Und sie bewegt sich doch! Das Hamburger Modell der Integrierten Versorgung von psychisch schwer Kranken Prof. Dr. Thomas Bock, Prof. Dr. Martin Lambert, Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf Offenbach 25.11.2014
Übersicht Ausgangslage Hamburger Modell (Krankenhaus) Vergleich mit TK - Modell (Gemeindepsychiatrie) Qualitätskriterien
(1) Ausgangslage: Beispiel Hamburg Stadt der Widersprüche? Hamburg: meiste Krankschreibungen wegen psychischer Erkrankung - Warum? Hamburg: Bestwerte im Glücksatlas Ungerecht? Blankenese glücklich, Jenfeld krank? Oder typisch? Spannweite arm-reich macht krank! Oder beides im Leben möglich - Krankheit u. Glück? Herausforderung: Gerade Menschen mit längerfristiger Erkrankung Perspektiven eröffnen Verteilung der Ressourcen? Je kränker, desto weniger Hilfe? - in der allg. Medizin undenkbar
Psychiatriereform auf halbem Weg Beseitigung inhumaner Zustände in Anstalten! Sozialpsychiatrische Institutionen! Tageskliniken, Ambulanzen, Komplementäre Institutionen Personenzentrierung! vom Wohnheim zum Betreuten Wohnen, von WfB zur geschützten Arbeit aber Politische Grenzen? Macht großer Institutionen, Probleme mit Wohnraum, Arbeit, Stigma Beziehungsqualität, - kontinuität? Reduktionistisches oder anthropologisches Verständnis Orientierung auf den Sozialraum Bedeutungsräume erschließen, Peer-Arbeit
Probleme der Finanzierung Trennung Psychiatrie u. Psychosomatik Trennung Kranken- u. Sozialhilfe Trennung ambulant - stationär 7/8 der Mittel stationär gebunden Je kränker, desto weniger Ressourcen Psychotherapie weitgehend exklusiv Nachteil Psychose/Bipo mehr unbehandelt, Abbruch, Rehosp.
Ausgangsbasis z.b. Psychosen/Bipolare Störungen Inzidenz: 1-2% / 1-2 % Hohe Raten Behandlungsabbruch: 20-40% Wiederaufnahmerate: 80% in 5 Jahren Hohe Raten unbehandelt: 30% / 50% Nur 15 % gute Prognose aktueller Behandlung Ambulant: 1 Termin in 1-3 Mon. á 5-20 Min Immer noch selten Psychotherapie (s. GBA)
(2) Hamburger Modell Integrierte Versorgung (UKE+DAK, HEK, IKK, AOK,...) Jahrespauschale auf Basis der Vorjahrs-Kosten Zunächst für Patienten mit akuter oder langfristiger Psychose- / Bipolar- / Borderline- Erfahrung für alle Klinik-Leistungen: stationär, tagesklinisch, ambulant Plus Bonus für beteiligte Facharzt-Praxen Hometreatment-Team (1:20) inkl. Psychother., 24 Std. tel. erreichbar Kooperation mit amb. Pflege, Psychotherapie, sozialpsychiatrischen Diensten
Vorteile win - win - win -Vertrag Patienten / Angehörige Anderer Kontext, Einbeziehung Familie Kontinuität, Verbindlichkeit, Krisenintervention Weniger Einweisung + Zwang Klinik Flexibler Einsatz von Ressourcen, Planungssicherheit Neue Belohnungsmechanismen! Kassen Kostendeckelung, -transparenz
Ergebnisse Steigerung amb. Kontakte von 0,2 auf 2,2 je Woche (11x) Steigerung Anteil Psychotherapie von 5% auf 52% (10x) Stationäre Behandlungszeit halbiert Reduktion Behandlungsabbruch / Rückfall Reduktion Zwangseinweisungen auf ca. 10% Deutliche Senkung Gesamtkosten Anhaltende Abnahme Psychopathologie CGI u.a. Anhaltende Zunahme soz. Funktionsniveau GAF u.a. Bessere Lebensqualität / Zufriedenheit
Evidenz Akutbehandlung zuhause: (Leitlinienkommission Psychosoz.Therapien) Klare Evidenz: Wahrscheinlichkeit stationärer Aufnahme geringer Stationäre Behandlungszeiten reduziert Behandlungsabbrüche seltener Patientenzufriedenheit höher Angehörigenzufriedenheit höher Erlebte Angehörigen-Belastung geringer Kosteneffektivität besser
(3) Vergleich der I.V.-Modelle DAK/AOK u.a. TK/GBQ Jahrespauschale einer Klinik für bestimmte Patienten Reale Kosten retrospektiv inkl. stationärem Budget Summe fünfstellig Bonus für Psychiater- Praxen Gestufte Pauschale für außerklin. Träger (evtl. Klinik) fast alle Patienten Geschätzte Kosten prospektiv Nach stationärer Behandlung Summe niedriger, gestuft Malus bei (teil-)stat. Behandlung
Vergleich der I.V.-Modelle Klinik DAK, AOK u.a. Gem.psych. TK, GBQ, u.a. (+) Überwindung sektoraler Finanzierung, höheres Volumen (-) Klinik als Krake? (+) Überwindung Trennung SGB 5 und SGB 12, Krisenbetten (-) Trennung ambulant - stationär bleibt, Risiko der Selektion Gemeinsame Herausforderung Förderung sozialpsychiatr. Netzwerk Hometreatment + Krisenbetten Integration Psychotherapie? Verknüpfung beider Modelle Phase A für Ersterkrankte, Dreiecksverträge!
(4) Inhaltliche Herausforderung Stellen Sie sich vor, Hometreatment hieße, die aktuelle Akutpsychiatrie in die Wohnzimmer zu tragen...... Sie würden ihr zuhause nicht mehr wieder erkennen. Und ihre Familienstrukturen wären anschließend auch nicht mehr dieselben...
Qualitätskriterien Respekt ( dem anderen ein Heimspiel geben ) Wahrnehmung (Reduktionismus überwinden) Open dialog (Bedürfnisse und Ressourcen) Familie, Trialog (verschied. Perspektiven, Fragen, Stärken) Sozialraum/Netzwerke (Bedeutungsräume vs. soziales Ghetto) Psychotherapie (Beziehungskultur, Flexibilität, Kontinuität) Peer-Beratung (Selbstwirksamkeit, Coherence, Eigensinn) Interessenskonflikte? ( nicht Bock zum Gärtner machen )
Stellenwert Peer-Beratung an der Schnittstelle ambulant - stationär Britische ACT-Studie: mit Peers mehr Kontinuität, Reichweite, Bindung Deshalb Bonus für Teams mit Peer Ergebnis Psychenetprojekt: mehr Selbstwirksamkeit + Sozialkompetenz, weniger Krankenhaustage,... Bei Angehörigen: Weniger Belastung, mehr Lebensqualität
Aspekte des Hamburger Modells Änderung der Krankenhausfinanzierung Konzentration auf Schwerkranke Hohe Qualifikation Beziehungstherapeuten Öffnung für Kinder und Jugendliche Integration der Peerberatung
Schlussfolgerung Integrierte Versorgung darf sich nicht nur auf formale Strukturen / Finanzierung beschränken, sondern muss sich auch auf Inhalte / Verstehensmodelle beziehen. Die bisherigen Modelle der Integrierten Versorgung zielen auf unterschiedliche Strukturprobleme. Notwendig sind Integration, Regelversorgung, Qualitätskontrolle. Peerberatung ist eine wichtige Ergänzung an der Schnittstelle ambulant/stationär. Sollte i.r. der Entlassungsplanung Pflicht werden. (in Hamburg an allen Kliniken!)
Integriert die Integrierte Versorgung! - Peerarbeit/Genesungsbegleitung gehört dazu! - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit