Eine vergleichende Analyse zweier Kinderbücher zum Thema Sterben und Tod

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Transkript:

Germanistik Kathrin Lückmann Eine vergleichende Analyse zweier Kinderbücher zum Thema Sterben und Tod Kilian "Die Mondmutter" und Pohl/Gieth "Du fehlst mir, du fehlst mir!" Examensarbeit

S. Kilian: Die Mondmutter P. Pohl/ Kinna Gieth: Du fehlst mir, du fehlst mir! Eine vergleichende Analyse zweier Kinderbücher zum Thema Sterben und Tod Schriftliche Hausarbeit, vorgelegt im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für Lehramt für die Primarstufe von Kathrin Lückmann Münster, 22.03.2005 Fach: Deutsch Institut für deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik Westfälische Wilhelms- Universität Münster 1

Inhaltsverzeichnis: Einleitung.. 6 I. Psychologische Aspekte zum Thema Sterben, Tod und Trauer in der Erfahrungswelt von Kindern und Jugendlichen 1. Unsicherheiten im Umgang mit Sterben und Tod 1.1. Gesellschaftlicher Umgang mit Sterben und Tod.....10 1.1.1. Historische Betrachtungsweise der Todesproblematik 10 1.1.2. Die These der gesellschaftlichen Verdrängung...13 1.1.2.1. Modernisierungsprozesse....14 1.2. Tod und Psyche...15 1.2.1. Die Angst vor dem Tod 15 1.2.2. Sterben und Tod aus der Sicht Sterbender 16 1.2.2.1. Die Aussagekraft der Symbole Sterbender..16 1.2.2.2. Sterbephasen nach Kübler- Ross.17 1.2.2.3. Der Übergang vom Leben zum Tod 19 2. Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen mit Sterben und Tod 2.1. Begriffsbestimmung Sterben und Tod 20 2.1.1. Begriffsbestimmung Sterben..20 2.1.2. Begriffsbestimmung Tod 21 2.2. Sozialisationseinflüsse auf die Todesvorstellungen von Kindern und Jugendlichen 22 2.3. Entwicklungspsychologisch bedingte Todesvorstellungen von Kindern und Jugendlichen 24 2.3.1. Entwicklung des Todesbewusstseins...24 2.3.2. Allmachtsphantasien und der Glaube an die Unsterblichkeit bei Kindern.25 2.4. Todesbegegnungen.25 2

3. Reaktionen von Kindern und Jugendlichen beim Verlust eines nahe stehenden Menschen 3.1. Begriffsbestimmung Trauer....27 3.2. Funktion der Trauer 27 3.3. Faktoren, die die Trauer beeinflussen können 27 3.4. Weg der Trauer...28 3.4.1. Trauer als Krise und Chance des menschlichen Lebens.. 29 3.4.2. Die vier Trauerphasen nach Kast. 29 3.5. Elemente der Trauer......31 3.6. Tod und Trauer innerhalb der Familie.... 33 3.6.1. Wenn ein Kind stirbt Trauer aus der Sicht der Eltern.....33 3.6.1.1. Die Eltern Kind Bindung...33 3.6.1.2. Der Verlust des Kindes. 35 3.6.2. Wenn Eltern sterben Trauer aus der Sicht eines Kindes..36 3.6.3. Tod eines Geschwisters Trauer aus der Sicht eines Geschwisters...37 3.6.3.1. Geschwister-Bindung 38 3.6.3.2. Der Verlust des Geschwisters..39 3.7. Einfluss der verschiedenen Todesumstände...41 3.7.1. Der plötzliche Tod...41 3.7.2. Der Tod nach einer Krankheit.42 II. Krankheit, Sterben und Tod als literarisches Thema, bezogen auf Kinderund Jugendliteratur 1.1. Definition von Kinder- und Jugendliteratur 42 1.1.1. Definition realistischer Kinder- und Jugendliteratur..43 1.1.2. Definition problemorientierter, realistischer Kinder- und Jugendliteratur 43 1.2. Geschichte des Todes im Kinder- und Jugendbuch 43 1.3. Merkmale literarischer Gattung 44 1.4. Funktionen realistischer Kinder- und Jugendliteratur zum Thema Sterben und Tod.44 3

1.4.1. Förderung kritischer Betrachtungsweisen......45 1.4.2. Formulierungshilfe..45 1.4.3. Orientierungshilfe 46 1.4.3. Therapiemöglichkeit 46 1.4.4.1. Autobiographische Texte... 46 III. Buchanalysen 1. Die Mondmutter von Susanne Kilian 1.1. Die Autorin..49 1.2. Inhalt 49 1.3. Inhaltliche Analyse..50 1.3.1. Kommunikationsstrukturen... 50 1.3.2. Trauerarbeit... 56 1.3.3. Psychische Verarbeitung... 63 1.3.4. Todesvorstellung...63 1.3.5. Der Mond...64 1.4. Stilanalyse 1.4.1. Äußere Aufmachung..67 1.4.2. Struktur und Aufbau...68 1.4.3. Erzählsituation...74 1.4.4. Figurenkonstellation..75 1.4.5. Sprache/Satzbau 76 1.4.6. Stilmittel 77 1.5. Bewertung...83 2. Du fehlst mir, du fehlst mir! von Peter Pohl und Kinna Gieth 2.1. Die Autoren....84 2.2. Entstehung des Buches... 84 2.3. Inhalt...85 2.4. Inhaltliche Analyse 2.4.1. Kommunikationsstruktur 85 2.4.2. Trauerarbeit 95 2.4.3. Psychische Verarbeitung..113 2.4.4. Todesvorstellung...113 4

2.5. Stilistische Analyse 2.5.1. Äußere Aufmachung.114 2.5.2. Struktur und Aufbau. 115 2.5.2. Erzählsituation..124 2.5.3. Figurenkonstellation.125 2.5.4. Sprache/ Satzbau...126 2.5.6. Stilmittel...127 2.6. Bewertung...132 3. Vergleich der beiden Bücher mit Verweis auf andere problemorientierte Kinder- und Jugendbücher. 3.1. Die Autoren.133 3.2. Inhalt 133 3.3.1. Kommunikationsstrukturen...134 3.3.2. Trauerarbeit...135 3.3.3. Psychische Verarbeitung...136 3.3.4. Todesdefinition 137 3.4. Stilistischer Vergleich..137 3.4.1. Äußere Aufmachung.137 3.4.2. Stilmittel/Symbole.138 3.4.3. Struktur und Aufbau..139 3.5. Realitätsgehalt.140 Literaturverzeichnis.141 5

Einleitung: Frau Welt Ich bin zur Welt gekommen und nun bin ich soweit zu fragen, wie ich dazu gekommen bin, zu ihr zu kommen. Sie antwortet: Du kommst nicht, du bist schon im Gehen. 1 Das Gedicht Frau Welt von Erich Fried beschreibt den Entwicklungsverlauf vom Leben, Sterben und Tod. In dem Gedicht gehören das Sterben und der Tod zum Leben dazu. Diese Haltung dem Sterben und Tod gegenüber ist eine in der heutigen Gesellschaft leider sehr selten vorkommende Lebenseinstellung. Da sich der Tod durch zahlreiche Widersprüche und Ambivalenzen auszeichnet, scheint der Umgang mit dem Thema Tod äußerst schwierig. Einerseits wird einem der Tod sehr bewusst gemacht, andererseits versucht man das Sterben und den Tod aus dem Leben auszugrenzen. Heutzutage werden präparierte Leichen in künstlerischen Posen zur Schau gestellt 2, andererseits aber die dem Tod nahe stehenden Menschen in Krankenhäuser oder Altenheime abgeschoben. Von einem menschenwürdigen Umgang mit Sterben und Tod ist dabei nicht mehr zu sprechen. In der Öffentlichkeit befassen sich überwiegend Ärzte, Psychologen, Dichter und Künstler mit dem Thema Sterben und Tod. Gemessen an der Menge der Betroffenen ist das jedoch ein erhebliches Defizit unserer Gesellschaft, denn betroffen ist jeder von uns. Meine persönliche Konfrontation mit dem Tod und die damit verbundenen Erfahrungen sind für mich der Grund, die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod als dringende Notwendigkeit zu betrachten. Doch woran liegt es, dass in der modernen 1 Fried (1995), S. 32 2 Vgl. Schäfer (2002), S. 7 6

Gesellschaft das Sterben und der Tod vom Leben so massiv ausgeschlossen werden, wo doch im 18./19. Jahrhundert in asiatischen Gegenden Särge und Leichenhemden zum 55. Geburtstag verschenkt wurden? 3 Tagore drückt seine Einstellung gegenüber Sterben und Tod mit den folgenden Worten aus: Der Tod gehört zum Leben wie die Geburt. Das Gehen vollzieht sich im Heben wie im Aufsetzen des Fußes. 4 Im Zuge der Modernisierungsprozesse der heutigen Zeit entwickelt sich das Leben mehr und mehr dahingehend, dass wir uns von der Illusion der Unsterblichkeit kaum zu lösen wagen. Doch gerade in dieser Zeit, in der Maschinen lebensnotwendige Organe ersetzen und dem Intelligenzquotienten mehr Aufmerksamkeit gegeben wird, als dem menschlichen Einfühlungsvermögen 5 sehe ich die dringende Notwendigkeit, das Sterben und den Tod als zum Leben gehörenden Prozess zu begreifen, was bedeutet, dass eine konkrete Auseinandersetzung mit diesem Thema stattgefunden haben muss. Um ein nahezu vollständig geklärtes Verhältnis zum Tod zu erreichen, sollte der Umgang mit diesem Thema in der Kindheit erfolgen. Ab welchem Alter die Auseinandersetzung mit dem Sterben und Tod erfolgen sollte, ist für viele Eltern ein Problem, das oft mit der Tabuisierung dieses Themas versucht wird zu lösen. Sie scheuen den Umgang mit kindgerechter Literatur zum Thema Sterben und Tod mit Begründungen wie die Kinder seien Symbol des aufblühenden des Lebens, was nicht zerstört werden dürfe oder für ein so trauriges, belastendes Thema seien die Kinder zu jung und unschuldig. Kindheit und Tod sind für die meisten Eltern zwei Faktoren, die strikt voneinander zu trennen sind. Da der Tod aber jeden Menschen betrifft und trifft,- auch die Personen im direkten Umfeld unserer Kinder-, ist es unumgänglich den Tod für die Kinder begreifbar zu machen. Gerade in den ersten zwölf Lebensjahren ist es wichtig, den Tod nicht als etwas Beängstigendes oder Ungreifbares zu verstehen, da die Kinder in diesen Jahren besonders geprägt werden. Die Aufnahmefähigkeit bei Kindern ist in diesen Jahren besonders groß. Um die weit verbreitete Unsicherheit vieler Eltern hinsichtlich Gespräche mit ihren Kindern über Sterben und Tod zu beseitigen, werden in zahlreichen Kinder- und 3 Vgl. Stolle (2002), S. 7 4 Kübler- Ross (1999), S. 337 5 Vgl. Ebd., S. 23/24 7

Jugendbüchern aber auch in psychologisch- medizinischen Ratgebern Hilfestellungen zum konkreten Umgang mit Sterben und Tod gegeben. Einige meiner Ansicht nach sehr wertvolle Kinder- und Jugendbücher werde ich im weiteren Verlauf dieser Arbeit zitieren. Aus den genannten Überlegungen heraus beziehe ich mich dann auf zwei Kinderund Jugendbücher, die das Thema Sterben, Tod und Trauer auf besondere Art und Weise aufgreifen. Ich werde das Jugendbuch Du fehlst mir, du fehlst mir! von Peter Pohl und Kinna Gieth und das Kinder- und Jugendbuch Die Mondmutter von Susanne Kilian daraufhin analysieren, ob sie den sozialpsychologischen Aspekten und den entwicklungspsychologischen Voraussetzungen gerecht werden und ob die Darstellung des Problems des plötzlichen Todes innerhalb der Familie realistisch dargestellt wird. Der Trauerarbeit gebe ich besonders große Bedeutung, da diese in beiden von mir ausgewählten Büchern besonders thematisiert wird. Außerdem ist die Trauerarbeit nach dem Verlust eines geliebten Menschen die einzige Möglichkeit zur Rückkehr ins gesellschaftliche Leben für die Betroffenen. In den ersten beiden Kapiteln der vorliegenden Arbeit gebe ich grundlegende Informationen, um die Beurteilung der Bücher in Kapitel III möglich zu machen. Kapitel I beschäftigt sich mit den Phänomenen Sterben und Tod aus gesellschaftlicher und entwicklungspsychologischer Sicht. Es wird sowohl der gesellschaftliche Umgang mit Sterben und Tod, als auch das Verhältnis von Kindern und Jugendlichen dem Tod gegenüber erörtert. Danach erläutere ich den Trauerprozess, um dann auf den Todesfall innerhalb der Familie und auf mögliche Hilfestellungen bei der Trauerarbeit einzugehen. In Kapitel II befasse ich mich mit literaturtheoretischem Grundwissen. Die gehäufte Entstehung von problemorientierten Kinder- und Jugendbüchern wird erläutert und des Weiteren werden spezifische Merkmale der literarischen Gattung hervorgehoben. Die Funktion von problemorientierten Kinder- und Jugendbüchern werden abschließend erläutert, wobei ich speziell auf die Funktion problemorientierter 8

autobiographischer Texte eingehe, die ich durch meine eigene Autobiographie stützen kann. Mit den in Kapitel I und II aufgestellten Ergebnissen, ist es dann möglich, begründete Beurteilungskriterien zur Analyse der beiden Bücher zu entwickeln. Die wesentlichen Aufgaben, die problemorientierte Kinder- und Jugendbücher erfüllen sollten, können dann in Kapitel III erarbeitet werden. In Kapitel III sind die Buchanalysen zentraler Inhalt, wobei ich mich auf die gewonnenen Ergebnisse aus Kapitel I und II beziehe. Abschließend stelle ich einen Vergleich der beiden Bücher her, um sowohl die positiven, als auch die negativen Seiten der Bücher zu beleuchten. 9

I. Psychologische Aspekte zum Thema Sterben, Tod und Trauer in der Erfahrungswelt von Kindern und Jugendlichen 1. Unsicherheiten im Umgang mit Sterben und Tod Die Unsicherheiten im Ungang mit Sterben und Tod sind für diese Arbeit von großer Bedeutung, da sich die Unsicherheit gegenüber diesem Thema in der Gesellschaft manifestiert hat und ein normaler Umgang mit Sterben und Tod kaum noch möglich ist. Die Unsicherheit ist zum einen zurückzuführen auf die gesellschaftliche Entwicklung und den damit verbundenen Einflüssen auf den Betroffenen. Zum anderen entwickelt sich die Unsicherheit aus der eigenen Psyche heraus, da wir Menschen die Endlichkeit unseres Lebens nicht bewusst wahrnehmen wollen und daher die Illusion der Unsterblichkeit unseres Daseins entwerfen. Stets zu berücksichtigen ist hierbei, dass der Aspekt des entwicklungs- psychologischen Umgangs mit dem Tod in hohem Maße auf den gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod zurückzuführen ist. 1.1. Gesellschaftlicher Umgang mit Sterben und Tod Aber warum lassen die Menschen sich so von ihrer Umwelt und nicht überwiegend von ihrem eigenen Inneren lenken? Wie ist es möglich, dass sich eine so wichtige Einstellung dem Leben gegenüber aus dem Einfluss äußerer Faktoren ergibt? Im Folgenden versuche ich Antworten zu geben auf die Fragen der Entstehung der doch sehr fest verankerten Todesproblematik. 1.1.1. Historische Betrachtungsweise der Todesproblematik Die historische gesellschaftliche Betrachtung des Umgangs mit dem Tod soll verdeutlichen, wie sich die Einstellung dem Sterben und Tod gegenüber im Wandel der Zeit verschoben hat, um der daraus resultierenden heutigen Todeseinstellung mehr Verständnis entgegenbringen zu können. Trotz der veränderten Todeseinstellungen lässt sich feststellen, dass die Sichtweise dem Tod gegenüber immer ein Problem darstellte. Tod in der Antike Eine allgemeine Art und Weise dem Tod entgegenzutreten gab es zu keiner Zeit. In der Antike unterschieden sich generell immer zwei Denkweisen über den Tod: Die 10

homerische und die nachhomerische Sichtweise. In der homerischen Zeit glaubten die Menschen an ein Leben nach dem Tod, das in keiner Verbindung zum Diesseits steht. Der Tod wirkte beängstigend auf die Menschen, da sie ihre Vorstellungen von der Unterwelt nicht verdrängen konnten. 6 In der nachhomerischen Zeit änderte sich die Sichtweise vom Tod und dem Leben danach entscheidend. Um dies zu verdeutlichen werde ich einige Philosophen und ihre Todeseinstellungen zitieren. Heraklit legte sein Hauptanliegen darauf, dass das Leben und der Tod zusammengehören und das Sterben ein notwendiges Ereignis darstellt. Er versuchte auf diese Weise die Angst vor dem Tod zu verdrängen. Sokrates war es wichtig, dem Tod mit Stärke entgegenzutreten und seinen stolz als Mensch zu bewahren. Er vertrat die Meinung, dass der Tod dem Menschen etwas Positives gibt. Platon sieht in dem Sinn des Lebens die Vorbereitung auf den Tod und das Leben danach. Er glaubt an die Unsterblichkeit der Seele und definiert das Sterben als einen Verlauf, der sich lediglich auf den physischen Teil des Menschen bezieht. Das Leben nach dem Tod wird beschrieben als ein Leben der Seele, befreit vom Körper. 7 Mit Hinblick auf die römische Antike nenne ich Cicero, der - ebenso wie die meisten Philosophen-, versuchte mit seiner Sichtweise dem Tod etwas Positives abzugewinnen. Cicero bezieht sich hierbei größtenteils auf die Lehre der Unsterblichkeit nach Platon und sieht sich nach dem Tod befreit vom Körper. Cicero begründet seinen Glauben an die Unsterblichkeit mit der Angst der Menschheit zu sterben oder im unbekannten Jenseits weiterzuleben. 8 Tod im Mittelalter und in der Renaissance Die Todesproblematik im Mittelalter wird eng verknüpft mit dem Glauben an Himmel und Hölle. Wer ein sündenvolles Leben führt und stirbt, ohne vorher Buße getan zu haben, wird mit einem qualvollen Leben in der Hölle bestraft. Den so genannten guten Menschen steht die Erlösung im Himmel bevor. Die Todesvorstellung ist geprägt von einer starken Angst vor dem Sterben und vor dem Leben im Jenseits. Im frühen Mittelalter entwickeln sich die Menschen dahingehend, dass ein festes Todesritual nach Aries, einem französischen Historiker, bestimmt 6 Vgl. Iskenius- Emmler (1988), S. 15 7 Vgl. Ebd., S. 17/18 8 Vgl. Ebd., S. 22 11

wird, wie der Weg des Sterbens zu gehen ist. Der Tod wird als zum Leben gehörender Verlauf gesehen, der von dem Sterbenden und seinen Mitmenschen gut vorbereitet sein soll. 9 Im 15. Jahrhundert ist die ars moriendi die Kunst des Sterbens- eine guter Vorsatz den Weg des Sterbens zu gehen. Die große Bedeutung dieser Schrift liegt darin, sie nicht in dem letzten Lebensabschnitt zu lesen. Die Auseinandersetzung mit der Kunst des Sterbens ist schon in den frühen Lebensjahren von Vorteil. In der ars moriendi 10 wird eine gute Vorbereitung auf den Weg des Sterbens gesehen. 11 Im 18. Jahrhundert wird der Tod dann als endgültiger Abschnitt gesehen. Der Mensch wird durch den Tod aus seiner Lebenswelt gerissen und beschreitet nun ein völlig neues Universum. Gründe für diese Glaubensveränderung können in der Darstellung des Todes liegen. Der Tod wird zunehmend bewusster dargestellt und vom Leben ganz stark abgegrenzt. So werden die Lebenden in Totentänzen vom Tod, dargestellt durch Skelette, umtanzt. Im späten Mittelalter gewinnt der Tod immer mehr an Bedeutung und die Angst vor dem plötzlichen Tod nimmt rapide zu. In dieser Zeit werden dem Menschen die Macht des Todes und ihre Ohnmacht dem Tod gegenüber bewusst und er bezeichnet sich als Lebender auf Abruf. 12 Die Zeit der Renaissance ist geprägt von einem neuen Lebensgefühl, das die Schönheit der Welt mehr und mehr zu schätzen lernt. Dadurch verändert sich die Einstellung dem Tod gegenüber dahingehend, dass die Menschen eine wesentlich größere Distanz zum Tode entwickeln. Sie verspüren den Wunsch den Todeszeitpunkt hinauszögern zu können (In der heutigen Zeit sind die Menschen aufgrund der fortgeschrittenen Medizin in dem Glauben, dass dies sogar möglich sei.). Das intensive Lebensgefühl ließ die Sehnsucht nach einem Leben nach dem Tode zurücktreten 13 Indem der Mensch nicht mehr an ein Leben nach den Tod glaubt, schwindet die Angst vor der Hölle. 14 9 Vgl. Ebd., S. 25 10 Die ars moriendi beinhaltet Texte von Cicero bis Luther, die sich mit dem Tod innerhalb des Lebens befassen 11 Vgl. Ebd., S.31 12 Vgl. Ebd., S. 32 13 Ebd. S.34 14 Vgl. Ebd. S.34 12