Phonetische Auswirkungen elektro-neurologischer Therapie-Ansätze bei MS- und Parkinson-Patienten William J. Barry Institut für Phonetik, Universität des Saarlandes IPUS
Zusammenarbeit mit der neurologischen Klinik und Neurochirurgie, Homburg - Prof. Dr. Jean Richard Moringlane (Neurochirurgie) - Dr. Manfred Pützer (Inst. für Phonetik) Primäre Behandlung: Tiefenhirnstimulation zur Dämpfung des motorischen Tremors. Phonetische Begleitanalysen: Aufzeichnung und Analyse der Stimmgebung und der Lautbildung. Motivation: Der Wirkungsmechanismus der Stimulation ist nicht bekannt. Beobachtungen, dass Besserung der Gliedsteuerung (Arme, Hände, Greifhandlungen) mit einer Beeinträchtigung der Feinmotorik im stimmlichen und artikulatorischen Verhalten einhergehen kann.
Neurochirurgische Behandlung bei Tremorsyndromen: Graphische Darstellung der Stimulation
Instrumentalphonetische Untersuchung Warum? Das soziale Wohlbefinden ist sehr stark sprachabhängig. Aufdecken der Auswirkungen der Therapie auf das Sprechverhalten theoretisch und praktisch wichtig. Patienten (bisher 16 mit und ohne Stimulation untersucht) M. Parkinson (bilaterale Stimulation) 4 Patientinnen (Alter: 44-70); 5 Patienten (Alter: 53-71) Multiple Sklerose (uni- bzw. bilaterale Stimulation) 5 Patientinnen (Alter: 37-45) 2 Patient (Alter: 42 & 45)
Was wird untersucht und warum? * Schnelle Silbenwiederholungen der Silben /pa, ta, ka/ (10 Wiederholungen berücksichtigt) * Die Koordinierung der glottalen Öffnung/Schließung mit der supra-glottalen Artikulation (sprich: Lippen-, Zungenund Kieferbewegungen) ist eine grundlegende Forderung an die Sprechorgane. * Man kann die Beherrschung am besten beim schnellen Wechsel beobachten. /p, t, k/ zum Vokal /a/ und zurück fordert: Die zyklische Silbenbildung und gleichzeitig den Wechsel von stimmlos zu stimmhaft.
Was wird gemessen und warum Drei Aspekte der Artikulationskontrolle: 1. Glottale Geste des Öffnens und Schließens der Glottis: Wieviel ist stimmhaft, wieviel stimmlos? 2. Orale (supraglottale) Schließungs- und Öffnungsgeste: Wie schnell wechseln die Silben (Silbendauer)? Wieviel ist stimmhaft, wieviel ist stimmlos? 3. Synchronisierung der glottalen mit der supraglottalen Geste: Stimmhafte Anteile im Verschluss; VOT Gleichzeitig wird mit der Elektroglottographie die Stimmqualität in der Schwingungsformder Stimmlippen sowie im akustischen Signal erfasst.
Artikulatorische und glottale Gesten innerhalb des Silbenzyklus Glottale Gesten Orale Gesten A A Öffnung Plosiv VOT Vokal Stimmlippenschwingungen Verschluss VOT Öffnung A S i l b e n z y k l u s
Relevante Signalabschnitte (Beispiel normaler Produktion) Verschlussbildung Verschlusslösung Stimmlippenschwingung Verschlussphase VOT Vokal
Beispiel anomaler Produktion (a. Parkinson) Vokal Vokal Friktion an Stelle der Verschlussphase Friktion
Paarkinson-Patient: Supra-glottale Beeinträchtigung)
Beispiel anomaler Produktion (b. MS-Patient) Stimmhaftigkeit Vokal Friktion Vokal
MS-Patient: Glottale und supra-glottale Beeinträchtigung)
Was haben wir (nicht) gefunden? * Beobachtet wurde: 1. Schwäche bei den artikulatorischen (oralen) Schließbefehlen (Friktion im oralen Verschluss) 2. Schwäche bei dem Abduktionsbefehl (Öffnung) der Stimmlippen (Stimmhaftigkeit im Verschluss) 3. Kombination beider Schwächen. * Nicht beobachtet wurden Synchronisierungsschwächen der glottalen und supra-glottalen Gesten. 1. Keine Prä-aspiration auf Grund zu früh geöffneter Stimmlippen (relativ zum artikulatorischen Zyklus).
Desynchronisierung: Verfrühter glottaler Zyklus (Öffnung-Schließung)
Was haben wir (nicht) gefunden? * Beobachtet wurde: 1. Schwäche bei den artikulatorischen (oralen) Schließbefehlen (Friktion im oralen Verschluss) 2. Schwäche bei dem Abduktionsbefehl (Öffnung) der Stimmlippen (Stimmhaftigkeit im Verschluss) 3. Kombination beider Schwächen. * Nicht beobachtet wurden Synchronisierungsschwächen der glottalen und supra-glottalen Gesten. 1. Keine Prä-aspiration auf Grund zu früh geöffneter Stimmlippen (relativ zum artikulatorischen Zyklus). 2. Keine stimmhaftigkeit im Verschluss mit gleichzeitiger gesteigerter Aspiration auf Grund zu späten Einsatzes des glottalen Zyklus.
Desynchronisierung: Verspäteter glottaler Zyklus (Öffnung-Schließung)
Und die Stimmqualität? Beobachtet wurde bei Stimulation: Parkinsonpatienten: In der Regel wenig Beeinträchtigung, z.t. sogar verbesserte Phonation. MS-Patienten: Hyperfunktionelle (spastische) Erscheinungen: - Beeinträchtung der glottalen Öffnungsgeste (durchgehende Stimmhaftigkeit) - gepresste Stimmqualität,
Und nun? Erste Versuche mit der funktionellen Kernspintomographie (fmrt) mit gesunden Sprechern liegen vor. Phonetisch differenziertes Sprachmaterial erlaubt es, die Aktivität der Lippen, Zungenspitze und Zungenrücken an den motorischen Nuklei im Hirnstamm zu registrieren. Die Isolierung laryngaler und glottaler Aktivität ist noch nicht überzeugend gelungen. Erste Aufzeichnungen mit Parkinson- und MS-Patienten werden vorbereitet. Die Kombination der neuen bildgebenden Verfahren mit den etablierten instrumentalphonetichen Methoden versprechen einen tieferen Einblick in die Zusammenhänge zwischen neuronalen Störungen und Sprechbehinderung.
Zusammenfassung Deutliche Unterschiede zwischen den Krankheitsbildern aber auch klare Unterschiede innerhalb einer Gruppe. Fazit: Inviduelle Analysen sind nicht nur im klinischen sondern auch im wissenschaftlichen Bereich unerlässlich. Genaue instrumentalphonetische Analyse des Sprechverhaltens bei jedem Patienten deckt (positive wie negative) Folgen der Behandlung auf, bevor sie auditiv in Erscheinung treten. Die Verbindung der funktionellen Kernspintomographie mit der genauen phonetischen Analyse verspricht ein tieferes Verständnis der normalen und anomalen Funktionen.