Veranlagung, Umwelt und Verhalten

Ähnliche Dokumente
Kindliche Auffälligkeiten und biopsycho-soziale. T. Banaschewski Kinder- und Jugendpsychiatrie/- psychotherapie Universität Göttingen

Gene, Umwelt und Verhalten

Zur Kooperation von Kinder- und Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe

Tutorium zur Vorlesung Differentielle Psychologie

Wie erblich sind Epilepsien? Konzepte für die Interaktion von Genen und Umwelt

Genetik, Evolution, Intelligenz und anthropologische Diversität: Was wissen wir daru ber?

Handbuch- und Lehrbuchbeiträge/ Chapters in Handbooks

Kindliche Auffälligkeiten und bio-psycho-soziale Einflussfaktoren.

Neue Gene für Wohlbefinden, Depression und neurotisches Verhalten gefunden

Der Mensch als soziales und personales Wesen 22. Anlage und Umwelt. Neue Perspektiven der Verhaltensgenetik und Evolutionspsychologie

Ursache der Schizophrenie. Belastungsfaktor Genetisches Risiko und neurologischen Folgen

CHRONISCHE ERKANKUNGEN IM KINDESALTER

Sind wir noch normal? Psychische Störungen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen.

Die Entwicklung der Gefühle: Aspekte aus der Hirnforschung. Andreas Lüthi, Friedrich Miescher Institut, Basel

Schlaf und psychische Erkrankungen

Faszination Zwillinge und das Geheimnis der Identität

Kognitive Profile bei kinder- und jugendpsychiatrischen Störungsbildern

Empfehlungen zur abgestuften Behandlung von Essstörungen im Kindes- und Jugendalter

Veränderung der Lebenswelt: Ursache für die Zunahme psychischer Störungen

5 JAHRE UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR KINDER UND JUGENDPSYCHIATRIE, PSYCHOSOMATIK UND PSYCHOTHERAPIE

Psychosomatik: Schnittstelle zwischen Pädiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie

1 Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung... 2 Andrea G. Ludolph und Ann-Kathrin Pfalzer

Die Gene Buch des Lebens

Vorwort (Paulitsch, Karwautz) Geleitwort (Lenz) I Einführung (Paulitsch) Begriffsbestimmung Historische Aspekte...

Meine Gene, meine Gesundheit

Manualisierte vs. individualisierte Psychotherapie

Bouchard & Lykken Sources of Human Psychological Differences: The Minnesota Study of Twins Reared Apart SoSe 2008

Was macht Kinder stark? Entwicklung zwischen Risiko und Resilienz

Stress wirkt nicht bei jedem gleich: Die Gen-Umwelt-Interaktion

Stress, psychische Gesundheit und Schule

Psychopathologie im Kindes und Jugendalter. Einführung. Tobias Renner

Inhalt. Teil A: Einführung in die Psychiatrie und Psychopathologie... 17

Die Gleichaltrigen. LS Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie

ADHS und Persönlichkeitsentwicklung

Tierhalterhaftpflichtversicherung für Hunde. - Meistversicherte Hunderassen Günstige Versicherungstarife Hundehalterhaftpflicht

Alkoholabhängigkeit -

Herausforderungen und Chancen aus Sicht des Kinder- und Jugendpsychiaters

Vorläufiges Programm

Vorlesung 2 GRUNDLAGEN

3.2.1 Neurogenese Angiogenese Gliogenese 21

16. Vorlesung: Kinder- und Jugendpsychiatrie. Prof. László Tringer

Genetische Individualisierung - Möglichkeiten und Grenzen aus technischer und ethischer Sicht

Prädiktive Gentests multifaktorieller Erkrankungen

100% Heterogenität Schizophrenie heute aus der Sicht der psychiatrischen Genetik

Inhaltsverzeichnis. Allgemeine Einführung in die Ursachen psychischer Erkrankungen sowie deren Bedeutung

Kinder psychisch kranker Eltern

Kann lebenslanges Lernen das Demenzrisiko verringern?

Der Einfluss der Gene auf die Lebenschancen

Skript zum Kurz-Referat:

Faszination Zwillinge und das Geheimnis der Identität

Ursachen der Schizophrenie

Kreuzung zweier Pflanzen, einer gelbsamigen und einer grünsamigen Erbsenrasse

Anlage zur Vereinbarung gemäß 118 Abs. 28GB V vom

Wächst etwas zusammen, was früher nicht zusammen gehörte?

Medizinisch-Psychosomatische Klinik Bad Bramstedt. Essstörungen Bulimie und Magersucht. K. Schedler Bad Segeberg,

Gemeinsame genetische Risikofaktoren bei häufigen Epilepsiesyndromen entdeckt

Inhalt. Vorwort zur zweiten Auflage Grundlagen Demenzen... 24

Depression als Risikofaktor für Adipositas und Kachexie

Psychosomatik Department

Untersuchung des Zusammenhangs von erlebter Anhedonie und Psychotherapiemotivation im Rahmen einer teilstationären Behandlung

Vorwort Was ist Psychiatrie? Heute vorherrschendes Krankheitsmodell in der Psychiatrie... 17

Andere Definitionen sind heute als problematisch anzusehen:

Fragenkatalog Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter. Fragen zu Kapitel 1: Klassifikation psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter

ADHS plus? Diagnose und Behandlung komorbider Störungen

Resilienz: Was hilft Menschen dabei, Krisen zu überwinden? Prof. Dr. Holger Lindemann

Wege aus der Abhängigkeit

Erwachsenenpsychiatrie

Modul 1 Klassifikationssysteme. Übersicht über Gruppen und Kategorien der ICD-10. Kapitel V Psychische und Verhaltensstörungen (F00- F99)

Herausforderung für Betroffene, Eltern und Pädagogen

Ausgewählte Kapitel der Populationsgenetik

Genetische Forschung bei häufigen (komplexen) Krankheiten

Syndromspezifische Hilfe oder Empfundene Gängelung?

Anorexia nervosa und andere Essstörungen

Möglichkeiten und Grenzen prädiktiver genetischer Diagnostik psychiatrischer Krankheiten. Prof. Dr. med. Markus Nöthen Institut für Humangenetik

Psychosen bei Jugendlichen

V. Reissner. Screening auf psychische Störungen bei Arbeitslosen ALG-II-Empfängern unter 25 Jahren

Grundkenntnisse der Genetik

Kinder und Jugendliche im Gefühlschaos

Bilder des Gehirns Bilder der Psyche

Der Einfluss von Arbeitsbedingungen auf die psychische Gesundheit

Abhängigkeit: Krankheit oder Schwäche? Prof. Ion Anghelescu Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

ADHS-Abklärung. am APD-E

Informationen für Halter. Schilddrüsenunterfunktion erkennen und behandeln 1 x täglich

Einladung zum Waldau-Symposium Donnerstag, 8. September 2016

Irving I. Gottesman. Schizophrenie. Ursachen, Diagnosen und Verlaufsformen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gabriele Herbst

SIM Fortbildung Workshop Bollag/ Mager, 30. Oktober 2014

Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters. Bezirksklinikum Ansbach

David G. Myers. Psychologie

Essstörungen im Kleinkindalter Essstörungen im Jugendalter gibt es Zusammenhänge? N. v. Hofacker Forum Suchtprävention, München,

Wie lassen sich psychische Krankheiten des Kindesalters verhindern?

Leitlinien zu Diagnostik und Therapie von psychischen Storungen

Was genau wollen wir verhindern?

Schon leichte seelische Probleme können Leben verkürzen

Übergewicht, Anorexia nervosa und Veränderung der motorischen Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland

Elektiver Mutismus (F94.0) Vorlesung Systematik der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Kognitive Defizite bei der bipolaren Störung

Transkript:

DGKJP (3/2009) Veranlagung, Umwelt und Verhalten Johannes Hebebrand Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters LVR Klinikum Universität Duisburg-Essen

Übersicht Auf den Hund gekommen Wesentliche Erkenntnisse der Verhaltensgenetik Einblick in die Molekulargenetik komplexer Verhaltensphänotypen Einordnung Freising, 30.04.2010

Auf den Hund gekommen: Die Bedeutung der Genetik Snoopy Hebebrand

Jack Russell Terrier Jack Russell Terrier unterhaltsam, bis ins hohe Alter überschwänglich, fast hyperaktiv fröhliche, lustige und quirlige Gesellen Schneid und Mut; gehen auf alles zu, was sich bewegt und sind trotzdem sehr besonnen sturköpfig einer der intelligentesten Hunderassen verträglich, kinderfreundlich und ihrem Herrchen treu ergeben nicht gerne alleine und fordern ihre Schmusezeit.

Hundezüchtung: Morphologische und Verhaltensvielfalt größer als bei anderen Säugetieren Gezielte Züchtung seit Jahrtausenden: Körpermerkmale, Riechsinn, Verhalten Nachweis distinkter Rassen vor 3.500 J Römerzeit: Wach-, Schoß-, Hütehund bereits bekannt Nur kleiner Anteil genetischer Variation unterscheidet Subgruppen innerhalb einer Rasse http://parseus.com/html/index.htm/stammbaum-der-hunderassen.jpg

Züchtung für Verhaltenseigenschaften 5 konsistente und stabile Persönlichkeitsmerkmale Verspieltheit Neugierde/Furchtlosigkeit Jagdbereitschaft Geselligkeit Aggressivität (zusätzlich Schüchternheit-Wagemut) Hohe soziale Intelligenz: Lernen durch klassische und operante Konditionierung, Lernen am Modell Svartberg Appl Animal Behav Sci 96: 293 313; 2006

Hundepsychiatrie Border Collie Dobermann Pinscher Dalmatiner Bull Terrier Labrador Retriever Cocker Spaniel Lärmphobie 50% leicht 10% schwer Narkolepsie, OCD Erhöhte Aggressivität OCD Aufmerksamkeitsstörung Adipositas, Wutausbrüche Züchtung oder Zufall? Border Collie gezielt für Hörfähigkeit gezüchtet Cyranoski, Nature 466: 1036-38, 2010

Hunde- und humanes Genom Hund: ca. 19.300 Gene Mensch: ca. 22.000 Gene Unterschied geht wahrscheinlich größtenteils auf falsche Vorhersagen beim Menschen zurück Lindblath-Toh et al. Nature 438: 803-19; 2005

Wesentliche Erkenntnisse der Verhaltensgenetik Freising, 30.04.2010

Why are children in the same family so different from one another? Geschwister teilen sich durchschnittlich 50% ihrer Erbanlagen Zusammen aufwachsende Geschwister haben eine gemeinsame Umwelt Sozio-ökonomischer Status Persönlichkeit der Eltern Allein- versus gemeinsam körperliche und psychische erziehende Eltern Erkrankungen der Eltern Erziehungsstil Ordnung/Unordnung Beziehung der Eltern Elterliche Abwesenheiten Tagesablauf, Tagesrhythmus, Gewalterfahrungen Aktivitäten, Urlaube Nachbarschaft, ggf. Schule Plomin und Daniels, Behavioral and Brain Sciences 10:1-16; 1987

Shared and non-shared environment Eineiige (monozygote) Zwillinge: 100% des Genoms identisch Zweieiige (dizygote) Zwillinge: durchschnittlich 50% des Genoms identisch Umweltfaktoren, die nur auf einen Zwilling einwirken, führen zu MZ-Korrelationen < 1 ( nonshared environment ) DZ-Korrelationen > 50% der MZ-Korrelationen legen eine Beteiligung gemeinsamer Umweltfaktoren nahe ( shared environment )

Erblichkeit (Heritabilität) und Umwelt: Beispiel: Körperhöhe (MZ-Korrelation DZ-Korrelation) x 2 = Heritabilität z.b. Körperhöhe (KH): (0,9 0,45) x 2 = 0,9 shared environment = Heritabilität MZ- Korrelation KH: 0,9 0,9 = 0 non-shared environment = 1,0 MZ-Korrelation KH: 1 0,9= 0,1

Heritabilität (Erblichkeit) Hohe Heritabilität impliziert nicht, dass Umwelt keinen Einfluss hat Hohe Heritabilität impliziert nicht Unveränderbarkeit Bei vielen Phänotypen ist ein Einfluss der shared environment im Kindesalter nachweisbar Heritabilität hat keinerlei Implikationen für den Einzelfall

Erblichkeitschätzungen: Psychiatrische Störungen Störung Erblichkeit Referenz Tiefgreifende Entwicklungsst. 90% Santangelo und Tsatsanis 2005 Enuresis 67-70% von Gontard et al. 2001 Störung des Sozialverhaltens 53% Gelhorn et al. 2005 Zwangsstörung 47% Clifford et al. 1984 Angststörung 30-40% Eley et al. 2003 ADHS 60-80% Heiser et al. 2004 Anorexia Nervosa 48-88% Hinney et al. 2004 Bulimia Nervosa 28-83% Hinney et al. 2004 Schizophrenie 73-90% Sullivan et al. 2003 Bipolare Psychose 60-85% Smoller and Finn 2003 Majore Depression 31-42% Sullivan et al. 2000

Zwillingsstudien zum BMI genetische Effekte (direkt und indirekt): 70% individuell erlebte Umwelterfahrungen: 30% gemeinsame Umwelterfahrungen praktisch ohne Einfluss (z.b. familiäre Ess-, Trink- und Bewegungsgewohnheiten)

Genotyp-Umwelt-Interaktion: BMI-Zunahme unter Einnahme von Clozapin Perzentil Theisen et al., 2001 Am J Psychiatry 158: 816 Alter (Jahre) Zwilling A Zwilling B

Erziehung: Genotyp-Umwelt-Korrelationen Passiv: Eltern teilen sich mit dem Kind Gene und Umwelt Eltern transmittieren Gene, die beim Kind schwieriges Temperament bedingen; die gleichen Gene bedingen bei den Eltern einen problematischen Erziehungsstil Evokativ: Eltern reagieren auf Verhaltensweisen, die beim Kind genetisch bedingt sind Aktiv: Kind sucht aktiv Umwelterfahrungen auf, die seinem Genotyp entsprechen Neiderhiser et al. Dev Psychol 40: 335-351; 2004

Einblick in die Molekulargenetik komplexer Verhaltensphänotypen Freising, 30.04.2010

Potential mechanisms underlying the association between obesity and mental disorders GIANT: BMI-Study Gene mit möglichem Einfluss auf neuropsychiatrische Störungen: BDNF (ADHD), GPRC5B (ADHD, Alzheimer), APOE (Alzheimer), PARK2 (Parkinson, ADHD) Locke et al. 2015, Nature. 2015 Feb 12;518:197-206

Potential mechanisms underlying the association between obesity and mental disorders GIANT: BMI-Study Meta-Analyse für BMI Bis zu 339.224 Individuen 97 BMI Loci (56 neu) 2,7% der BMI-Varianz erklärt Häufige Allele könnten bis zu 20% der BMI- Varianz erklären Bedeutung zentral exprimierter Gene Locke et al. 2015, Nature. 2015 Feb 12;518:197-206

GIANT: BMI-Study Potential mechanisms underlying the association between obesity and mental disorders z.b. Auffinden des ersten Polygens für Anorexia nervosa (Hinney et al., 2016; Mol Psychiatry, im Druck) NIKI-relevant wg. Adipositas & ADHS Locke et al. 2015, Nature. 2015 Feb 12;518:197-206

Einordnung der Befunde Große Bedeutung genetischer Prädispositionen Familiäre Ähnlichkeiten im Hinblick auf Verhalten und psychische Erkrankungen meist genetische mit-bedingt Genetisch bedingt heißt nicht unveränderbar in Bezug auf Umwelt und Verhalten Es gibt nicht das Adipositas- oder das ADHS-Gen etc. : Der Effekt einer Genvariante ist gering NIKI-relevant: Hohe Bedeutung der Familienanamnese!