Einführung in die Organisationspsychologie 13-06-06 Thema der heutigen Stunde: Instrumente zur Teamdiagnose - Teams in Organisationen - Ziele von Teamdiagnosen - Prozessanalytische Verfahren - Konferenzkodierung - Strukturanalytische Verfahren - Fragebogen zur Arbeit im Team (FAT) - Teamklimainventar (TKI) - Resümee Vorlesung Organisationspsychologie 1
Kennzeichen von (Arbeits-)Gruppen bzw. Teams zeitliche Dauer Wir - Gefühl Rollenverteilung mehrere Personen Gemeinsame, aus mehreren Teilaufgaben bestehende Arbeitsaufgabe unmittelbare Zusammenarbeit gemeinsame Spielregeln gemeinsame Ziele gemeinsame Werte Vorlesung Organisationspsychologie 2
Arten von Gruppen bzw. Teams in Organisationen Klassifikation von Heeg (1988) orientiert an den Aufgaben von Gruppen: Führungsgruppen Beratungsgruppen Projektgruppen Ausführungsgruppen Lern- und Problemlösegruppen Vorlesung Organisationspsychologie 3
Ziele und Adressaten von Teamdiagnosen Ziele: Analyse der gegenwärtigen Situation des Teams Stärken-Schwächen-Analyse / Benchmarking Bedarfsermittlung für Teamentwicklungsmaßnahmen Initiierung des Dialogs im Team Sensibilisierung für gruppeninterne Prozesse Evaluierung von Teamentwicklungsmaßnahmen Adressaten: Teammitglieder Berater Personal-/Organisationsentwickler Management / betriebliche Interessensvertreter Vorlesung Organisationspsychologie 4
Prozessanalytische Teamdiagnoseverfahren Diese beruhen auf Verhaltensbeobachtungen. Es wird unterschieden zwischen: Gering standardisierten Prozessanalysen: Sie werden meist im Rahmen der diagnostischen Phase von Teamentwicklungsmaßnahmen durchgeführt (z.b. Beobachtung einer Gruppendiskussion oder besprechung) Standardisierten Prozessanalysen: Sie wurden im Rahmen der Kleingruppenforschung entwickelt und dienen zur Klassifikation des Verhaltens in Kleingruppen. Vorlesung Organisationspsychologie 5
Prozessanalytische Teamdiagnoseverfahren Beispiel für eine standardisierte Prozessanalyse: Interaktions-Prozess-Analyse (IPA) nach Bales (1950): Sie dient zur Beschreibung von Verlauf und Dynamik eines Gruppenprozesses, indem die Interaktionsinhalte nach bestimmten Kategorien (gemäß ihrer Funktion) eingeordnet werden (z.b. äußert Meinung, drückt Wünsche aus, bestärkt andere) Die Kodierung des (Interaktions-)Verhaltens bei standardisierten Prozessanalysen erfolgt durch geschulte Beobachter in direkter Form anhand von strukturierten Beobachtungsbögen oder zeitversetzt anhand von Videoaufzeichnungen oder Transkripten der Aufzeichnungen Vorlesung Organisationspsychologie 6
Konferenzkodierung (KONFKOD) nach Fisch (1989) Methode zur Analyse von Entscheidungs- und Problemlösungsprozessen in Gruppen Zielsetzungen der Analyse: Ermittlung von Regelhaftigkeiten im Ablauf von Gruppendiskussionen Theorie- und datengestützte Rückmeldung von förderlichen und hemmenden Interaktionsprozessen bei Trainingsgruppen Vorlesung Organisationspsychologie 7
Kodiereinheit und regeln der Konferenzkodierung Kodiereinheit: - Redebeiträge einzelner Personen - eine Einheit umfasst eine Aussage, einen Gedanken oder eine thematische Einheit Kodierregeln: Pro Einheit wird kodiert - Zeit (Stunde: Minute: Sekunde), - Wer spricht zu wem - Wichtige Aussageninhalte Vorlesung Organisationspsychologie 8
Inhaltliche Beobachtungskategorien der Konferenzkodierung Inhaltliche Lenkung - Frage mit Feststellung (FF) - Informationsfrage (IF) Prozedurale Lenkung - Frage zum Verfahren (VF) - Verfahrensgesichtspunkte, Vorschlag zum Vorgehen (VG) Aufgabenbezogene Aktivitäten: Inhalte und Sachbeiträge - Feststellung, Analyse (FA) - Meinung (M) - Information (I) - Erläuterung (E) - Lösungsvorschlag (L) Sozio-emotionale Beiträge - positive bzw. negative Bewertung von Personen oder Handlungen (B+ / B-) - Zustimmung bzw. Ablehnung von Inhalten (Z / A) - angenehme, positive, freundliche Gefühle (G+) - unangenehme, negative, unfreundliche Gefühle (G-) Vorlesung Organisationspsychologie 9
Auswertung und Reliabilität der Konferenzkodierung Rollenverhalten, typische Verhaltensmuster - für jeden TN wird ausgewertet, welche Kategorie eine Person vorzugsweise benutzt - Analyse charakteristischer Verhaltensmuster wie z.b. Informand, Bewerter, Diskussionsleiter etc. - Anzahl der Beiträge pro Person (Aktivitätsmaß) Regulation des Gruppenprozesses - Wer zu wem -Matrizen (z.b. Sendermuster, Empfängermuster oder Asymmetrie zwischen gesendeten und empfangenen Akten) Qualitative Analysen - inhaltsanalytische Auswertung bedeutsamer Äußerungen (z.b. Analyse von Argumentationsstrukturen) Reliabilität von KONFKOD: - Beurteilerübereinstimmung: zwischen.61 -.91 (Kappa-Kennwert) Vorlesung Organisationspsychologie 10
Strukturanalytische Teamdiagnoseverfahren Sie beruhen auf Fragebögen, Ratingbögen oder Adjektivlisten Hierbei wird nach der Wahrnehmung der Teammitglieder zu bestimmten Merkmalen des Teams oder seiner Mitglieder gefragt (z.b. Teamklima) Sie vermitteln eine Art Schnappschuss der Gruppe zu einem Zeitpunkt Sie sind meist leicht handhabbar, zeitökonomisch und praxistauglich Im Vergleich zu prozessanalytischen Verfahren ist das ermittelte Bild wenig detailgetreu und grob Vorlesung Organisationspsychologie 11
Übersicht zu Strukturanalytischen Teamdiagnoseverfahren Soziometrie-Verfahren: - (z.b. Sympathie- und Antipathie-Fragen nach Moreno, 1956) Adjektivratingliste: - (z.b. SYMLOG-Adjektivliste in Anlehnung an IPA-Kategorien nach Faßheber & Krohn, 1982) Fragebögen zu Lern-, Denk- und Problemlösestilen - (z.b. Myers-Briggs-Typen-Indikator, 1962) Fragebögen zu Teamrollen: - (z.b. Belbins Team-Role-Self-Perception, 1981) Verhaltensnahe Fragebögen: - (z.b. Fragebogen zur Arbeit im Team nach Kauffeld, 2001) Vorlesung Organisationspsychologie 12
Fragebogen zur Arbeit im Team (FAT) nach Kauffeld (2001) Verhaltensnahes, strukturanalytisches Instrument zur Diagnose verschiedener Aspekte der Zusammenarbeit im Team Beruht auf dem Team-Reflexivity-Modell nach West (1994) Itemgenerierung mit Personalentwicklungs-Beratern und einschlägigen Wissenschaftlern Zielsetzung der Analyse: - Identifikation von Stärken und Schwächen eines Teams - Initiierung und Begleitung von Teamentwicklungsprozessen - Stand der Gruppen- und Teamentwicklung im Unternehmen ermitteln Zielgruppen des FAT: ganz unterschiedliche Formen von Teams aus verschiedenen Unternehmensbereichen und -ebenen Vorlesung Organisationspsychologie 13
Theoretische Grundlage des FAT: Team Reflexivity Modell (West, 1994) Teamreflexivity als Möglichkeit zum Lernen und zur Entwicklung im Team. West geht dabei von zwei fundamentalen Dimensionen des Funktionierens von Teams aus: Task Reflexivity: bezieht sich auf die Aufgabe, die das Team zu erledigen hat; hierzu gehören die Teamziele, Aufgabenorientierung sowie die Wege, diese Ziele zu erreichen. Social Reflexivity: umfasst soziale Faktoren, die beeinflussen, wie die Teammitglieder das Team als soziale Einheit wahrnehmen; es geht um soziale Unterstützung im Team, das Teamklima sowie Methoden der Konfliktlösung Je nach Ausprägung auf diesen beiden unabhängigen Dimensionen kann eine Zuordnung der Teams zu vier Typen erfolgen Vorlesung Organisationspsychologie 14
Theoretische Grundlage des FAT: Team Reflexivity Modell (West, 1994) High Task Reflexivity Cold efficiency Fully functioning team team Low Social High Social Reflexivity Dysfunctional Cosy Reflexivity team team Low Task Reflexivity Vorlesung Organisationspsychologie 15
Dimensionen, Subdimensionen und Beispielitems des FAT Strukturorientierung (task reflexivity) Zielorientierung Aufgabenbewältigung Die Ziele unseres Teams sind klar. Ich identifiziere mich mit den Zielen des Teams. Wir koordinieren unsere Anstrengungen gut. Informationen werden rechtzeitig ausgetauscht. Personorientierung (social reflexivity) Zusammenhalt Verantwortungsübernahme Wir fühlen uns als Team. Die Teammitglieder helfen sich gegenseitig, wenn einer in Zeitnot gerät. Alle bringen sich in gleichem Maße in das Team ein. In unserem Team fühlt sich jeder für das Gesamtergebnis der Arbeit verantwortlich. Vorlesung Organisationspsychologie 16
Itemformat und Gütekriterien des FAT Itemformat des FAT: bipolare Aussagenpaare mit sechsstufiger Ratingskala zur Beantwortung, welcher Aussage man mehr zuneigt Unsere Ziele sind realistisch und erreichbar. Unsere Ziele sind unrealistisch und unerreichbar. Reliabilität: - Interne Konsistenz:.76 -.90 - Interrater-Konsistenz:.41 -.94 Interkorrelationen der Skalen:.39 -.79 Validität: - Korrelationen der FAT-Skalen mit Produktivität:.28 -.49 - Korrelationen mit subjektiv eingeschätztem Arbeitserfolg:.56 -.74 - Korrelationen mit Arbeitszufriedenheit:.36 -.45 Vorlesung Organisationspsychologie 17
Fallbeispiel für FAT-Resultate: Vergleich eines Vertriebs-Führungsteams mit Referenzwerten Vorlesung Organisationspsychologie 18
Fallbeispiel für FAT-Resultate: Vergleich eines Führungsteams im Vertrieb mit Referenzwerten Vorlesung Organisationspsychologie 19
Fallbeispiel für FAT-Resultate: Vorher-/Nachhermessung beim Vertreibs-Führungsteam Vorlesung Organisationspsychologie 20
Fallbeispiele für FAT-Resultate: Vorher-/Nachhermessung beim Vertriebs-Führungsteam Vorlesung Organisationspsychologie 21
Teamklimainventar (TKI) nach Brodbeck et al. (2000) Der TKI beruht auf der 4-Faktorentheorie von West (1990), die Befunde zum Zusammenhang zwischen Klima, Innovation und Leistung in Organisationen systematisiert - Teamarbeit wird im Rahmen dieser Theorie als zentraler Promoter von Veränderung und Innovation begriffen - Die Theorie beantwortet die Fragen, welche Faktoren Innovation in Arbeitsgruppen fördern bzw. behindern und wie diese Faktoren erfasst werden können - Es werden vier übergeordnete Dimensionen des Teamklimas angenommen, die die Qualität und Quantität von Innovationen und Leistungen in Arbeitsgruppen beeinflussen: Vision Aufgabenorientierung Partizipative Sicherheit Unterstützung für Innovation Vorlesung Organisationspsychologie 22
Dimensionen und Subskalen des TKI Vision Aufgabenorientierung Partizipative Sicherheit Unterstützung für Innovation Soz. Erwünschtheit Klarheit Wertschätzung Einigkeit Erreichbarkeit Hohe Standards Reflexion Synergie Info.-Verteilung Sicherheit Einfluss Kontaktpflege Bereitschaft Umsetzung Soz. Aspekte Aufgaben -aspekte Vorlesung Organisationspsychologie 23
Beispielitems des TKI Vision / Einigkeit: Inwieweit stimmen Sie persönlich mit den Zielen des Teams überein? Aufgabenorientierung / Reflexion: Sind die Teammitglieder bereit, die Grundlagen der eigenen Arbeit in Frage zu stellen? Partizipative Sicherheit / Einfluss: Jede Ansicht wir angehört, auch wenn es die Meinung einer Minderheit ist. Unterstützung für Innovation / Bereitschaft: Die Personen im Team suchen ständig nach neuen Wegen, Probleme zu betrachten. Soziale Erwünschtheit / Soziale Aspekte: Es gibt niemals Spannungen zwischen Personen im Team. Soziale Erwünschtheit / Aufgabenaspekte: Mit Leichtigkeit erreicht das Team durchweg die höchsten Ziele. Vorlesung Organisationspsychologie 24
Aufbau und Durchführung des TKI TKI besteht aus insgesamt 44 Fragen: - 38 Items zu 4 zentralen Dimensionen (13 Subskalen) und - 6 Fragen zur sozialen Erwünschtheit (2 Subskalen) Beantwortung der Fragen anhand 5-stufiger bipolarer Likert-Skala Dauer der Beantwortung: ca. 15 Min. Vertraulichkeit bzw. Anonymität der Beantwortung sollte gesichert sein Zur standardisierten Durchführung sollte schriftliche Instruktion befolgt werden Vorlesung Organisationspsychologie 25
Auswertung des TKI Es sollten mindestens 70% der Gruppenmitglieder den Fragebogen beantwortet haben Teamsummenwerte werden anhand von Normwerten in Stanine-Werte transformiert Interpretation der Ergebnisse anhand eines Profilblatts: mittlere Stanine-Werte sind als Hinweise auf Möglichkeiten zur Verbesserung des Teamklimas zu werten unterdurchschnittliche Werte weisen auf Bedarf für intensive und strukturierte Interventionen hin Vorlesung Organisationspsychologie 26
Gütekriterien des TKI Reliabilität (Interne Konsistenz bzw. Cronbachs Alpha): Hauptdimensionen im Durchschnitt.86 (Range:.81 -.89) Subskalen im Durchschnitt.71 (Range:.61 -.82) Validität: Vision und Unterstützung für Innovation weisen mittlere bis hohe Zusammenhänge mit - der selbst- und fremdeingeschätzten Innovation (.37* -.64**) - und dem selbst- und fremdeingeschätzten Teamerfolg auf (.50** -.66**) Aufgabenorientierung und Partizipative Sicherheit weisen moderate bis mittelhohe Zusammenhänge mit diesen Kriterien auf (.24 -.48**) Vorlesung Organisationspsychologie 27
Resümee zur Teamdiagnose Prozessanalytische Verfahren Strukturanalytische Verfahren Fokus Objektive Realität Subjektive Wahrnehmung der Teammitglieder Methodischer Zugang Vorteile Nachteile Verhaltensbeobachtung Hoher Informationswert Detailgenauigkeit Adäquate Abbildung komplexer Phänomene Keine bzw. geringe Reaktivität Geringe Standardisierung Hoher Zeitaufwand Hoher Bedarf an Ressourcen Kodiertraining erforderlich Fragebogen Hohe Standardisierung Geringer Zeitaufwand Geringer Bedarf an Ressourcen Grobes Bild Hohe Reaktivität bei wiederholtem Einsatz Keine Information über Mikroprozesse Vorlesung Organisationspsychologie 28