und Trauma- Akuttherapie Ein kurzes Handbuch für die Praxis

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Transkript:

Gaby Gschwend Notfallpsychologie und Trauma- Akuttherapie Ein kurzes Handbuch für die Praxis 3., vollständig überarbeitete Auflage

Gschwend Notfallpsychologie und Trauma-Akuttherapie Verlag Hans Huber Klinische Praxis Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Dieter Frey, München Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich Prof. Dr. Meinrad Perrez, Freiburg i. Ue. Prof. Dr. Franz Petermann, Bremen Prof. Dr. Hans Spada, Freiburg i. Br.

Gaby Gschwend Notfallpsychologie und Trauma- Akuttherapie Ein kurzes Handbuch für die Praxis 3., überarbeitete und ergänzte Auflage Verlag Hans Huber

Anschrift der Autorin: Frau lic. phil. Gaby Gschwend Kurhausstrasse 5 8032 Zürich Programmleitung: Tino Heeg Herstellung: Livia Schwarz Umschlag: Claude Borer, Basel Druckvorstufe: ns prestampa sagl, Castione TI Druck und buchbinderische Verarbeitung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Printed in Germany Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen oder Warenbezeichnungen in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Anregungen und Zuschriften bitte an: Verlag Hans Huber Lektorat Psychologie Länggass-Strasse 76 CH-3000 Bern 9 Tel: 0041 (0)31 300 45 00 Fax: 0041 (0)31 300 45 93 verlag@hanshuber.com www.verlag-hanshuber.com 3., überarbeitete und ergänzte Auflage 2012 2003/2004/2012 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern (E-Book-ISBN 978-3-456-95003-7) ISBN 978-3-456-85003-0

5 Inhaltsverzeichnis Vorwort...................................................... 9 1. Einleitung.................................................. 11 2. Die psychische Situation von Notfallopfern..................... 13 2.1 Die Vielfalt innerer und äußerer Belastungsfaktoren.............. 14 2.2 Reaktionen................................................ 14 2.2.1 Reaktionen auf Helfer.................................. 18 2.2.2 Reaktionen der Helfer auf das Opfer und die traumatische Situation.............................. 18 2.3 Verlaufsphasen............................................. 19 2.3.1 In der traumatischen Situation........................... 19 2.3.2 Im Zustand des Schocks................................ 20 2.3.3 Im Zustand der Krise/die Einwirkungsphase............... 21 2.4 Bewältigung und Integration.................................. 23 2.4.1 Einflussfaktoren....................................... 23 2.4.2 Möglichkeiten......................................... 24 3. Der Psychologische Notfalleinsatz............................ 27 3.1 Aufgaben der psychologischen Notfallhelfer..................... 28 3.2 Leitlinien des Verhaltens..................................... 29 3.2.1 Das Gesprächsverhalten................................ 29 3.2.2 Das nicht verbale Verhalten............................. 30 3.2.3 «Verhaltens-Sünden»................................... 31 3.3 Information................................................ 31 3.4 Risiko-Personen............................................ 34 3.5 Checkliste zum Ablauf des Einsatzes........................... 36

6 Notfallpsychologie und Trauma-Akuttherapie 3.6 Psychologische Notfall-Interventionen......................... 43 3.6.1 Distanzierung......................................... 43 3.6.2 Beruhigung und Entspannung........................... 43 4. Spezielle Gruppen........................................... 45 4.1 Angehörige................................................ 45 4.1.1 Hinweise zur Betreuung Angehöriger..................... 46 4.1.2 Wie Angehörige helfen können.......................... 47 4.2 Kinder.................................................... 48 4.2.1 Reaktionen........................................... 48 4.2.2 Umgang.............................................. 49 4.3 Zeugen.................................................... 50 5. Massennotfälle / Kollektive Katastrophen...................... 53 5.1 Aufgaben der Notfallpsychologie.............................. 54 5.1.1 In der Akutphase...................................... 55 5.1.2 Psychologische Weiterbetreuung......................... 56 5.1.3 Konsolidierung und Wiederaufbau....................... 56 5.1.4 Schulung und Beratung................................. 57 5.2 Panikvorbeugung/Panikbekämpfung........................... 57 5.3 Checkliste für den Einsatz bei Massennotfällen.................. 59 5.4 Der Notfallkoffer oder -rucksack.............................. 62 6. Trauma-Akuttherapie........................................ 63 6.1 Indikation................................................. 64 6.2 Die Phasen der Therapie..................................... 66 6.2.1 Stärkung und Stabilisierung............................. 66 6.2.2 Konfrontation/Exposition............................... 70 6.2.3 Integration........................................... 73 6.3 Ein Bund der Kooperation................................... 75 6.3.1 Die therapeutische Beziehung............................ 75 6.3.2 Therapeutische Leitlinien und Sünden..................... 79 6.3.3 Das Erstgespräch....................................... 80 6.4 Therapie bei Kindern........................................ 82 6.4.1 Therapeutische Aufgaben............................... 83

Inhaltsverzeichnis 7 7. Die Traumatisierung der Helfer............................... 85 7.1 Gründe................................................... 86 7.2 Anzeichen für Sekundärtraumatisierung........................ 86 7.2.1 Körperliche Beschwerden............................... 86 7.2.2 Psychische Reaktionen und Symptome.................... 87 7.3 Vorbereitung auf belastende Situationen........................ 87 7.4 Bewältigung und Verarbeitung................................ 92 Literatur...................................................... 95 Zur Autorin................................................... 97 Anhang: Checklisten............................................ 99

9 Vorwort Seit der ersten Veröffentlichung dieses Buches sind annähernd zehn Jahre vergangen und es freut mich sehr, dass es nun in einer dritten, überarbeiteten und erweiterten, Auflage erscheint. Die damals noch junge Wissenschaft der Psychotraumatologie hat sich zwischenzeitlich weiter entwickelt und sie ist immer noch in Bewegung und spannenden Entwicklungen begriffen. Neues Wissen, neue Erkenntnisse wurden gewonnen und es gab einen großen Zuwachs an praktischen Erfahrungen, Erfahrungen, die auch zu Modifikationen in Theorie und Praxis geführt haben. Als wichtige Entwicklungen im Rahmen der Notfallpsychologie und Traumatherapie fallen auf: Die notfallpsychologische und psychotherapeutische Hilfe nach traumatisierenden Ereignissen ist heute ungleich verbreiteter, selbstverständlicher, akzeptierter als noch vor zehn Jahren. Das ist sehr gut und leistet einen wertvollen präventiven Beitrag, viele Betroffene berichten nach Notfällen, wie froh sie um eine auch psychologische Unterstützung waren. Die Gefahr scheint heute eher im anderen Extrem zu liegen, in der Gefahr eines Überangebots, einer Überschwemmung der von Notfällen Betroffenen von psychologischen Angeboten in Akutsituationen. Während vielleicht manches Opfer eher eine Erholung mit Hilfe von Zeit und tragenden persönlichen Beziehungen finden würde als durch eine psychologische (An)-Leitung zur Bewältigung der Erfahrung. Damit kommen wir auch zum Debriefing. Dieses wird nach Notfallsituationen nicht mehr so universell, unbefangen und selbstverständlich eingesetzt wie noch vor zehn Jahren, vor allem nicht als isolierte Methode ohne hinreichende Vorund Nachbetreuung der Betroffenen. Analog wird auch in der Traumatherapie respektvoller und erst nach bewusster Stabilisierungsarbeit mit der Konfrontation/ Exposition mit dem traumatischen Geschehen umgegangen. Die Bedeutung eines phasenspezifischen bzw. phasengerechten Vorgehens in der Trauma-Therapie ist deutlicher geworden, indem heute allgemein anerkannt ist, dass eine angemessene Stabilisierung und Ressourcenstärkung vor Interventionen der Konfrontation/Exposition erfolgen muss und deren Voraussetzung ist. Überhaupt liegt der Fokus in Theorie und Praxis heute vermehrt auch bei den Ressourcen, Stärken und Widerstandskräften der traumatisierten Menschen.

10 Notfallpsychologie und Trauma-Akuttherapie Diesen und anderen neuen Erkenntnissen und Entwicklungen in der Psychotraumatologie soll diese Neuauflage gerecht werden, was zu Veränderungen führte. Die Kapitel über den notfallpsychologischen Einsatz bzw. die akute Betreuung von Notfallopfern wurden erweitert, an Umfang und auch an Thematik, indem u. a. auch das Gebiet der Panikvorbeugung/Panikbekämpfung aufgenommen wurde. Sehr viele Leser/innen sind nicht klinische Psychologen oder Psychotherapeuten, sondern haben in anderer Funktion mit Betroffenen eines Notfallereignisses zu tun. In diesem Sinne wird nun auch das Thema eines psychologisch hilfreichen Verhaltens vertieft behandelt. Die Kapitel über akute Trauma- Psychotherapie haben ein wenig den Fokus verändert. Es gibt heute eine Vielzahl, auch an schulen- bzw. methodenspezifischer Literatur zur Traumatherapie für Psychologen und Psychotherapeuten. Hier war es mir wichtig, allgemeine Grundlagen und Leitlinien einer jeden Form von Trauma-Psychotherapie aus einer praxisorientierten Perspektive zu erläutern. Ich hoffe, dass Ihnen auch diese Neuauflage im Rahmen Ihrer Begegnung mit traumatisierten Menschen nützlich ist Zürich im April 2011 Gaby Gschwend

11 1 Einleitung Es gibt viele, äußerlich ganz verschiedene Arten traumatischer Erfahrungen. Das Spektrum umfasst Ereignisse, von denen Einzelne betroffen sind (Arbeitsunfall, Überfall), Ereignisse mit mehreren Betroffenen (Verkehrsunfälle, Geiselnahmen) bis hin zu Großschadensereignissen wie technischen oder Naturkatastrophen. All diesen Ereignissen gemeinsam ist, dass sie den Rahmen alltäglicher Erfahrungen und Belastungen bei Weitem übersteigen. Sie bedeuten eine radikale Verletzung der seelischen und körperlichen Integrität eines Menschen und auch einen zentralen Eingriff ins Leben der Betroffenen. Sie verändern, oft nachhaltig und dauerhaft die gesamte Lebenssituation das Erleben von Beziehungen und der Zugehörigkeit zu anderen Menschen die Beziehung zu sich selbst, das Vertrauen in sich selbst das Gefühl von Handlungsfähigkeit und Kontrolle das Verhältnis zum eigenen Körper das Gefühl von Unverletzlichkeit das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit in der Welt. Werden solche «inneren Verletzungen» nicht angemessen verarbeitet, können die nur oberflächlich verheilten seelischen Wunden jederzeit plötzlich und unvermutet wieder aufbrechen, u. a. deswegen, weil einzelne, in sich abgeschlossene Traumata in einem sonst intakten Leben nicht unbedingt die Regel sind. Häufig entstehen auch in Folge traumatischer Erfahrungen psychische Störungen wie z. B. eine (chronische) Posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen, Süchte, und/ oder somatische und psychosoziale Folgeschäden, die sich stark lebensbeeinträchtigend auswirken.

12 Notfallpsychologie und Trauma-Akuttherapie In der psychologischen Akutbetreuung gibt es verschiedene Arten von Hilfestellungen und Interventionen mit ihren je eigenen Möglichkeiten und Begrenzungen. Alle Helfer haben in dieser zutiefst gestörten, ja zerstörten und psychisch weit offenen Situation großen Einfluss auf die Betroffenen, die zu diesem Zeitpunkt psychisch höchst suggestibel und «zerbrechlich» sind. Die Helfer haben aber doch immer auch verschiedene Funktionen, und alle müssen an einem bestimmten Punkt ihre spezifische Aufgabe begrenzen und die Betroffenen zur Betreuung angemessen weiterweisen. Sie müssen also um ihre Funktion, ihre Möglichkeiten, ihre Grenzen wissen und diese den Betroffenen auch transparent machen. Der Einsatz der Notfallpsychologie bezieht sich auf akute und kurzfristige Folgen traumatisierender Ereignisse und dient in erster Linie dem Krisenmanagement und der psychischen Stabilisierung der Betroffenen. Das gemeinsame Ziel der frühen psychologischen und akut psychotherapeutischen Maßnahmen und Interventionen nach einem traumatischen Ereignis ist es darüber hinaus, den psychischen Verarbeitungsprozess von Anfang an so zu unterstützen, dass es nicht zu chronischen Symptombildungen und dauerhaften Persönlichkeitsveränderungen kommt. Dabei wird unterschieden zwischen der psychologischen Notfallhilfe (sofort bis wenige Tage nach dem Ereignis durch geschulte Psychologen, Ärzte, Pfarrer) einerseits und der psychotherapeutischen Trauma-Akuttherapie (wenige Tage bis Wochen nach dem Ereignis durch psychotraumatologisch ausgebildete Klinische Psychologen und Psychotherapeuten) andrerseits. Das Handbuch «Notfallpsychologie» ist eine praxisorientierte Einführung und richtet sich an Personen, die im Bereich der psychologischen und psychotherapeutischen Akutversorgung schwer traumatisierter Menschen arbeiten, aber auch an Angehörige anderer Berufsgruppen, die beratend und helfend mit Opfern von Traumatisierung arbeiten. Um sprachliche Schwerfälligkeiten zu vermeiden, wird im Text jeweils die männliche Bezeichnung verwendet.

13 2 Die psychische Situation von Notfallopfern Opfer einer Notfallsituation sind einer schrecklichen, einer überwältigenden und überfordernden Situation ausgeliefert, die außerhalb jeder Alltagserfahrung und Alltagsbelastung liegt. Den Betroffenen stehen keine etablierten Bewältigungsstrategien zur Verfügung. Die normalen Reaktionen und Handlungen auf (existenzielle) Bedrohungen, Kampf oder Flucht, sind unmöglich, sinnlos, unwirksam. Sie können nicht mehr über sich selbst verfügen und haben (Todes-) Angst, sie verspüren Schmerzen, fühlen sich macht- und hilflos und sie sind auch extremen äußeren Wahrnehmungen ausgesetzt, indem sie z. B. mit eigenen Verletzungen, dem Anblick von anderen Verletzten, mit Zerstörung, Chaos und Tod konfrontiert sind. Die Vielzahl und die Wucht von gleichzeitig überwältigenden inneren und äußeren Belastungsfaktoren in einer Notfallsituation soll anhand folgender Grafik deutlich werden.