117. Landtagssitzung, 11.09.2008, Aktuelle Debatte auf Antrag der Linksfraktion Rede von MdL Cornelia Falken zum Thema Anlauf des Schuljahres in Sachsen <i>auszug Protokollmitschrift</i> Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mit meinem vorbereiteten Redebeitrag beginne, möchte ich mich erst einmal zu Herrn Dulig äußern. Herr Dulig, mit einer anderen Schule, mit anderen Lernmethoden und mit anderen Strukturen werden wir sicherlich mit dem Lehrerbestand, den wir jetzt haben, ausreichen. Aber soweit ich mich erinnere, sind Sie in der Regierungsverantwortung. und nicht wir. (Peter Wilhelm Patt, CDU: Das ist auch gut so!) Solange wir diese Schule haben, wie wir sie jetzt haben, reichen die Lehrerstellen hinten und vom nicht aus. (Beifall bei der Linksfraktion - Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!) Unser neuer Staatsminister für Kultus, Herr Wöller, hat in der Presse zu Beginn des Schuljahres mitgeteilt, dass die Unterrichtsversorgung grundsätzlich gewährleistet ist. Ich habe mich gleich gewundert, dass dieser Begriff "grundsätzlich" in dieser Formulierung steckt. Ich möchte Ihnen einmal erläutern, und zwar an konkreten Beispielen in dieser Aktuellen Debatte, was "grundsätzlich" bedeutet. Die Linksfraktion hat um eine Sondersitzung des Schulausschusses noch vor den Ferien gebeten; diese haben wir auch durchgeführt. Dort haben wir für einzelne Schulen sehr konkrete Beispiele genannt, wo Probleme auftreten werden und auftreten können - zum Teil auch an allen Schulen im Freistaat Sachsen. Uns ist versichert worden, dass diese Probleme zu Beginn des Schuljahres nicht existieren werden. Was ist nun passiert - sechs Wochen hatte die Staatsregierung Zeit? Wollen wir es uns einmal konkret anschauen: An mehreren Schulen sind die Stundenpläne zu Beginn des Schuljahres nicht erstellt worden, weil Lehrer und Lehrerstunden fehlen. Viele Schulen in Sachsen haben mit sogenannten Notplänen begonnen, weil sie einen Stundenplan überhaupt nicht bauen konnten; einige Schulen immer noch nicht - und das zweieinhalb Wochen nach Unterrichtsbeginn. Es gibt auch Schulen, die innerhalb von 14 Tagen im Freistaat Sachsen bereits den dritten Stundenplan haben - und das an einem Gymnasium, wo wir ja angeblich zu viele Lehrer haben -, oder vorläufige Stundenpläne, die bis zum Ende des Monats gelten. Die Unterrichtsversorgung, werte Kolleginnen und Kollegen hier in diesem Hohen Hause, ist an Förderschulen, an Berufsschulen - dieses Jahr auch an Grundschulen und an Gymnasien - nicht vollständig gesichert. (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!) Wir wollen hier heute nicht eine Verbesserung, sondern wir wollen, dass das normale Unterrichtsgeschehen an unseren sächsischen Schulen zu 100 % erfüllt wird,
und zwar an jeder Schule und nicht irgendeiner durchschnittlichen Schule. Herr Colditz hat mir im Schulausschuss vorgeworfen, ich solle doch meinen Tunnelblick lassen. Herr Colditz, ich sage Ihnen, schauen Sie mal in den Tunnel hinein - Sie werden sehen, wie dunkel es dort ist. (Beifall bei der Linksfraktion - Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Herr Colditz blickt lieber in die Sonne...!) Das heißt, zu Beginn des Schuljahres gibt es bereits planmäßigen Unterrichtsausfall. Übrigens haben Sie, Herr Wöller, gestern den Unterrichtsausfall in Prozent benannt. Das ist der Unterrichtsausfall; den planmäßigen Unterrichtsausfall haben Sie hier gar nicht berücksichtigt, den müssen Sie noch dazurechnen. Es gibt also bereits planmäßigen Unterrichtsausfall; schon dieses Wort ist aus unserer Sicht ein Verbrechen. Ich glaube, Sie können sich gar nicht vorstellen, welche Motivation bei Lehrerinnen und Lehrern an unseren sächsischen Schulen herrscht, die den Unterricht ohne Stundenplan beginnen müssen. Normalerweise ist es so, dass Lehrerinnen und Lehrer vor Beginn der Ferien eine Lehrauftragsverteilung bekommen, damit sie genau wissen, in welchen Klassen, in welchen Unterrichtsstunden und in welchen Fächern sie unterrichten werden. Sie können sich über die Ferien vorbereiten und erstellen Stoffverteilungspläne, um den Lehrstoff so gut wie möglich methodisch vorzubereiten. Das hat es an vielen Schulen im Freistaat Sachsen in diesem Jahr nicht gegeben. Das ist ein Skandal und dient nicht der Motivation. (Peter Wilhelm Patt, CDU: In Chemnitz läuft es gut!) - Aber nicht an allen Schulen. (Peter Wilhelm Patt, CDU: Doch!) - Ich nenne Ihnen gleich welche, die nicht dazugehören. Ich erstelle Ihnen auch gern eine Liste. Die Lücken werden ausgeglichen - und das ist für mich der absolute Skandal - durch auf ein Jahr befristete Neueinstellungen, und zwar immer dann, wenn Lehrerinnen in die Elternzeit gehen; denn dann kann man ja wieder Stellen bewirtschaften. Im Haushalt stehen solche Stellen überhaupt nicht zur Verfügung. Wir können hier aber nicht darauf warten, dass Lehrerinnen und Lehrer in Elternzeit gehen, damit wir die Unterrichtsstunden ausgleichen können. Wir haben die Probleme vor den Ferien angesprochen. Die Aussage war: Es wird alles geregelt. - Wie es geregelt worden ist, möchte ich Ihnen in meinem nächsten Beitrag mitteilen, und zwar anhand von konkreten Schulen.
<b>zweiter Redebeitrag:</b> Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Colditz, ich glaube, Pauschalität kann man mir nicht wirklich vorwerfen. Ich habe nicht gesagt - auch nicht in der Ausschusssitzung -, dass es an allen Schulen so ist, sondern ich habe ganz konkret und exakt einzelne Schulen genannt. Herr Colditz, wenn Sie hier die Äußerung treffen, dass es zu Beginn des Schuljahres "aus verschiedenen Gründen" Probleme gegeben habe, dann sollten Sei einmal darüber nachdenken und die Gründe konkret benennen. Die Lehrerinnen und Lehrer haben nicht im September, sondern zum Ende des Schuljahres gekündigt, das heißt zum 31. Juli. Da hatte das Schuljahr noch nicht begonnen und man hätte noch neu planen oder zumindest überlegen können, ob man neue Lehrer einstellen kann. Sie sprachen auch von "kurzfristiger Altersteilzeit". Herr Colditz, bitte! Zwei Jahre mindestens, sechs Jahre höchstens. Wenn der Vertrag abgeschlossen wird, dann steht darin das Datum, zu dem die Altersteilzeit beginnt. Wir sollten also ein bisschen bei der Wahrheit bleiben. Aber jetzt zu den konkreten Beispielen, von denen ich heute nur zwei - im Schulausschuss waren es mehr - nennen möchte. Die Probleme bestehen nach wie vor. Erstens. Klassen sind zusammengelegt worden. Wir haben vor den Ferien ausführlich hier im Landtag darüber debattiert. Die FDP hatte dazu einen Antrag gestellt. Wir haben ihn ausdiskutiert. Herr Wöller hat gesagt, Einzelfälle werden einzeln geprüft. Das ist formal korrekt, absolut richtig. Wir unterstützen das auch so. Aber was sind denn Einzelfälle? Schulen, in denen rechnerisch ohne Verletzung des Schulgesetzes zusammengelegt werden konnte, sind zusammengelegt worden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Grundschule in Miltitz: 1. Klasse 28 Schüler, davon sind zehn Schüler auffällig in verschiedenster Art und Weise. Zehn Schüler brauchen von diesen 28 eine besondere individuelle Förderung. Das ist von der entsprechenden Klassenlehrerin nicht zu leisten. Wir haben das mit der Bitte angesprochen, zwei erste Klassen daraus zu machen. Das Schulgesetz ist nicht verletzt, aber das Problem existiert. Mit diesen zehn Schülern schafft das die Lehrerin nicht, denn sie möchte sich ja auch noch um die anderen 18 kümmern. Herr Wöller, ich weiß, es ist zynisch, was ich jetzt sage, aber ich sage es trotzdem, weil mich das wahnsinnig ärgert: Das sind übrigens Ihre Kandidaten für Ihr Bildungs-Camp, die Sie schon anmelden können. Ich weiß, es ist zynisch, aber ich glaube, es geht hier nicht mehr anders. Zweitens. Nehmen Sie die Schule Am Rabet in Leipzig. Ich habe das erläutert - zumindest die Kollegen, die im Schulausschuss gewesen sind -, dass das eine Schule mit sehr hohem migranten Anteil ist. Das ist toll, richtig und gut. Wir hatten an dieser Schule zum Ende des Schuljahres drei zweite Klassen. Zum neuen Schuljahr sollten daraus zwei dritte Klassen mit je 28 Schülern gemacht werden. In den Klassen sind jeweils 18 Migranten. Wir haben das im Schulausschuss diskutiert. Wir haben darüber ausführlich mit dem Ergebnis beraten, es ist nicht notwendig. Das Schulgesetz wurde nicht verletzt. Die Schule hat ein Schreiben aus dem Kultusministerium bekommen, in dem steht, dass sie hervorragende Pädagogen haben und diese werden das schon schaffen. Die Eltern, die Lehrer und die Schulleiterin sowie die
Schulreferentin im Regionalschulamt haben gesagt, wir können das nicht verantworten. Was haben sie getan? Sie haben die drei Klassen belassen. Eigentlich müsste ich mich jetzt richtig freuen, denn es hat funktioniert. Aber ich freue mich überhaupt nicht, weil die Schule den gesamten Ergänzungsbereich, den sie zugewiesen bekommen hat, dazu verwenden muss, diese Klassenbildung vorzunehmen. Das heißt, im gesamten Schuljahr hat diese Schule keinen Ergänzungsbereich mehr und kann demzufolge mit diesem Ergänzungsbereich notwendige Aufgaben nicht auffangen. Das verstehe ich nicht unter optimaler Entwicklung von Grundschülern. Ich muss jetzt alles sehr schnell abhandeln, weil ich nicht mehr genügend Zeit habe. Integration: Schüler werden diagnostiziert, bekommen in der Diagnose eine Festlegung, wie viel zusätzliche Stunden notwendig sind, um eine erfolgreiche Integration von Schülern mit Förderbedarf durchzuführen. Herr Flath hat hier lang und breit erklärt, dass wir mehr Integration durchführen wollen. In diesem Schuljahr sind an den Grundschulen für ein Integrationskind 1,5 Stunden zugewiesen worden, egal welche Diagnostizierung vorliegt. Für den Förderschullehrer, der dazugehört, wurden wöchentlich 25 Stunden vorgesehen. Das heißt, der Förderschullehrer kann eine Stunde im Monat einmal zu dem Kind schauen, ob die Fördernotwendigkeit weiter besteht oder es zusätzlicher Hilfen bedarf. Zum Schluss der absolute Knaller: Ich darf nichts hochhalten. Ich werde das auch nicht tun. Die Personalräte haben im August einen Brief bekommen, in dem ihnen vom Freistaat Sachsen mitgeteilt wurde, dass ab sofort keine Gelder mehr zur Verfügung stehen, weil die Haushaltsstelle im Haushalt ausgeschöpft ist. Die Gelder, die sie für Fahrtkosten noch brauchen, sollen sie bitte selbst auslegen, und zwar von September bis Dezember, weil diese dann im Januar vom neuen Haushalt erstattet werden können. Das ist de facto ein Lahmlegen aller Personalräte hier im Freistaat Sachsen an den öffentlichen Schulen. Ich erwarte, Herr Wöller, denn ich habe Ihnen das bereits in der Schulausschusssitzung gesagt, dass Sie mich informieren, wie der Stand ist bzw. dass Sie das zurückgenommen haben. Ich erwarte heute in Ihrer Rede, dass Sie das erklären, dass Sie das zurückgenommen haben. Danke. <b>dritter Redebeitrag:<b> Ich spreche gleich vom Mikro aus. Herr Wöller, wir haben nie bestritten, dass diese 330 Stellen für Integration ausgereicht worden sind. Das ist auch in Ordnung, aber sie reichen nicht, um den notwendigen Bedarf an den Schulen zu decken. Sie haben den Schulen wirklich die vorgeschriebenen Durchschnittswerte zugewiesen! Schauen Sie sich das doch einmal an: an Grundschulen 1,5 Stunden, an Mittelschulen 2,5 Stunden, an Gymnasien 3,5 Stunden. Das reicht nicht aus, um einen Mehrfachbehinderten zu integrieren. Die Lehrer brauchen am Gymnasium mindestens sechs Stunden für das Kind. An den Grundschulen brauche ich ihn zum Teil mindestens drei oder vier Stunden. Ich brauche den Förderschullehrer dazu. Schauen Sie sich das bitte an!
Wir entwerfen hier kein Szenario, sondern wir möchten, dass diese Schüler ordentlich integriert werden. Stichwort Oberstufenreform. Gehen Sie doch einmal in die Gymnasien! Ich glaube, nicht einmal mehr der Philologenverband dafür ist, was Sie da gemacht haben. (Peter Wilhelm Patt, CDU: Das ist doch Käse!) Das lasse ich jetzt weg. Aber bei den Personalräten kommen Sie mir nicht so einfach davon. Ich möchte von Ihnen heute wissen, was mit dem Geld der Personalräte ist. Wie wird das gehändelt? Das können Sie hier nicht so einfach unter den Tisch kehren!