14. Wahlperiode 17. 10. 2006 Antrag der Abg. Michael Theurer u. a. FDP/DVP und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums EU-weite Ausschreibung von Kleinaufträgen Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, 1. wie viel Prozent der öffentlichen Aufträge in Baden-Württemberg bislang an KMU vergeben werden; 2. wie viel Prozent dieser Aufträge unterhalb des Schwellenwertes liegen, der für die europaweite Ausschreibungspflicht gilt; 3. welche Verbindlichkeit die so genannte auslegende Mitteilung der Europäischen Kommission für die öffentliche Hand hat; 4. welche Funktion die so genannte auslegende Mitteilung in Abgrenzung zu den Vergaberechtsregelungen hat und ob die Landesregierung der Auffassung ist, dass die Regelungen unterhalb der Schwellenwerte als eine Umgehung derselben angesehen werden können; 5. welche Auswirkungen sie von der Anwendung der auslegenden Mitteilung auf die öffentliche Hand und für die KMU in Baden-Württemberg erwartet; 6. wie viel Prozent der Aufträge der KMU, die diese von der öffentlichen Hand erhalten haben, aus dem europäischen Ausland stammen; Eingegangen: 17. 10. 2006 / Ausgegeben: 10. 11. 2006 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/dokumente
7. in welcher Größenordnung der öffentlichen Hand Kosten durch die zusätzlichen Ausschreibungspflichten entstehen, wenn der Schwellenwert für eine europaweite Vergabe herabgesetzt wird; 8. welche Vor- und Nachteile die Landesregierung für die baden-württembergischen KMU durch die geplante Herabsetzung des Schwellenwertes für europaweite Ausschreibungen für Aufträge der öffentlichen Hand sieht und welche Haltung sie in Bezug auf die Anwendung der auslegenden Mitteilung hat. 17. 10. 2006 Theurer, Bachmann, Fauser, Klenk, Kleinmann, Chef, Ehret FDP/DVP Begründung Die Europäische Kommission hat vor kurzer Zeit in einer so genannten auslegenden Mitteilung Leitlinien für die faire Vergabe von Aufträgen mit geringem Auftragswert durch die öffentliche Hand erlassen. Erreicht werden soll dadurch eine größere Transparenz bei der Vergabe für solche Aufträge der öffentlichen Hand, die bislang unter dem Schwellenwert für eine europaweite Ausschreibungspflicht lagen. Der bürokratische Aufwand und der Nutzen dieser Absenkung ist sowohl für die öffentliche Hand als auch für die KMU fraglich. Stellungnahme Mit Schreiben vom 30. Oktober 2006 Nr. 6 4463.0/147 nimmt das Wirtschaftsministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung: Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, 1. wie viel Prozent der öffentlichen Aufträge in Baden-Württemberg bislang an KMU vergeben werden; 2. wie viel Prozent dieser Aufträge unterhalb des Schwellenwertes liegen, der für die europaweite Ausschreibungspflicht gilt; Zu 1. und 2.: Im öffentlichen Auftragswesen werden generell keine Statistiken geführt, aus denen entsprechende Zahlen entnommen werden könnten. Eine gesonderte Erhebung würde angesichts der Vielzahl der staatlichen und kommunalen Vergabestellen und der von ihnen vergebenen Aufträge zu einem nicht vertretbaren Aufwand führen und scheidet daher aus. Hilfsweise kann auf Auswertungen der staatlichen Hochbauverwaltung hingewiesen werden, nach denen dort die Zahl der Aufträge unterhalb des maßgeblichen EU-Schwellen- 2
werts seit vielen Jahren über 90 Prozent liegt. Vermutlich liegen die Verhältnisse in den meisten anderen Verwaltungen insoweit ähnlich. 3. welche Verbindlichkeit die so genannte auslegende Mitteilung der Europäischen Kommission für die öffentliche Hand hat; Zu 3.: Die Europäische Kommission hat mit Datum vom 23. Juni 2006 eine Mitteilung zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen herausgegeben, die am 24. Juli 2006 veröffentlich wurde. Eine Mitteilung der Kommission ist keine Rechtsnorm mit verbindlichem Charakter, sondern ein Instrument, mit dem die Kommission ihre Rechtsmeinung darlegt. Allerdings hat die Kommission in der Mitteilung vom 23. Juni 2006 deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ihre Ausführungen voraussichtlich als Prüfungsmaßstab für die Einleitung von EU-Vertragsverletzungsverfahren heranziehen wird, wenn ihr Verstöße gegen die in der Mitteilung erläuterten Grundprinzipien bekannt werden. Die Gefahr für öffentliche Auftraggeber, in solche Vertragsverletzungsverfahren verwickelt zu werden, verleiht dem an sich nicht verbindlichen Instrument einer Mitteilung der Kommission hier faktisch quasi Rechtscharakter. Insbesondere deshalb ist die Mitteilung auch zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten politisch und rechtlich umstritten: Deutschland hat sich zusammen mit einigen anderen Mitgliedstaaten schon im Vorfeld gegen ihre Veröffentlichung gewandt; inzwischen hat die Bundesregierung dagegen auch Klage beim Europäischen Gerichtshof erhoben. Inhaltlicher Kern der Mitteilung ist, dass sich aus den im EG-Vertrag enthaltenen Grundregeln für den Binnenmarkt und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur ein striktes Diskriminierungsverbot, sondern daraus abgeleitet auch die von der Kommission besonders betonte Transparenzpflicht ergeben, und zwar unabhängig vom jeweiligen Auftragswert. Danach müssen die in der Europäischen Union niedergelassenen Unternehmen vor der Auftragsvergabe durch angemessene Veröffentlichung und angemessene Fristsetzung über den vorgesehenen Auftrag informiert werden, damit sie ggf. ihr Interesse bekunden können; ferner ist insbesondere auf ein diskriminierungsfreies Vergabeverfahren mit transparenten Verfahrensregeln zu achten. Die erwähnten Grundregeln des EG-Vertrags und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bedeuten aus Sicht der Landesregierung, dass die Gesichtspunkte der Nichtdiskriminierung und Transparenz bei der öffentlichen Auftragsvergabe zu beachten sind, und zwar unabhängig von der Existenz einer Mitteilung der Kommission dazu. Unter diesen Aspekten hat das Wirtschaftsministerium mit Rundschreiben vom 6. Oktober 2006 die anderen Ressorts über die Mitteilung der Kommission informiert und sie gebeten, die in ihrem Geschäftsbereichen vorhandenen Vergabestellen des Landes sowie sonstigen öffentlichen Auftraggeber hiervon zu unterrichten. 4. welche Funktion die so genannte auslegende Mitteilung in Abgrenzung zu den Vergaberechtsregelungen hat und ob die Landesregierung der Auffassung ist, dass die Regelungen unterhalb der Schwellenwerte als eine Umgehung derselben angesehen werden können; 3
Zu 4.: Die bestehenden nationalen Vergabevorschriften und die in der Mitteilung der Kommission postulierten Transparenzpflichten stehen nicht notwendigerweise im Widerspruch zueinander. Denn auch die bisherigen Vergabevorschriften tragen dem Transparenzgedanken in vielfältiger Hinsicht Rechnung. Dazu gehört insbesondere der absolute Vorrang der öffentlichen Ausschreibung, die allen interessierten Unternehmen eine Teilnahme am Wettbewerb um öffentliche Aufträge bis hin zur Angebotsabgabe ermöglicht. Für die als Ausnahmetatbestände normierten Fälle einer beschränkten Ausschreibung oder freihändigen Vergabe werden die öffentlichen Auftraggeber darauf hingewiesen, dass je nach Umständen des Einzelfalls ein vorheriger öffentlicher Teilnahmewettbewerb erforderlich bzw. angezeigt sein kann. Auch die im Vergabeverfahren vorgeschriebenen Informationspflichten gegenüber den Auftragsbewerbern sowie die ebenfalls geregelten Dokumentationspflichten dienen Gesichtspunkten der Transparenz. Gleichwohl wird im Zuge der auf Bundesebene bevorstehenden Vergaberechtsreform auch zu prüfen sein, ob dem Transparenzgedanken bei der Ausgestaltung bzw. Ausformulierung der Vergaberegelungen punktuell noch stärker Rechnung getragen werden muss. 5. welche Auswirkungen sie von der Anwendung der auslegenden Mitteilung auf die öffentliche Hand und für die KMU in Baden-Württemberg erwartet; Zu 5.: Auf die Stellungnahme zu den Ziffern 7 und 8 wird hingewiesen. 6. wie viel Prozent der Aufträge der KMU, die diese von der öffentlichen Hand erhalten haben, aus dem europäischen Ausland stammen; Zu 6.: Da weder die amtliche Statistik noch andere der Landesregierung bekannte Quellen dazu etwas hergeben, stehen der Landesregierung entsprechende Zahlenangaben nicht zur Verfügung. 7. in welcher Größenordnung der öffentlichen Hand Kosten durch die zusätzlichen Ausschreibungspflichten entstehen, wenn der Schwellenwert für eine europaweite Vergabe herabgesetzt wird; 8. welche Vor- und Nachteile die Landesregierung für die baden-württembergischen KMU durch die geplante Herabsetzung des Schwellenwertes für europaweite Ausschreibungen für Aufträge der öffentlichen Hand sieht und welche Haltung sie in Bezug auf die Anwendung der auslegenden Mitteilung hat. Zu 7. und 8.: Eine Herabsetzung der Schwellenwerte für die Anwendung der aus den europäischen Vergaberichtlinien resultierenden Verpflichtungen zur europaweiten Ausschreibung ist nicht geplant. Im Gegenteil ermöglicht die 2004 erfolgte Neufassung der Vergaberichtlinien sogar eine Anhebung der Schwellenwerte um rund 5,5 Prozent (bei Bauleistungen von bisher 5 Mio. auf künftig 5.278.000 Gesamtbausumme des Vorhabens, bei Liefer- und Dienstleistungen von 200.000 auf 211.000 ), die mit der am 1. Dezember 2006 in Kraft 4
tretenden Änderung der Vergabeverordnung des Bundes ausgeschöpft werden soll. Durch die Mitteilung der Europäischen Kommission vom 23. Juni 2006 werden diese Schwellenwerte nicht verändert. Die Mitteilung enthält auch keine Forderung nach einer europaweiten Ausschreibung von Aufträgen unterhalb dieser Schwellenwerte noch sonstige zusätzliche Wertgrenzen. Soweit die Mitteilung der Europäischen Kommission von 23. Juni 2006 dazu führt, dass Vergabestellen mit Blick auf die postulierte Transparenzpflicht vermehrt Vergabebekanntmachungen veröffentlichen, können im Falle einer Bekanntmachung über Printmedien zusätzliche Inseratekosten anfallen. Andererseits kann ein durch öffentliche Bekanntgabe breiter angelegter Wettbewerb um öffentliche Aufträge tendenziell zu günstigeren Angeboten beitragen, sodass die Beschaffungskosten dadurch unter Umständen sinken könnten. Bei der Vielzahl der betroffenen Auftraggeber und der von ihnen nachgefragten Güter und Leistungen können die Auswirkungen in Einzelbereichen durchaus unterschiedlich sein. Belastbare Prognosen sind daher aus der Sicht der Landesregierung nicht möglich. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für die Auswirkungen auf die heimischen KMU: Transparenz im Vergabeverfahren des öffentlichen Auftraggebers führt für sie tendenziell einerseits zu verstärktem Konkurrenzdruck vor Ort, erleichtert andererseits jedoch insbesondere in exportorientierten Bereichen den Zugang zu zusätzlichen Auftragsmöglichkeiten, sodass in einem größeren Betätigungsfeld Kostensenkungseffekte und Wachstumsmöglichkeiten entstehen können. Pfister Wirtschaftsminister 5