktoren werden Moderatoren genannt Dosis-Wirkungs-Beziehungen haben große Streubreite und sind von den Moderatoren abhängig Psychoakustische Indikatoren teilweise besser geeignet, Wirkungen zu erklären Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 9
Lärmwirkungen Gehörschäden (durch Umgebungslärm nicht zu erwarten) Schlafstörungen Gesundheitsbeeinträchtigungen (Risikoerhöhung für Herz- Kreislauf-Erkrankungen) Belästigungen/Störungen (Kommunikation, Erholung etc.) Leistungsbeeinträchtigungen Entwicklungsverzögerungen (z. B. Sprachentwicklung) Monetäre Bewertung der Schäden (Immobilienwertverluste etc.). INFRAS/UBA 2010 : Durch Straßenverkehrslärm in Deutschland 7,6 Mrd. /Jahr Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 10
Gesundheitliche Folgen des Straßenverkehrslärms 1 Vgl. Art. 2 (2) GG: Recht auf körperliche Unversehrtheit Lärm: psychosozialer Stressfaktor; beeinträchtigt auch die Gesundheit im engeren Sinn (Aktivierung des hormonellen Systems und des autonome Nervensystems). Veränderungen bei Blutdruck, Herzfrequenz etc. Körper schüttet vermehrt Stresshormone aus (Prozesse weitgehend unbewusst, autonome Reaktionen deshalb auch im Schlaf und bei Personen, die meinen, sich an Lärm gewöhnt zu haben). Langzeitfolgen: u. A. Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 11
Gesundheitliche Folgen des Straßenverkehrslärms 2 Relatives Risiko für Herzinfarkte Dosis-Wirkungs-Kurve 75 db(a) Risiko + 29 % Verkehrlärm-Immissionspegel (6-22 Uhr) [db(a)] Kfz/24h: 300 3000 30 000 Quelle: Babisch, UBA 2006 Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 12
Lärmwirkungen Zielwerte Zielwerte : siehe z. B. ALD-Fibel Straßenverkehrslärm : beziehen sich auf den Mittelungspegel außerhalb der Wohnungen, um auch die Außenwohnbereiche und die städtischen Aufenthaltsbereiche zu schützen. Zur Vermeidung gesundheitlicher Risiken sollten 65/55 db(a) tags/nachts nicht überschritten werden (Minimalziel). Zur Vermeidung erheblicher Belästigungen sollten die Belastungen auf 55/45 db(a) tags/nachts gesenkt werden (Mittleres Ziel). Langfristig sollten Werte von 50/40 db(a) tags/nachts angestrebt werden (Optimaler Schutz).. Vgl.: WHO Night Noise Guidelines NNG 40 db(a) (Interim Target 55 db(a)) Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 13
Besonderheiten des Lärmschutzes 1 Dualer Charakter von Geräuschen bzw. Schall: Geräusche essentieller Bestandteil menschlichen Lebens: Kommunikation Orientierung Warnsignal (vgl. All arme Alarm Lärm) Erzeugung von Aufmerksamkeit ( Marktschreier ) Positive Emotionalisierung (Musik, Rhythmen) Ruhe oft negativ konnotiert: Friedhofsruhe, Totenstille Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 14
Besonderheiten des Lärmschutzes 2 Wilhelm Busch: Der Maulwurf; in Dideldum! von 1874 Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 15
Lärmschutzpolitik: Grundsätze Differenz zwischen Zielwerten und Belastungen hoch Bsp. Bahn Coswig: Belastungen bis zu L day /L night 78/80 db(a) (Auerstr. 275) (Gutachten Hoffmann.Seifert.Partner 2012) Minimalziel (Gesundheit): ΔL = - 25 db(a) Mittelfristiges Ziel (erhebliche Belästigungen) : ΔL = - 35 db(a) Im Allgemeinen nur durch eine Maßnahmenkombination zu verringern Maßnahmen erfolgen nicht von selbst Instrumente zur Veranlassung der Maßnahmen erforderlich (Bsp. Vorschriften für die Geräuschemissionen von Kfz, SchFz; Zuständigkeit: EU) Multiple Ursachen der Verkehrserzeugung (global, lokal) [Bsp. Schienengüterverkehr Rheintal: Achse Rotterdam-Genua für globalisierte Warenströme] Einbeziehen aller Akteure (Int. Organisationen, EU, Bund, Länder, Gemeinden, Hersteller, BürgerInnen) Integration in ein Konzept einer nachhaltigen Mobilität Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 16
Lärmschutzpolitik: Maßnahmen Emission Transmission Immission Verkehrsplanung Verkehrspolitik Quelle Anzahl und Emissionen Lärmschutzfenster Technik Kfz, SchFz Technik Fahrbahn, Fahrweise, Geschwindigkeit Abstand Quelle - Immissionsort Lärmschutzwand Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 17
Richtlinie der EU zum Umgebungslärm 1 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bewertung und die Bekämpfung von Umgebungslärm vom 25. Juni 2002 (ULR) Umsetzung in Deutschland mit dem Gesetz zur Umsetzung der EG-Richtlinie über die Bewertung und die Bekämpfung von Umgebungslärm am 25.06.2005: Stufe 1: Bis 30. Juni 2007 strategische Lärmkarten bis zum 18.07.2008 Lärmaktionspläne LAP : für Ballungszentren mit mehr als 250000 Bewohnern: Straßen mit mehr als 6 000 000 Kraftfahrzeugen pro Jahr Schienenwege mit mehr als 60 000 Zügen pro Jahr Coswig: EBA-Kartierung 2010; LAP Sch Coswig Okt. 2012 Flughäfen mit mehr als 50 000 Bewegungen pro Jahr und Stufe 2 in + 5 Jahren mit > 100 000 Bewohnern/ 3 000 000 Kfz/ 60 000 Zügen (Coswig: S84, S84 n, S 82, Kreisstraßen) Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 18
Richtlinie der EU zum Umgebungslärm 2 Auerstr. 275, Vorbau L m,n = 79,9 db(a) PFB: L r,n =54 Lärmkarte Bahnstrecke Dresden-Leipzig L night ; Weinböhla/Coswig Quelle: EBA 2010 Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 19
Richtlinie der EU zum Umgebungslärm 3 Explizite Beteiligung der Öffentlichkeit Coswig: Öffentlichkeitsbeteiligung Juli/August 2012 ULR setzt keine Frist für die Umsetzung der Aktionspläne EU/DE haben keine gemeinsamen Kriterien, Grenz- oder Zielwerte für die Aktionsplanung vorgegeben Coswig Schwellenwerte L DEN, L Night 65/55 db(a); Zielwerte: darunter Bsp: Österreich Schwellenwerte Straßenverkehrslärm 60/50 db(a) Bsp. LAP Norderstedt 2008: Zielwerte 65/45 db(a) (!) Lärmquellen werden isoliert behandelt (vgl. ULR, Art. 3r: Kartierung für Gesamtbewertung) Kein akustisches Kriterium für die Identifikation der Hauptlärmquellen Bsp. Coswig: Trotz hoher Belastungen wurde Bahnstrecke Berlin- Dresden nicht kartiert. Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 20
Richtlinie der EU zum Umgebungslärm 4 Verantwortlich für die Aufstellung der Aktionspläne die zuständigen Behörden (engl. Urfassung competent authorities ) Deutschland: i. d. R. lokale Behörden der Städte und Gemeinden (mit geringen Eingriffsmöglichkeiten beim Lärm an den Verkehrswegen des Bundes (Fernstraßen, Schienenwege)) LAP Coswig 2012: Sämtliche Maßnahmen [an der Quelle] liegen jedoch im Verantwortungsbereich der Deutschen Bahn AG. Kommunale Lärmaktionspläne verpflichten die Deutsche Bahn AG nicht zum Handeln. Maßnahmenvorschlag der Stadt: LSW zu kostenintensiv, Privatgrund; passiver LS in Schritten realisierbar Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 21
Lärmsanierungsprogamm an Schienenwegen http://www.deutschebahn.com/contentblob/2758736/karte/data.swf: Stand 2013 Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 22
Fazit : Integrierte Lärmschutzpolitik Lärm belästigt nicht nur, sondern führt auch zu gesundheitlichen Risiken und hohen gesellschaftlichen Kosten. Trotzdem hat die Lärmbekämpfung eine geringe politische Priorität und umfassende Erfolge sind bislang ausgeblieben. Hauptproblem sind die Bestandsstrecken (innerörtliche Hauptverkehrsstraßen, Schienentrassen für den Güterverkehr). Die Lösung der Lärmprobleme bedarf einer umfassenden Gesamtstrategie (Einbeziehung aller Handlungsebenen und Akteure, Maßnahmen und Instrumente; Zuordnung der Verantwortlichkeit an die wirklich kompetenten Akteure). Die Finanzierung muss verbessert werden: Abstimmung LAP und Lärmsanierung Vorrang hätte die Schaffung eines Rechtsanspruches auf Lärmsanierung, um die gesundheitlichen Risiken durch Verkehrslärm abzubauen. Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 23
Vielen Dank fürs Zuhören! jaecker.cueppers@t-online.de www.ald-laerm.de Lärmschutz konkret im Elbtal, 22.11.2013 24