Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Katja Geuenich ACHTSAMKEIT UND KREBS Hilfen zur emotionalen und mentalen Bewältigung von Krebs Mit einem Geleitwort von Dr. med. Andrea Petermann-Meyer Zusätzlich online: Ausdruckbare Übungsblätter
``Gleichnisse, Sinnbilder und Symbole. Es sind zahlreiche Gleichnisse, Sinnbilder und Symbole an mehreren Stellen des Textes aufgenommen worden. Ihr Charakter ist oft demjenigen eines Märchens oder einer Fabel ähnlich. Gerade dadurch machen sie auf einfache Art und Weise komplexe Gedanken leicht zugänglich, z. B. den Gedanken, dass die Bewältigung einer Krebserkrankung ein langer Prozess ist, der, selbst wenn er erfolgreich abgeschlossen wird, seine Spuren hinterlässt. Diese emotionalen und körperlichen Spuren sind Teil des Selbst, sie sind sichtbar und spürbar, mindern aber nicht den Selbstwert und die innere Stärke, wenn man sie für sich als Teil der eigenen Lerngeschichte akzeptiert. Der Gärtner und die Liebe zu seinem Park Siehst du den Baum da drüben?, fragte der Gärtner seinen Enkel, als sie beide durch den Park gingen. Den dort? Den mit dem Gerüst in der Mitte?, fragte der Enkel zurück. Ja, genau den, sagte der Gärtner, Ist er nicht wunderschön? Wieso hat er das Gerüst in der Mitte?, wollte der Enkel wissen. Der Baum war krank. Vor vielen, vielen Jahren, erklärte der Gärtner seinem Enkel, Er wurde während eines Gewitters vom Blitz getroffen. Und damit er nicht zur Seite fällt und entwurzelt wird, haben wir ihn durch das Gerüst gestützt. Zuerst war das Gerüst nicht in seiner Mitte. Er ist um das Gerüst herumgewachsen. Er hat es geschafft, er hat überlebt. Er steckt voller Energie. Er ist wundervoll. Und wieso hat er das Gerüst noch in sich drin? Nun braucht er es doch nicht mehr. Und er wäre noch schöner, wenn er es nicht hätte. So sieht man doch, dass er krank war, sagte der Enkel. Das geht nicht, weißt du. Das Gerüst ist nun ein Teil von ihm. Es stützt ihn zwar nicht mehr, er würde auch ohne das Gerüst leben. Aber wenn wir es wegnähmen, dann müssten wir ihn wieder verletzen. Nein, das war schon damals klar: Wenn er es schafft, dann wird man das Gerüst für immer sehen, sagte der Gärtner. Das ist aber dumm für den Baum, oder nicht?, fragte der Enkel.
Ich verrate dir was: Wenn du den Baum ganz genau ansiehst, wenn du dir seine Äste und Blätter ansiehst, und wenn du siehst, mit wie viel Kraft und auch mit wie viel Geschmeidigkeit er das Gerüst umwachsen hat, dann siehst du das Gerüst nicht mehr. Es ist ein Teil des Baums. Du siehst einen wunderschönen Baum. Er hat sich gegen alle Widrigkeiten des Lebens durchgesetzt, meinte der Gärtner. Findest du ihn deswegen so schön? fragte der Enkel. Nein, er ist schön, weil er schön ist, sagte der Gärtner, Ich zolle ihm für seine Kraft und seine Ausdauer allen Respekt. Schön ist er aber, weil er so ist, wie er ist. Einfach nur so. Das Gerüst gibt ihm keine Schönheit und sie schmälert seine Schönheit nicht. Schau hin, dann siehst du es auch, schau siehst du es? ``Übungen und Arbeitsmaterialien. Als Hilfen sind auch die zahlreichen Übungen und Arbeitsmaterialien gedacht, die Sie im Text finden werden. Sie wurden beispielhaft ausgefüllt und bearbeitet. Im Anhang finden Sie dann jeweils Leervorlagen der Arbeitsbögen zum eigenen Gebrauch und zur individuellen Anwendung. Alle Arbeitsmaterialien stehen auch zusätzlich unter www.schattauer.de/2928.html als PDFs zum Ausdrucken zur Verfügung. Ein Beispiel für ein solches Arbeitsblatt ist in Abbildung 1 dargestellt. Auch diesen Arbeitsbogen finden Sie im Anhang 1 des Buches als Leervorlage. Wenn Sie möchten, nutzen Sie ihn für sich, und nachdem Sie das Buch zu Ende gelesen haben, schauen Sie, ob Ihre Fragen zur Achtsamkeit beantwortet wurden oder ob noch welche offen sind oder neue dazugekommen sind. Schauen Sie auch, ob Sie das, was Sie gerne lernen wollten, auch gelernt haben oder sich auf einem guten Weg zu diesem Ziel befinden oder ob Sie gegebenenfalls noch weitere Hilfe benötigen. ` ` Kurz gefasst. Eine letzte Lesehilfe sind die Zusammenfassungen eines jeden Abschnitts unter dem Motto Kurz gefasst am Ende des Abschnitts. Das ist auch bei dieser Einführung der Fall. Diese Lesehilfen sollen den Text verständlicher machen. Das Buch gemeinsam mit anderen Lesern zu besprechen, kann eine weitere Hilfe sein, sich Achtsamkeit bewusst und zunutze zu machen.
Frage Was will ich über Achtsamkeit wissen? Was will ich lernen? Wobei soll mir Achtsamkeit helfen? Was kann ich schon? Was hilft mir, zufrieden zu leben? Antwort Was ist Achtsamkeit? Wie kann ich es lernen? Wann soll ich es einsetzen und wann nicht? Hilft es mir in meiner Partnerschaft? Wie kann ich es so einsetzen, dass ich mit meiner Krebserkrankung besser klarkomme? Wo ist überhaupt der Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und Krankheitsbewältigung? Wie sortiert man psychische Grundbedürfnisse dort ein? Wieso psychische Grundbedürfnisse? Was ist das und soll das? Ich will ruhiger werden. Ich will mein Leben wieder in den Griff kriegen. Ich will neue Energien tanken. Ich will verstehen, was mit mir passiert und passiert ist. Ich will, dass wir uns besser verstehen. Ich will mit meiner Angst besser umgehen können. Ich möchte mit meinen Schmerzen besser umgehen können. Ich will lernen, meinen Körper wieder zu mögen und ihm vertrauen zu können. Meine Familie ist für mich da. Ich kann mich gut ablenken. Ich bin zäh. Ich will leben. Das ist ganz stark in mir. Ich bin offen für Neues. Ich treibe Sport. Ich mag meinen Beruf und denke, dass ich da ganz gut bin. Ich habe Freunde. Abb. 1 Arbeitsbogen zur Vorbereitung der Selbsthilfearbeit mit Achtsamkeit
Kurz gefasst Krebs zu haben, berührt und betrifft Körper und Seele. Seine Krebserkrankung emotional zu bewältigen, bringt einen in Kontakt mit Gefühlen und insbesondere mit Ängsten. Angesichts einer Krebserkrankung Angst zu haben, ist normal. Krankheitsbewältigung ist ein Prozess, der seine Zeit braucht. Ziele sind Lebensbalance, Lebensqualität und Lebenszufriedenheit. Zufriedenheit meint eine ausgewogene Regulation von Bedürfnissen. Achtsamkeit hilft, Bedürfnisse zu erkennen und Möglichkeiten, sie zu befriedigen, zu nutzen. Achtsamkeit hilft, sich selbst zu verstehen und Halt zu finden. Achtsamkeit kann (und oft muss sie es auch) geübt werden.
1 Achtsamkeit 1.1 Was bedeutet Achtsamkeit? Achtsamkeit meint das bewusste Lenken seiner Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Sache, Situation, Person oder auch auf das eigene körperliche Befinden, die eigenen Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse etc. Achtsamkeit ist die Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick, ohne das So-Sein der Gegenwart zu bewerten oder beeinflussen zu wollen. Achtsamkeit ist sowohl ein Prozess als auch eine Fertigkeit. Prozess meint dabei die konkrete, in einem bestimmten Moment mehr oder weniger bewusst ausgeführte Aufmerksamkeitslenkung. Fertigkeit meint, dass Aufmerksamkeit geübt, gelernt und gezielt eingesetzt werden kann. Die hier gewählte Definition und auch die weitere Umschreibung von Achtsamkeit mit ihren Merkmalen (s. die folgenden Abschnitte in diesem Kapitel) basieren in erster Linie auf den Arbeiten von Marsha Linehan (1996). Linehan hat mit der Dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) eine Psychotherapie entwickelt, in der Achtsamkeit grundlegend ist. Aber Marsha Linehan hat Achtsamkeit nicht erfunden. Man kann Achtsamkeit nicht erfinden, denn sie ist als menschliche Fähigkeit schon da. Jeder Mensch hat die Fähigkeit zur Achtsamkeit. Der eine mehr, der andere weniger. Aber jeder hat sie in sich. Achtsamkeit als Hilfe bei der Bewältigung einer Krebserkrankung Achtsamkeit ist zwar in jedem Menschen angelegt, aber das Praktizieren von Achtsamkeit wird für viele einige Übung erfordern. Denn Achtsamkeit und vor allem die nach innen gerichtete Achtsamkeit hat in der westlichen