Bußgeldpraxis bei Kartellen FIW-Ferienkurs. Dr. Justus Herrlinger

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Transkript:

Bußgeldpraxis bei Kartellen FIW-Ferienkurs Dr. Justus Herrlinger 22. September 2016

Bestandsaufnahme

Verhängte Bußgelder im Jahr 2015 Bundeskartellamt Monat Branche Gesamtsumme in Anzahl der Unternehmen Hauptvorwürfe (Absprache) Januar Trinkwasserbesprudelungsgeräte 225.000 1 März Sanitär-, Heizung- und Klimabranche 21,3 Mio. 9 Mai Markenhersteller von Drogerieartikel 63 Mio. 15 Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung Abstimmung bei der Kalkulation der Bruttopreisliste & Verkaufspreise Wettbewerbsbeschränkender Informationsaustausch Mai Portable Navigationsgeräte 300.000 1 Vertikale Preisbindung Juni Lebensmitteleinzelhandel 48,5 Mio. 6 Vertikale Preisbindungen Juni Fertiggaragen 11 Mio. 10 Preisabsprachen 2

Verhängte Bußgelder im Jahr 2015 Bundeskartellamt Monat Branche Gesamtsumme in Anzahl der Unternehmen Hauptvorwürfe (Absprache) Juni Automobilzulieferer 90 Mio. 6 Abstimmung bei Ausschreibungen, Preisuntergrenzen u.a. Juli Rüstungslieferanten 1,3 Mio. 3 Preisabsprachen und gegenseitige Unterbeauftragung August Containertransporte in deutschen Seehäfen 4,56 Mio. 7 Abstimmung über Kostensteigerungen gegenüber Kunden Oktober Matratzen 15,5 Mio. 1 Vertikaler Preisbindung Dezember Vertrieb von Röstkaffee 50 Mio. 5 Preisabsprachen Dezember Anzeigenblätter 12,44 Mio. 3 Koordinierte Stilllegung 3

Verhängte Bußgelder im Jahr 2015 EU Kommission, Generaldirektion Wettbewerb Monat Branche Gesamtsumme in Anzahl der Unternehmen Hauptvorwürfe (Absprache) Februar Finanzunternehmen 14,96 Mio. 1 Absprachen bei Yen- Zinsderivate (YIRD) Juni Lebensmittelverpackungen 115,9 Mio. 10 Preisabsprachen, Kundenaufteilung Juni Standheizungshersteller 68 Mio. 2 Preisabsprachen und Kundenaufteilung Juli Schienengüterverkehrsbetreiber 49 Mio. 3 Oktober Optische Laufwerke 116 Mio. 8 Preisabsprachen und Kundenaufteilung Abstimmungen zu Ausschreibungen Quellen: Pressemitteilungen des Bundeskartellamtes & der Generaldirektion Wettbewerb, sowie die jeweiligen Jahresberichte der Institutionen für das Jahr 2015 4

Wer verhängt Bußgelder?

Kartellverfolgende Behörden EU Kommission Grundlage: VO 1/2003 zur Durchsetzung von Art. 101 und 102 AEUV Bußgeldleitlinien der Kommission konkretisieren Berechnung Bundeskartellamt Grundlage: GWB zur Durchsetzung von 1, 19 ff. GWB und Art. 101, 102 AEUV OWiG Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamtes Andere nationale Kartellbehörden 6

Kartellverfolgende Behörden EU Kommission und nationale Behörden sind grundsätzlich nebeneinander zur Durchsetzung von Artt. 101, 102 AEUV zuständig Eröffnet EU Kommission in gleicher Sache ein Verfahren, gilt Anwendungsvorrang vor nationalen Behörden Im European Competition Network (ECN) tauschen sich Behörden aus und unterstützen sich gegenseitig in Verfahren 7

Bußgeldberechnung

Rechtsgrundlagen EU Art. 23 VO 1/2003 Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 81 oder Artikel 82 des Vertrags verstoßen ( ) Die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede beteiligte Unternehmensvereinigung darf 10 % seines bzw. ihres jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen. BKartA 81 Abs. 4 GWB Die Ordnungswidrigkeit kann ( ) mit einer Geldbuße bis zu einer Million Euro geahndet werden. Gegen ein Unternehmen ( ) kann über Satz 1 hinaus eine höhere Geldbuße verhängt werden; die Geldbuße darf 10 % des in der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes ( ) nicht übersteigen. Bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes ist der weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen zugrunde zu legen, die als wirtschaftliche Einheit operieren. ( ) 9

Gesetzliche Zumessungskriterien EU Art. 23 VO 1/2003 Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen. BKartA 81 Abs. 4 S. 6 GWB Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen. 17 Abs. 3 OWiG Grundlage für die Zumessung der Geldbuße sind die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters kommen in Betracht; 10

Leitlinien der Behörden EU BKartA Umsatz, der mit Verkauf der Waren oder Dienstleistungen erzielt wurde, die mit dem Verstoß in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen (tatbezogener Umsatz) Innerhalb des EWR im letzten vollständigen Geschäftsjahr der Beteiligung erzielte tatbezogene Umsatz. Zu multiplizieren mit der Anzahl der betroffenen Jahre Grundbetrag: bis zu 30% des tatbezogenen Umsatzes Während des gesamten Tatzeitraums erzielte tatbezogene Umsatz im Inland Obergrenze: bis zu 20-60% des tatbezogenen Umsatzes abhängig von Gesamtumsatz der wirtschaftlichen Einheit ; aber: 10 % von Konzernumsatz, wenn niedriger Innerhalb des Rahmens für den Grundbetrag bzw. Obergrenze erfolgt Zumessung nach Schwere des Verstoßes, erschwerenden und mildernden Umständen Zuzüglich 15-25% des Grundbetrages für horizontale Hardcore-Verstöße Erhebliche Erhöhung für Wiederholungstäter möglich 11

Rolle der gesetzlichen 10%-Regel EU Kappungsgrenze Die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen darf 10 % seines im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen (relevant ist wirtschaftliche Einheit). BKartA Obergrenze Wenn die als Prozentsatz des tatbezogenen Umsatzes errechnete Obergrenze (s.o.) 10% des Umsatzes der wirtschaftlichen Einheit übersteigt, gelten diese 10% als Obergrenze (d.h. keine Anwendung des tatbezogenen Umsatzes). 12

Erläuterung zu Bußgeldleitlinien BKartA Bußgeldobergrenze berücksichtigt Gesamtumsatz und tatbezogenen Umsatz Prozentsatz, mit dem tatbezogener Umsatz angesetzt wird, variiert nach Konzerngesamtumsatz zwischen 20 und 60 % Für Konzerngesamtumsatz 100 Mio.: 30 % (wie bisher) Darunter: 20 30 % Darüber: 100 Mio. 1 Mrd. 10 Mrd. 100 Mrd. 30-40 % 40-50 % 50-60 % Alternativ: 10 % Gesamtkonzernumsatz, wenn niedriger 13

Anwendungsbeispiel Tochtergesellschaft T eines internationalen Konzerns ist an Kartell beteiligt Gesamtumsatz des Konzerns im letzten Geschäftsjahr: EUR 1,5 Mrd. Gesetzliche Obergrenze: EUR 150 Mio. Umsatz von T im Tatzeitraum mit betroffenen Produkten (tatbezogener Umsatz): EUR 250 Mio. Bußgeldrahmen (40,55 % des tatbezogenen Umsatzes): bis zu ca. 101 Mio. 10%-Grenze (EUR 150 Mio.) nicht anwendbar Tatbezogener Umsatz Konzern 14

Situation in Deutschland seit Grauzement

Der Beschluss Grauzementkartell des BGH Beschluss vom 26.02.2013, KRB 20/12 Grauzementkartell Zentrale Aussagen: 1. 10 %-Grenze ist Ober-, nicht Kappungsgrenze für Bußgeldhöhe Ersetzt Obergrenze nach tatbetroffenen Umsätzen Konzept der tatbetroffenen Umsätze erwähnt BGH gar nicht 2. Berechnung der 10 %-Grenze anhand der Konzernumsätze, nicht nur tatbeteiligtes Unternehmen (bereits nach GWB 2005) 3. Sanktionsfindung durch eigenständigen Erkenntnisakt des Gerichts anhand der gesetzlich vorgegebenen Bemessungskriterien ( 17 Abs. 3 OWiG) 16

Was bedeutet Ober- statt Kappungsgrenze? 10%-Grenze des 81 Abs. 4 S. 2 GWB ist in verfassungskonformer Auslegung als Obergrenze zu verstehen Bisherige Praxis BKartA Reine Methode Grauzementkartell Gesamtumsatz Gesamtumsatz tatbezogener Umsatz 10% ggf. Kappung 10% 10% 17

Probleme von Grauzement : Auswirkung der Konzernbetrachtung Gleicher Verstoß bei gleichem betroffenen Umsatz: sehr ungleiche Bußgelder Rechenbeispiel für mittelschweren Verstoß a) b) Konzernverbund Gesamtumsatz 20 Mrd A 500 Mio. Bußgeld: 25 Mio.(?) B 500 Mio. Bußgeld: 1 Mrd.(?) Zwar: Entscheidung des Gesetzgebers für Umsätze u. wirtschaftliche Einheit Aber: Umsatz des Gesamtkonzerns als geeignetes tertium comparationis? 18

Probleme von Grauzement : Angemessene Bußgeldgrenzen? Keine absolute, betragsmäßige Begrenzung (siehe 40 Abs. 2 S. 2 StGB) Unverhältnismäßig verfassungskonform? Keine Erwähnung von tatbezogenem Umsatz oder eines Korrektivs in Entscheidungsgründen Erhebliche Unsicherheit für gerichtliches Bußgeld Drohmittel für BKartA im Rahmen von Kooperation und Settlements ( 136a StPO), Sanktionsschere 19

Unsicherheiten in der Praxis Leitlinien des Bundeskartellamtes nicht bindend für Gerichte BGH berücksichtigt Berechnung nach tatbezogenem Umsatz nicht Anwendung durch OLG Düsseldorf (Beschwerdegericht für Einsprüche gegen BKartA) ungeklärt Eigenständiger richterlicher Erkenntnisakt (BGH) Kein Verbot der reformatio in peius (s.u.) 20

Beispiel Drogerieartikelkartell Einsprüche gegen Bußgeldbescheide von P&G, Gillette, GlaxoSmithKline, L Oreal, Erdal (2013) Beispiel P&G: Umsatz 2012 ca. 65 Mrd. Bußgeldobergrenze: 6,5 Mrd. Mittelschwerer Verstoß: Rechnerisch 3,3 Mrd.(?) OLG deutete in Verhandlung deutliche Erhöhung der Bußgelder an, wenn Vorwürfe im Kern zutreffend Alle Unternehmen haben Einsprüche zurückgenommen 21

Adressaten von Bußgeldentscheidungen

Die wirtschaftliche Einheit Als Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne gilt die wirtschaftliche Einheit Zu einer wirtschaftlichen Einheit gehören alle Gesellschaften und Personen, über die die letztlich kontrollierende Einheit die Möglichkeit hat, einen kontrollierenden Einfluss auszuüben 100 %ige Tochtergesellschaften Nahezu 100 %ige Tochtergesellschaften JV, wenn Einfluss für kontrollierenden Einfluss ausreichend ist Unabhängig von Gesellschaftsformen und Form der rechtlichen Einflussmittel; stark tatsächlich geprägt 23

Mögliche Adressaten EU wirtschaftliche Einheit Zurechnung des Handelns eines Organs oder einer Person in einer Gesellschaft der Einheit Entscheidung regelmäßig auch an Obergesellschaft adressiert BKartA (aktueller Stand) Rechtsträger der handelnden Einheit Kartellverbot richtet sich an Unternehmen Handeln können nur Personen: Unternehmenseigenschaft wird qualifizierten Personen zugerechnet Bußgeld (auch) gegen das Unternehmen gemäß 30 OWiG Eigene Haftung von Obergesellschaft nur bei eigenem Verstoß und Verschulden (auch Aufsichtspflichtverletzung) 24

Rechtsnachfolge im deutschen Recht Wegen Rechtsträgerprinzip erstreckt sich Haftung grundsätzlich nicht auf wirtschaftliche Nachfolgegesellschaften (sog. Wurstlücke ) Ausnahmen nach BGH nur, wenn übertragenes Geschäft in neuer Vermögensverbindung nahezu unverändert weiterbesteht, v.a. in gleicher oder in ähnlicher Weise wie bisher eingesetzt wird und in der neuen juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens ausmacht BGH v. 10.08.2011 (KRB 55/10) Versicherungsfusion Nachfolgehaftung anerkannt in OLG Düsseldorf v. 10.02.2014 (V-4 Kart 5/11 Owi) Melitta 25

Änderungen durch 9. GWB-Novelle (Stand: Referentenentwurf) Konsequenz aus der Wurstlücke : Aufweichen des Rechtsträgerprinzips zugunsten der wirtschaftlichen Einheit 81 Abs. 3a GWB-E 2016: Bußgeld kann gegen jede Gesellschaft innerhalb der wirtschaftlichen Einheit, für die der Anknüpfungstäter handelt, verhängt werden 81 Abs. 3c GWB-E 2016: Bußgeld kann auch gegen die juristischen Personen festgesetzt werden, die das Unternehmen in wirtschaftlicher Kontinuität fortführen (wirtschaftliche Nachfolge) 81a Abs. 1 GWB-E 2016: Erlischt der ursprünglich verantwortliche Rechtsträger nach Verfahrenseinleitung, kann gegen andere Gesellschaften der bei Verfahrenseinleitung bestehenden wirtschaftlichen Einheit Bußgeld verhängt werden 26

Leniency-/Bonusanträge und Settlements

Leniency / Bonusanträge EU Kommission und BKartA bieten Kronzeugenprogramme an Vollständiger Bußgelderlass bei Offenbarung eines neuen Verstoßes Reduzierungen für spätere kooperierende Unternehmen bis zu 50 % 28

Settlements Bei EU Kommission und BKartA führen einvernehmliche Verfahrensbeendigungen (Settlements) in der Praxis pauschal zu einer 10%igen Bußgeldreduzierung Schließt Geständnis ein Kombination von Unsicherheit des Bußgelds im Rechtsmittel, Anreiz zu Bonusantrag und Settlements führt zur Gefahr der Sanktionsschere und de facto Verlust des Rechtsschutzes 29

Rechtsmittel

Rechtsmittel EU Anfechtungsklage zum EuG (Art. 263 AUEV) binnen zwei Monaten BKartA Einspruch an BKartA innerhalb eines Monats Einzelheiten in Verfahrensordnung des Gerichtshofs und des Gerichts Bußgelder unterliegen vollumfänglich der gerichtlichen Kontrolle Rechtsmittel zum EuGH (nur Rechtsfragen) Nimmt BKartA Bescheid nicht zurück, leitet es Akten an Generalstaatsanwaltschaft beim OLG Düsseldorf weiter; Staatsanwalt beantragt Eröffnung der Hauptverhandlung; Bußgeldentscheidung nun lediglich Ausgangspunkt aus Sicht des BKartA Kartellsenat nimmt neue Bewertung, Beweiserhebung und Entscheidung des Falles vor Rechtsbeschwerde zum BGH 31

Rechtsmittel EU Keine aufschiebende Wirkung, aber praktisch Möglichkeit der Aussetzung der Zahlung bei sichernder Bankbürgschaft Verzinsungspflicht bei späterer gerichtlicher Bestätigung Zahlungspläne unter strengen Voraussetzungen ( Inability to pay ) BKartA Rechtsmittel führt zur Aufschiebung der Zahlungsverpflichtung Verzinsungspflicht bei späterer Rücknahme des Einspruchs (evtl. Zahlung unter Vorbehalt zur Zinsvermeidung) Zahlungspläne unter strengen Voraussetzungen 32

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