Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Kinder- und Jugendhilfe Vortrag im Rahmen der Fachveranstaltung: Der demografische Wandel: Chance für junge Menschen? Herausforderung für die Jugendsozialarbeit! 25. September 2012 in Düsseldorf (Dr. Jens Pothmann, jpothmann@fk12.tu-dortmund.de) Die Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik ist ein vom BMFSFJ und dem MFKJKS NRW gefördertes Forschungsprojekt im Forschungsverbund DJI/TU Dortmund an der Technischen Universität Dortmund. Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Kinder- und Jugendhilfe zur Durchführung des landesweiten Berichtswesens HzE in NRW Gliederung und zur Qualifizierung der Jugendhilfestatistik 1. Dimensionen des in demografischen NRW Wandels am 08.02.2011 in Dortmund 2. Rückgang der jungen Menschen im Horizont regionaler Unterschiede 3. Kinder- und Jugendhilfe im demografischen Wandel 4. Implikationen für die Jugendsozialarbeit 1
1. Dimensionen des demografischen Wandels a) Methodische Hinweise Szenarien des demografischen Wandels basieren auf Bevölkerungsvorausberechnungen Die Komponenten der Bevölkerungsvorausberechnung: Geburtenhäufigkeit abhängig von: Anzahl der Frauen Bereitschaft, Kinder zu bekommen Lebenserwartung/Altersaufbau Wanderungsbewegungen 2
Überblick zu den Komponenten und den daraus resultierenden Varianten der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung b) Rückgang und Älterwerden der Bevölkerung Bevölkerungszahl von 1950 bis 2060 (ab 2009 Vorausberechnung) (Deutschland) 3
90.000 80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0 Bevölkerungszahl insgesamt (Deutschland; 2009-2030; Angaben absolut) -5% Angaben in 1.000 11 000 10 000 9 000 8 000 7 000 6 000 5 000 4 000 3 000 2 000 1 000 Anzahl der 0- bis unter 30-Jährigen nach Altersgruppen (Deutschland; 2009-2030; Absolutangaben) 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 unter 10 Jahre 10 bis unter 20 Jahre 20 bis unter 30 Jahre 4
Index (2009=100) 130 Anzahl der 21-Jährigen nach Altersgruppen (Deutschland; 2009-2030; Indexentwicklung) 120 110 100 90 80 70 60 500 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 unter 6 6 bis unter 12 12 bis unter 18 18 bis unter 27 Folie Nr. 9 Index (2009=100) 130 Anzahl der Bevölkerung ab 16 Jahren nach Altersgruppen (Deutschland; 2009-2030; Indexentwicklung) 120 110 100 90 80 70 60 500 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 16- und 17-J. 18- bis 26-J. 27- bis 45-J. 46- bis 65-J. 66 J. und älter 5
Angaben in 1.000 60 000 55 000 50 000 45 000 40 000 35 000 30 000 25 000 20 000 15 000 10 000 5 000 Anzahl der 20- bis 65-Jährigen und der 66-Jährigen und Älteren (Deutschland; 2009-2030; Absolutangaben) 20 bis 65-Jährige 66-Jährige und Ältere 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 Folie Nr. 12 6
2. Rückgang der jungen Menschen im Horizont regionaler Unterschiede Die alten Länder werden - in der Summe, nicht in ihren Teilräumen - ihre Bevölkerungszahl eher stabil, in den neuen Ländern geht die Schrumpfung weiter auch hier gibt es allerdings Unterschiede zwischen den Regionen. Der Blick zurück in die 1990er-Jahre zeigt, dass die bevorstehenden Rückgänge in Ostdeutschland weniger stark als die zurückliegenden Entwicklungen ausfallen werden. Für Ostdeutschland werden vor allem die 20- bis unter 30-Jährigen in den nächsten Jahren zurückgehen. 7
Die Bevölkerungsdynamik im siedlungsstrukturellen Vergleich (2010 = 100) Der Vergleich von Siedlungsstrukturen zeigt, dass der Bevölkerungsrückgang den ländlichen Raum deutlicher trifft als die urbanen Regionen. Dies gilt sowohl für die unter 10- als auch für die 10- bis unter 20-Jährigen. Entwicklung der 6- bis unter 27- Jährigen nach Regionen sowie Landund Stadt-kreisen (Baden-Württemberg; 20081-2020; in Prozent; Ergebnisse der 11. Bevölkerungsvorausberechnung) Quelle: Rauschenbach, Th. u.a.: Lage und Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit in Baden-Württemberg- Eine Expertise, Dortmund u.a. 2010 8
Entwicklung der 6- bis unter 27-Jährigen nach Regionen sowie Land- und Stadtkreisen (Baden-Württemberg; 20081-2020; in Prozent; Ergebnisse der 11. Bevölkerungsvorausberechnung) 0-2 -4-6 -8-10 -12-14 -16-18 -20 gart ingen ngen pingen wigsburg s-murr bronn bronn enlohek. wäb. H. n-tauber enheim lbkreis en-b. sruhe ruhe att elberg nheim kar-od. n-neckar zheim w reis denstadt burg i.br. gau-h. endingen naukreis weil warzwald-b. ngen tanz ach dshut ingen ngen ernalbkreis Donau rach enseekreis nsburg aringen SKR Stuttg LKR Böbli LKR Esslin LKR Göpp LKR Ludw LKR Rems SKR Heilb LKR Heilb LKR Hohe LKR Schw LKR Main LKR Heid LKR Osta SKR Bade SKR Karls LKR Karls LKR Rasta SKR Heid SKR Man LKR Neck LKR Rhein SKR Pforz LKR Calw LKR Enzkr LKR Freud SKR Freib LKR Breis LKR Emm LKR Orte LKR Rottw LKR Schw LKR Tuttli LKR Kons LKR Lörra LKR Wald LKR Reutl LKR Tübin LKR Zolle SKR Ulm LKR Alb-D LKR Biber LKR Bode LKR Rave LKR Sigm Region Stuttgart Region Heilbronn- Franken Region Mittlerer Oberrhein Region Rhein- Neckar Region Ostwürttemberg Region Nordschwarzwald Region Südl. Oberrhein Reg. S-B-H (A) Quelle: Rauschenbach, Th. u.a.: Lage und Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit in Baden-Württemberg, Dortmund u.a. 2010 Reg. H-B (B) Reg. N-A (C) Reg. D-I (D) Reg. B-O (E) Zwischenfazit Die Alterung von unten und von oben ist das wichtigste Merkmal des demografischen Wandels. Sie ist von größerer Relevanz als der Rückgang der Bevölkerung. Die Alterung der Bevölkerung ist ein langfristiger, aber auch unumkehrbarer Prozess. Demografische Prozesse verlaufen in der Regel nicht linear, sondern in Wellenbewegungen, d.h., dazu können auch Konsolidierungen oder auch Wiederanstiege einzelner Altersgruppen gehören. Die Zahl der jungen Menschen wird in nächsten 20 Jahren weiter zurückgehen. Solche extremen Entwicklungen wie Anfang der 1990er-Jahre in Ostdeutschland sind dabei aber nicht mehr zu erwarten. Demografische Veränderungen vollziehen sich regional unterschiedlich. Es gibt Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland, zwischen den Bundesländern, aber auch zwischen Siedlungsstrukturen. Zum demografischen Wandel gehört auch die Zunahme von Menschen mit einem Migrationshintergrund sowie eine Pluralisierung familiärer Lebensformen. Dies wird für die Kinder- und Jugendhilfe und die Jugendsozialarbeit noch einmal wichtig werden. 9
3. Kinder- und Jugendhilfe im demografischen Wandel 350,0 Entwicklung der personellen Ressourcen in der Kinder- und Jugendhilfe im Spiegel der demografischen Entwicklung (Deutschland; 1974-2011; Index 1974 = 100) 300,0 250,0 200,0 150,0 100,0 50,0 0,0 1974 1978 1982 1986 1990/ 1991 1994 1998 2002 2006/ 2007 Beschäftigte Vollzeitäquivalente Anzahl der unter 27-Jährigen Quelle: Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik (KomDat Jugendhilfe, Heft 1/2012); eigene Berechnungen 2010/ 2011 10
350,0 Entwicklung der personellen Ressourcen in der Kinder- und Jugendhilfe im Spiegel der demografischen Entwicklung (Deutschland; 1974-2030; Index 1974 = 100) 300,0 250,0 200,0 150,0 100,0 50,0 0,0 1974 1978 1982 1986 1990/ 1991 Prognose 1994 1998 2002 2006/ 2010/ 2014 2018 2022 2026 2030 2007 2011 Beschäftigte Vollzeitäquivalente Anzahl der unter 27-Jährigen Einflussgrößen auf die Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe Lobby von jungen Menschen zwischen knappem Gut und Randgruppe Ökonomischen und sozioökonomischen Entwicklungen, wie zuletzt auch im Armut- und driht Reichtumsbericht ihtnachzulesen. Gesellschafts-, wirtschafts- und sozialpolitischen Weichenstellungen, vor allem auch in ihren Auswirkungen auf das Spannungsfeld von Armut öffentlicher Kassen gegenüber enormem privaten Reichtum es stellt sich die Frage nach der Rolle des Staates. Es wird politisch ausgestaltet, welchen Beitrag die Kinder- und Jugendhilfe im Allgemeinen, aber auch die Jugendsozialarbeit im Besonderen für ein Bildungs-, Erziehungs- und Sozialwesen im 21. Jahrhundert leisten wird. Verteilungskämpfe der Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit um die finanziellen Ressourcen. ( ) 11
Beispiel 1: Kita-Boom bei rückläufigen Kinderzahlen 10.000.000 8.000.000 6.000.000 Kinder im Alter von unter 10 Jahren (Deutschland; 1990-2010; Anzahl) 1990 1994 1998 2002 2006 2010 4.000.000 2.000.000 0 150,0 Entwicklung der Zahl der tätigen Personen in Sozialen Berufen, der Kinder- und Jugendhilfe und in Tageseinrichtungen für Kinder (Kita) (1990/91-2011; Veränderung in %) 127,6 100,0 90,8 50,0 36,5 41,8 0,0 Soziale Berufe insgesamt Kinder- und Jugendhilfe darunter Tageseinrichtungen für Kinder (Deutschland) darunter Tageseinrichtungen für Kinder (Westdeutschland) Quelle: Statistisches Bundesamt : Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe - Einrichtungen und tätige Personen; ANBA: Beschäftigtenstatistik; versch. Jahrgänge; Zusammenstellung und Berechnung Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik Beispiel 2: Komplexe bedarfsbeeinflussende Faktoren für die HzE Einflussfaktoren auf die Gewährung und Inanspruchnahme von erzieherischen Hilfen Für kommunale Jugendhilfe gestaltbare Faktoren Infrastrukturressourcen (einschl. Personalausstattung) Wahrnehmungsund Definitionsprozesse Inanspruchnahme und Gewährung von Leistungen der Hilfen zur Erziehung (kommunal-) politische Rahmenbedingungen Für kommunale Jugendhilfe nicht beeinflussbare Faktoren Sozialstruktur demografische Entwicklung Rechtsgrundlagen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bürger, U.: Die Bedeutung sozialstruktureller Bedingungen für den Bedarf an Jugendhilfeleistungen. Forschungsergebnisse und fachpolitische Konsequenzen, in: Forum Erziehungshilfen, 4. Jg., 1998, Heft 4, S. 203-213; 12
4. Implikationen für die Jugendsozialarbeit Einflussfaktoren auf die zukünftige Entwicklung der Jugendsozialarbeit und daraus resultierende Szenarien (a) Demografische Entwicklung (b) Veränderungen von Schule & Beruf und die Bedeutung für das Aufwachsen (c) Politische Entscheidungen über finanzielle Ressourcen Zukunft der Jugendsozialarbeit (Jugensozialarbeit 2020) ( ) (d) Funktionszuschreibungen und Aufgabendefinitionen 13
Implikationen des demografischen Wandels für die Jugendsozialarbeit Quelle: van Santen, E. (2010): Weniger Jugendliche, weniger Jugendarbeit? Demografische Veränderung als Herausforderung für die Jugendarbeit. In: deutsche jugend, Heft 4/2010, S. 167-177 Implikationen Die Jugendsozialarbeit muss in Anbetracht der sich neu eröffnenden Optionen mit Blick auf ihre Zukunft ihr Selbstverständnis im Kontext des Aufwachsens von Jugendlichen klären und gegebenenfalls neu bestimmen. Die Jugendsozialarbeit muss sich ihrer fachlichen und politischen Rolle selbst vergewissern. Dazu gehört die eigene Rolle als Arbeits- und Handlungsfeld der Kinderund Jugendhilfe zu definieren, aber auch die Schnittstellen zu anderen Agenturen des Erziehungs- und Bildungs- und Sozialwesens zu stärken. 14
Implikationen Die Jugendsozialarbeit sollte sich auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung insbesondere auch in den ländlichen Räumen nicht nur an den veränderten Lebensbedingungen der Jugendlichen, sondern auch an den Erfordernissen regionaler und lokaler Bildungslandschaften beteiligen. Implikationen In Anbetracht einer Zunahme heterogener soziokultureller und religiöser Milieus stellt sich auch für die Jugendsozialarbeit die Frage, wie man mit die heute oftmals schwieriger zu erreichenden Gruppen und Milieus besser ansprechen und einbeziehen kann. 15
Implikationen Die politische Akzeptanz der Jugendsozialarbeit lässt sich darüber erhöhen, die Sichtbarkeit des Feldes sowie das Leistungsvermögen aufzuzeigen. Hierzu bedarf es einer nachhaltigen Verbesserung der Datenlage. Mit Blick auf die finanzielle Unterstützung der Jugendsozialarbeit sollten transparente und leistungsgerechte Förderstrukturen angestrebt werden 16