Fetale Alkohol Spektrum Störung (FASD) und Schlaf

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Bernhard Schlüter Schlaflabor der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln Universität Witten/Herdecke November 2016 Fetale Alkohol Spektrum Störung (FASD) und Schlaf Einleitung Die Bedeutung des Schlafes für das Gehirn wurde von JA Hobson 1990 in drei kurzen Sätzen prägnant zusammengefasst: Sleep is of the brain. - Es ist das Gehirn, das den Schlaf erzeugt. Sleep is by the brain. - Das Gehirn sorgt für die Aufrechterhaltung des Schlafes. Sleep is for the brain. - Das Gehirn ist das Organ, welches am meisten vom Schlaf profitiert. Bezüglich des Schlafes und der Schlafstörungen hat in den letzten 25 Jahren ein Perspektivwechsel stattgefunden. Die Bedeutung des gesunden und des gestörten Schlafes wird heute wesentlich ernster genommen als früher. Früher galt eine Schlafstörung in der Regel als vegetatives Begleitsymptom oder auch als Störung der Befindlichkeit. Heute befasst sich ein neues Fachgebiet der Medizin, die Schlafmedizin, mit den Schlafstörungen. Pädiatrische Schlafmedizin ist neues Fachgebiet Bezogen auf Schlafprobleme bei Kindern formulierten früher 2 prominente Kinderärzte: "Kinder schlafen nie zu wenig. Sie holen versäumten Schlaf stets nach." (Gunnar Stickler und Hermann Olbing). Heute beschäftigt sich ein neues Fachgebiet innerhalb der Kinderheilkunde, die pädiatrische Schlafmedizin, mit den Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Die Schlafhygiene, das heißt der richtige Umgang mit Schlaf, ist in der modernen Gesellschaft für Erwachsene und Kinder besonders wichtig: Inadäquate Schlafhygiene - das heißt, Verhaltensweisen, die mit erholsamem Nachtschlaf unvereinbar sind, müssen vermieden werden: Ausgedehnter Tagschlaf. Unregelmäßige Aufsteh- und Zubettgehzeiten. Häufige Perioden ausgedehnter Zeiten im Bett. Regelmäßiger Konsum von Alkohol, Nikotin oder Coffein vor dem Einschlafen. Verstärkte körperliche Aktivität vor dem Einschlafen. Erregungssteigernde oder emotional belastende Aktivitäten vor dem Schlafengehen. Häufiger Aufenthalt im Bett, mit Schlaf nicht zu vereinbarende Aktivitäten: Fernsehen, Essen, Handy, Smartphone, Laptop, Musik hören, etc. Unbequemes Bett. Inadäquater Schlafraum (Licht, Lärm, Temperatur, Belüftung, etc.). Verstärkte geistige Aktivität kurz vor dem Schlafen. Verstärktes Grübeln im Bett.

Durchschnittliche Schlafzeiten und Schlafstadienanteile in Abhängigkeit vom Lebensalter wurden bereits 1966 von Roffwarg und Mitarbeitern ermittelt. Von der Neugeborenenzeit geht die Gesamtschlafdauer von 16 Stunden auf 8,5 Stunden bei Jugendlichen (14-18 Jahre) zurück. Von da an erfolgt ein weiterer Rückgang bis ins hohe Alter (5,75 Stunden im Alter von 70-85 Jahren). Der Anteil des REM-Schlafes (Rapid eye movement Schlaf; Traumschlaf ) ist bei Neugeborenen mit 50 % der Schlafzeit besonders hoch. Bis zum Alter von 2 Jahren geht der REM- Schlafanteil auf 30 % zurück. Im Alter von 18 Jahren beträgt er 20 %. Ab dem Alter von 5 Monaten nimmt der Tiefschlafanteil prozentual zu. Im Alter von 2-3 Jahren liegt er mit 70 % am höchsten. Warum haben Neugeborene, die noch nichts erlebt haben, den höchsten Traumschlafanteil? Die Klärung dieser Frage führte zu einem völlig neuen Verständnis des Traumschlafes. Seit der Antike bis ins 19. Jahrhundert galten Träume als Botschaften der Götter an den Menschen. Die Träume kamen also von außen. Die moderne Neurophysiologie entdeckte, dass spezielle Neurone im Hirnstamm den Traumschlaf erzeugen. Träume gelten heute als Geschichten, die sich der Träumende selbst erzählt bzw. Geschichten, die sich das Gehirn selbst erzählt. Der Traumschlaf bedeutet für das Gehirn eine elektrische Selbststimulation. Da das menschliche Gehirn beim Neugeborenen noch nicht vollständig ausgereift ist, ist Traumschlaf also wichtig für eine ordnungsgemäße Ausreifung des Gehirns durch elektrische Selbststimulation. Der Schlafzyklus ist abhängig vom Lebensalter Jede Schlafperiode von mehreren Stunden Dauer gliedert sich in eine Abfolge von Leichtschlaf, Tiefschlaf und Traumschlaf. Ein kompletter Schlafzyklus besteht aus Leichtschlaf, Tiefschlaf und Traumschlafanteil. Die Länge eines Schlafzyklus ist abhängig vom Lebensalter. Bei jungen Säuglingen sind die Schlafzyklen kurz (30-40 Minuten), am Ende des 1. Lebensjahres beträgt die Länge eines Schlafzyklus 50-60 Minuten. Beim Erwachsenen beträgt die Länge eines Schlafzyklus 90-120 Minuten. Eine Nacht gliedert sich in 5 bis 7 Schlafzyklen. Die Anteile von Tiefschlaf, Leichtschlaf und Traumschlaf pro Schlafzyklus sind variabel. In der Regel enthält der erste Schlafzyklus den meisten Tiefschlaf. Bei Kleinkindern kann es aus jedem Schlafstadium heraus zum kurzen Aufwachen kommen. In der Regel schläft das Kind nach wenigen Minuten wieder ein, vorausgesetzt es hat die Fähigkeit entwickelt, sich selbst zu beruhigen (Selbstregulation, Verhaltensregulation). Störungen der frühkindlichen Verhaltensregulation mit vermehrtem Schreien, mit Fütterproblemen und Schlafstörungen stellen in der Kinderheilkunde ein relativ neues Konzept dar, das von Mechthild Papoucek entwickelt wurde. Die erfolgreiche Selbstregulation der kindlichen Affekte gelingt nur, wenn auch eine intuitive mütterliche Erziehungskompetenz vorhanden ist. In Bezug auf den Schlaf sind 2 Normvarianten bekannt, die genetisch festgelegt sind. Die Häufigkeit dieser Normvarianten in der Allgemeinbevölkerung entspricht einer Normalverteilung. Hinsichtlich der Dauer des Schlafes sind etwa 2/3 aller Menschen Normalschläfer (7-8 Stunden Schlaf). 1/6 sind sogenannte gesunde Kurzschläfer (weniger als 6 Stunden, minimal 4-4,5 Stunden Schlaf). 1/6 sind gesunde Langschläfer (mehr als 8 Stunden, bis 10-12 Stunden Schlaf). Daneben finden sich die Normvarianten der Phasenlage des Schlafes im 24-Stunden-Tag. Etwa 2/3 der Menschen entsprechen dem Normaltyp, 1/6 sind sogenannte Morgenmenschen (Lerchen), 1/6 sind Abendmenschen (Eulen). Seite 2

Diagnostik bei nicht erholsamem Schlaf Bei nicht erholsamem Schlaf ist es nicht sinnvoll, sofort eine Untersuchung im Schlaflabor vorzusehen. Das Schlaflabor ist die höchste Stufe in einer Stufendiagnostik. Zunächst ist anamnestisch zu eruieren, ob eine erhebliche Leistungsminderung bei Ein- und Durchschlafstörungen und/oder Tagesschläfrigkeit vorliegt. Ist dies der Fall, sollte nach dem adäquaten Umgang mit dem Schlaf gefragt werden. Danach sollte gefragt werden, ob der Schlaf an den zirkadianen Rhythmus angepasst ist und weiterhin sollte gefragt werden, ob schlafstörende Substanzen eingenommen werden. Werden diese Fragen mit ja beantwortet, so stehen die Information, die Prävention sowie das Verhaltenstraining im Vordergrund. Bei Einnahme von schlafstörenden Substanzen sollte eine Umsetzung, Abstinenz bzw. Entwöhnung erfolgen. Im nächsten Schritt sollte nach Symptomen einer psychischen und/oder organischen Erkrankung gefragt werden - gesucht werden. Falls diese vorhanden sind, sollte zunächst die Grundkrankheit diagnostiziert und behandelt werden. Erst danach kommt eine Abklärung im stationären Schlaflabor (kardiorespiratorische Polysomnographie) in Frage. Dieses Vorgehen wird im klinischen Algorithmus "nicht erholsamer Schlaf" in einer S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin (DGSM) empfohlen. Das diagnostische Vorgehen bei Schlafstörungen kann folgendermaßen in einer Stufendiagnostik zusammengefasst werden: 1. Problemorientierte Anamnese. 2. Biographische Anamnese. 3. Körperliche Untersuchung. 4. Laboruntersuchungen. 5. Schlaf-Wach-Protokolle. 6. Eventuell ambulante Aufzeichnung der Bewegungsaktivität über mehrere Tage (Aktigraphie). 7. Bei Schulkindern und Jugendlichen eventuell ambulante Polygraphie. 8. Schlaflabor: Kardiorespiratorische Polysomnographie. Klassifikation der Schlafstörungen Die Schlafstörungen werden in der Internationalen Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD) in acht Hauptgruppen eingeteilt: 1. Hypersomnie ( zu viel Schlaf ) 2. Insomnie ( zu wenig Schlaf ) 3. Schlafbezogene Atmungsstörungen ( zu viele Atempausen im Schlaf ) 4. Schlafbezogene Bewegungsstörungen ( zu viele Bewegungen im Schlaf ) 5. Parasomnien ( Begleiterscheinungen des Schlafs, unvollständiges Erwachen ) 6. Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen ( Verschiebungen des Schlafrhythmus im Vergleich zum 24 Stunden Tag/Nacht Rhythmus ) 7. Normvarianten (Kurz-, Langschläfer; Morgen-, Abendmenschen) 8. Sonstiges ( Rest-Kategorie; ungeklärte Phänomene ) Seite 3

Therapeutischen Optionen bei Schlafstörungen Die Stärke des subjektiven Leidens des Patienten bzw. seiner Familie gibt den Ausschlag für den Beginn einer Therapie. Nicht medikamentöse Therapie: - Beratung über Schlafhygiene - Verhaltenstherapeutische Interventionen (Freiburger-Sanduhrmethode, antizipatorisches Wecken) - Übungen zur Selbstentspannung (z.b. Muskelentspannung nach Jakobssohn) Medikamentöse Therapie: - Naturheilkunde (Baldrian, Melisse, Hopfen, Passionsblume, Johanniskraut etc.) - Homöopathie - Melatonin (bei Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen) - Clonazepam (bei NREM-Parasomnien) - Orale Eisentherapie (bei RLS) - Sogenannte Schlafmittel werden nur zeitlich begrenzt (1-2 Wochen) als Krisenintervention gegeben. Apparative Therapie: - Nasale CPAP-Therapie (bei OSAS) - Nasale BI-PAP-Therapie (bei OSAS) - Nicht invasive Ventilation (bei Hypoventilation) - Lichttherapie (bei Hypersomnie) - Apparative Verhaltenstherapie ( Klingelhose bei Enuresis nocturna) - Kieferorthopädie Schlaf und Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit FASD Elternangaben zu Schlafstörungen bei Kindern im Alter von 4-10 Jahren wurden in der Kölner Studie erhoben (Allgemeinpopulation, 496 Jungen und 534 Mädchen, Kraenz et al). Manchmal auftretende Schlafprobleme wurden bei 6,5 % der Jungen und 6,8 % der Mädchen genannt. Oft auftretende Schlafprobleme bei 2,8 % der Jungen und 1,7 % der Mädchen. 11,2 % der Jungen und 10,5 % der Mädchen hatten manchmal eine Insomnie, 2,8 % der Jungen und 2,1 % der Mädchen hatten oft eine Insomnie. Eine Hypersomnie wurde manchmal bei 4 % der Jungen und 3,9 % der Mädchen und oft bei 0,6 % der Jungen und 0,6 % der Mädchen beobachtet. Bei 13,3 % der Jungen und 10,5 % der Mädchen wurden manchmal auftretende Alpträume angegeben, oft auftretende Alpträume bei 0,8 % der Jungen und 1,1 % der Mädchen. Schlafwandeln wurde bei 6,3 % der Jungen und 6,7 % der Mädchen manchmal und bei 1,0 % der Jungen und 0,6 % der Mädchen oft beobachtet. Fragenbogenuntersuchungen geben eine Orientierung über die Häufigkeit von Schlafstörungen in der Allgemeinbevölkerung, sind aber mit Fehlerquellen belastet. Am deutlichsten wird dies bei den hohen Prozentangaben von Alpträumen (manchmal) bei Jungen und Mädchen. Wenn Kinder im Schlaf schreien und weinen, deuten Eltern dies in der Regel als Ausdruck von Alpträumen. Tatsächlich handelt es sich eher um Non-REM-Parasomnien. Seite 4

Häufigere Schlafstörungen bei Kindern mit FASD und mögliche Ursachen Alkohol ist ein Zellgift, welches in der Schwangerschaft eine Missbildung bzw. eine Schädigung erzeugt (teratogene Noxe). Alkohol ist auch eine psychoaktive Substanz, die in Vorgänge des Gehirns eingreift (Sigrid Reinhard). Auf dieser Grundlage kann erwartet werden, dass Kinder und Jugendliche mit FASD sich auch hinsichtlich des Schlafes von gleichaltrigen gesunden Kindern unterscheiden. Nach Spohr beträgt die allgemeine Häufigkeit von Schlafstörungen in der frühen Kindheit 15-30 %, im Vergleich dazu leiden viele Kinder, bei denen eine FASD diagnostiziert wurde, oft an langwierigen Schlafstörungen. Je ausgeprägter die Schlafstörung im Säuglingsalter ist, desto häufiger kommt es zu einer Chronifizierung. In einer Fragebogenstudie von Stade (2008) an 100 Eltern von Kindern im Alter von 5-8 Jahren, wurde eine durchschnittliche Einschlafzeit von 59 Minuten (normal bis 30 Minuten) ermittelt. Durchschlafstörungen wurden von 100 Eltern angegeben, 3 Kinder hatten Pavor nocturnus bzw. Schlafwandeln. 55 hatten mehr als 2-maliges Aufwachen pro Nacht, 10 hatte starke Tagesmüdigkeit. In einer Fragebogenstudie von Chen an 33 Kindern mit FASD (4-12 Jahre) wurden deutliche Schlafprobleme bei 85 % der Kinder gefunden. Ipsiroglu et al beschrieben Restless legs-syndrom als mögliche Ursache schwerer Schlafstörungen bei Kindern mit FASD. Es handelte sich um eine Fragebogenstudie an 27 Kindern mit FASD im Alter von 2-15 Jahren. Schlaflosigkeit fand sich bei 27 von 27, Parasomnien bei 23 von 27, schlafbezogene Atmungsstörungen bei 8 von 27 und schlafbezogene Bewegungsstörungen einschließlich Restless legs-syndrom bei 22 von 27 Kindern. Neben schweren Ein- und Durchschlafstörungen bei Kindern mit FASD beschrieb Ipsiroglu et al. auch Hypersomnie in dieser Gruppe. Kinder mit FASD können aufgrund einer abnormalen Melatonin-Sekretion eine erheblich verlängerte Einschlafphase haben. Gonnl et al. beschrieben Schlafstörungen und Anomalien der Melatonin-Sekretion bei Kindern und Jugendlichen mit FASD (2015). Es handelte sich um 36 Patienten im Alter von 6-18 Jahren. Es wurde eine PSG (Polysomnographie) und ein DLMO-Test (Dim Light Melatonin onset-test) durchgeführt. Die Häufigkeit von Schlafstörungen in dieser Gruppe betrug 56 %, 27,9 % Parasomnie und 16,8 % Insomnie. Auffällige Melatonin-Profile fanden sich in 79 % der Patienten. Fallserie des Kinderschlaflabors der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln Die eigene Fallserie des Kinderschlaflabors der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln (2008 bis 2016) umfasste 15 Patienten mit FASD, 11 Jungen und 4 Mädchen. Das Lebensalter zum Zeitpunkt der 1. Polysomnographie betrug 5,5 Monate bis 15,3 Jahre. Bei 7 Patienten wurde eine Schlafstörung festgestellt, bei 7 Patienten 2 Schlafstörungen und bei einem Patienten 4 Schlafstörungen. Entsprechend der internationalen Klassifikationen der Schlafstörungen handelt es sich einmal um eine Hypersomnie, 2 x um schlafbezogene Atmungsstörungen, 2 x um schlafbezogene Bewegungsstörungen, 12 x um Parasomnien, 6 x um Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen und 2 x um pathologische Schlaf-EEGs. Folgende Kombinationen von Schlafstörungen wurden beobachtet: Die Kombination von Parasomnien und Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen bei 5 Patienten, die Kombination von Parasomnien und Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen sowie Jaktationen bei einem Patienten, die Kombination Parasomnie und pathologisches EEG bei 2 Patienten und die Kombination Parasomnie und Jaktationen bei einem Patienten. Seite 5

7 der 15 Patienten erhielten bereits eine Stimulazientherapie wegen Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätssyndrom. Zusammenfassung Im Vergleich zu Gleichaltrigen der Allgemeinbevölkerung stellen Kinder und Jugendliche mit FASD eine Risikogruppe mit erhöhter Prävalenz von Schlafstörungen dar. Sowohl in der Literatur als auch aus der eigenen Fallserie geht hervor, dass folgende Schlafstörungen besonders häufig bei FASD-Patienten gefunden werden: Parasomnien aus dem Tiefschlaf, Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen. Schlafbezogene Atmungsstörungen wurden in der eigenen Fallserie nur bei zwei Säuglingen mit FASD gefunden. Ob Restless legs und Hypersomnie sowie pathologisches Schlaf-EEG bei FASD- Patienten häufiger vorkommen als in der Allgemeinbevölkerung kann noch nicht sicher beurteilt werden. Zur Behandlung von Non-REM-Parasomnien stehen bewährte Behandlungsformen zur Verfügung: - Nicht medikamentös: Technik des antizipatorischen Weckens. - Medikamentös: Niedrig dosiertes Clonazepam, einmalige Gabe abends. Zur Behandlung von Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen stehen zur Verfügung: - Abendliche Gabe von Melatonin zur Verbesserung des Einschlafens und zur Stabilisierung des Schlaf-Wach-Rhythmus. - Eventuell zusätzlich am Morgen: Lichttherapie zur Verbesserung des Wachwerdens und zur Stabilisierung des Schlaf-Wach-Rhythmus. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Bernhard Schlüter Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln Dr.-Friedrich-Steiner Str. 5 D-45711 Datteln e-mail: Bernhard.Schlueter@kinderklinik-datteln.de Seite 6

Literaturverzeichnis Hobson JA: Schlaf. Gehirnaktivität im Ruhezustand. Verlag Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg, 1990 Stickler G, Olbing H: Kinderarzt und Elternsorgen. der kinderarzt 1996; 27:806-811 Fischer J et al. (Hrsg.): Nicht-erholsamer Schlaf. Leitlinie S2 der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin: Inadäquate Schlafhygiene. Blackwell Wissenschaftsverlag, Berlin, Wien, 2002, S.23 Roffwarg H et al.: Ontogenetic development of the human sleep-dream cycle. Science 1966; 152:604-619 Papousek M et al.: Ein- und Durchschlafstörungen in den ersten beiden Lebensjahren. Monatsschr Kinderheilkd 2009 Fischer J et al. (Hrsg.): Nicht-erholsamer Schlaf. Leitlinie S2 der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin: Algorithmus Nicht-erholsamer Schlaf. Blackwell Wissenschaftsverlag, Berlin, Wien, 2002, S.21-38 Piaget J: Das Weltbild des Kindes. Klett-Kotta Verlag München 1992 Bowlby J: Bindung Eine Analyse der Mutter-Kind-Beziehung. Kindler Verlag 1982 Kraenz S, Fricke I, Wiater A, Mitschke A, Breuer U, Lehmkuhl G: Schlafprobleme bei Schulanfängern Erste Ergebnisse der Studie Gesunder Schlaf für Kölner Kinder. Kinder- u. Jugendarzt 2003; 34:562-569 Reinhard S: Das Fetale Alkohol Syndrom. FAS Tag Berlin 2002, S. 1-16 Spohr HL: Das fetale Alkoholsyndrom im Kindes- und Erwachsenenalter. De Gruyter, 2. Auflage, 2016 Stade B et al.: Sleep disturbances in children with fetal alcohol spectrum disorder (FASD). Pediatrics & Child Health 2008; 13 Chen ML et al.: Sleep problems in children with fetal alcohol spectrum disorders. JCSM 2012; 8:421-429 Ipsiroglu OS et al.: They silently live in terror. Social sciences and medicine 2013; 79:76-83 Gonl S et al.: Sleep and melatonin secretion abnormalities in children and adolescents with fetal alcohol spectrum disorders. Sleepmedicine 2016; 23:59-64 Seite 7