Schulrecht Kinderrechte: (K)ein Spannungsfeld?

Ähnliche Dokumente
Bedürfnisse des Kindes und ihre Verankerung in der KRK: Bedürfnis nach

Konferenz Frühe Förderung

Kinderrechte sind das Fundament

Das Gebäude der Kinderrechte

Kinder haben Rechte haben Kinder Rechte? /// Rechte der Kinder Kinder im Recht

Kinderrechte im Grundgesetz. Prof. Dr. Friederike Wapler

25 Jahre UN-Kinderrechtskonvention

Was passiert mit den Kindern?

Wir stärken dich und deine Rechte! Deutscher Kinderschutzbund Speyer

Die UN-Kinderrechtskonvention und die Schweiz

Inklusion und Kindertagesstätten

Kinder vor Gefahren für ihr Wohl schützen. Erziehungspartnerschaft mit schwierigen Eltern

Gesetzestext (Vorschlag für die Verankerung eines Artikels in der Bundesverfassung)

Ich habe Rechte, du hast Rechte, er/sie/es hat Rechte... Eine Einführung in die Rechte von Kindern

2. Europarat. Bereinigte Übersetzung, zwischen Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz abgestimmte Fassung. Fassung.

Menschenrechtliche Grundlagen fu r ein inklusives Bildungssystem

Kinderrechte und Wertepluralismus vom

Rechtswissenschaftliches Institut Soziale Grundrechte

Rechtswissenschaftliches Institut. Diskriminierungsverbot

Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention Bundesverband Kindertagespflege e.v.

UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) (Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom )

Gleichstellung im Sport

Sonderschulung in Privatschulen

CURAVIVA Impulstag: Ein sicherer Ort. 19. September Kinderrechte, Elternrechte und das Zusammenleben in der Institution

Vom Kind aus denken?!

Psychische Behinderung und das Verbot der Diskriminierung Tagung «Diagnose: Psychisch behindert»

Grundrechte. Prof. Dr. Felix Uhlmann. Universität Zürich HS Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Rechtsetzungslehre

Kindeswohlgefährdung aus juristischer Sicht

Zugang zu Bildung Bern, 4. Mai 2017

Gleiche Rechte für jedes Kind

Rechte haben und Recht bekommen

Einführung in die Grundrechtsthematik

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Kinderrechte: Entstehung, Inhalt, Notwendigkeit und Durchsetzung

Inputreferat zum Thema Bildung

Jugendhilfe als Bürge für Inklusion in der Schule

GRUNDRECHTE IN DER GLEICHSTELLUNGS- UND INTEGRATIONSARBEIT Möglichkeiten und Grenzen

Diskussion zur Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung National Coalition

Baustelle Demokratie

Vom Kinderschutz zum Kinderrechtsstaat

Landesrecht. Kindertagesförderungsgesetz KiföG M-V. 1 Ziele und Aufgaben der Förderung


Inklusion durch eine Vielfalt schulischer Angebote

Vielfalt anerkennen Teilhabe und Gerechtigkeit. Tagung der PH an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Aarau 14. Nov. 2015

Das Basis-Dokument. 1 Demokratie und Rechtsstaat

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Die UN-Behindertenrechtskonvention

Jugendforensik-Netzwerk Interdisziplinäre Weiterbildung 5. Dezember 2017 Kindeswohl und Kindeswille aus Sicht der Kindesvertretung

26/A. vom (XXVI.GP) Antrag

Dr. iur. Beatrice Früh Die UNO-Kinderrechtskonvention

Anhang Menschenrechte

DIE 30 UNGEKÜRZTEN ARTIKEL DER ALLGEMEINEN ERKLÄRUNG DER MENSCHENRECHTE.

Die Bestimmung des Kindeswohls in grenzübergreifenden Fällen

Soziale Grundrechte. Vorlesungen vom 22. und 25. November 2011 Prof. Christine Kaufmann Herbstsemester 2011

Soziale Grundrechte. Ziele. Ziele des Sozialstaates. Staatsrecht I Vorlesung vom 14. November 2008

Schweizer Bürgerrecht. 6. und 9. Dezember 2011 PD Patricia Schiess Herbstsemester 2011

Das Kind als Rechtsperson. Vom Objekt zum Subjekt Vom Bedürfnis-Ansatz zum Rechte- Ansatz Rechtsgrundlagen UN-KRK (Art. 12) BV 11 ZGB 19 / ZPO 67 III

3. Fachtag Kinderschutz Teltow-Fläming Schutzauftrag in Kindertagesstätten. Rechtliche Grundlagen

GEFLÜCHTETE KINDER UND FAMILIEN. Claudia Kittel. Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention

Soziale Grundrechte. Staatsrecht I Vorlesung vom 14. November Herbstsemester 2008 Prof. Christine Kaufmann

Die Begründung der Menschenwürde im Kontext des Sozialbereichs

Kinderrechte. und Inklusion. Das Kind wird nicht erst ein Mensch, es ist schon einer. Kinderrechte sind Menschenrechte. Kinder sind Menschen

Rep.-Kurs Öffentliches Recht Einheit 4: Einführung in das Staatsrecht II

Einleitungsbeispiel aus der Praxis

Bedeutung der UN- Behindertenrechtskonvention für die Erwachsenenbildung

Unterrichts. Verfasserin: Ulrike Gelhausen-Kolbeck, LAG Thüringen e. V.

Inklusion - gleichberechtigt mit allen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen

Quartett Skat Mau-Mau

Partizipation erleben Warum sie kein Wunschkonzert ist

WAS HEISST ZUGANG ZU JUSTIZ?

Gleichstellung von Menschen mit Behinderung UNO-Behindertenrechtskonvention BRK

Kinder- und Jugendrechte in der Schweiz

Mona Motakef. auf Alphabetisierung

Jahrestagung PACH Wie viel Herkunft braucht ein Kind?

Jahrestagung PACH Wie viel Herkunft braucht ein Kind?

Vom Objekt elterlicher Gewalt zum Träger eigener Rechte Der gesellschaftliche Wandel im Bild vom Kind

Stoppt das Bundesgericht den Sozialhilfeabbau?

Grundrechte und Menschenrechte

ich bin frei. Artikel 1: 60 JAHre MeNSCHeNreCHte ich SCHütze Sie Sie SCHützeN MiCH www. w amnesty.yde/60jahre

Partizipation: Ein Recht und eine Haltung

Menschenrechtsbildung mit Jugendlichen Karteikarten für den Workshopeinsatz

UN-KINDERRECHTSKONVENTION UND KINDERARBEIT. Claudia Kittel. Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention

Inklusion im Landkreis Waldeck-Frankenberg

Bundeswehr und Schulen!

Kopftuchverbot in der Schule. Verfassungsrechtliche Grundsätze

Diesen drei Gruppen von Rechten stellt die Kinderrechtskonvention vier zentrale Grundprinzipien voran:

Rassismus, Rassendiskriminierung und Fremdenfeindlichkeit

Das Taschenbuch der Kinderrechte

Impfen und Kindeswohl

Inklusion Herausforderungen und Stolpersteine

Soziale Grundrechte. Ziele. Ziele des Sozialstaates. Staatsrecht I. Vorlesung vom 17. Nov

Stellungnahme des NÖ Monitoringausschusses : NÖ Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungsverordnung (NÖ KJHEV)

Die Stadt und die behinderten Menschen. Erklärung

Übungen Öffentliches Recht III

Kinder haben Rechte und was nützt mir das? Vortrag Prof. Dr. Tobias Fröschle Kinderuni Siegen

Entscheide im Spannungsfeld zwischen Kindeswohl, Kinder- und Elternrechten. Mona Spengler Cavazzi Vizepräsidentin KESB Bezirk Meilen

Behindertengleichstellung. auf kantonaler Ebene

Recht und andere gesellschaftliche Systeme oder Normengefüge

Claudia Kittel Leiterin der Monitoring-Stelle zur UN-Kinderrechtskonvention am Deutschen Institut für Menschenrechte

Gleichstellungsarbeit mit und ohne Gleichstellungsgesetz: Erfahrungen in der Schweiz Fachtagung «Schutz vor Diskriminierung: Lernen von Europa?

Zugang von Flüchtlingen mit Behinderungen zum Hilfesystem:

Transkript:

Kind und Schule 27. April 2012 Weiterbildung Universität Freiburg Schulrecht Kinderrechte: (K)ein Spannungsfeld? www.gerberjenni.ch Ausgewählte Urteile zu folgenden Themen 1. Recht auf Bildung: Unterrichtsausschluss 2. Recht auf Schutz und Entwicklung: Schulweg 3. Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung: Integration, Begabtenförderung 4. Das Recht gehört zu werden: Einstufung, Schullaufbahn 5. Kulturelle / religiöse Minderheiten: Dispensation 6. Kindeswohl in der KRK 1

1. Recht auf Bildung BGer 2C_446/2010 Gewalt gegen Klassenkameraden und einen Lehrer disziplinarischer Unterrichtsausschluss des 9jährigen Schülers während vier Wochen, anschliessend Sonderschulung in Form von Einzelunterricht Verletzung des Grundrechts auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht (Art. 19 BV)? KRK 28 Recht des Kindes auf Bildung Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit obligatorische und unentgeltliche Grundschule für alle Massnahmen zur Förderung des regelmässigen Schulbesuchs und zur Verringerung des Schulabbruchs. Massnahmen zur Wahrung der Disziplin in der Schule in einer Weise, die der Menschenwürde des Kindes entspricht und im Einklang mit dem Übereinkommen steht. 2

Die vier Grundprinzipien der KRK Art. 2 Art. 3 Art. 6 Art.12 Diskriminierungsverbot Übergeordnetes Wohl des Kindes Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung Recht, gehört zu werden Rechte und Interessen der Beteiligten Betroffenes Kind: Ausschluss als schwerer Eingriff in das Grundrecht auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit MitschülerInnen: Wie das betroffene Kind haben sie ein Recht auf Grundschulunterricht Möglichkeit des Ausschlusses als Gewährleistung dieses Rechts Schule: Ausbildungsauftrag = Sicherstellen des geordneten Schulbetriebs und der regelmässigen Erfüllung der obligatorischen Grundschulpflicht 3

Ausschluss und dann? Die Erziehungs- und Unterstützungsaufgabe ist bei einem Ausschluss zu berücksichtigen, in der Regel durch Weiterbetreuung durch geeignete Personen oder Institutionen (BGer 2 P.27/2006). Das Gemeinwesen hat in der Regel eine Weiterbetreuung ausgeschlossener Schüler bis zum Ende der obligatorischen Schulpflicht durch geeignete Personen oder öffentliche Institutionen zu gewährleisten (BGE 129 I 12). 2. Recht auf Schutz und Entwicklung BGE 129 III 250: Kindeswohl hat Verfassungsrang Der Vorrang des Kindeswohls gilt in einem umfassenden Sinne. Angestrebt wird namentlich eine altersgerechte Entfaltungsmöglichkeit des Kindes in geistigpsychischer, körperlicher und sozialer Hinsicht, wobei in Beachtung aller konkreten Umstände nach der für das Kind bestmöglichen Lösung zu suchen ist. 4

Kindeswohl Völker- und verfassungsrechtliche Garantie KRK 3 I: Bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. BV 11 I: Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung. II: Sie üben ihre Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit aus. Verwaltungsgericht Zürich (VB.2011.00395) Entscheid vom 21.12.2011 Massgebend ist nicht die Ungefährlichkeit des Schulwegs, sondern ob einem Schüler die bestehenden Gefahren zumutbar sind, d.h. ob eine übermässige Gefährlichkeit besteht. Die Benutzung eines Busses kann Kindern ab 6 Jahren zugemutet werden, wenn sie immer an der gleichen Stellen ein- und aussteigen können. 5

Verwaltungsgericht Zürich (VB.2011.00395) Entscheid vom 21.12.2011 Ein Schulweg von 1 000 bis 1 360 m, für den ein Schüler der 1. Primarklasse (inkl. Busfahrt und Wartezeit beim Bus) ca. 30 bis 37 Minuten benötigt, ist zumutbar. Eine Mittagspause von 12 bis 16 Minuten ist eindeutig zu kurz. Bern. Verwaltungsrechtsprechung BVR 2009, S. 481 ff. Ein Schulweg von 10 km ohne nennenswerte Höhendifferenz, der mit dem Velo auf einer ungefährlichen Strasse in etwa 40 Min. zu bewältigen ist, ist für OberstufenschülerInnen im Sommerhalbjahr zumutbar, nicht aber im Winterhalbjahr. 6

3. Chancengleichheit / Nichtdiskriminierung Diskriminierung Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte i.s. einer Unterscheidung, Ausschliessung, Beschränkung, Bevorzugung; beruht auf verpöntem Unterscheidungsmerkmal; hat Benachteiligung zum Ziel oder zur Folge; weist keinen objektiven und sachlichen Rechtfertigungsgrund auf. Kinder sind bezüglich schulischer Leistungen benachteiligt, wenn sie aus einer sozioökonomisch benachteiligten Familie stammen, die zu wenig finanzielle und zeitliche Ressourcen für ihr Kind aufbringen kann; aus einer bildungsfernen Familie stammen; sich noch nicht lange in der Schweiz aufhalten und/oder die Unterrichtssprache nicht oder nur ungenügend beherrschen. Bericht des Bundesrats, Gesamtschweizerische Strategie Armutsbekämpfung (31.3.2010), S. 29 7

Weiterführung der integrativen Sonderschulung in der Regelklasse Art. 20 Abs. 2 BehiG: Die Kantone fördern, soweit dies möglich ist und dem Wohl des behinderten Kindes oder Jugendlichen dient, mit entsprechenden Schulungsformen die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in die Regelschule. Massgebend für die konkrete Zuweisung in eine Regelklasse oder eine Kleinklasse ist einzig das Wohl des behinderten Kindes, unter Abwägung der allenfalls entgegenstehenden Interessen der anderen Mitschüler. GR Verwaltungsgericht, Urteil vom 16.8.2010, U 10 82 KRK 23 III Bei der Unterstützung für Kinder mit Behinderungen ist sicherzustellen, dass Erziehung, Ausbildung, Gesundheitsdienste, Rehabilitationsdienste, Vorbereitung auf das Berufsleben und Erholungsmöglichkeiten dem behinderten Kind in einer Weise zugänglich sind, die der möglichst vollständigen sozialen Integration und individuellen Entfaltung des Kindes einschliesslich seiner kulturellen und geistigen Entwicklung förderlich ist. 8

BGer 2P.38/2007 Hochbegabte Kinder haben Anspruch auf besondere Förderungsmassnahmen, nicht aber auf bestmögliche Schulung. Ein Obergutachten ist nur dann geboten, wenn das Gericht angesichts der unterschiedlichen Expertenmeinung zu keiner eigenen Überzeugung kommt. Ausreichender Grundschulunterricht = optimale Schulung? (BGer 2C_446/2010) Die Anforderungen aus BV 19 ("ausreichend"), belässt den Kantonen erheblichen Gestaltungsspielraum kein Anspruch auf optimale bzw. geeignetste Schulung. Es besteht jedoch ein solcher auf eine den individuellen Fähigkeiten des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung entsprechende, unentgeltliche Grundschulausbildung. Dieser wird verletzt, wenn die Ausbildung des Kindes in einem Masse eingeschränkt wird, dass die Chancengleichheit nicht mehr gewahrt ist, bzw. wenn es Lehrinhalte nicht vermittelt erhält, die in der hiesigen Wertordnung als unverzichtbar gelten. 9

Privatunterricht an einer Fernschule? BGer 2C_592 und 593/2010; 2 C_686/2011 Bundesrechtliche Anforderungen des ausreichenden Grundschulunterrichts (Art. 19 i.v.m. Art. 62 BV). Die Ausbildung muss für den Einzelnen angemessen und geeignet sein sowie genügen, um die Schüler gebührend auf ein selbstverantwortliches Leben im modernen Alltag vorzubereiten. Ein ausreichender Grundschulunterricht muss nicht nur schulisches Wissen vermitteln, sondern auch die soziale Kompetenz der Schülerinnen und Schüler entwicklungsspezifisch fördern. Privatunterricht an einer Fernschule? BGer 2C_592 und 593/2010 Entwicklungsspezifische Förderung zur Gemeinschaftsfähigkeit steht beim Privatunterricht im Hintergrund eine der BV entsprechende Enkulturation der schulpflichtigen Kinder muss sichergestellt werden. Diese gewährleistet u.a. eine Auseinandersetzung der Kinder mit anderen Erwachsenen, Vorgesetzten, Respektpersonen, andern Kindern mit teilweise anderen Kulturen und Religionen, was die Kinder schliesslich befähigt, sich im späteren Leben bestmöglich zu integrieren, und ihnen die gleichen Chancen eröffnet. 10

KRK 29 Bildungsziele die Persönlichkeit, Begabung und geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung bringen; dem Kind Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten vermitteln; das Kind auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft im Geist der Verständigung, des Friedens, der Toleranz, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Freundschaft zwischen allen Völkern und ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen sowie zu Ureinwohnern vorbereiten. 4. Das Recht gehört zu werden KRK 12 Recht des Kindes, seine Meinung in allen es berührenden Angelegenheiten (namentlich in Gerichts- und Verwaltungsverfahren) frei zu äussern. Recht auf angemessene, alters- und entwicklungsgemässe Berücksichtigung seiner Meinung. Rechtliches Gehör, entweder unmittelbar oder durch Vertreter oder geeignete Stelle. 11

BGer 2D_21/2007 Umstufung in die Werkschule: Art. 12 KRK ist nicht verletzt, wenn 1. die Eltern den Standpunkt des Kindes bei den Behörden und im Verfahren einbringen können; 2. sich das Kind im Rahmen seines Kontakts mit den Lehrkräften zu seiner schulischen Laufbahn äussern kann. 5. Kulturelle / religiöse Minderheiten KRK 30 Einem Kind, das einer ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheit angehört oder Ureinwohner ist, darf nicht das Recht vorenthalten werden, in Gemeinschaft mit anderen Angehörigen seiner Gruppe seine eigene Kultur zu pflegen, sich zu seiner eigenen Religion zu bekennen und sie auszuüben oder seine eigene Sprache zu verwenden. 12

KRK 14 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit des Kindes und seiner Eltern. Diese haben das Recht und die Pflicht, das Kind bei der Ausübung dieses Rechts in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise zu leiten. Die Religionsfreiheit darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit oder Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind. Dispensation vom Schwimmunterricht? BGE 119 Ia 178 (1993) Begrenzung der eigenen Religionsfreiheit durch Interesse an geordnetem Schulbetrieb und durch Religionsfreiheit der andern. Erst wenn Kindeswohl unter der Befolgung von Glaubensvorschriften konkret und massgeblich belastet würde, rechtfertigte es sich, Kindesinteresse über Elternrecht zu stellen. Angehörige anderer Länder und Kulturen haben sich zwar zweifellos an hiesige Rechtsordnung zu halten. Aber keine Rechtspflicht, darüber hinaus allenfalls ihre Gebräuche und Lebensweisen anzupassen. 13

BGE 135 I 79 (2008) Seit BGE 1993 haben die bereits dort berücksichtigten Integrationsanliegen vermehrtes Gewicht erhalten. «Multikulturelle Schulrealität» verlangt Anstrengungen zur Angewöhnung und Einbindung in die hier geltenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Nur so kann Teilnahme am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben und damit sozialer Friede und Chancengleichheit gewährleistet werden. BGE 135 I 79 (2008) Das Obligatorium des Schulbesuches mit der Teilnahme am Schwimmen ist von gewichtigem öffentlichen Interesse. 1. Beitrag zur Wahrung der Chancengleichheit aller Kinder und derjenigen zwischen den Geschlechtern; 2. Förderung der Integration von Angehörigen anderer Länder, Kulturen und Religionen. 14

BGE 135 I 79 (2008) Im sozialen Einbindungsprozess kommt der Schule eine wichtige Aufgabe zu. Sie soll zunächst eine Grundbildung vermitteln. Dieses Ziel kann sie nur erreichen, wenn die Verpflichtung besteht, die obligatorischen Fächer und Veranstaltungen zu besuchen. Im Gegenzug muss die Schule ein offenes, gesellschaftsübliches Umfeld bieten und der weltanschaulichen Neutralität und Laizität strikt nachleben. Bestätigt in BGer, Urteil 2C_666/2011 vom 7.3.2012 Dispensation vom Sexualunterricht? BGer, Urteil 2C_105/2012 (Jusletter 12.3.2012) Eltern ersuchten um Dispensation ihrer Kinder (Kindergarten, erste und zweite Primarschulkasse) Schulleitung weist Gesuch ab Eltern verlangen Dispensation ihrer Kinder während der Verfahrensdauer BGer: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Besuch des Sexualunterrichts Grundrechte der Betroffenen verletzen könnte. Die Eltern haben aber nicht konkret geltend gemacht, dass ihre Kinder Unterrichtsinhalten ausgesetzt oder zu etwas aufgefordert worden wären, was ihren Überzeugungen widerspreche kein zwingender Grund für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen. 15

6. Kindeswohl in der KRK Ein am Wohl des Kindes ausgerichtetes Handeln ist dasjenige Handeln, welches die an den Grundbedürfnissen und Grundrechten von Kindern orientierte für das Kind jeweils günstigste Handlungsalternative wählt. Jörg Maywald, Sprecher der National Coalition für die Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland Bedürfnisse des Kindes und ihre Verankerung in der KRK: Bedürfnis nach Liebe, Akzeptanz, Zuwendung: Präambel und Art. 2, 3, 6, 12 stabilen Bindungen: Art. 6, 8, 9, 11, 18, 20, 21, 22 Ernährung und materieller Sicherheit: Art. 6, 26, 27 Gesundheit: Art. 24, 25, 32, 33, 39 Schutz vor Gefahren materieller und sexueller Ausbeutung: Art. 16, 17, 19, 34 38, 40 Wissen, Bildung, Erfahrung: Art. 13, 14, 28, 29 31 Beteiligung: Art. 12, 13, 15, 29 31 16

Kindeswohl ist die für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen günstige Relation zwischen seiner Bedürfnislage und seinen Lebensbedingungen Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, München 2002, 62. Schulrecht Kinderrechte: (K)ein Spannungsfeld? Perspektivenwechsel und KRK als Leitlinie Die KRK bringt etwas Neues, Einzigartiges, Ungewohntes ein Perspektivenwechsel. Wir sind uns nicht gewohnt, aus der Perspektive von Kindern Rechte zu formulieren. Amtl. Bulletin NR 1996, S. 1694: Margrith von Felten Kinder und Jugendliche haben ihre eigenen Rechte und Bedürfnisse. Diese sind in der KRK niedergeschrieben, welche unantastbare Leitlinie sein muss. Amtl. Bulletin NR 19.12.2007: Jacqueline Fehr 17