Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung - ein Einblick

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Transkript:

Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung - ein Einblick Vortrag Stefan Meir PIA der St. Lukas-Klinik Zum Vierteljahrestreffen der KJPP-Kliniken Baden - Württemberg am 23.03.2015

Geistige Behinderung eine weitere Definition Die geistige Behinderung eines Menschen wird als ein komplexer Zustand aufgefasst, der sich unter dem vielfältigen Einfluss sozialer Faktoren aus medizinisch beschreibbaren Störungen entwickelt hat. Die individuelle Störung lässt sich am Besten als Produkt von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren fassen.

Vulnerabilität Verschiedene Faktoren tragen dazu bei, dass die Vulnerabilität im System bei Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung deutlich erhöht ist: Gesundheitliche und soziale Belastungen Einschränkungen und Besonderheiten in der Kognition und Kommunikation Entwicklungsverzögerung Passivität oder Impulsivität Unsicherheit im Umgang und der Erziehung Familiäre Belastungen Grenzüberschreitungen Menschen mit geistiger Behinderung haben ein um ca 30 Prozent erhöhtes Risiko, psychisch zu erkranken.

Häufige Einflussgrößen bei Kindern Adaptationsschwierigkeiten Regulationsstörungen Chromosomale und genetische Syndrome (behavioral phenotype) Frühe Traumatisierung (Schwangerschaft, Geburt, Säuglingsphase, belastende Therapien, belastete Systeme, Bedingungen soz. Institutionen. Bindungsstörungen

Typische Einflußgrößen bei Jugendlichen Körperliche Entwicklung Schulische Entwicklung Soziale Entwicklung Diskrepanz zwischen Erwartungen, Erfahrungen und Möglichkeiten Diskrepanz zwischen Selbst-und Fremdbild Symptomatik, Dynamik und Dauer der Erkrankung sind durch die Verzögerung der Entwicklung in verschiedenen Dimensionen deutlich verschieden von den nicht behinderter Kinder und Jugendlicher.

Resultierende psychische Erkrankungen Belastungsreaktionen / somatische Reaktionen Im Kindesalter Regulationsstörungen Im Jugendalter Anpassungsstörungen Depression Psychosen Schizophrenien.

Sozialer Bezug Psychische Erkrankungen von Betroffenen sind in besonderem Maß als soziale Störungen zu verstehen. Dies bedeutet eine besondere Belastung aber auch eine besondere Möglichkeit in der Behandlung. Eltern stehen unter besonderer Belastung. Belastete, oft eingeschränkte Interaktion und Erziehungskompetenz. Einzeltherapie / Elternarbeit 1:1, max. 3:1

Bedingungen des Umfeldes Enge, oft dyadische Beziehungserfahrungen / keine kontinuierliche Beziehungserfahrung (teil-) institutionelle Sozialisation belastete Familien oder Erziehungssysteme Bindungsstörungen Traumatisierung (Deprivation, Misshandlung, Missbrauch) schlecht abgestimmte Förderung / Überförderung

Bedingungen Behandlungsmotivation des Umfeldes Häufig stehen Irritation, Frustration oder Ratlosigkeit der Kontaktpersonen im Vordergrund. Klienten werden geschickt. Ungenaue Orientierung, was Psychotherapie dabei leisten könnte. Hohe Erwartung, was Psychotherapie dabei leisten soll.

Soziale Bedingungen der Klienten Enge Beziehungen / keine kontinuierliche B. Hoher Unterstützungsbedarf Therapien evtl. gegen den Willen, z. T. schmerzhaft Frühe und intensive Erfahrung von Fremdbestimmung Geringe Autonomie Wenig Kongruenz eigenen Erlebens / Reaktion des Umfeldes

Erschwerter Zugang Behandlungsmüdigkeit oder Behandlungswiderstand auf Seiten des Menschen mit Behinderung kann den Zugang erschweren. Sie haben häufig viele Untersuchungen und Behandlungen (z.t. schmerzhaft), oft ohne eigene Kontrollmöglichkeit über sich ergehen lassen müssen und immer wieder erlebt, dass sie nicht in Ordnung sind. Ihnen sollte daher von Anfang an Raum für Selbstbestimmung, also auch für Widerstand gegeben werden. Möglichkeiten für Selbstschutz und Erholung müssen Ihnen oft zunächst von aussen vermittelt werden.

Therapie Zielt auf die Reduktion der Belastung und auf Veränderung der Vulnerabilität. Schwerpunkt liegt auf der Interaktion. Mehr aktives Erleben und Gestalten als nur reden! Konkret-anschaulich vs. abstrakt weniger Reflexion, mehr Instruktion und Anleitung Lernen über Wiederholung und Rollenspiel Arbeit mit Angehörigen / Bezugspersonen

Einschränkungen Die Klienten sind leicht ablenkbar reduzierte kommunikative Fähigkeiten Motivation ( geschickte Klienten) auslösende situative und emotionale Bedingungen sind oft nicht erinnerlich Gelerntes ist schwer übertragbar leicht vergessen geringere Kontinuität

Erleichternde Bedingungen Klienten sind durch eine positive Gestaltung des Umfeldes und der Interaktion leichter zu erreichen. In der Interaktion oft leichter zugänglich. Mehr spontane Ängste, Wünsche und Sorgen, weniger reflektiert.

Methoden Verhaltenstherapie Psychoanalyse Gesprächstherapie Psychodrama Gestalttherapie Systemische Therapie Basale Stimulation Basale Kommunikation Aufmerksamkeits-Interaktions-Training

Die Eckpfeiler Die Kapazität ist deutlich begrenzt. Das Tempo ist langsamer. Die Struktur ist einfacher. Lernen geschieht aus unmittelbarer Erfahrung. Medium: Anschaulich-konkret Orientierung: Aktuelles Erinnerung: Oft vergesslich, auf zeitnahes begrenzt Interaktion: Stark vom unmittelbaren Eindruck geprägt Kommunikation: verbal eingeschränkt, nonverbal individuell geprägt Emotion: verzögerte Entwicklung Motivation: Kurzfristig hoch, schwindet rasch bei Symptomlinderung Einbezug von wichtigen Personen!!!