Jürgen Habermas: Leben und Werk

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Transkript:

Joachim Stiller Jürgen Habermas: Leben und Werk Alle Rechte vorbehalten

Jürgen Habermas: Leben und Werk Ich werde hier das Kapitel zu Jürgen Habermas aus dem folgenden Werk wiedergeben besprechen und diskutieren: - Peter Ehlen, Gerd Haeffner, Friedo Ricken: Grundkurs Philosophie - Band 10: Philosophie des 20. Jahrhunderts (Kohlhammer Urban), S.164-168 Leben und Werke Jürgen Habermas wurde am 18.04.1929 in Düsseldorf geboren. Er habilitierte sich 1961. Von 1964 bis 1971 und von 1983 bis zur Emeritierung 1994 war er Professor in Frankfurt a.m., von 1971 bis 1983 war er Direktor eines wissenschaftlichen Instituts in Starnberg. Habermas hat in der Auseinandersetzung über seine Werke immer wieder Anregungen seiner Kontrahenten aufgenommen, die zur Erweiterung, aber auch zur Korrektur seines Denkansatzes geführt haben. Sein Denken ist seit Beginn durch die Auseinandersetzung mit der Philosophie Adornos und Horkheimers bestimmt und teilt mit ihnen das emanzipatorische Interesse. Sein Werk ist im weitesten Winn gesellschaftsphilosophisch; in besonderer Weise geht es ihm um die Bedingungen der Möglichkeit gerechter und freiheitlicher Strukturen im öffentlichen Leben. Von den frühen Arbeiten sollen erwähnt werden: Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962); Erkenntnis und Interesse (1968); Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus (1976). Als Hauptwerk kann die 1981 erschienene zweibändige Theorie des kommunikativen Handelns angesehen werden. Die in ihm angelegte Diskursethik ist in Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln (1983) und in späteren Erläuterungen (1991) weiter entfaltet. Zu nennen sind ferner die Philosophischen Aufsätze zum Nachmetaphysischen Denken (1988); Faktizität und Geltung (1992) als Rechtstheorie und Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie (1996). 1. Kommunikative und zweckrationale Vernunft Habermas entwickelt in seinem Hauptwerk die Grundbegriffe einer Gesellschaftstheorie, mit denen er den von M. Weber konstatierten Rationalisierungsprozess in der Moderne neu reflektiert, um über den resignativen Befund Webers hinaus der Emanzipation von den Beschränkungen der zweckrationalen Vernunft neue Impulse zu geben. Eine starke Rolle spielt hierbei (im Anschluss an K.-O. Apel) der Paradigmenwechsel von der Bewusstseinsphilosophie zur Kommunikationstheorie : Der Fokus der Untersuchung verschiebt sich damit [ ] zur kommunikativen Rationalität. Für diese ist nicht die Beziehung des einsamen Subjekts zu etwas in der objektiven Welt, sondern die intersubjektive Beziehung, die sprachund handlungsfähige Subjekte aufnehmen, wenn sie sich miteinander über etwas verständigen (Theorie des kommunikativen Handelns I, 524 f.). Nach Habermas ist die Sprache jene Eigenschaft, die den Menschen aus [der] Natur heraushebt. Sprache ist auf Verständigung und so auf vernünftiges Handeln gerichtet; mit ihrer Struktur ist Mündigkeit für uns gesetzt (Technik und Wissenschaft als Ideologie, 163). Insofern ist mit ihr die notwendige und hinreichende Bedingung der Möglichkeit freier und vernünftiger Selbstbestimmung erfüllt.

2. Diskursethik Habermas geht weiter davon aus, dass mit dem Eintritt in einen Diskurs, der das Ziel hat, sich gegenseitig zu verständigen, implizit Regeln anerkannt werden. Mit Hilfe der Theorie der Sprechakte (anschließend an J.L. Austin, J. Searle) will er das präreflexive Wissen dieser Regeln rekonstruieren. Die Sprechakte werden von ihm nach den jeweiligen Kommunikationsmodi unterschieden, mit denen je verschiedene Geltungsansprüche verbunden sind. Die Akte, mit denen Dinge und Ereignisse festgestellt werden, gehören der kognitiven Kommunikation an; der Maßstab ihrer Geltung ist die Wahrheit. Die expressiven Akte repräsentieren die Intentionen und Einstellungen des Sprechers, ihre Geltung misst sich an ihrer Wahrhaftigkeit. Die regulativen Akte zielen auf Zustände in der gemeinsamen Lebenswelt; ihre Geltung misst sich an ihrer Richtigkeit. Soll Verständigung erreicht werden und das beste Argument die freie Zustimmung aller Beteiligten finden, müssen die von der kommunikativen Vernunft geforderten Geltungsansprüche erfüllt sein. Die Vernunft selber fordert als regulativen Maßstab emanzipierten Miteinanders einen Diskurs, der in einem herrschaftsfreien und gleichberechtigten Austausch von Rede und Gegenrede besteht, der allen Beteiligten die gleichen Chancen einräumt und in dem ausschließlich das bessere Argument die letzte Zustimmung erhält. Die hiermit skizzierte ideale Sprechsituation will Habermas nicht als ein Konstrukt verstanden wissen, das den empirischen Sprechsituationen normativ gegenübergestellt würde, vielmehr ist sie eine notwendige, vom Sinn der Kommunikation geforderte, in Diskursen reziprok vorgenommene Unterstellung. Als solche ist sie aber auch operativ wirksam (Wahrheitstheorien, 258). Die Diskursethik gibt keine inhaltlichen Orientierungen an; sie beschränkt sich auf die Begründung des Verfahrensprinzips und bleibt so rein formal. Die Frage nach dem guten Leben will sie nicht beantworten. In einigen Punkten schließt sie an Kants Ethik an, will aber ohne deren transzendentale Rückbindung auskommen. Habermas will mit ihr einen Mittelweg zwischen deontologischer und konsequentialistischer Ethik gehen 3. Beurteilung der Moderne Der kritische Blick, den Habermas auf die moderne Gesellschaft wirft, ist durch die hegelianisch-marxistische Entfremdungsproblematik (G. Lukacs) angeleitet. Die fortlaufende Differenzierung der Gesellschaft habe zu einer Kolonialisierung der unausgesprochenen im Hintergrund eines Verständigungszusammenhangs stehenden Überzeugungen und Gewissheiten, die Habermas mit dem Begriff Lebenswelt (E. Husserl) zusammenfasst, geführt. Sein Gegenbegriff ist das System (N. Luhmann), dessen ökonomische und administrative Rationalität der überwiegend von praktisch-moralischen und ästhetischexpressiven Werten getragenen Lebenswelt eine fremde Handlungslogik aufzwingt (Theorie des kommunikativen Handelns I, 449; II, 272). Doch hält Habermas das Projekt der Moderne lediglich für unvollendet und meint, ihre Defizite durch eine radikalisierte Aufklärung überwinden zu können. Zumal die Stabilisierung der Gesellschaft, die zuvor die Religionen gewährleistet hatten, mit dem der Moderne selber innewohnenden Prinzip zu leisten sei. Damit jedoch die Selbstbegründung aus der Vernunft gelingt, müssen die im Subjekt gründende Vernunft, welche die transzendentale Frage nach sich zieht, verabschiedet und durch die in der gesellschaftlichen Immanenz verbleibende kommunikative Vernunft ersetzt werden.

4. Anmerkungen Wahrheit und Vernunft sind die Eckbegriffe von Habermas Philosophie, an denen auch ihre Problematik erkennbar wird. Wahr ist der Konsenstheorie zufolge, was letztendlich allen vernünftigen Diskursteilnehmern eines potentiell unbegrenzten idealen Diskurses, in dem alle Einwände geprüft sind, als wahr gilt. Diese Wahrheit würde mit dem Bewusstsein aller zusammenfallen. Sie ist das ultimative Ziel des Diskurses, als solches real aber nicht fixierbar. In einem zeitlich begrenzten Diskurs ist die Freiheit der Zustimmung nicht garantiert; sein Ergebnis, auch wenn es die Zustimmung aller findet, ist immer revidierbar, weil stets eine Gesichtspunkte geltend gemacht werden können. Das Moment der Unbedingtheit, das der Wahrheit zukommt, ist hier nicht zu begründen. Sie ist relativ auf das vorangegangene Argumentationsverfahren und die Zustimmung der an ihren Interessierten; eine andere Autorität besitzt sie nicht. Auch in der Schrift Wahrheit und Rechtfertigung (1999), in der Habermas erneut die Wahrheitsproblematik aufgreift, gelangt er nicht zur Begründung der Unbedingtheit des Wahrheitsanspruchs. Wahrheit bleibt ein asymptotisch zu erstrebender Grenzwert. Unterschieden von der Wahrheit im erkenntnistheoretischen Sinn ist das für das praktische handeln normativ Richtige; bei ihm ist die jeweils diskursiv gewonnene Zustimmung der Maßstab. Mit der Annahme, dass der Geltungsanspruch der Wahrheit, der in der sprachlichen Kommunikation implizit erhoben wird, durch diese selbst schon hinreichend begründet ist und deshalb keiner ontologischen Rückbindung bedarf, hat Habermas die Weiche gestellt, die ihn zum Gefangenen des nachmetaphysischen Immanentismus macht. Als motivbildenden Gedanken seiner Gesellschaftstheorie hat Habermas die Versöhnung der mit sich selbst zerfallenden Moderne genannt (Dialektik der Rationalisierung, 15). Hier drängt sich die Frage auf, ob die auf Versöhnung ausgerichtete Theorie das (mit Kants Wort) radikal Böse im Menschen hinreichend berücksichtigt. Muss es angesichts der stets gegebenen Möglichkeit dieses Bösen nicht als naiv angesehen werden, der menschlichen Vernunft die Emanzipation von jeglicher Vergewaltigung aufzubürden? Bestenfalls könnten bestimmte physische Formen der Gewaltanwendung durch administrative Maßnahmen unterdrückt werden. Eine unversehrte Intersubjektivität herzustellen, welche die Neigung, den anderen zu erniedrigen, von innen her ausschließt, überfordert die kommunikative Vernunft, von der Habermas meint, dass sie als kontingent entstanden zu denken sei. Habermas bestätigt denn auch, dass seine Theorie sich mit dem Schatten eines transzendentalen Scheins begnügt (Nachmetaphysisches Denken, 184). Eine Theorie, die uns die Erreichbarkeit eines Vernunftideals vorgaukelt, würde hinter das von Kant erreichte Argumentationsniveau zurückfallen. Wie dann aber Versöhnung und Trost angesichts der sittlichen Trostlosigkeit (Stichwort Auschwitz ) begründet erhofft werden können, ist unerfindlich. In der Tat: Das Moment der Unbedingtheit, das in den Diskursbegriffen der fehlbaren Wahrheit und Moralität aufbewahrt ist, ist kein Absolutes (ebd. 184). Es bleibt in dieser Theorie beim Kreisen um die eigene Relativität. Die religiöse Tradition, insbesondere das Heilsdenken jüdisch-christlicher Herkunft hält zwar die Erinnerung wach, dass im semantischen Potential solcher Begriffe wie Moralität und Sittlichkeit, Person und Individualität, Freiheit und Emanzipation der Verweis auf ein Absolutes enthalten ist. Der Moderne aber kann sich dieses Potential nicht als solches erschließen. Da ihr auch für eine philosophische Transformation (ebd. 23) die Voraussetzungen fehlen, muss sie es dabei belassen, mit den Weltreligionen, ohne sie zu stützen oder zu bekämpfen, enthaltsam [zu] koexistieren (ebd. 185). Weil Habermas meint, transzendentales Denken würde zu einem transzendentalen Gegenstandsbewusstsein führen (vgl. Kommunikatives Handeln und detranszendentalisierte Vernunft, 23) und so das Absolute unweigerlich verfehlen, begnügt er sich mit einem detranszendentalisierten Vernunftgebrauch, der über die

Unterstellung einer gemeinsamen objektiven Welt und die gegenseitige Rationalitätsunterstellung nicht hinauskommt (ebd. 32). Nur zwei Anmerkungen: 1. Die Konsenstheorie der Wahrheit ist nicht generell falsch... Sie gilt allerdings nur für die Metaphysik... Nun lehnt Habermas aber gerade die Metaphysik ab... Er ist der irrigen Auffassung, wir befänden uns in einer postmetaphysischen Zeit... Damit steht Habermas aber im Widerspruch mit sich selbst... Auf die empirische Wissenschaft ist die Konsenstheorie jedenfalls nicht übertragbar... 2. In der Frage der Ethik möchte ich mich ganz auf die Seite von Kant schlagen Es muss einen objektiven Maßstab für die Ethik geben Und diesen Maßstab fand ich in meinem neuen KI: Handle immer so, dass Du nach Möglichkeit niemandem schadest Einen objektiveren Maßstab gibt es nicht Aber: Nun zeigt sich, das die Meinung darüber, was es denn ist, was niemandem schadet, zu allen Zeiten verschieden war Und so muss man überhaupt erst herausfinden, wass denn gerade von allen als das akzeptiert wird, was niemandem schadet Und an der Stelle kommt die Diskursethik wieder mit ins Spiel Also nicht ganz freies Spiel der Kräfte, ohne Netz und doppelten Boden, wie bei Habermas, sonder schon anhand der Vorgabe des neuen KI, aber innerhalb der Grenzen des neuen KI eine relative Entwicklung dessen, was je zu einer bestimmten Zeit konsensfähig ist 3. Habermas sieht viele Dinge sehr einseitig... Literaturhinweise: Literatur zur Soziologie, in der sich auch eine Menge Material zu den Klassikern der Soziologie findet: - H.P. Henecka: Grundkurs Soziologie (UTB) Besonders sei auch auf das folgende Werk hingewiesen: - Norbert Brieskorn: Grundkurs Philosophie Band 19: Sozialphilosophie (zu Jürgen Habermas die Seiten 265-280) Joachim Stiller Münster, 2014 Ende Zurück zur Startseite