3. Vorlesung. Die Existenz des Pentagons. (*)

Ähnliche Dokumente
3. Die Existenz des Pentagons.

3. Die pythagoräische Geometrie.

4. Parallelität ohne Metrik

2. Kongruenzsätze (SWS und SSS) ohne Parallelen.

Geometrische Konstruktionen Die Macht der Werkzeuge. Zirkel allein. Christian Dick

3. Winkelsätze und der Kongruenzsatz (WWS).

c+ f + i= b + e+ h = a+ d+ g=

Landeswettbewerb Mathematik Baden-Württemberg

Die Konstruktion regulärer n-ecke

Kapitel 5: Dreieckslehre. 5.1 Bedeutung der Dreiecke

Kapitel 4: Dreieckslehre. 4.1 Bedeutung der Dreiecke

Geometrie I - Winkeljagd

Für den fitten Denker: Teil 4 Thema Winkel in ebenen Figuren

9. Landeswettbewerb Mathematik Bayern

Landeswettbewerb Mathematik Baden-Württemberg Musterlösungen 2. Runde 2016/2017

2.3 Sätze und Konstruktionen

Begründen in der Geometrie

Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag $Id: dreieck.tex,v /04/29 12:45:52 hk Exp $

Beispiellösungen zu Blatt 3

Zu Aufgabe 1: Bestimmen Sie einen Fundamentalbereich der Drehsymmetriegruppe (a) des Tetraeders, und (b) des Würfels.

Anwendungen in geometrischen Konstruktionen (Konstruktionen nur mit Zirkel)

Landeswettbewerb Mathematik Baden-Württemberg. Runde 1

Geometrie 0.1. Homepage zur Veranstaltung: Lehre Geometrie

Mathematische Probleme, SS 2015 Donnerstag $Id: dreieck.tex,v /04/23 18:14:20 hk Exp $

Klausur zur Vorlesung Elementargeometrie

Schulcurriculum Ludwig-Uhland-Gymnasium Mathematik Klasse 7 u. 8 Seite 1 von 5

Aufgabe 1: Definieren

16. Platonische Körper kombinatorisch

Mathematische Probleme, SS 2015 Montag $Id: dreieck.tex,v /04/27 13:26:30 hk Exp $

4.18 Buch IV der Elemente

Die Kapitel 1 und 2.1 haben wir im Jahr 2012 behandelt. Im Zirkel am haben wir mit Kapitel 2.2 begonnen.

Der Feuerbach Kreis oder Neun Punkte Kreis 1. Der Feuerbach Kreis oder Neun Punkte Kreis

B) Konstruktion des geometrischen Mittels und geometrisches Wurzelziehen :

4. Kongruenz ohne Parallelen.

Aufgabe 1 Zwei Kreise und k mit gleichem Radius schneiden sich in den Punkten A und B. Der Kreis um A

Prof. Dr. Dörte Haftendorn, Leuphana Universität Lüneburg, 2013

9. Geometrische Konstruktionen und Geometrische Zahlen.

Übungsblatt 1. Gruppenübungen

Umfangswinkelsatz. 1. Wie groß ist der Umfangswinkel in einem 2 Kreisbogen? Begründe deine Antwort anhand einer Skizze.

Universität Bielefeld. Elementare Geometrie. Sommersemester Rückblick. Stefan Witzel

Universität Bielefeld. Elementare Geometrie. Sommersemester Rückblick. Stefan Witzel

Konstruktion von Zahlen

GEOMETRIE (4a) Kurzskript

Literatur zu geometrischen Konstruktionen

Geometrie Modul 4b WS 2015/16 Mi HS 1

Einführung in die Geometrie - Grundbegriffe. 2. Teil

Winkel. Die Kreislinie k mit dem Mittelpunkt M berührt die Seiten des Dreeicks ABC in den Punkten F, P und Q.

Grundlagen der Geometrie

Gegenstände der Geometrie

Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

Elementare Mathematik 1 WS 2005/06. Prof. Dr. Klaus Johannson Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

S. 44 AAz Ich kann in Summentermen gemeinsame Faktoren finden und diese ausklammern.

Origamics Gefaltete Mathematik

4. Landeswettbewerb Mathematik Bayern 2. Runde 2001/2002 Aufgaben und Lösungsbeispiele

Musterlösung zur 3. Hausaufgabe - Unterrichtsanalyse -

Methodische Hinweise und Anregungen zur Ergänzung bzw. Erweiterung der Power-Point-Präsentation

Inhaltsverzeichnis. 1. Einleitung Eigenschaften von Kreisen Literaturverzeichnis... 11

1 Der Goldene Schnitt

Aufgabe 1: Multiple Choice Test

A c. C a. C b. P A b. A B c. B a. Über Parallelen zu Dreiecksseiten Darij Grinberg

Polyeder, Konvexität, Platonische und archimedische Körper

Im Bsp. vorher haben wir die Zahl 8 7

Inhalt. Aufgaben zu den Themen: Umfangswinkel Mittelpunktwinkel Sehnen-Tangenten-Winkel Satz des Thales Fasskreis

1 Dreiecke. 1.6 Ähnliche Dreiecke. Mathematische Probleme, SS 2019 Donnerstag 2.5. $Id: dreieck.tex,v /05/03 14:05:29 hk Exp $

Aufgaben des MSG-Zirkels 8b Schuljahr 2005/2006. Alexander Bobenko und Ivan Izmestiev. Geometrie

1. Schulaufgabe aus der Mathematik * Klasse 7c * * Gruppe A

4.13 Euklid (um 300 v.chr.) und seine Werke

25. Mathematik Olympiade 3. Stufe (Bezirksolympiade) Klasse 7 Saison 1985/1986 Aufgaben und Lösungen

31. Mathematik Olympiade 1. Stufe (Schulrunde) Klasse 7 Saison 1991/1992 Aufgaben und Lösungen

4.15 Buch I der Elemente

Konstruierbarkeit des Siebzehnecks

MAT746 Seminar über Euklidische Geometrie Philipp Becker

Flächeninhalt bestimmen bedeutet : Möglichst vielen Figuren F (Maß-)Zahl A(F) zuordnen. Kapitel 8: Der Flächeninhalt

Geometrie Winkel und Vierecke PRÜFUNG 02. Ohne Formelsammlung! Name: Klasse: Datum: Punkte: Note: Klassenschnitt/ Maximalnote : Ausgabe: 2.

Euklidische Konstruktionen

Problem des Monats Februar 2019

Hilberts Drittes Problem

1. Mathematik Olympiade 2. Stufe (Kreisolympiade) Klasse 8 Saison 1961/1962 Aufgaben und Lösungen

Die Ellipse, Zusammenhänge und Konstruktion

Aufgabe 1: Bundesgartenschau: Morgens

Kongruenz Dreiecke.notebook. April 08, Feb 21 10:31. Feb 20 12:03. Feb 26 06:57. Feb 26 09:18. Feb 20 12:02. Feb 20 12:02

Geometrische Ortslinien und Ortsbereiche

Konstruktion: Konstruktion: Konstruktion: Konstruktion: Konstruktion: Konstruktion:

3 Nichteuklidische Geometrie

ELEMENTARGEOMETRIE STEFAN FRIEDL

Über die regelmäßigen Platonischen Körper

Geometrie Modul 4b WS 2015/16 Mi HS 1

Dreieckskonstruktionen

10.7 Zum Können im Lösen geometrischer Konstruktionsaufgaben

Logische Grundlagen der Mathematik, WS 2014/15

EINFÜHRUNG IN DIE GEOMETRIE

5. Flächenlehre ohne Rechnen

6. Mathematik Olympiade 2. Stufe (Kreisolympiade) Klasse 8 Saison 1966/1967 Aufgaben und Lösungen

Viereck und Kreis Gibt es da etwas Besonderes zu entdecken?

Mathematische Probleme, SS 2016 Dienstag $Id: dreieck.tex,v /04/26 17:29:37 hk Exp $

2.2 Axiomatische Mathematik

II. Geometrie. 4. Antike: Die Euklidische Mathematik. 1. Der Satz von Pythagoras.

Körper zum Selberbauen Polydron

Aufgabe 7 G: Symmetrien und Koordinatensystem

Transkript:

3. Vorlesung. ie Existenz des Pentagons. (*) In dieser Vorlesung werden wir sehen wie die Griechen bewiesen haben, dass es das Pentagon wirklich gibt. ieser eweis ist schon recht anspruchsvoll. So anspruchsvoll, dass den Griechen hier Zweifel an den geometrischen Tricks gekommen sein mögen, die man hier angewendet hat. Es kann eigentlich nicht darum gehen - so werden sie bald gedacht haben - nach immer cleveren geometrischen Tricks zu suchen, wenn die geometrischen Grundlagen auf denen diese Tricks beruhen nicht geklärt sind. Was also an dieser Stelle gebraucht wird ist nicht, wie bisher, eine nwedung von solchen mehr oder weniger schwierigen geometrischen Tricks, sondern vielmehr eine systematische, theoretisch einwandfreie Grundlegung der Geometrie, die von einigen, wenigen geometrischen Sätzen ausgeht, die so selbstevident sein sollten, dass man für sie keinen eweis braucht und daraus alle geometrischen Grundsätze logisch einwandfrei entwickelt. ies ist die Forderung nach einer axiomatischen Grundlegung der Geometrie, die hier erstmals in der Geschichte der Mathematik aufkommt. Mit dieser Forderung beschäftigen wir uns in der nächsten Vorlesung. Ihr Resultat ist die historisch erste axiomatische Theorie: die Euklidische Geometrie. Hier also die Konstruktion des Pentagons. (*) iese Vorlesung kann beim ersten Lesen übersprungen werden

Einige Winkel-Sätze im Kreis. 3 Pythagoräische Geometrie 21 Neben den eigentlichen Konstruktionsaufgaben wie oben wurden auch Eigenschaften von geometrischen Objekten studiert. esonders beliebt waren dabei Eigenschaften des Kreises. Um anzudeuten woran die Griechen interessiert waren, beweisen wir drei Hilfssätze über Winkel im Kreis, die wir später brauchen werden: ehauptung. [Euklid, III 20] In der folgenden Figur ist E = 2. E F er Mittelpunktswinkel ist das oppelte aller Umfangswinkel Wir haben lso und so E + EF = 2R 2 E + E = E + E + E = 2R 2 E = EF und ebenso 2 E = FE. 2 = E. ies beweist die ehauptung. ehauptung. [Euklid, III, 21] Umfangswinkel über derselben Sehne sind gleich. lle Umfangswinkel sind gleich

22. Geometrie (L2) ie Umfangswinkel und ) sind beide halb so groß wie der Mittelpunktswinkel über derselben Sehne. amit sind die Umfangswinkel gleich, d.h. =. amit ist die eh. bewiesen. ehauptung. [Euklid, III 22] Für jedes Viereck im Kreis ist die Summe von gegenüberliegenden Winkel = 2R = 2 Rechte. Winkelsummen gegenüberliegender Winlel sind gleich zwei Rechte Wir haben + + = 2R Weiter gilt (nach obiger eh.) = = weil dies jeweils zwei Winkel über derselben Sehne sind, und somit = + = + + = + + = 2R ies war zu zeigen.

Konstruktion des Pentagons. 3 Pythagoräische Geometrie 23 Es stellt sich heraus, dass die gefragte Konstruktion des Fünfecks äquivalent ist zur Konstruktion eines gewissen asisdreicks, d.h. zur Konstruktion eines gleichschenkligen reiecks (,, ) dessen asiswinkel an den Ecken, beide doppelt so groß sind wie der Winkel an der Spitze : as asisdreieck für das Fünfeck us dem asisdreieck lässt sich aber nun sofort das Fünfeck mit Zirkel und Lineal konstruieren [Euklid, IV 11]: E Konstruktion des Fünfecks ie Strecken und E seien Winkelhalbierende. ann sind die Winkel, E, E,, alle gleich und somit auch alle Seiten des Fünfecks (denn im Kreis sind die Sehnen gegenüber gleichen Winkeln gleich [Euklid, III, 29]. amit ist das Pentagon aus dem asisdreieck konstruiert. Konstruktion des asisdreiecks. Man ziehe zunächst den Kreis mit Radius. Sei der Punkt auf mit = 2 (siehe oben) und sei die Sehne mit =.

24. Geometrie (L2) Konstruktion des asisdreiecks ehauptung. as reieck ist ein asisdreieck. eweis. [Euklid, IV 10] Wir müssen zeigen, dass = = 2. Wir beweisen diese ehauptung unter der folgenden Winkel-nnahme =. er eweis dieser Winkel-nnahme ist ziemlich technisch und wird gleich nachgeholt (er benutzt die edingung = 2 ). us der Winkel-nnahme folgt: + = + = + = 2R = = = lso und so = = = + = 2 = 2 = 2 und = 2. amit ist mit das gesuchte asisdreieck konstruiert. emerkung. is hierher scheint die Existenz von nicht rationalen Verhältnissen unwiderlegbar zu sein. ber vielleicht - so könnten die Pythagoräer jetzt noch gefragt haben - muß

3 Pythagoräische Geometrie 25 man doch noch tiefer gehen und auch noch alle verwendeten geometrischen Grundsätze prüfen, wie etwa die Kongruenzsätze und andere, die vielleicht unbewußt benutzt wurden. Was also an dieser Stelle gebraucht wird ist nicht, wie bisher, eine nwedung von mehr oder weniger schwierigen geometrischen Tricks, sondern vielmehr eine systematische, theoretisch einwandfreie Grundlegung der Geometrie, die von einigen, wenigen geometrischen Sätzen ausgeht, die so selbstevident sein sollten, dass man für sie keinen eweis braucht und daraus alle geometrischen Grundsätze logisch einwandfrei entwickelt. ies ist die Forderung nach einer axiomatischen Grundlegung der Geometrie, die hier erstmals in der Geschichte der Mathematik aufkommt. Mit dieser Forderung beschäftigen wir uns in der nächsten Vorlesung. Ihr Resultat ist die historisch erste axiomatische Theorie: die Euklidische Geometrie.

26. Geometrie (L2) Nachtrag. eweis der Winkel-nnahme. Wir müssen jetzt noch den eweis der Winkel-nnahme = nachtragen, von der wir im obigen eweis ausgegangen sind. er eweis der Winkel-nnahme benutzt einen Trick. er Trick besteht darin, die Winkel- nnahme als einen Satz über Winkel im Kreis zu formulieren, aber in einem Kreis der verschieden ist von dem bisher benutzten. Zum eweis konstruieren wir also einen neuen Kreis und zwar den Kreis durch die drei Punkte,, (wie konstruiert man dies mit Zirkel und Lineal? Übung) Zum eweis der Winkel-nnahme ie entscheidende Eigenschaft, die uns weiterbringt, ist die folgende eh. ist Tangente zum Kreis. eweis der eh. Wir haben = 2 = 2 amit ist die ehauptung auf den eweis des folgenden allgemeinen Tangenten Kriteriums reduziert.

3 Pythagoräische Geometrie 27 F E as Tangenten Kriterium eh. = 2 ist tangential zum Kreis. eweis. [Euklid III, 37] Wir ziehen, als Hilfslinien, die Tangente von nach E. ann ist EF = 90 o Wir haben weiter lso ist und so = E 2 E 2 = 2 E = ber es ist auch FE = F. Somit sind die Seiten der reiecke FE und F und so auch die reiecke selbst FE = F lso sind auch die Winkel gleich. Insbesondere die Winkel EF = F ber F = 90 o. Somit auch EF = 90 o und muss tangential sein. Nach dem oben ewiesenen, stellt sich die Winkel-nnahme nun als eine ussage über Tangentenwinkel im Kreis dar: E Tangentenwinkel F

28. Geometrie (L2) eh. F =. eweis. [Euklid II 32] Es genügt zu zeigen E =. Wir haben = 90 o, da es Winkel über urchmesser als Sehne. lso + = 90 o ber auch F = 90 o. Somit F = + lso F = F = + = Wir haben F + E = 2R und + = 2R. emnach F + E = + = F + und so E = und dies war zu zeigen. amit ist alles bewiesen. as asisdreieck ist mit Zirkel und Lineal konstruierbar und somit auch das Pentagon.

3 Pythagoräische Geometrie 29 as odekaeder. as odekaeder ist ein reguläres Polyeder, das aus 12 Pentagonen wie folgt gebildet ist. Ist erst einmal das Pentagon konstruiert, so kann man fragen, ob nicht vielleicht auch ein odekaeder konstruiert werden kann. amit haben sich die Griechen auch beschäftigt und die ntwort ist: Ja. Eine Konstruktion mit Zirkel und Lineal kann man in [Euklid, XIII] finden. Tatsächlich gibt es noch 4 weitere reguläre Polyeder; insgesamt die folgenden: das Tetraeder, die oppelpyramide, der Würfel, das odekaeder, das Ikosaeder. iese Polyeder heißen heute platonische Körper. In [Euklid, XIII] ist gezeigt, dass alle platonischen Körper (mit Zirkel und Lineal) konstruiert werden können. iese Konstruktionen sind aber z.t sehr aufwendig. Weiter wird gezeigt, dass die Liste von 5 platonischen Körpern vollständig ist - es gibt keine weiteren regulären Polyeder mehr! ies ist, geschichtlich, die erste vollständige Klassifikation einer mathematischen Theorie (der Theorie der regulären Polyeder) überhaupt. ie griechische Klassifikation der platonischen Körper ist heute ein Standardmodell für eine vollständigen Klassifikation einer mathematischen Theorie. Man sagt dabei: efinition. Eine mathematische Theorie ist gewöhnlich eine Theorie von Äquivalenzklassen von Objekten. Eine mathematische Theorie ist klassifiziert, wenn man (1) Modelle für alle Äquivalenzklassen hat und wenn man (2) die Modelle ohne Wiederholung aufzählen kann. Literatur. Euklid, ie Elemente O. ecker, Grundlagen der Mathematik in geschichtlicher arstellung Sir T. Heath, history of greek mathematics