Michael Winter (Diplom Theologe) ist Diözesanreferent für Gemeindecaritas beim Caritasverband für das Bistum Essen e.v.. In seiner Tätigkeit hält der Diplom-Theologe zahlreiche Vorträge und Workshops in Kirchengemeinden, Caritasverbänden und Einrichtungen, Volkshochschulen, etc. Darüber hinaus ist er Multiplikator der Sinus- Studien und der Sinus-U18-Studie. Dies war sein Themenbereich im Projekt-Seminar im Abschnitt Diversity. Diversity-Management oder! Milieukenntnis und Fachkräftegewinnung für die soziale Arbeit Im Kursblock Diversity Management im Projekt Erziehungshilfe macht Spaß 2.0 der fünf Diözesan-Caritasverbände in NRW fanden im halbjährigen Abstand ein Schulungs- und ein Workshoptag zum Themenfeld Milieukenntnis und Fachkräftegewinnung für die Erziehungshilfe statt. Der Schulungstag war zunächst geprägt von umfangreichen Informationen zu den sogenannten Sinus-Milieustudien. In einer Einführung wurden das Sinus-Milieumodell und die darin enthaltenen zehn gesellschaftlichen Milieus vorgestellt und zusätzlich mit einer Vielzahl von Wohnungsbildern und Werbespots anschaulich und lebensnah illustriert. Die zehn im Jahre 2010 ermittelten Sinus-Milieus fassen Menschen zusammen, die ähnlich ticken, also als Gleichgesinnte in Bezug auf ihre Grundorientierung (Lebensstil, Ästhetik, Geschmack, Werte) und - nachrangig auf ihre soziale Lage (Bildung, Einkommen, Besitz) gelten. Das Sinus-Institut (www.sinus-institut.de) erforscht seit über 30 Jahren alle wichtigen Alltagsbereiche aus der jeweiligen subjektiven Sicht der Personen, die diesen Alltag erleben. Das geschieht in jährlich durchgeführten 1000 qualitativen Interviews, die der detaillierten Beschreibung der einzelnen Milieus dienen und jährlich 100.000 nachgeschobenen
quantitativen Befragungen, die über die prozentuale Verteilung der Milieus in Deutschland Auskunft geben.
Die zehn Sinus-Milieus lassen sich kurz, aber zutreffend, wie folgt skizzierend beschreiben: 10 Sinus-Milieus in Deutschland Konservativ-etabliertes Milieu Das klassische Establishment Liberal-intellektuelles Milieu Die aufgeklärte Bildungselite Milieu der Performer Die multi-optionale, effizienzorientierte Leistungselite Expeditives Milieu Die ambitionierte kreative Avantgarde Bürgerliche Mitte Der leistungs- und anpassungsbereite bürgerliche Mainstream Adaptiv-pragmatisches Milieu Die moderne junge Mitte unserer Gesellschaft mit ausgeprägtem Lebenspragmatismus und Nutzenkalkül Sozialökologisches Milieu Konsumkritisches/-bewusstes Milieu mit normativen Vorstellungen vom richtigen Leben Traditionelles Milieu Die Sicherheit und Ordnung liebende Kriegs-/Nachkriegsgeneration Prekäres Milieu Die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht mit starken Zukunftsängsten und Ressentiments Hedonistisches Milieu Die spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht/untere Mittelschicht Eine detaillierte Milieukenntnis erleichtert es den ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Caritas mit ihren Klienten, Patienten, Gästen, Bewohnern und Kunden, aber auch untereinander adäquat, d h. milieusensibel in Kontakt zu treten. Genau darin besteht das Kernanliegen der Caritas, sich mit den Sinus-Milieus zu beschäftigen. Gleiches gilt selbstverständlich in Bezug auf potentielle Interessent/innen und Bewerber/innen für die Arbeitsfelder in den Caritasverbänden. Gerade in Bezug auf die Fachkräftegewinnung setzen Personalverantwortlichen in den Verbänden immer noch auf potentielle Bewerber/innen, die sich - zugegebenermaßen grob eingeschätzt - auf drei bis vier Milieus im Sinus-Milieumodell konzentrieren (Konservativ- Etablierte, Sozial-Ökologische, Liberal-Intellektuelle, Bürgerliche Mitte), vielleicht auch nicht zuletzt deshalb, weil sicherlich viele derzeitige hauptberufliche Mitarbeiter/innen sich selbst
am ehesten diesen Milieus zuordnen, und man schon Seinesgleichen sucht. Dieses Vorgehen erscheint aber zunehmend problematisch, weil sich eben auch andere Wohlfahrtsorganisationen, Umweltorganisationen und viele weitere NGO s genau vorrangig für diese Milieuvertreter/innen in der Fachkräftegewinnung interessieren. Angesichts des schon existierenden und noch verstärkt zu erwartenden Fachkräftemangels in der sozialen Arbeit bietet die Auseinandersetzung mit den Sinus-Milieustudien eine gute Möglichkeit, auch andere Milieuvertreter/innen als potentielle Bewerber/innen mit echtem Interesse in den Blick zu nehmen. Ein sehr schönes und zugleich an- bis aufregendes Beispiel bietet dazu die Axel- Springer AG mit ihrem Werbespot über ein Bewerbungsgespräch mit einem Bewerber aus dem expeditiven Milieu unter: http://www.youtube.com/watch?v=yabpmkqn6je. Ebenso sind die Erkenntnisse verwendbar für die Öffentlichkeitsarbeit und das Fundraising und verbandsintern für die (Weiter-) Entwicklung von Angeboten und deren geografische Verortung im Sozialraum, die Personalentwicklung und einsatzplanung wie auch für die Teamentwicklung. Die mit dem Sinus-Institut kooperierende Firma Microm (www.microm-online.de) erstellt mit den Methoden des Geomarketings deutschlandweit Karten, in denen sich die Milieuverteilung in Städten, Stadtteilen, Straßenabschnitten ablesen lässt und die oben beschriebene detaillierte Milieukenntnisse vorausgesetzt - ein sehr hilfreiches zusätzliches Instrument für die Sozialraumanalyse und damit auch für eine zielgruppengenaue Ansprache auf potentielle Bewerber/innen hin darstellen.
Milieukenntnisse und Microm-Karten ermöglichen eine zielgruppenpräzisere Ansprache von potentiellen Bewerber/innen und aber auch eine immer stärkere sozialraumorientierte Verortung von Angeboten, Diensten und Einrichtungen der Caritas zugleich, weil Verantwortungsträger sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas gut darum wissen, wie (unterschiedlich) die Menschen ticken und wo genau diese unterschiedlich tickenden Menschen in den Städten und Stadtteilen, von denen oftmals letztere von eindeutigen Milieudominanzen geprägt sind, leben. Die meisten Diözesen (Pastoraldezernate, Seelsorgeämter in den Generalvikariaten) in Nordrhein-Westfalen haben Microm-Karten für ihren Einzugsbereich für die Weiterentwicklung der Pastoral und für die pastoralplanerische Ausgestaltung der neuen (größeren) pastoralen Räume erworben. In der Diözese Essen hat sich der Diözesan-Caritasverband von Beginn an durch den Miterwerb der Microm-Karten daran beteiligt.
Im zweiten Tel des Schulungstages wurde der Blick sehr intensiv auf die Sinus-Jugendstudie U18 aus dem Jahre 2012 gelegt, weil von daher bei der Fachkräftegewinnung die zukünftigen Bewerber/innen zu erwarten sind. Das Sinus U18-Modell enthält sieben jugendliche Lebenswelten, die mit der gleichen zuvor dargestellten Systematik erhoben wurden:
Der Workshoptag war von der kognitiven und emotionalen Aneignung der am Schulungstag erworbenen Milieu- und Lebensweltkenntnis und einem praktischen Anwendungsbeispiel in Bezug auf die Fachkräftegewinnung in der Erziehungshilfe geprägt. Nach einer kurzen zusammenfassenden Wiederholung der zentralen Erkenntnisse zu den Sinus U18-Lebenswelten wurden die Teilnehmenden eingeladen, sich jeweils zu zweit für eine der sieben U18-Lebenswelten zu entscheiden, die sie genauer in Blick nehmen wollten. Ausgestattet mit einer Digitalkamera und Foto- und Informationsmaterial zur ausgesuchten Lebenswelt begaben sich die Teilnehmenden paarweise auf eine sogenannte Fotosafari oder einen milieuspezifischen Einkaufs- und Stadtbummel in der jeweiligen Stadt. Dabei sollten sie mit der Digitalkamera Orte, Situationen, etc. einfangen, die sie der ausgesuchten Lebenswelt zuordnen würden. Dabei sollten sie insbesondere nach folgenden Dingen Ausschau halten: Ein Auto, das Jugendliche aus dieser Lebenswelt schön finden. Ein Schaufenster oder Geschäft, die diese Jugendlichen besonders ansprechen. Ein Restaurant oder ein Imbiss, wo die Jugendlichen gerne essen würden. Einen Platz oder Ort, an dem sich diese Jugendlichen wohlfühlen. Ein Plakat/eine Werbung, das diese Jugendlichen anspricht. Etwas, was die Jugendlichen überhaupt nicht schön finden. Eine Schule, Kirche oder Polizeiwache fotografiert aus einer Perspektive, die der Haltung der Jugendlichen zu dieser Institution entspricht. Anschließend stellten die Teilnehmenden sich gegenseitig ihre Ergebnisse vor und begründeten ihre Zuordnung der eingefangenen Fotomotive zu der jeweiligen Lebenswelt. In einem weiteren Arbeitsschritt waren die Teilnehmenden eingeladen, untergruppenweise für eine ausgewählte Lebenswelt ein Werbeplakat zur Fachkräftegewinnung für die Erziehungshilfe in einer Collage zu entwickeln.
Werbeplakat-Collagen Sinus U18-Lebenswelten Expeditive Lebenswelt
Materialistische Hedonisten Diversity-Management
Experimentalistische Hedonisten Diversity-Management
Prekäre Wie die Ergebnisse des Workshoptages (Fotosafaris und Werbeplakatcollagen) eindrucksvoll zeigen, ist das Thema Milieukenntnis und Fachkräftegewinnung für die soziale Arbeit in den Köpfen und Herzen der Teilnehmenden angekommen, was auch nochmals in der abschließenden Auswertungsrunde zum Gesamtmodul Diversity Management von den Teilnehmenden ausdrücklich bestätigt wurde. Detaillierte Informationen und Anfragen: Michael Winter, Caritasverband für das Bistum Essen, Tel. 0201 / 81028-790 oder per E- Mail: michael.winter@caritas-essen.de