Neuausrichtung der stationären Heilverfahren der DGUV 3.0 T. C. Auhuber I. Einleitung Die Gesetzliche Unfallversicherung bildet eine der fünf klassischen Säulen der Sozialversicherung. Die Rechtsgrundlagen für die Gesetzliche Unfallversicherung wurden im Sozialgesetzbuch Sieben (SGB VII) geregelt. Die Träger der Unfallversicherung sind gewerbliche Berufsgenossenschaften, landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften sowie Unfallkassen. In den letzten Jahren kam es dabei zu Fusionen und Umstrukturierungen der Trägerorganisationen und zur Neuordnung der Heilverfahren. Derartige Struktur- und Prozessveränderungen bringen einerseits die erhofften Vorteile aber führen häufig auch zu neuen Herausforderungen, die ein Nachjustieren der Systeme erforderlich machen. Der vorliegende Beitrag gibt eine aktuelle Übersicht über die Neuausrichtung der stationären Heilverfahren in der Version 2.0 und postuliert Handlungsoptionen für die Version 3.0. II. Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten (Prävention), bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit wiederherzustellen (medizinische Heilbehandlung sowie medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation) und den Versicherten (Lohnersatz- und Rentenleistungen) oder ihren Hinterbliebenen (z. B. Witwen- /Witwer- und Waisenrenten) eine Entschädigung zu gewähren. Ein weiteres vorrangiges Ziel der Unfallversicherungsträger ist die Wiederherstellung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Versicherten mit allen geeigneten Mitteln. Renten an Versicherte werden dann gezahlt, wenn die Erwerbsfähigkeit nicht vollständig wieder hergestellt werden kann und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 Prozent vorliegt. Die Leistungen zur Heilbehandlung und zur Rehabilitation haben Vorrang vor Rentenleistungen (Reha vor Rente). Qualität und Wirksamkeit der Leistungen zur Heilbehandlung und Teilhabe haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. ( 26 SGB VII). Die gesetzliche Krankenversicherung definiert einen anderen Leistungsbegriff, nach dem die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen; sie
dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht erbringen und die Krankenkassen nicht bewilligen ( 12 SGB V Gesetzliche Krankenversicherung). Mit allen geeigneten Mitteln bedeutet aber nicht, dass Leistungen unbeschränkt gewährt werden, auch der Unfallversicherungsträger hat sicherzustellen, dass die ihm obliegenden Aufgaben unter Berücksichtigung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erfüllt werden ( 69 SGB IV Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung). III. Ziele und Struktur der Heilverfahren Die Behandlung unfallversicherter Patienten findet in Form von strukturierten Heilverfahren der gesetzlichen Unfallversicherung statt. Ziel dieser Verfahren ist es, die gesamte Behandlung von versicherten Personen nach Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten aus einer Hand vom Unfall bis zur beruflichen und sozialen Wiedereingliederung anzubieten. Das Heilverfahren ist besonders strukturiert und organisiert (siehe Abb. 5). Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung beteiligen an dem Verfahren ausgewählte und besonders qualifizierte Ärzte, Therapeuten, Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen und andere Leistungsanbieter im Gesundheitswesen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Einhaltung hoher Qualitätsstandards. Sie bestimmen im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung. Dies geschieht in enger Abstimmung mit den Leistungserbringern. Die Unfallversicherungsträger können nach Art und Schwere des Gesundheitsschadens oder für bestimmte Versichertengruppen besondere Verfahren für die Heilbehandlung vorsehen (Heilverfahren der Gesetzlichen Unfallversicherung). Die Versorgung von Schwer- und Schwerstverletzten soll dabei auf besonders qualifizierte und erfahrene Kliniken konzentriert werden. Zudem soll eine Profilierung und Aktualisierung der Qualitätsanforderungen sowie eine Stärkung der sektorenübergreifenden Versorgung im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgen. So spielt neben der Rettung und Akutversorgung die Rehabilitation und das Rehabilitationsmanagement für die Erreichung der Ziele des Heilverfahrens eine besondere Rolle. Bei der Umsetzung der Weiterentwicklung des unfallversicherungsrechtlichen Heilverfahrens dienen die klar definierten Strukturen des Trauma Netzwerks DGU als Vorbild. Die Grundlage bildet das Weißbuch Schwerverletztenversorgung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Die Idee, Trauma-Reha-Netzwerke zur Versorgung von Unfallverletzten zu bilden, steht dabei im Vordergrund. Daneben werden Phasenmodelle entwickelt, welche den Ablauf des Heilverfahrens definieren. Diese Modelle berücksichtigen abhängig von der Verletzungsschwere die geeignete Versorgungsstufe, die Eingangskriterien, die
personellen Qualifikationen und materielle Ausstattung der beteiligten Einrichtungen sowie das Überleitungsmanagement. Für das SGB-VII-Trauma-Reha-Netzwerk wurde das dreigliedrige Versorgungsnetz aus dem Weißbuch (lokales, regionales und überregionales Trauma Zentrum) übernommen, um auch Synergieeffekte mit der neu entstandenen unfallmedizinischen Landkarte in Deutschland zu nutzen. Da sich die formalen Bedingungen jedoch unterscheiden, ist ein eigenes Zertifizierungs- und Auditierungsverfahren durch die DGUV-Landesverbände entwickelt worden. Die Zulassung im Trauma Netzwerk DGU ist dabei keine notwendige Voraussetzung. Aus dem zweistufigen Verfahren mit dem stationären Durchgangsarztverfahren (DAV) und dem Verletzungsartenverfahren (VAV) wird nun eine dreistufiges Verfahren, das in Bezug den bisherigen Verfahren modifiziert und um das Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) ergänzt wird (siehe Abb. 1). Zudem werden die personalisierten Zulassungen der Ärzte zu den Verletzungsartenverfahren um die Beteiligung des Krankenhauses mit definierten Strukturanforderungen ergänzt. Abb. 1: Umstellung der Gliederung des Heilverfahrens zum 01.01.2013 bzw. 01.01.2014 Auch vor dem Hintergrund rückläufiger Unfallzahlen steht neben der unfallchirurgischen Versorgung auf hohem Niveau insbesondere auch die berufliche und soziale Rehabilitation im Mittelpunkt der Behandlung. Die Bedeutung der biopsycho-sozialen Kontextfaktoren in einer modernen Gesellschaft unter Beachtung der ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) hat an Bedeutung gewonnen und muss bei der Behandlung Unfallverletzter Patienten berücksichtigt werden. Wesentliche Bestandteile der Novellierung des Heilverfahrens des DGUV (siehe Abb. 2) sind:
die Konzentration Schwerstverletzter auf besonders qualifizierte Kliniken sowohl im Akut- als auch im Reha-Bereich eine stärkere Differenzierung der Heilverfahren nach Art und Schwere der Verletzung ( der richtige Fall in die richtige Klinik ) eine Ergänzung des Heilverfahrens um die Bereiche Komplikations- und Rekonstruktionsbehandlung sowie den bereits genannten Bereich der Rehabilitation die Schaffung von Voraussetzungen für Messungen zur Prozess- und Ergebnisqualität als Effektivitätsnachweis Berücksichtigt werden auch die curricularen Veränderungen in der ärztlichen Ausund Weiterbildung. Seit 2004 ist der Schwerpunkt Unfallchirurgie aus dem Gebiet Chirurgie mit dem Fachgebiet Orthopädie zu dem neuen Fachgebiet Orthopädie und Unfallchirurgie unter dem Gebiet Chirurgie zusammengeführt worden. Zudem ist die Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie in die Zusatzweiterbildung Spezielle Unfallchirurgie überführt worden. Daraus entwickelte sich ein verändertes Qualifikationsprofil für die neue Facharztausbildung mit Auswirkungen auf die Anforderungen zur Teilnahme am Heilverfahren der DGUV auf allen Ebenen. Abb. 2: Zusammenfassung der wichtigsten ambulanten und stationären Heilverfahren der DGUV seit dem 01.01.2014 IV. Das Schwerstverletzungsartenverfahren ein neues Verfahren
Kleinere Änderungen im stationären DAV führen zu einer Anhebung des Behandlungsniveaus, indem bestimmte Schädigungen aus dem bisherigen VAV- Katalog gestrichen wurden. Eine Reihe von Verletzungen wie Radiusfrakturen und Sprunggelenkfrakturen in einfacher Ausprägung sowie Sehnenverletzungen müssen künftig nicht mehr in einer VAV-Klinik vorgestellt werden. Im VAV gehen die Anforderungen im Detail und in der Tiefe auch über die früheren Zulassungsvoraussetzungen hinaus (kindertraumatologische Kompetenz, erweiterte Hygieneanforderungen). Ziel ist auch hier die flächendeckende Versorgung Unfallverletzter Patienten. Ein neues Verfahren wurde mit dem SAV eingeführt: Die Patienten mit schwersten Verletzungen und zu erwartendem aufwändigen Heilverlauf werden in Kliniken mit besonderer Kompetenz konzentriert. Innerhalb der Netzwerkstruktur sollen dort regelhaft die Fälle vorgestellt werden, die bezüglich des absehbaren Heilverfahrensaufwandes von hoher sozio-ökonomischer Bedeutung sind. Hierzu gehören Behandlungen von schweren Brandverletzungen, Querschnittlähmungen, Schädel-Hirn-Traumata, Trümmerbrüchen großer Gelenke, schweren Fußverletzungen, aufwändigen Rekonstruktionen und Folgeoperationen, komplexen Handverletzungen, Fällen mit Erfordernis spezieller septischer Chirurgie. Zusätzlich wird eine besondere unfallversicherungsrechtliche Reha-Kompetenz gefordert. Diese soll eine frühzeitige multiprofessionelle Rehabilitation sowie ein von Beginn an enges Rehabilitationsmanagement gemeinsam mit den verantwortlichen Unfallversicherungsträgern beinhalten. Hierzu gehören weitere Behandlungsoptionen: Sofort- und (Früh)Rehabilitation Komplexe Stationäre Rehabilitation (KSR) Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung (BGSW) Erweiterte Ambulante Physiotherapie (EAP)
besondere Kompetenzen in der Prothesenversorgung Handrehabilitation Schmerztherapie Psychotraumatologische Diagnostik und Therapie Die Integration arbeitsplatzspezifischer Rehabilitations- und Testverfahren (z.b. Arbeitsplatzspezifische Muskuloskelettale Rehabilitation ABMR, FCE (functional capacity evaluation)-verfahren wie EFL (Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit)) sowie die Anwendung von Assessmentverfahren zur Verlaufsund Ergebniskontrolle bzw. zur Qualitätsmessung des Heilverfahrens sind weitere Anforderungen an Kliniken mit Zulassung zum SAV-Verfahren. Abb. 3: Übersicht Heilverfahren der DGUV und die Rolle der BG-Kliniken (eigene Darstellung modifiziert nach Oberscheven, Kranig, Bühren) Die BG-Kliniken sollen in besonderer Form die Kooperation mit den Unfallversicherungsträgern im Rehabilitationsmanagement als Schrittmacher im SAV vorantreiben. Sie sollen in Zukunft noch mehr als bisher spezielle Dienstleistungen im Heilverfahren erbringen (siehe Abb. 3). Hierzu gehören
besondere Sprechstunden zur Vorstellung problematischer Heilverläufe, Beratungsangebote für Ärzte und Kliniken, Fortbildungen, Qualitätszirkel sowie Forschung und Weiterentwicklung medizinischer Behandlung Unfallverletzter. Die BG-Kliniken sind im Klinikverbund der Gesetzlichen Unfallversicherung e.v. (KUV) zusammengefasst. Im Hinblick auf den notwendigen Versorgungsbedarf insbesondere in der Fläche oder spezieller Versorgungsformen werden weitere Häuser der Maximal- und Schwerpunktversorgung zugelassen. Entsprechend der Erkenntnis, dass schwerverletzte Patienten dann einen Überlebensvorteil haben, wenn sie mit einem Rettungshubschrauber transportiert und in einem überregionalem Trauma Zentrum behandelt werden, sind für alle SAV-Häuser Hubschrauberlandeplätze zu fordern, die die europäischen Richtlinien erfüllen. Eine Weiterentwicklung der Trauma Netzwerke mit Etablierung von SGB VII-Reha-Netzwerken wird zukünftig zur Steuerung rehabilitations- und kostenintensiver Patienten notwendig. Aktuell sind in Deutschland ca. 100 Kliniken zum SAV zugelassen. V. Verletzungsartenverzeichnis Grundlage zur Steuerung der Unfallverletzten Patienten in die geeignete Versorgungsstruktur ist ein Verletzungsartenverzeichnis. Liegt beim Patienten eine Verletzung nach dem Verletzungsartenverzeichnis vor, ist dies im D-Arzt-Bericht anzugeben. Das aktualisierte Verletzungsartenverzeichnis gilt seit dem 01.01.2013 und regelt die Zuständigkeiten der jeweiligen Versorgungsstufen für die Behandlung Arbeitsunfallverletzter nach Art und Schwere der Verletzung, woraus Vorgaben für eine differenzierte Zuweisung in die entsprechend qualifizierten Kliniken resultieren. Auf der Basis des VAV-Kataloges von 2005 mit seinen 10 Kategorien ist eine Neugliederung erfolgt. Diese bezieht nun auch gängige medizinische Klassifikationen (z. B. AO-Klassifikation) in die Erläuterungen mit ein (siehe Abb. 4). Im Verzeichnis sind Konstellationen bzw. Verletzungen, die im Fettdruck erscheinen sowie mit Klammerzusatz (S) versehen sind, für Krankenhäuser mit Zulassungen zum Schwerverletztenartenverfahren (SAV) vorbehalten.
Abb. 4: Beispiel aus dem Verletzungsartenverzeichnis, Ziffer 9, mit der Differenzierung nach VAV (V) und SAV (S) und Berücksichtigung der AO- Klassifikation. Die Rahmenvereinbarung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) mit der DGUV bzw. der Vertrag Ärzte / Unfallversicherungsträger regelt die Behandlung von Versicherten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die in ein Krankenhaus eingeliefert werden, das nicht zum stationären Durchgangsarztverfahren zugelassen ist. Danach bestehen Verlegungspflichten bei Arbeitsunfällen. Unfallverletzte sind grundsätzlich an ein Krankenhaus mit D-Arzt, bzw. bei Vorliegen einer Verletzung nach dem Verletzungsartenverzeichnis an ein VAV-Haus, zu verlegen. Die Pflicht zur Verlegung in ein am SAV beteiligtes Krankenhaus bei entsprechender Verletzung gilt seit dem 01.01.2014. Die akute Notfallversorgung von Verletzungen mit vitaler Bedrohung hat zunächst Vorrang vor Verlegungen.
Abb. 5: Struktur der Verletzungsartenverfahren bei Arbeits-, Schul- und Wegeunfällen (eigene Darstellung modifiziert nach Rybak / Lenz / Ehlers) Die Neuregelungen im Verletzungsartenverzeichnis beinhalten auch die Wiedereinführung einer Mindestfallzahl von jährlich durchschnittlich 75 Arbeitsunfällen im Verletzungsartenverfahren im Fünf-Jahres-Zeitraum für Krankenhäuser mit Zulassung zum Verletzungsartenverfahren. Diese Mindestfallzahl soll Garant sein für hohe Versorgungsqualität, hohe fachärztliche und operative Routine, einen hohen Pflegestandard sowie eine große Erfahrung im Umgang mit den unfallversicherungsrechtlichen Sachverhalten und Besonderheiten dieser Heilverfahren. Dem niedergelassenen D-Arzt kommt eine Lotsenfunktion im Heilverfahren zu, ohne dass er spezielle operative Verfahren persönlich durchführen darf. Er muss die fachlichen Aspekte und Besonderheiten des gesamten Heilverfahrens der DGUV im Blick haben. Die Einführung von Mindestfallzahlen von 250 D-Arzt-Fällen pro Jahr sowie eine Überprüfung der Qualität alle 5 Jahre soll das hohe Niveau des Zulassungsverfahrens sichern. VI. Berufsgenossenschaftliche Heilverfahrenssteuerung und Rehabilitationsmanagement Die berufsgenossenschaftliche Heilverfahrenssteuerung und das Rehabilitationsmanagement ist die umfassende Planung, Koordinierung und zielgerichtete, aktivierende Begleitung der medizinischen Akutbehandlung und
Rehabilitation und aller Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft auf der Grundlage eines individuellen Reha-Plans unter partnerschaftlicher Einbindung aller am Verfahren Beteiligten. Die Definition und die Nutzung von Verfahren, Verzeichnissen und Handlungsanleitungen sind dabei wesentliche Voraussetzung für die Erreichung dieses Ziels. VII. Vom Heilverfahren 2.0 zum Heilverfahren 3.0 Mit Umsetzung der neuen Heilverfahren gibt es zunehmend Erfahrungen in deren Anwendung. Viele positive Aspekte als Folge der Veränderung früherer Strukturen sind mittlerweile evident. Die Anpassung an veränderte medizinökonomische Rahmenbedingungen und den veränderten Bedarf der gesetzlichen Unfallversicherung sind dabei wichtige Antriebe für die Weiterentwicklung des Systems. Die Neuausrichtung der Heilverfahren mit den intersektoralen Vorhaltungsund Steuerungsmechanismen ist ein wichtiges Indiz dafür, dass die gesetzliche Unfallversicherung weiterhin ein zeitgemäßes, wenn nicht sogar zukunftsweisendes Element der sozialen Sicherung und Daseinsfürsorge ist. In der aktuellen Diskussion finden sich jedoch auch grundsätzliche Aspekte, die aufgegriffen und einer kritischen Betrachtung zugeführt werden sollen, um das System weiterzuentwickeln und somit eine hohe Behandlungs- und Versorgungsqualität der Unfallverletzten Patienten nach den gewünschten Standards auch in der Zukunft sicherzustellen. Die Kernthemen sind dabei medizinisch, klassifikatorisch, qualitativ, ökonomisch und administrativ relevant. 1. Im Verletzungsartenverzeichnis von 2005 gibt es die Ziffer 10, die alle Verletzungen und Verletzungsfolgen mit Komplikationen, fehlendem Heilungsfortschritt und / oder einer Korrekturbedürftigkeit klassifiziert. Die Ziffer wurde in das neue Verletzungsartenverzeichnis nicht übernommen. Stattdessen finden sich einzelne Komplikationsindikationen in den einzelnen Organkapiteln des neuen Verzeichnisses. Grundsätzlich gibt es bei der Erfassung der korrekten Ziffern nach dem Verletzungsartenverzeichnis in der Praxis diverse Unklarheiten: Die Angabe der Ziffer erfolgt im D-Arzt-Bericht in einem dafür vorgesehenen Feld. Ändert sich die Klassifikation im Verlauf der Behandlung ist der Prozess einer Neueinstufung und der Mitteilung an den Unfallversicherungsträger nicht ausreichend definiert. Befindet sich der Patient in mehreren Kliniken in Behandlung, wird in der Regel in jedem Fall mindestens eine Neueinstufung durchgeführt, die dann zu Diskrepanzen in der Beurteilung führen können. Nach Abschluss der Akutbehandlung fällt der Fall ebenfalls aus dem Klassifikationsraster. Eine Fortschreibung für Komplikations- und
Revisionsfälle wäre sinnvoll. Ein Begrenzungskriterium der Akutbehandlung ist derzeit noch unzureichend definiert. Abhängig vom Unfallversicherungsträger liegen auch hier unterschiedliche Erfassungsmodalitäten der Daten aus dem Verletzungsartenverfahren vor, die eine statistische Auswertung schwierig machen. Eine zentrale Registerbildung mit Clearingstelle zur definitiven Festlegung der Ziffer könnte Ausgangsbasis für weitergehende qualitätssichernde Maßnahmen sein. Revisionsfälle, Komplikationen oder Situationen, die eine komplexe Folgebehandlung insbesondere nach der Primärphase benötigen, sind aktuell nicht oder nicht ausreichend klassifiziert und lösen somit auch nicht zwingend eine Verlegungspflicht aus. Dies wiederum führt dazu, dass die Heilverfahrenssteuerung ggf. erst verzögert einsetzt, da die Fälle nicht oder verspätet erkannt werden können. Gerade diese Fälle, die einer besonderen Steuerung bedürfen, finden sich als Resteklasse in der Versorgungsebene des DAV. Eine weitere Schärfung des Verletzungsartenverzeichnisses auch unter medizinischen Gesichtspunkten ist dabei wünschenswert. 2. Die Einführung von Mindestfallzahlen und Strukturvoraussetzungen der Kliniken sind bewährte, wenn auch nicht unumstrittene Elemente der Qualitätssicherung. Deutschlandweit ist an den VAV-Kliniken abhängig von der Lage der Klinik, der Einbindung in die regionale Versorgungsstruktur sowie der persönlichen und infrastrukturellen Ausstattung der Klinik häufig SAV-Kompetenz vorhanden, die Patienten der anderen Sozialversicherungssysteme zur Verfügung steht. So gibt es in der aktuellen Krankenhauslandschaft z. B. Kliniken, die überregionales Trauma Zentrum jedoch keine SAV-Klinik sind. Andererseits gibt es auch VAV- Kliniken, die die Voraussetzungen eines lokalen oder regionalen Trauma Zentrums nicht erfüllen. Die Heterogenität der Versorgungslizenzen ist zukünftig zu untersuchen und mit der Versorgungsqualität zu korrelieren. Diese Gedanken führen auch zu der Frage, wie eine zukünftige Bedarfsplanung aussehen soll und welche Krankenhausversorgungsstruktur vorgehalten werden muss. Hier sind die Strukturen der gesetzlichen Unfallversicherung auch mit der föderalen Krankenhausplanung im Dialog zu entwickeln. Mindestmengen sind in vielen Bereichen der Medizin ein propagiertes Element der Qualitätssicherung, da ein positiver Volumen-Outcome-Effekt aus dem Zusammenhang zwischen Häufigkeit und Ergebnisqualität angenommen wird. Sie sind jedoch auch von der Definition der Kollektive, der Schwellenwerte und der Qualitätsindikatoren abhängig. Mindestmengen führen auch zu einer Mengendynamik, insbesondere wenn die Vergütung daran geknüpft ist. Pay for Performance ist ein Ansatz, der als alternatives Steuerungs-, Struktur- und Qualitätsmerkmal dienen kann. Der Vorwurf, dass es durch die Verlegungspflicht zu einem vermehrten Patiententourismus kommen würde, lässt sich aus ersten Erkenntnissen
größerer Versorgungsregionen bis jetzt nicht belegen. Der Nachweis, dass die Verlegungspflicht zu einer generell verbesserten Versorgungsqualität führt, steht jedoch ebenfalls aus. Die Auswirkungen der Neuausrichtung der Heilverfahren auf Weiterbildungsberechtigungen und die qualitative und quantitative Personalverfügbarkeit sind noch nicht absehbar. Eine begleitende Versorgungsforschung kann für die weitere Ausdifferenzierung des Systems hilfreich sein. 3. Die berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrenssteuerung, das Reha Management und die Reha Planung orientieren sich insbesondere an definierten Heilverfahren und Handlungsleitfäden. Die Rehabilitation beginnt bereits in der Akutklinik (Phase der Sofortrehabilitation). Im Anschluss daran folgen in der Regel die Phasen der stationären Frührehabilitation, der stationären postprimären bzw. stationären oder ggf. ambulanten Anschlussrehabilitation sowie die der arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen, welche den Unfallverletzten bis zum Wiedererreichen der Arbeitsfähigkeit begleiten. Für die jeweiligen Rehabilitationsphasen wurden im Heilverfahren der DGUV geeignete Rehabilitationsmaßnahmen (BGSW, KSR, EAP, ABMR) als komplexe Prozesse entwickelt und durch die einschlägigen Handlungsanleitungen und Anforderungskataloge der DGUV definiert. Dabei ist anzumerken, dass für die Phasen der Frührehabilitation und der postprimären Rehabilitation keine spezifischen Rehabilitationsverfahren der DGUV existieren. Zur Vermeidung von drohenden sogenannten Rehalöchern ist eine weitere Schärfung der Verfahren notwendig, insbesondere sind standardisierte Abgrenzungen und Übergänge einzelner Phasen unter Beachtung der individuellen Kontextfaktoren zu definieren. Eine möglichst frühe Einbindung der Reha Manager ist dabei von Vorteil. Für die wirtschaftliche Leistungserbringung für den gesamten Behandlungsfall lohnt auch eine enge Zusammenarbeit mit den für Rechnungsprüfungen beauftragten Sachbearbeitern. 4. Die Entgeltsysteme für die stationäre Behandlung von Patienten in Deutschland sind spätestens seit Einführung der fallpauschalierten Vergütung (DRGs Diagnosis related Groups) für den Großteil der Behandlungsfälle häufig in der Diskussion. Insbesondere die Angemessenheit der Vergütungsstruktur für die geforderte Leistung steht im Fokus. Die Leistung wird durch Diagnosen und Prozeduren transparent. Sofern jedoch die Differenzierung der Leistung auf Grund fehlender Klassifikationssysteme nicht möglich ist, vorhandene Leistungsmengen nicht wirtschaftlich zu erbringen sind oder Strukturmerkmale (z. B. Vorhaltungskosten, qualitätssichernde Maßnahmen) nicht kalkuliert sind, kommt es häufig zur Unterfinanzierung der Leistungserbringung. Verschärft wird die Diskussion gerade bei den unfallversicherten Patienten dadurch, dass Investitions- und Vorhaltekosten außerhalb von BG-Kliniken nicht durch die Unfallversicherungsträger getragen werden müssen. Zudem wird unter der Maßgabe mit allen geeigneten Mitteln oder auch durch Vorgaben der Heilverfahren zusätzliche Leistungen gefordert, deren Finanzierung im Rahmen
der InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus)-Kalkulation und der landesspezifischen Regelungen (z. B. Basisfallwerte, Krankenhausrahmenplanung, Zentrumszuschläge) nicht sachgerecht vergütet werden. Wird das Finanzierungssystem der BG-Kliniken unter der Prämisse der Steigerung von Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Zukunft verändert und an das deutsche DRG-System angeglichen, ist ebenfalls bei der Entwicklung auf eine sachgerechte Vergütungsstruktur von Betriebs- und Investitionskosten zu achten. Die Neuausrichtung der Heilverfahren sollte somit mit der Schaffung geeigneter leistungsbezogener Finanzierungsmodelle für alle stationären, ambulanten, akutmedizinischen und rehabilitativen Versorgungsformen einhergehen. VIII. Fazit Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat die stationären Heilverfahren neu geordnet. Die Umsetzung der Neuregelungen erfolgt durch die Landesverbände der DGUV. Das zentrale Element der Neuausrichtung ist die Umgestaltung des Verletzungsartenkatalogs und stationären Verletzungsartenverfahren in drei Versorgungsstufen. Bei der Neuausrichtung werden die Konzentration auf Krankenhäuser mit höchster Leistungsfähigkeit und bester Qualifikation sowie die Fokussierung auf schwere und schwerste Verletzungen genannt. Diese Neuausrichtung orientiert sich auch am Weißbuch der DGU, insbesondere an dem Konstrukt der Trauma Netzwerke DGU. Die Hierarchie der Versorgung richtet sich nach festgelegten Zulassungskriterien und nach der Verletzungsschwere. Diese Strukturierung bezieht auch die besondere Kompetenz im Bereich der Rehabilitation mit ein und wird zur Stärkung des multidisziplinären Reha-Managements und der arbeitsplatzbezogenen Module des Heilverfahrens führen. Insgesamt werden die UV-Träger an ihre Netzwerk-Partner erhöhte Anforderungen stellen. Neben der im Grundsatz vorteilhaften Veränderung für die Versorgung unfallversicherter Patienten ergibt sich jedoch auch ein Handlungsbedarf zur weiteren Anpassung und Entwicklung der Verletzungsartenverfahren. Dazu gehören die Entwicklung eines Steuerungstools bei Revisionen und Komplikationen, die differenziertere Einbeziehung von Verletzungen, die (Weiter)Entwicklung von Behandlungsstandards, eine veränderte Organisation der Heilverfahrenssteuerung, eine Adaptation der Strukturmerkmale und die Anpassung von Vergütungsstrukturen. Eine begleitende Versorgungsforschung ist für die weitere Ausdifferenzierung des Systems erforderlich, um zukünftig die Versorgungsqualität unfallversicherter Patienten besser messen zu können und um eine evidenzbasierte Grundlage für eine weitere Neuausrichtung der Heilverfahren zu schaffen.