DGKJP (3/2009) Veranlagung, Umwelt und Verhalten Johannes Hebebrand Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters LVR Klinikum Universität Duisburg-Essen
Übersicht Auf den Hund gekommen Wesentliche Erkenntnisse der Verhaltensgenetik Einblick in die Molekulargenetik komplexer Verhaltensphänotypen Einordnung Freising, 30.04.2010
Auf den Hund gekommen: Die Bedeutung der Genetik Snoopy Hebebrand
Jack Russell Terrier Jack Russell Terrier unterhaltsam, bis ins hohe Alter überschwänglich, fast hyperaktiv fröhliche, lustige und quirlige Gesellen Schneid und Mut; gehen auf alles zu, was sich bewegt und sind trotzdem sehr besonnen sturköpfig einer der intelligentesten Hunderassen verträglich, kinderfreundlich und ihrem Herrchen treu ergeben nicht gerne alleine und fordern ihre Schmusezeit.
Hundezüchtung: Morphologische und Verhaltensvielfalt größer als bei anderen Säugetieren Gezielte Züchtung seit Jahrtausenden: Körpermerkmale, Riechsinn, Verhalten Nachweis distinkter Rassen vor 3.500 J Römerzeit: Wach-, Schoß-, Hütehund bereits bekannt Nur kleiner Anteil genetischer Variation unterscheidet Subgruppen innerhalb einer Rasse http://parseus.com/html/index.htm/stammbaum-der-hunderassen.jpg
Züchtung für Verhaltenseigenschaften 5 konsistente und stabile Persönlichkeitsmerkmale Verspieltheit Neugierde/Furchtlosigkeit Jagdbereitschaft Geselligkeit Aggressivität (zusätzlich Schüchternheit-Wagemut) Hohe soziale Intelligenz: Lernen durch klassische und operante Konditionierung, Lernen am Modell Svartberg Appl Animal Behav Sci 96: 293 313; 2006
Hundepsychiatrie Border Collie Dobermann Pinscher Dalmatiner Bull Terrier Labrador Retriever Cocker Spaniel Lärmphobie 50% leicht 10% schwer Narkolepsie, OCD Erhöhte Aggressivität OCD Aufmerksamkeitsstörung Adipositas, Wutausbrüche Züchtung oder Zufall? Border Collie gezielt für Hörfähigkeit gezüchtet Cyranoski, Nature 466: 1036-38, 2010
Hunde- und humanes Genom Hund: ca. 19.300 Gene Mensch: ca. 22.000 Gene Unterschied geht wahrscheinlich größtenteils auf falsche Vorhersagen beim Menschen zurück Lindblath-Toh et al. Nature 438: 803-19; 2005
Wesentliche Erkenntnisse der Verhaltensgenetik Freising, 30.04.2010
Why are children in the same family so different from one another? Geschwister teilen sich durchschnittlich 50% ihrer Erbanlagen Zusammen aufwachsende Geschwister haben eine gemeinsame Umwelt Sozio-ökonomischer Status Persönlichkeit der Eltern Allein- versus gemeinsam körperliche und psychische erziehende Eltern Erkrankungen der Eltern Erziehungsstil Ordnung/Unordnung Beziehung der Eltern Elterliche Abwesenheiten Tagesablauf, Tagesrhythmus, Gewalterfahrungen Aktivitäten, Urlaube Nachbarschaft, ggf. Schule Plomin und Daniels, Behavioral and Brain Sciences 10:1-16; 1987
Shared and non-shared environment Eineiige (monozygote) Zwillinge: 100% des Genoms identisch Zweieiige (dizygote) Zwillinge: durchschnittlich 50% des Genoms identisch Umweltfaktoren, die nur auf einen Zwilling einwirken, führen zu MZ-Korrelationen < 1 ( nonshared environment ) DZ-Korrelationen > 50% der MZ-Korrelationen legen eine Beteiligung gemeinsamer Umweltfaktoren nahe ( shared environment )
Erblichkeit (Heritabilität) und Umwelt: Beispiel: Körperhöhe (MZ-Korrelation DZ-Korrelation) x 2 = Heritabilität z.b. Körperhöhe (KH): (0,9 0,45) x 2 = 0,9 shared environment = Heritabilität MZ- Korrelation KH: 0,9 0,9 = 0 non-shared environment = 1,0 MZ-Korrelation KH: 1 0,9= 0,1
Heritabilität (Erblichkeit) Hohe Heritabilität impliziert nicht, dass Umwelt keinen Einfluss hat Hohe Heritabilität impliziert nicht Unveränderbarkeit Bei vielen Phänotypen ist ein Einfluss der shared environment im Kindesalter nachweisbar Heritabilität hat keinerlei Implikationen für den Einzelfall
Erblichkeitschätzungen: Psychiatrische Störungen Störung Erblichkeit Referenz Tiefgreifende Entwicklungsst. 90% Santangelo und Tsatsanis 2005 Enuresis 67-70% von Gontard et al. 2001 Störung des Sozialverhaltens 53% Gelhorn et al. 2005 Zwangsstörung 47% Clifford et al. 1984 Angststörung 30-40% Eley et al. 2003 ADHS 60-80% Heiser et al. 2004 Anorexia Nervosa 48-88% Hinney et al. 2004 Bulimia Nervosa 28-83% Hinney et al. 2004 Schizophrenie 73-90% Sullivan et al. 2003 Bipolare Psychose 60-85% Smoller and Finn 2003 Majore Depression 31-42% Sullivan et al. 2000
Zwillingsstudien zum BMI genetische Effekte (direkt und indirekt): 70% individuell erlebte Umwelterfahrungen: 30% gemeinsame Umwelterfahrungen praktisch ohne Einfluss (z.b. familiäre Ess-, Trink- und Bewegungsgewohnheiten)
Genotyp-Umwelt-Interaktion: BMI-Zunahme unter Einnahme von Clozapin Perzentil Theisen et al., 2001 Am J Psychiatry 158: 816 Alter (Jahre) Zwilling A Zwilling B
Erziehung: Genotyp-Umwelt-Korrelationen Passiv: Eltern teilen sich mit dem Kind Gene und Umwelt Eltern transmittieren Gene, die beim Kind schwieriges Temperament bedingen; die gleichen Gene bedingen bei den Eltern einen problematischen Erziehungsstil Evokativ: Eltern reagieren auf Verhaltensweisen, die beim Kind genetisch bedingt sind Aktiv: Kind sucht aktiv Umwelterfahrungen auf, die seinem Genotyp entsprechen Neiderhiser et al. Dev Psychol 40: 335-351; 2004
Einblick in die Molekulargenetik komplexer Verhaltensphänotypen Freising, 30.04.2010
Potential mechanisms underlying the association between obesity and mental disorders GIANT: BMI-Study Gene mit möglichem Einfluss auf neuropsychiatrische Störungen: BDNF (ADHD), GPRC5B (ADHD, Alzheimer), APOE (Alzheimer), PARK2 (Parkinson, ADHD) Locke et al. 2015, Nature. 2015 Feb 12;518:197-206
Potential mechanisms underlying the association between obesity and mental disorders GIANT: BMI-Study Meta-Analyse für BMI Bis zu 339.224 Individuen 97 BMI Loci (56 neu) 2,7% der BMI-Varianz erklärt Häufige Allele könnten bis zu 20% der BMI- Varianz erklären Bedeutung zentral exprimierter Gene Locke et al. 2015, Nature. 2015 Feb 12;518:197-206
GIANT: BMI-Study Potential mechanisms underlying the association between obesity and mental disorders z.b. Auffinden des ersten Polygens für Anorexia nervosa (Hinney et al., 2016; Mol Psychiatry, im Druck) NIKI-relevant wg. Adipositas & ADHS Locke et al. 2015, Nature. 2015 Feb 12;518:197-206
Einordnung der Befunde Große Bedeutung genetischer Prädispositionen Familiäre Ähnlichkeiten im Hinblick auf Verhalten und psychische Erkrankungen meist genetische mit-bedingt Genetisch bedingt heißt nicht unveränderbar in Bezug auf Umwelt und Verhalten Es gibt nicht das Adipositas- oder das ADHS-Gen etc. : Der Effekt einer Genvariante ist gering NIKI-relevant: Hohe Bedeutung der Familienanamnese!