Die biografische Wunde - Das Hirn entwickelt sich nach seinen Nutzungsbedingungen (Neuroplastizität) Wenn traumatisches Erleben Spuren hinterlässt Nicht wir machen Erfahrungen, sondern Erfahrungen machen uns! Ionesco Menschliche Entwicklung Erprobte Reaktionen Risikofaktor: Traumatisches Ereignis schicksalhafte oder von anderen Menschen hervorgerufene lebensbedrohliche, hochgradig ängstigende und ausweglose Situationen (Hüther, Korritko, Wolfrum, Besser, 2012) Traumatisierung bezeichnet das Erleben und die Folgen - nicht das Ereignis Trauma (Wunde) Tiefgreifende, seelische Verletzung/ Wunde Erleben plötzlicher, heftiger oder anhaltende äußere und/oder innere Bedrohung, das mit dem Gefühl von: Todesangst, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Schutzlosigkeit einhergeht Ein traumatisches Erlebnis überfordert die gewohnten Anpassungs- und Verarbeitungsstrategien 1
Trauma und Bindung Trauma - Folgen Überwältigende Bedrohung Traumatisches Erleben hinterlässt eine Wunde (Trauma) in der Hirnstruktur und somit organische Spuren Eine Traumatisierung ist nicht ausschließlich psychisch sondern insbesondere organisch zu erklären! Psychischer No Flight Hilfslosigkeit Bindungsperson Wahrnehmungsveränderungen: Dissoziation, Fragmentierung Aktivierung des Paniksystems Alarmreaktionen des Körpers werden hochgefahren (Stresssystem) Zustand des Ausgeliefertseins Freeze - Erstarrung No Fight Machtlosigkeit Überlastungsschutz Anpassungsreaktionen: Unterwerfung Das Hirn Hirnstamm: Atmung, Herzschlag, Blutdruck, Wachheit, Alarmbereitschaft, Mobilisation der Überlebensreaktionen Zuständig für Überleben (Reptiliengehirn) Limbisches System: zuständig für Gefühl und emotionales Gedächtnis Präfortaler Cortex: zuständig für: Impulskontrolle, Planung, rationales Denken, Problemlösung (Managementabteilung) Biochemische Vorgänge im Organismus Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin sorgen für maximale Körperspannung und Beweglichkeit ==> Voraussetzung für Kampf o. Flucht gesteigerte Cortisolausschüttung erhöht Angstpegel ==> Voraussetzung für Wachsamkeit Ausschüttung körpereigener Endorphine sorgt für Verminderung des Schmerzempfindens (Dissoziativer Zustand) Seelensplitter Selbstschützende Wahrnehmungsveränderung Bilder Sensorisches Erleben Gedank en Körperliches Erleben FRAGMENTIERUNG Gefühle Verhalten Bindungserleben Fragmente.. sind Aspekte die während des traumatischen Erlebens aktiv waren diese werden im Organismus in abgespaltener Form eingefroren und gespeichert Und sind durch innere oder äußere Trigger (Schlüsselreize) jederzeit abrufbar und auslösbar Dadurch kann vollständiges oder unvollständiges Wiedererleben der alten Situation hervorgerufen werden Dominoeffekt 2
Trauma und Traumatisierung Monotrauma Schutzfaktoren Multitrauma Sequentielle Traumatisierung Entwicklungstraumata Schutzfaktoren Sichere Bindung Positives Selbstbild Selbstwirksamkeitsüberzeugung Hoffnung und Optimismus Sinn und Spiritualität Symptomatik Traumafolgesymptomatik PTBS Übererregung (Hyperousel): allgemeine Unruhe, Konzentrationsschwäche, Impulsdurchbrüche, Überschusshandlungen, Orientierungslosigkeit Intrusionen/ Flashbacks: Vollständiges oder teilweise Wiedererleben der traumatischen Situation (ausgelöst durch Trigger ) ==> Gefühls-/ Bilderstürme Vermeidung (Konstriktion): bewusste Vermeidung und/oder dissoziative Prozesse Obwohl sie bemüht ist, die grundlegenden Reaktionen der Betroffenen auf Traumatisierung zu erfassen, ist die Diagnose PTBS weit davon entfernt, die ganze Komplexität dessen zu beschreiben, wie Menschen auf überwältigende Erfahrungen reagieren (van de Kolk) Trauma Folgesymptomatiken Dysfunktionales Bindungsverhalten (unsichere Bindungen/ Bindungsstörungen) Dissoziation Impulsdurchbrüche, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme etc. Störungen der Wahrnehmungsentwicklung/ Reizverarbeitung Beeinträchtigung der Kognitive Entwicklung: Lernen und Speichern Sprachstörungen Ausgeprägte Scham- und Schuldgefühle Dissoziation (Abwesenheitsszustände; keine Selbststeuerung) Entwicklungsverzögerungen.. 3
Dissoziation ist.. ein komplexer psychophysiologischer Prozess der, Entwicklungsverzögerungen Erinnerung an Vergangenheit verhindert oder verändert das Identitätsbewusstsein stört Das Erleben von Kontrolle über Körperempfindungen und Körperbewegungen stört aktuelle Wahrnehmungen und Emotionen von anderen psychischen Prozessen abspaltet Ein Trauma ist ein Anschlag auf die Gesamtpersönlichkeit M.Huber Entwicklungsaufgaben 1. Entwicklungsperiode Bindungsentwicklung Soziale Entwicklung Exploration/ Erkundung/ Autonomie Bindung Emotionale Sicherheit (Selbstwert) Weltvertrauen Erkennen eigener Bedürfnisse Grundlagen für Empathiefähigkeit Grundlagen für Stress-und Affektregulation Vertrauen lernen Ich bin, was man mir gibt Ich bin, was ich bekomme! 2. Entwicklungsperiode: Exploration und Erkundung/ Autonomie Motivation Neugier Initiativ-sein Anstrengungsbereitschaft Selbstständigkeit/ Selbsttätigkeit Willensbildung Selbstwirksamkeitsüberzeugung Ich bin, was ich will (Selbstvertrauen) 3.Entwicklungsperiode Soziale Kooperation/ Teil einer Gemeinschaft werden Eigene Bedürfnisse von Bedürfnissen anderer unterscheiden Eigene Bedürfnisse zurückstellen können Regeln befolgen Interesse an Gemeinschaft entwickeln Team/Kooperationsfähigkeit 4
Traumatisierung heißt Stressdisorder Traumatisierung bezeichnet die Folgen biografischer Verwundungen, die das Stresssystem in höchstem Maße herausgefordert haben und Spuren hinterlassen haben, die das Stresssystem langfristig verändern und verstören - Dauerhaft zu hoch eingestellte Stressparameter permanente Hab-Acht-Stellung, Übererregung, hohes Maß an Triggerbarkeit, chronische Angst im Organismus mit entsprechenden Unwillkürlichen Reaktionen des Stresssystems in Flucht- und Kampfmodi. - zu niedrig eingestellte Stressresonanz: Untererregung, mangelnde Schwingungsfähigkeit, Dissoziative Reaktionen (Abschalten) - mangelnde Steuerungsfähigkeit: Affekte können nicht reguliert werden, entsprechend kann die Person unter Stress nicht auf angemessene Handlungskonzepte zurückgreifen Stressregulation ist die Voraussetzung für.. Selbststeuerung und selbstbemächtigtes Handeln die Bereitstellung sozial-emotionaler Kompetenzen planvolles Handeln Die Aktivierung der Leistungsfähigkeiten (Motivation, Aufmerksamkeit, Konzentration, Speichern) Traumapädagogik versteht sich im übergeordneten Sinne als Ansatz, in dem ein Rahmen geschaffen wird, in dem sich verwundete Stresssysteme beruhigen können und das Erlernen von Stresskompetenzen ermöglicht wird Naturschutzgebiete für die Seele Haltung ist die Kleinigkeit, die einen großen Unterschied macht Phasen der Traumabearbeitung I.Stabilisieren Erst wenn ein Mensch Innerlich ausreichend stabil Körperlich weitestgehend gesund Äußerlich in sicherer Situation ==> Traumapädagogisches Wirkungsfeld II: Konfrontieren (Erinnern und Bearbeiten von Traumaresten) III. Integration (Durcharbeiten) ==> Therapeutisches Hoheitsgebiet Heilsame Prozesse Sich sicher fühlen in Beziehungen sichere Bindungen emotionale Sicherheit Sich sicher fühlen in sich selbst Selbstsicherheit/ Selbstvertrauen Sich sicher fühlen in der Welt (Weltvertrauen) Strukturen von Sicherheit C.Scherwath, www.paedagogisch-therapeutisches-fachzentrum.de 5
Traumapädagogische Aspekte in der sozialpädagogischen Hilfeplanung Psychoedukation (Selbstverstehen und Selbstbemächtigung) Die Einrichtung als sichere Ort Die Fachkraft als sicherer Hafen Bindungsorientierte Ansätze Aufbau positiver Selbstkonzepte, Stabilisierung und Ressourcenorientierung Katastrophenhelfer : Unterstützung bei der Stress-und Affektregulation Verstehensorientierung und Psychoedukation Erst verstehen dann handeln GrundHALTUNG zur Symptomatik Erst verstehen dann handeln! Normalisieren statt Pathologisieren: Ganz normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis Verhalten ist entwicklungs-logisch und nicht pathologisch Verhalten / Symptome Gute Gründe 1. Entwicklungsbedürfnisse 2. Welche spezifischen Bedürfnisse kommen im Verhalten zum Audruck? 3.Was versucht die Person für sich sicherzustellen (positive Absicht) 4. Welche biografischen Erfahrungen des Menschen kommen in seinem Verhalten zum Ausdruck (Traumasensibilität) Psychoedukation Das Verstehen von eigenen Verhaltensweisen verhindert, dass sich Selbstzuschreibungen wie: Ich bin verrückt, mit mir kann man nicht auskommen etc. verfestigen und zu inneren Landschaften der Selbstkonstruktion werden (in Anlehnung an W.Weiß/ 2009) Ebenen der Psychoedukation 1. (Altersangemessenes) Aufklären über Trauma und die Folgen 2. Kognitives Umdeutung und Sinnverstehen der eigenen Symptomatik: Normalisieren Ressourcen im Verhalten entdecken Sinnverstehen: Das Konzept des Guten Grundes: Bedürfnisse, Positive Absichten, Traumaspezifisches Symptomverstehen 6
I. Bindungsorientiertes Arbeiten Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit.in einer Welt in der Nichts sicher scheint. (Silbermond) Trauma und Bindungsorientierung Die Erforschung der effektivsten Behandlungsformen zur Unterstützung von kindlichen Trauma-Opfern lässt sich genau so zusammenfassen: Was am besten wirkt, ist alles, was die Qualität und die Anzahl der Beziehungen im Leben der Kinder erhöht Bruce Perry Ziele bindungsorientierter Pädagogik Schutzfaktor: Kompensatorische heilsame sichere Bindungserfahrungen Stress-/Affektregulation Fürsorgliches Introjekt (Repräsentanz) Erlernen von Feinfühligkeit statt Feindseligkeit Bindungsorientierte Ansätze Bindungssensible Interpretation von Symptomatik und Interaktion Verlässliche Präsenz - Erfahrungen (emotional und faktisch) Feinfühligkeit und emotionale Resonanz Beruhigungs-/Regulationserfahrung Assistenzerfahrung Gemeinsames Handeln II. Der ( äußere ) sichere Ort Safty first: Ohne einen äußeren sicheren Ort kann es keinen inneren sicheren Ort geben Strukturelle Klarheit Durchschaubarkeit und Transparenz von Interventionen und Hilfeprozessen (was passiert, wann, mit welcher Intention) Transparenz von Alltagsstrukturen (Sichtbare) Dienstpläne/ Tagespläne/ Wochenpläne Verbindlichkeit Erreichbarkeit Rituale 7
Stress raus Gleich ist nicht immer gerecht! III. Ressourcenorientierung Anforderungen auf Niveau individueller Bewältigungsmöglichkeiten Individualisierte statt institutionalisierte Regeln Trigger entschärfen Aufbau positiver Selbstbilder Schatzsuche statt Fehlersuche Stärken stärken statt Mangel ausgleichen Erfolge stärker als Misserfolge beachten Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen und Handlungsfähigkeit unterstützen (Aufgaben, Partizipation, Expertentum, Verantwortung geben ) Ressourcenreiches Feedback: - Anerkennung ausdrücken: Wow! Sehr gut - Stärken, Qualitäten, Ressourcen, Kompetenzen benennen Weitere Informationen zum Thema, sowie Beratung und Fortbildung: Pädagogisch-Therapeutisches Fachzentrum (PTFZ) Gertigstrasse 28 22303 Hamburg Tel. 040/ 650 397 18 www. paedagogisch-therapeutisches-fachzentrum.de Ansprechperson: Corinna Scherwath Aktuelle Veröffentlichung zum Thema: Corinna Scherwath/Sibylle Friedrich Soziale und pädagogische Arbeit bei Traumatisierung Reinhardtverlag Erscheinungsdatum: 2.Aufl. Juli 2014 8