Was versteht man unter Kompetenzen in der Psychotherapie?

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Transkript:

9 2 Was versteht man unter Kompetenzen in der Psychotherapie? 2.1 Definition psychotherapeutischer Kompetenzen 10 2.2 Globale vs. bereichsspezifische Kompetenzen 12 2.3 Situationsabhängigkeit psychotherapeutischer Kompetenzen 13 2.4 Kompetenzen in verschiedenen therapeutischen Orientierungen 14 2.5 Inkompetentes therapeutisches Verhalten 14 2.6 Kulturelle psychotherapeutische Kompetenzen 15 F. Weck, Psychotherapeutische Kompetenzen, DOI 10.1007/978-3-642-39366-2_2, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

10 Kapitel 2 Was versteht man unter Kompetenzen in der Psychotherapie? 2 Nennt man den Begriff Kompetenz in Zusammenhang mit Psychotherapie, so wird wahrscheinlich jeder, der therapeutisch tätig ist, eine Vorstellung davon haben, was damit gemeint ist. Wenn man jedoch genauer nachfragt, so wird deutlich, dass die Vorstellungen hinsichtlich psychotherapeutischer Kompetenzen sehr unterschiedlich sind. Manche verstehen darunter primär das Wissen, das ein Therapeut über psychische Störungen und deren Behandlung hat. Andere betonen die Fähigkeiten, die Therapeuten bei der Durchführung bestimmter Interventionen (z. B. des Sokratischen Dialogs) aufweisen. Einige weisen auf die Bedeutung allgemeiner sozialer Fähigkeiten als wichtige psychotherapeutische Kompetenz hin, wie beispielsweise die kommunikative Fähigkeit des Therapeuten. Eine Definition psychotherapeutischer Kompetenzen erscheint daher notwendig. 2.1 Definition psychotherapeutischer Kompetenzen Die Bedeutung des Wortes Kompetenz wird im Duden relativ schlicht mit den Worten Sachverstand und Fähigkeiten beschrieben (Duden 2013). Innerhalb der wissenschaftlichen Literatur lässt sich keine einheitliche Definition therapeutischer Kompetenzen finden. Eine bekannte und häufig zitierte Definition therapeutischer Kompetenzen ist die von Waltz et al. (1993, S. 620), die sich deutlich auf die Durchführung von Behandlungen fokussieren. Sie definieren Kompetenz als Fähigkeit des Therapeuten bei der Umsetzung der Behandlung. Psychotherapeutische Kompetenz bezeichnet demnach die Fähigkeit des Therapeuten, eine Behandlung gekonnt umzusetzen, d. h. Interventionen fachgerecht durchzuführen und dabei den Behandlungskontext adäquat zu berücksichtigen. Relevante Kontextvariablen sind (a) Patientenvariablen, wie der Grad der Beeinträchtigung, (b) die spezifische Problematik eines Patienten, (c) die individuellen Lebensumstände des Patienten und (d) Faktoren wie die Therapiephase, in der sich der Patient befindet, die bereits erreichten Verbesserungen der Symptomatik und die Angemessenheit des Zeitpunkts für bestimmte Interventionen. Waltz et al. führen selbst an, dass sie mit ihrer Definition auf eine globale Beschreibung von Kompetenz verzichten und sich gezielt auf die Kompetenz bei der Durchführung einer bestimmten Therapieform beziehen. Eine Definition therapeutischer Kompetenzen, die sich weniger auf den Prozess als auf das Ergebnis kompetenter therapeutischer Arbeit bezieht, ist bei Shaw u. Dobson (1988) zu finden:» Because the goal of psychotherapy is to relieve distress and facilitate personal development, competence may be defined as the ability of the therapist to achieve these results. (Shaw u. Dobson 1988, S. 668) «

2.1 Definition psychotherapeutischer Kompetenzen 11 2 Allerdings ist das Ergebnis einer psychotherapeutischen Behandlung von vielen verschiedenen Faktoren, wie z. B. auch Merkmalen des Patienten, abhängig (vgl. Lambert 2013). Somit würde durch eine solche ergebnisorientierte Definition weniger das Verhalten des Therapeuten im Fokus der Betrachtungen stehen, sondern vielmehr der gesamte Therapieprozess. Bei all den bestehenden Unterschieden hinsichtlich der Definition therapeutischer Kompetenzen lassen sich jedoch einige Gemeinsamkeiten der verschiedenen Definitionen festhalten. So beschreibt Kazantzis (2003, S. 3) auf der Basis einer Literaturdurchsicht vier verschiedene Komponenten, die im Rahmen von Kompetenzdefinitionen zu finden sind: 1. Die Berücksichtigung eines theoretischen oder konzeptuellen Rahmens bei der Durchführung therapeutischer Interventionen. 2. Die Fähigkeit des Therapeuten, eine konstruktive therapeutische Beziehung herzustellen. 3. Die geschickte Anwendung von Interventionen eines für den Patienten relevanten Behandlungsmanuals. 4. Wissen darüber, wann eine Intervention nicht eingesetzt werden sollte (Kontraindikationen). Das vorliegende Buch orientiert sich an der weiter oben genannten Definition therapeutischer Kompetenzen von Waltz et al. (1993). Gerade weil sie enger gefasst ist als andere Kompetenzdefinitionen, ermöglicht sie eine genaue Betrachtung des Therapeutenverhaltens in einer spezifischen therapeutischen Orientierung (z. B. im Rahmen der Verhaltenstherapie). Mit dieser genauen Betrachtung des Verhaltens erfolgt eine Konzentration auf das konkrete Geschehen in der Therapie, das häufig aufgrund von Diskussionen auf der Metaebene vernachlässigt wird. Dieser Definition liegt die Annahme zugrunde, dass hinsichtlich psychotherapeutischer Kompetenzen eine hierarchische Struktur besteht (7 Abschn. 3.3). Um von einer kompetenten Behandlung sprechen zu können, sollte sich das Wissen eines Therapeuten beispielsweise auch auf der Ebene der Umsetzung der Therapie zeigen. Neben den Vorteilen, die eine Fokussierung auf das konkrete Therapiegeschehen und das Verhalten des Therapeuten in einer spezifischen Therapiesitzung bringt, gibt es jedoch auch Nachteile dieser engen Betrachtungsweise. Es wird zum Beispiel nur das Verhalten des Therapeuten innerhalb, nicht aber außerhalb der Therapiesitzung betrachtet. Wenn der Therapeut unzuverlässig ist, zu spät zu Therapiesitzungen erscheint, Termine vergisst, den Patienten nicht zurückruft oder inadäquat mit Krisen umgeht, die außerhalb der therapeutischen Sitzung auftreten, wird dieses Verhalten möglicherweise nicht entsprechend berücksichtigt, wenn nur die Behandlungssitzungen betrachtet werden. Es kann jedoch vermutet werden, dass dieses Verhalten, das außerhalb der Therapiesitzungen auftritt, auch

12 Kapitel 2 Was versteht man unter Kompetenzen in der Psychotherapie?. Tab. 2.1 Unterscheidung zwischen globalen und bereichsspezifischen Kompetenzen nach Barbar et al. (2007a) 2 Globale Kompetenzen Klinische Fertigkeiten und Wissensbestände, die für jegliches therapeutisches Handeln relevant sind Klinische Fragestellungen und Probleme können selbstständig und adäquat bewältigt werden Komplex und schwer operationalisierbar Bereichsspezifische Kompetenzen Teilbereich globaler Kompetenzen Beziehen sich auf spezifische Interventionen Können sich auf behandlungsspezifische und generelle Techniken beziehen ein wichtiger Indikator für die Kompetenz des Therapeuten und den Erfolg der Behandlung ist. 2.2 Globale vs. bereichsspezifische Kompetenzen Eine wichtige definitorische Unterscheidung, die hinsichtlich therapeutischer Kompetenzen getroffen wurde, ist die zwischen globalen Kompetenzen (engl. global competency) und bereichsspezifischen Kompetenzen (engl. limited-domain competency) (Barber et al. 2007a; vgl.. Tab. 2.1). Unter globalen Kompetenzen versteht man hierbei klinische Fertigkeiten und Wissensbestände eines Therapeuten, die für jegliches klinisches Handeln von Bedeutung sind. Globale Kompetenz beinhaltet, dass der Therapeut eine Vielzahl von klinischen Problemen und Fragestellungen adäquat und selbstständig bewältigen und den Patienten angemessen bei der Erreichung seiner persönlichen Ziele unterstützen kann. Bereichsspezifische Kompetenzen sind ein Teilbereich globaler Kompetenzen und beziehen sich auf spezifische psychotherapeutische Interventionen und Techniken. Bei der bereichsspezifischen Kompetenz kann nochmals unterschieden werden zwischen der kompetenten Durchführung von therapiespezifischen Techniken, die bei einer bestimmten Therapieform vorkommen (z. B. Durchführung des Sokratischen Dialogs in der Kognitiven Therapie), und allgemeinen Techniken, die in verschiedenen Therapieformen zu finden sind (z. B. Exploration der Symptomatik). Die Unterscheidung von allgemeinen und spezifischen psychotherapeutischen Kompetenzen erscheint sinnvoll hinsichtlich der Betrachtung unterschiedlicher Therapieformen. So werden allgemeine psychotherapeutische Kompetenzen auch als solche Fähigkeiten des Therapeuten gesehen, die in verschiedenen Therapierichtungen von Relevanz sind (z. B. die Fähigkeit des Therapeuten, eine tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen), während sich spezifische therapeutische Kompetenzen auf Verhaltensweisen beziehen, die in einer

2.3 Situationsabhängigkeit psychotherapeutischer Kompetenzen 13 2 bestimmten Therapierichtung von besonderer Bedeutung sind (vgl. Manring et al. 2003). Auch Young u. Beck (1980) trafen in der Konzeption der Cognitive Therapy Scale zur Erfassung psychotherapeutischer Kompetenzen (7 Abschn. 6.1) eine Unterscheidung zwischen generellen und spezifischen therapeutischen Fertigkeiten. Als generelle Kompetenzen bezeichneten sie beispielsweise Fähigkeiten, die der Strukturierung der Therapie dienen (z. B. das Erstellen einer Tagesordnung), das Einholen von Rückmeldungen oder interpersonelle Kompetenzen. Als spezifische Kompetenzen hingegen werden z. B. Fertigkeiten bei der Durchführung des geleiteten Entdeckens definiert. An der Definition von globalen und bereichsspezifischen Kompetenzen wird deutlich, dass das Konstrukt globaler Kompetenzen komplex und deshalb deutlich schwerer zu operationalisieren ist als das Konstrukt der bereichsspezifischen Kompetenzen. Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die meisten Verfahren zur Erfassung psychotherapeutischer Kompetenzen (7 Kap. 6) und die meisten empirischen Studien, die die Zusammenhänge zwischen therapeutischen Kompetenzen und Therapieerfolg untersuchen (7 Kap. 7), auf bereichsspezifische Kompetenzen beziehen. 2.3 Situationsabhängigkeit psychotherapeutischer Kompetenzen Eine weitere wichtige Frage im Zusammenhang mit der Konzeptualisierung psychotherapeutischer Kompetenzen bezieht sich darauf, ob diese ein überdauerndes Merkmal (im Sinne eines traits) darstellen oder (im Sinne eines states) über die Zeit, über unterschiedliche Patienten oder sogar über unterschiedliche Therapiephasen hinweg variieren (Shaw u. Dobson 1988). So könnten situative Einflüsse (z. B. Vorbereitungszeit für die Therapiesitzung, aktuelle Symptomatik des Patienten) eine wichtige Rolle für die gezeigten Kompetenzen eines Therapeuten spielen. Es stellt sich auch die Frage, inwieweit Kompetenzen, nachdem sie erst einmal erworben wurden, stabil bestehen bleiben oder ob kontinuierlich Anstrengungen unternommen werden müssen, um diese aufrechtzuerhalten. Beispielsweise zeigen empirische Arbeiten, dass psychische Probleme der Psychotherapeuten, wie depressive Symptome, einen negativen Einfluss auf die therapeutische Tätigkeit haben können (z. B. Gilroy et al. 2002). Die Konzeptualisierung psychotherapeutischer Kompetenzen als entweder eher situativ oder aber als überdauernd hat wichtige Implikationen für die Erfassung und das Training von Kompetenzen. Auch wenn anzunehmen ist, dass psychotherapeutische Kompetenzen nicht vollkommen frei fluktuieren und Therapeuten durchaus eine gewisse Stabilität hinsichtlich ihrer therapeutischen Leistungen zeigen, weisen empirische Untersuchungen darauf hin, dass psychotherapeutische Kompetenzen deutlich über die Behandlung eines

14 Kapitel 2 Was versteht man unter Kompetenzen in der Psychotherapie? 2 Patienten und auch über die Behandlung verschiedener Patienten hinweg variieren (Dennhag et al. 2012b; 7 Abschn. 5.3.1). Somit kann angenommen werden, dass psychotherapeutische Kompetenzen einen hohen situationsspezifischen Anteil beinhalten. Diese situationsspezifische Varianz therapeutischer Kompetenzen wird bei der Beschreibung von Kompetenzmodellen häufig jedoch nicht hinreichend berücksichtigt (7 Kap. 3). 2.4 Kompetenzen in verschiedenen therapeutischen Orientierungen Neben Fragen der Definition therapeutischer Kompetenzen kann auch die Frage gestellt werden, ob über verschiedene therapeutische Orientierungen hinweg therapeutische Kompetenzen ähnlich beurteilt werden. Insbesondere für bereichsspezifische Kompetenzen ist dies jedoch nicht anzunehmen. So führen Sharpless u. Barber (2009, S. 50) an, dass sowohl Psychoanalytiker als auch Verhaltenstherapeuten die Konfrontation mit traumatischen Erlebnissen für wichtig halten würden. Während der Verhaltenstherapeut jedoch möglichst bald mit der Konfrontation beginnen würde, würde der Psychoanalytiker dieses rasche Vorgehen als vorschnell und inkompetent beurteilen. Der Verhaltenstherapeut hingegen würde das Aufschieben der Konfrontation als inkompetent und unethisch beurteilen, da dem Patienten dadurch eine zeitnahe Methode zur Bewältigung seiner Probleme verwehrt bliebe. Dementsprechend kann ein therapeutisches Vorgehen in einer therapeutischen Orientierung als inkompetent, in einer anderen Orientierung hingegen als kompetent beurteilt werden. Nach Sharpless u. Barber (2009) kann nur ein fundiertes Wissen über verschiedene therapeutische Orientierungen dabei helfen, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und bestimmte therapeutische Verhaltensweisen nicht vorschnell als inkompetent zu verurteilen. 2.5 Inkompetentes therapeutisches Verhalten Außer Kompetenzdefinitionen sind auch Beschreibungen über inkompetentes therapeutisches Verhalten hilfreich, um das Verständnis davon, was psychotherapeutische Kompetenzen beinhalten, zu verbessern. In einer Arbeit von Overholser u. Fine (1990) werden fünf Bereiche (Wissen, Beziehungsgestaltung, Durchführung von Techniken, Behandlungsentscheidungen und Therapeutenmerkmale) genannt, in denen es zu inkompetentem Therapeutenverhalten kommen kann. Sie nutzen in ihrer Darstellung Fallbeispiele, um inkompetentes therapeutisches Verhalten zu verdeutlichen. Beispielsweise heben sie die Bedeutung von klinischem Wissen hervor, indem sie einen Fall einer umgrenzten Phobie vor dem Autofahren beschrieben. Der Patient hatte eine erfolglose zweijährige Therapie absolviert,

2.6 Kulturelle psychotherapeutische Kompetenzen 15 2 die sich ausschließlich auf die Entwicklungsbedingungen der Störung konzentrierte. Eine darauffolgende expositionsorientierte Therapie hingegen führte bereits nach 12 therapeutischen Sitzungen zur Bewältigung der Problematik. In dem angeführten Fallbeispiel stellte sich heraus, dass die vorherige Therapeutin über kein bedeutsames Wissen zu expositionsbasierten Therapien bezüglich spezifischer Phobien verfügte und dementsprechend keine alternative Behandlung anbieten oder empfehlen konnte, die zu einer raschen Bewältigung der Problematik hätte führen können. Neben diesem Bereich inkompetenten therapeutischen Verhaltens werden von Overholser u. Fine (1990) weitere Bereiche genannt, wie Inkompetenzen hinsichtlich der Beziehungsgestaltung (z. B. wenn in der Beziehungsgestaltung keine Unterschiede zu privaten Kontakten gemacht werden), falsch angewendete therapeutische Techniken, die auch zu unethischem oder strafbarem Verhalten führen können (z. B. ein Patient mit Agoraphobie wird im Rahmen einer Expositionsübung an einen Stuhl gefesselt, um eine Flucht zu verhindern), therapeutische Fehlentscheidungen (z. B. Verstärkung von suizidalen Äußerungen und Verhaltensweisen des Patienten durch unangemessene Zuwendung) und störende Persönlichkeitseigenschaften, soziale Fertigkeiten oder emotionale Probleme des Therapeuten (z. B. Einschlafen während der therapeutischen Sitzung infolge von Schlafmangel aufgrund von belastenden familiären Problemen des Therapeuten). Neben diesen als inkompetent einzustufenden therapeutischen Verhaltensweisen müssen noch weitere Verhaltensweisen genannt werden, die als unethisch oder gesetzeswidrig einzustufen sind, wie beispielsweise sexuelle Übergriffe des Therapeuten. Auch solche inakzeptablen Verhaltensweisen von Therapeuten sind häufiger, als man es möglicherweise vermuten würde (vgl. Margraf 2009b). Nach dieser Gegenüberstellung von kompetenten und inkompetenten Verhaltensweisen sollte jedoch nicht angenommen werden, dass therapeutische Kompetenzen ein dichotomes Konstrukt darstellen. Vielmehr ist bei psychotherapeutischen Kompetenzen von einem dimensionalen Konstrukt auszugehen (Barnett et al. 2007). 2.6 Kulturelle psychotherapeutische Kompetenzen Das Konzept psychotherapeutischer Kompetenzen kann um den Begriff kultureller Kompetenzen erweitert werden, wenn auch Fertigkeiten im Umgang mit Personen aus verschiedenen Kulturkreisen bei der psychotherapeutischen Behandlung berücksichtigt werden. Grundlage für die Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds von Patienten bei der Behandlung von psychischen Störungen ist die Annahme, dass sich Behandlungskonzepte eines Kulturkreises nicht ohne weiteres auf die Behandlung von Personen beliebiger anderer Kulturkreise übertragen lassen (vgl. Sue et al. 2009). Diese Annahme

16 Kapitel 2 Was versteht man unter Kompetenzen in der Psychotherapie? 2 wird auch durch entsprechende Forschungsergebnisse gestützt, die zeigen, dass kulturell angepasste Interventionen nicht-angepassten Interventionen bei Personen mit einem anderen kulturellen Hintergrund überlegen sind (Griner u. Smith 2006). Nach Sue et al. (1992) lassen sich drei Bestandteile kultureller Kompetenzen unterscheiden. Der erste Bestandteil kultureller Kompetenzen bezieht sich auf das kulturelle Bewusstsein. Hierunter fällt die Wahrnehmung eigener kultureller Werte und Vorurteile und ein Bewusstsein dafür, wie diese die Wahrnehmung des Patienten beeinflussen. Bei der Behandlung ist es dementsprechend wichtig, die kulturellen Werte des Patienten zu akzeptieren und ihm nicht die eigenen kulturellen Wertvorstellungen aufzudrängen. Kulturelle Kompetenz beinhaltet auch kulturelles Wissen. Der Therapeut sollte Wissen über die Geschichte, Erfahrungen, kulturellen Werte und Lebensweisen seines Patienten haben. Der dritte Bereich kultureller Kompetenzen umfasst kulturelle Fähigkeiten. Dieser beinhaltet, verbale und nonverbale Mittelungen des Patienten richtig deuten zu können und auch ein kulturabhängiges Anpassen des eigenen verbalen und nonverbalen Verhaltens.

http://www.springer.com/978-3-642-39365-5