Prof. Dr. Eva Senghaas-Knobloch



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Transkript:

Prof. Dr. Eva Senghaas-Knobloch Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt. Die Agenda für decent work der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Jahreskonferenz der Deutschen Gesellschaft für Supervision e.v. Bonn am 12. November 2010

Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt Die Verschiedenheit und Verflechtung der sozioökonomischen Kontexte Quelle: ILO 2 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt und die Agenda für decent work der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) I Arbeit als untergeordnete Größe in der Globalisierung II Internationale Arbeits- und Sozialstandards statt destruktiver Wettbewerb III Trends in den hochentwickelten europäischen Arbeitsgesellschaften IV Neue Arbeitswelt aus der Binnenperspektive im westeuropäischen Kontext V Decent Work als kontextsensible, weltweite Gestaltungsaufgabe 2 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel I Arbeit als untergeordnete Größe in der Globalisierung Die aktuelle Konstellation: Finanzwelt Abkopplung der Finanzwelt von der Realwirtschaft: 2010 beträgt der tägliche Umsatz im internationalen Devisenhandel schon wieder durchschnittlich 4000 Milliarden (= unvorstellbare 4 Billionen) US Dollar. Das ist mehr als das 80fache des Welthandels mit Gütern und Dienstleistungen 4 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel I Arbeit als untergeordnete Größe in der Globalisierung Die aktuelle Konstellation: Deregulierung Deregulierung des internationalen Kapitalstransfers Abbau von Schutzzöllen und dominante Politik für Freihandel weltweit (mit Einschränkungen zu Gunsten der Industrieländer) Zunahme der Abhängigkeit von Volatilitäten des Weltmarkts und der Macht transnationaler Unternehmen Mangelnde Ratifikation oder faktische Nichtumsetzung selbst grundlegender (menschenrechtlicher) Übereinkommen 5 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel I Arbeit als untergeordnete Größe in der Globalisierung Die aktuelle Konstellation: Weltwirtschaft und Ungleichheit In den letzten vierzig Jahren hat sich bei einer Gesamtheit von 94 Ländern die Kluft zwischen dem durchschnittlichen Pro-Kopf- Einkommen der 20 ärmsten im Verhältnis zu dem der 20 reichsten Länder mehr als verdoppelt - von 1:54 auf 1: 121 (Quelle: ILO 2004 nach Weltbankdaten). Auch innerhalb der Länder hat die soziale Ungleichheit deutlich zugenommen, z.b. in Indien. Es hat im April 2010 die offizielle Armutsquote von 27 auf 37% nach oben korrigiert. 6 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel I Arbeit als untergeordnete Größe in der Globalisierung Die aktuelle Konstellation: Folgen der Unterordnung von Arbeit Arbeitsarbitrage bei weltweiten Anlageentscheidungen von Unternehmen Stagnation/Sinken von Lohneinkommen in vielen hochentwickelten Ländern (in D wuchs das reale Lohneinkommen zwischen 2001 und 2007 durchschnittlich O,5 Prozent) (Quelle: ILO -Global Wage Report 2008). Einbruch 2008, in jüngster Zeit etwas stärkerer Anstieg Zunahme informeller und prekärer Beschäftigung weltweit (in Afrika oft 90 % der erwerbstätigen Bevölkerung) Persistenz von Kinderarbeit und Zwangsarbeit, mangelnde Vereinigungsfreiheit 7 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel I Arbeit als untergeordnete Größe in der Globalisierung Quelle: ILO World of Work, August 2010 8 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel II Internationale Arbeits- und Sozialstandards statt destruktiver Wettbewerb Die historische Konstellation von 1919 Nun bestehen aber Arbeitsbedingungen, die für eine große Anzahl von Menschen mit so viel Ungerechtigkeit, Elend und Entbehrungen verbunden sind, dass eine Unzufriedenheit entsteht, die den Weltfrieden und die Welteintracht gefährdet. Eine Verbesserung dieser Bedingungen ist dringend erforderlich... Auch würde die Nichteinführung wirklich menschenwürdiger Arbeitsbedingungen durch eine Nation die Bemühungen anderer Nationen um Verbesserung des Loses der Arbeitnehmer in ihren Ländern hemmen aus der Präambel der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 9 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel II Internationale Arbeits- und Sozialstandards statt destruktiver Wettbewerb Die historische Antwort si vis pacem para iustitiam wenn du Frieden willst, sorge für Gerechtigkeit 1919 Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im Vertrag von Versailles durch 44 Mitgliedsstaaten unter Beteiligung von Gewerkschaften und Arbeitgebern sowohl in der ILO als auch national (Beteiligungsprinzip der Dreigliedrigkeit) mit dem Ziel internationaler Kooperation statt sozial destruktiver Konkurrenz auf Basis gemeinsam beschlossener Mindeststandards, um Wettbewerbsnachteile in der Weltwirtschaft auszuschließen (Interessen) und weil Arbeit nicht (nur) eine Ware ist (Werte). 10 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel II Globale Arbeits- und Sozialstandards statt destruktiver Wettbewerb Die Handlungsfelder der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) - Standardsetzung durch ILO-Übereinkommen, davon sind 76 aktuell, in den Bereichen: grundlegende Rechte bei der Arbeit Arbeitsbedingungen (z.b. Arbeitszeitbegrenzung, Entlohnungsprinzipien, Arbeitssicherheit und Gesundheitsförderung) Sozialer Schutz in Lebensumständen, in denen Erwerbseinkommen nicht möglich ist. - technische Hilfe / capacity-building - Ausbau einer organisatorischen Wissensbasis 11 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel II Herausforderungen durch die Globalisierung Die aktuelle Antwort der ILO auf die Globalisierung: Die Agenda für menschenwürdige Arbeit (decent work) weltweit Das vorrangige Ziel der IAO besteht heute darin, Möglichkeiten zu fördern, die Frauen und Männern eine menschenwürdige und produktive Arbeit in Freiheit, Sicherheit und Würde und unter gleichen Bedingungen bieten, auch für Erwerbstätige außerhalb des formellen Arbeitsmarktes aus dem Bericht des IAO-Generaldirektors Juan Somavía 1999 12 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel II Herausforderungen durch die Globalisierung Die Bestandteile der Decent-Work-Agenda von 1999 1. Rechte bei der Arbeit (ILO-Übereinkommen) 2. Förderung produktiver Beschäftigung 3. Gewährleistung eines Mindestsozialschutzes 4. Förderung des Sozialdialogs Bestätigung in der ILO durch die Erklärung über soziale Gerechtigkeit für eine faire Globalisierung von 2008 und durch den Globalen Beschäftigungspakt von 2009. 2008 Aufnahme als Unterpunkt für Armutsreduktion bei den sog. UN- Milleniumszielen für Entwicklung 13 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel II Globale Arbeits- und Sozialstandards gegen sozial destruktiven Wettbewerb Die grundlegenden Rechte bei der Arbeit (core labour standards) Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts zu Kollektivverhandlungen Beseitigung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit Effektive Abschaffung der (definierten) Kinderarbeit Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf Beschlossen in der Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen während der Internationalen Arbeitskonferenz 1999 14 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel III Trend 1 Verlagerung von Produktion - Ausweitung der Dienstleistungen - Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren in D Quelle: Datenreport 2008 bis 1990 altes Bundesgebiet 15 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel III Trend 2 geschlechtsspezifische Arbeitsteilung - Zunahme der Frauenerwerbsarbeit in Europa seit 1990 Quelle: Eurostat 16 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel lii Trend 2 Veränderungen in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und die EU-Politik Vom männlichen Alleinverdienermodell (male bread winner model) zum Zweiverdienermodell ( adult worker model ) Das adult worker model ändert die industriegesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern, setzt eine umfassende Defamiliarisierung, Professionalisierung und Vermarktlichung von Sorgetätigkeiten voraus, aber verkennt die Flexibilitätsanforderungen an häusliche Sorgetätigkeiten und führt zu Sorgelücken im Norden und im Süden (care-gap). 17 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel III Trend 3 Flexibilisierung und (Re-) Kommodifizierung der Arbeitskraft Die Globalisierung wirkt heute auf die Ursprungsländer der herrschenden Wirtschaftspolitik zurück, auch in Deutschland: Der Anteil illegaler, informeller und sozial ungeschützter Beschäftigung (= Re-)Kommodifizierung von Arbeitskraft) steigt. Atypische Beschäftigung (befristete Beschäftigung, sozialversicherte Teilzeit, nicht sozialversicherte geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit, Soloselbständigkeit) nimmt zu. Der Anteil der Beschäftigten in Niedriglohn steigt 18 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel III Trend 3 Anstieg atypischer Beschäftigungsverhältnisse: Befristete Beschäftigung In Deutschland stieg die Quote befristeter Beschäftigung in den letzten zwei Jahrzehnten (zwischen1992 und 2009) um fast ein Drittel: von 10,5 % auf 14,5 % Auszubildende sind in diesen Zahlen enthalten. (Quelle: IAB-Bericht 19/2010 von Thomas Rhein) 19 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel III Trend 3 Anstieg atypischer Beschäftigung: sozialversicherte Teilzeit bei Männern und Frauen in Deutschland 35,0 30,0 25,0 20,0 15,0 Männer Frauen 10,0 5,0 0,0 1997 1999 2001 2003 2005 2007 Mikrozensus; Quelle: Wagner/ FIA 2009 22 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Quelle: U. Walwei (IAB) 2008 21 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel III Trend 3: Anstieg der Niedriglohnanteile In Deutschland hat der Niedriglohnanteil unter den abhängig Beschäftigten seit 1995 stark zugenommen und umfasst heute 25%. Niedriglohn findet sich vor allem in Dienstleistungsbranchen und kleinen Betrieben (u.a. durch Outsourcing aus großen Betrieben) mit geringeren kollektiv vereinbarten Standards bzw. ohne Tarifsvertragsbindungen. Niediglohn findet sich nicht nur, aber häufiger in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Quelle: Kalina/Weinkopf in: Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung;ZAF 4/2008 22 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel III Trend 4: Vordringen digitaler Technologien und globaler Wertschöpfung Neue Anforderungen an die Arbeitenden durch: unternehmensinterne Ökonomisierung (vom Finanzmarkt getriebene Controllingsysteme) zeitversetzte Kooperationsnotwendigkeiten entbettete Informationen durch weltweite Informationsnetze (Informatisierung) projektförmige Arbeitsanforderungen entstandardisierte Arbeitszeiten 23 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel III Trend 5 neue Konzepte der Arbeitsorganisation Betriebliche Handlungskoordination durch Organisationsinterne Vermarktlichung der Beziehungen zwischen Abteilungen (Center) und Selbstregulierung der Gruppen nach ökonomischen Kennziffern/Vorgaben des Managements Leistungspolitik durch Ansprüche an das Engagement der einzelnen Beschäftigten (Subjektivierung der Arbeit) und erfolgsorientiertes Entgelt statt aufwandorientiertes Entgelt 24 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel IV Neue Arbeitswelt aus der Binnenperspektive Verunsicherungen durch Zuwachs unsicherer Beschäftigungsverhältnisse Anforderungen an psychische Präsenz ständige Veränderungen von Organisationsstrukturen und -abläufen Erleben von Maßlosigkeit im Leistungsdiskurs Gratifikationskrisen (Belohnung nach ökonomischen Erfolg, nicht: Aufwand) 25 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel IV Neue Arbeitswelt aus der Binnenperspektive: Paradoxien neuer Managementkonzepte Unsichtbare, aber notwendige Interaktionsarbeit wird nicht anerkannt. Notwendige Gefühls- und Emotionsarbeit wird bei Zeitvorgaben nicht berücksichtigt. Die Ökonomisierung personennaher Dienstleistungen erschwert die Möglichkeit von positivem Feedback und fördert Burnout Eine Erweiterung persönlicher Handlungsspielräume ohne Verhandlungsspielraum (z.b. für Zeitressourcen) schafft neue psychische Belastungen. Widersprüchliche Arbeitsanforderungen (z.b. Termintreue bei gleichzeitiger Kundenwunscherfüllung) fördern die Zunahme psychischer Erkrankungen. 26 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel IV Neue Arbeitswelt aus der Binnenperspektive Arbeitsunfähigkeitstage und psychische Erkrankungen seit 1976 Quelle: BKK Gesundheitsreport 2008 S.13 27 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel V Decent Work als kontextsensible, weltweite Gestaltungsaufgabe Auch würde die Nichteinführung wirklich menschenwürdiger Arbeitsbedingungen durch eine Nation die Bemühungen anderer Nationen um Verbesserung des Loses der Arbeitnehmer in ihren Ländern hemmen aus der Präambel der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Arbeit ist keine Ware aus der ILO-Erklärung von Philadelphia 1944 28 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel V Decent Work als kontextsensible weltweite Gestaltungsaufgabe Um die Agenda für Decent Work umzusetzen, sind viele Akteure gefordert: In der Staatenwelt: Regierungen, internationale Finanzinstitutionen, OECD, EU zur Schaffung stimmiger Rahmenbedingungen national und international In der Gesellschaftswelt: Beratende, Management, Investoren, Gewerkschaften und gemeinnützige Zivilgesellschaft zur Überwachung und Umsetzung von Rechten, Gesetzen und Selbstverpflichtungen der Unternehmen. 29 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel V Decent Work als kontextsensible weltweite Gestaltungsaufgabe Bedeutung für Entwicklungsländer Beispiel: Einführung von grundlegendem Arbeitsschutz und Abschaffung von Kinderarbeit in der Schmuckindustrie (Quelle Südwind 2010) Ein Edelsteinschleifer in China: 30 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt»Da waren viele Menschen in einem Raum und es war sehr staubig. Es gab einen Ventilator, aber der hatte keine große Wirkung. Sie schlossen die Fenster, da unsere Fabrik an der Strasse lag. Der Besitzer wollte nicht, dass der Staub die Luft auf der Straße verschmutzte und so die Behörden aufmerksam wurden.«quelle: Lyn 2009

Kapitel V Decent Work als kontextsensible weltweite Gestaltungsaufgabe Bedeutung für Entwicklungsländer: Rechte bei der Arbeit Unterkünfte für Arbeiterinnen in der südchinesischen Aldi-Zulieferfabrik Quanxin Knitting (Quelle: SÜDWIND: Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China und Indonesien. Sieburg 2007) (Foto: Gisela Pütz) 31 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt

Kapitel V Decent Work als kontextsensible, weltweite Gestaltungsaufgabe: Arbeits- und Sozialschutzprobleme in hochentwickelten Ländern Der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz und die überbetriebliche soziale Sicherung verlieren an Boden aufgrund: flexibler Arbeitsformen und örtlich versetzter Arbeitszeiten, bei denen die Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben verwischen, maßloser Leistungskulturen in wissenschaftlich basierten Branchen, Ausbreitung von Unternehmen, in denen eine formale Belegschaftsvertretung nicht existiert, Ausbreitung nicht geschützter, unregulierter, informeller Arbeit (z.b. hauswirtschaftliche und Pflegedienstleistungen). 32 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt7

Kapitel V Decent Work als kontextsensible, weltweite Gestaltungsaufgabe Bedeutung für die europäischen Länder Das Decent Work - Entwicklungsgefälle in der Welt wirkt auf die entwickelten Länder zurück: Angesichts neuer Anforderungen an die Beschäftigten bedarf es organisatorischer Achtsamkeit und neuer Ansätze für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung bei der Arbeit. Angesichts atypischer Beschäftigungsverhältnisse bedarf es neuer Bezugsgrößen für Sozialschutz bei Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit und neuer Aufmerksamkeit für soziale Reproduktionsbedürfnisse. Für Beschäftigte in transnational agierenden Unternehmen bedarf es organisierter Selbstvertretung und für Selbständige der Vereinigung in genossenschaftlichen Verbindungen. 33 Eva Senghaas-Knobloch: Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt