Sonderdruck aus Heft 5 vom 4. Februar 2011 Volle Kanne Milch fürs Kalb
Volle Kanne Milch fürs Kalb Vier Liter Biestmilch sind der Grundstein einer erfolgreichen Aufzucht Fehler in der Tränkeperiode wirken sich auf die gesamte Entwicklung eines Rindes aus. Die richtige Biestmilchversorgung zum Start ist dabei das A und O einer erfolgreichen Aufzucht. Sparsamkeit ist fehl am Platz. Die Empfehlung: Gleich vier Liter geben, damit das Kalb widerstandsfähig wird und gut wächst. In der Tränkephase der Kälber muss die Versorgung zu 100 Prozent stimmen, da die Tiere besonders störungsanfällig sind. Eine nur restriktive Fütterung erhöht das Krankheitsrisiko. Darum gilt: Bei der Milch nicht sparen! Foto: Riesberg Kälber sind auf vielen Milchviehbetrieben wahre Sorgenkinder. Zwar sollten die Verluste bei der Aufzucht höchstens bei fünf Prozent liegen, doch die traurige Realität sieht anders aus. Einzelbetrieblich kann diese Zahl auf über zehn Prozent ansteigen. Krankheitsverläufe, welche die Kleinsten im Stall sichtlich leiden lassen oder gar Tierverluste schmerzen dabei besonders. Der Kälberstall ist die Wiege der Milchviehhaltung. Hier wird der Grundstock gesetzt für eine erfolgreiche Leistungsentwicklung der Tiere. Fehler in dieser entscheidenden Phase werden über kurz oder lang auch im Geldbeutel des Kälberhalters spürbar, sei es in Form von hohen Tierarztkosten oder als Mindereinnahme durch sogenannte Kümmerer und Leistungseinbußen. Doch wie gestaltet man den Start erfolgreich? Diesem Thema widmete sich ein Praxisseminar, veranstaltet vom Landwirtschaftsamt Erding, bei dem der norddeutsche Kälberexperte Dr. Hans-Jürgen Kunz vom Lehr- und Versuchszentrum Futterkamp in Schleswig-Holstein den bayerischen Teilnehmern praktische Erfahrungen mit auf den Weg in die eigenen Ställe geben konnte. Ohne Biestmilch schutzlos Bis zur ersten Biestmilchaufnahme ist das Kalb völlig ungeschützt. Darum ist das Erstgemelk, das viele Abwehrstoffe enthält, für das Neugeborene so wichtig, sagte Kunz. Die alte Empfehlung, zwei Liter Biestmilch-Tränke für das Kalb seien ausreichend beruhe auf der Auffassung, dass der Labmagen nur ein Fassungsvermögen von etwa zwei Litern hat. Zwei Liter bedeuten aber, dass nur 35 Prozent der Kälber ausreichend versorgt sind, schilderte er. Der Labmagen spiele bei der Biestmilchversorgung nur eine untergeordnete Rolle, da die Milch möglichst unverdaut in den Darm gelangen soll, erklärte Kunz. So können die Immunglobuline über die Darmwand in den Blutkreislauf aufgenommen werden. Drei Liter Biestmilch sind für mich die untere Kante, betonte der Kälberfachmann aus Norddeutschland. Für ihn gilt: Besonders am Anfang volle Kanne für einen guten Start! Daher empfehle ich möglichst vier Liter Kolostrum in den ersten drei Stunden zu tränken. Dazu muss
Flüssigkeitsbedarf von Kälbern 14 Quelle: LK Schleswig Holstein 12 10 Liter 8 6 Wasser 4 2 0 Milch 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Woche Das Messen des Gesamteiweißgehalts im Blutserum mit einem Refraktometer gibt Aufschluss über die Versorgung des Kalbes mit Immunglobulinen. das Erstgemelk den Kälbern in der Regel mehrfach angeboten werden. Wichtig sei: Je mehr Biestmilch das Kalb bekommt, desto geringer ist die Sterblichkeit. Wenn wir mehr Milch in das Kalb bekommen wollen, dann schaffen wir das auch, sagte Kunz mit Nachdruck. Eine Frage der Zeit Jedes Kalb sei ernsthaft in Gefahr. Krankheitserregende Keime können sich rasend schnell vermehren. Ein Vermehrungszyklus von Bakterien dauert etwa 20 Minuten, das entspricht 72 Zyklen pro Tag, bei noch dazu kolonienbildenden Einheiten, fasste Kunz zusammen. Innerhalb von sieben bis acht Stunden könne sich so eine ernsthafte Durchfallerkrankung bei einem mangelnd mit Biestmilch versorgten Kalb festsetzen. Es ist also eine Frage der Zeit. Ein Wettlauf mit den Krankheitserregern, wer das Rennen in Richtung Kälberdarm gewinnt, machte Kunz deutlich. Blutserum der Kälber zur Kontrolle Die Kontrolle der Aufnahme von Immunglobulinen in der Biestmilch erfolgt über das Blutserum der Kälber. Dort spiegelt sich wieder, wie viele lebenswichtige Eiweiße das Tier aufgenommen hat und, ob sein Versorgungsstatus ausreichend ist. Man weiß dann sicher Bescheid, wie es um die Kälber steht, erklärte Kunz. Den Tieren wird dazu in Futterkamp am zweiten oder dritten Lebenstag Blut abgenommen und der Gesamteiweißgehalt im Blutserum, ähnlich wie bei der Zuckergehaltsbestimmung von Wein, mit einem Refraktometer festgestellt. 55 g/l Gesamteiweiß gab Kunz als angestrebten Mindestrichtwert an. Ab 60 g/ l Gesamteiweiß sei keine weitere Abnahme der Sterblichkeit bei den Kälber festzustellen, wie Untersuchungen zeigen. Kraftfutter-Rationen für Kälber im Vergleich Haus Riswick ALF Schwandorf LVVG Aulendorf Hafer, Weizen, Gerste - / 35 / 35 - / 7 / 28 15 / 14 / 14 Mais 18 Sojaextraktionsschrot 15 15 16 Leinkuchen/Expeller/Exschrot - / 10 / - - / - / 5 12 / - / - Trockenschnitzel/Rapskuchen - / 3 20 / - Melasse 2 5 Rapsöl zu Staubbindung 1 Mineralstoffe 4 3 4 Luzernehau, 1. Schnitt 19 MJ ME / Rohprotein (%) 11,2 / 17,0 nxp 10,4 / 18,0 10,8 / 18,3 Das Verfahren sollte man unbedingt in den ersten zehn Lebenstagen durchführen, so Kunz. Medizin zum Nulltarif Ein Aufwand der sich zu lohnen scheint, wenn man außerdem den Zusammenhang mit der späteren Milchleistung des Tieres in Betracht zieht. Kunz schilderte dazu weitere Forschungsergebnisse: Wenn man es schafft den Immunglobulingehalt im Blutserum eines Kalbes durch bessere Biestmilchversorgung um ein Gramm pro Liter Gesamteiweiß zu steigern, dann erhöht sich im Durchschnitt die Milchleistung der späteren Kuh um 8,5 kg pro Laktation. Ebenso ist die Ausbildung einiger Organe nach der Geburt noch nicht abgeschlossen und im hohen Maße vom Versorgungsniveau der Tiere abhängig. So wird beispielsweise die Entwicklung der Euteranlage stark von der Energie- und Eiweißzufuhr beeinflusst. Und auch auf die Insulinproduktion und den Stoffwechsel im weiteren Leben der Tiere hat die Fütterung der Kälber einen indirekten und doch wesentlichen Einfluss. Denn die Anzahl der Langerhansschen Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse wird durch die Laktoseaufnahme der Kälber beeinflusst. Die Biestmilch ist eine Medizin zum Nulltarif und es ist eine Sünde, so Kunz, diese nicht zu verwenden. Hartnäckigen Erregern auf der Spur Warum kann es dann trotz rechtzeitiger und ausreichender Biestmilchversorgung dennoch zu Durchfallerkrankungen bei den Kälbern kommen? E.-Coli-Erreger können sich beispielsweise durch Überlagerung oder Veränderung von Antigenrezeptoren vor Antikörpern schützen. Aber auch Rota- und Corona-Viren können sich beim Kalb manifestieren und zu schlim-
men Krankheitsverläufen führen. Teststreifen, die beim Tierarzt bezogen werden können, geben Aufschluss, um welchen Erreger es sich handelt. Denn die Ursachenforschung ist in so schwerwiegenden Fällen extrem wichtig, erklärte der Kälberexperte. Ich kann zudem eine Muttertierimpfung gegen Rota- und Coronaviren empfehlen, sagte Kunz. Auch wenn diese Maßnahme zunächst vielleicht teuer erscheint, wer die leidenden Kälbern einmal erlebt hat, der sagt sich sicher: Einmal und nie wieder. Wenn man sichergehen wolle, um welchen Erreger es sich handelt, komme man um eine Kotuntersuchung nicht herum. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich das Erregerspektrum im Laufe der Zeit und der Behandlung verändert, daher sei eine regelmäßige Kontrolle nötig. Außerdem empfahl Kunz einen Eisenzusatz für die Kälbertränke. Er betonte: Bei gut 18 Prozent aller normal gebore- Am Tränkeautomaten bietet es sich an, den Kälbern mehrere, dafür kleinere Portionen zuzuteilen, z. B. vier Mahlzeiten mit je 1,5 Litern. Fotos: Riesberg Bei den Kälbern nur nicht sparen Josef Angermaier aus Fraun-berg (Lks. Erding): Auf unserem Betrieb ziehen wir jährlich rund 55 Kälber groß, teils in Iglus, teils in Einzelboxen. Die Biestmilchgabe für einen guten Start der Tiere ist dabei für uns das Wichtigste. Selbst wenn es 3 Uhr in der Nacht ist, scheuen wir keine Zeit und Mühen. Das Kolostrum ist die beste und billigste Krankheitsvorbeuge-Maßnahme. Hinzu kommen natürlich auch optimale Haltungsbedingungen, die den Tieren ausreichend Frischluft, Licht und Stroh gewähren. Bei einem Neubau werden wir das sicher berücksichtigen. Wir bieten den Kälbern ab dem vierten bis fünften Tag auch Kraftfutter und Kälberstarter sowie Wasser zur freien Aufnahme an. Petra Bauer aus Pfaffing (Lks. Dorfen): Bei uns wird in der Kälberaufzucht die Hygiene ganz groß geschrieben. Hinzu kommt, dass wir auf einen qualitativ hochwertigen Kälberstarter Wert legen. Auch wenn uns dieser vielleicht etwas teurer kommt, so rechnet es sich doch langfristig in Bezug auf die Mastergebnisse. Außerdem sollen sich unsere Kälber frühzeitig zum Wiederkäuer entwickeln, dazu füttern wir von Anfang an Heu zur freien Aufnahme zu. Sich bei den Kälbern Zeit zu nehmen und an Qualität nicht zu sparen, zahlt sich spätesten bei der Leistung der erwachsenen hochleistenden Tiere wieder aus. Antonie Schwarz aus Jarzt (Lks. Freising): Auf unserem Betrieb ziehen wir etwa 60 Kälber im Jahr auf. Das ist in erster Linie meine Aufgabe. Die Biestmilchgabe ist dabei für mich das A und O. Früher hatten wir durchaus Probleme mit Durchfällen bei den Kälbern. Jetzt legen wir höchsten Wert auf eine gründliche Reinigung unserer Iglus bei jedem Tierverkehr. Außerdem impfen wir unsere Muttertiere jetzt gegen Rota- und Corona-Viren und verabreichen betriebsspezifische Schluckvakzinien. Unser Aufzuchterfolg hat sich dadurch wesentlich verbessert. Nun wollen wir noch die Kälberfütterung optimieren. Anita Schwimmer aus St. Wolfgang (Lks. Erding): In unserem Stall stehen 100 Stück Milchvieh, da fällt einiges an Nachzucht an. Oft sind es 20 Kälber die man auf einmal versorgen muss. Diese halten wir in Einzel- und Großraum-iglus. Das Wichtigste ist für uns, dass wir die Tiere ohne größeren arbeitswirtschaftlichen Aufwand gesund durchbekommen. Da wir alles selbst aufstellen, wirkt sich das direkt auf die Leistung unseres Milchviehs aus. Bei uns bekommt jedes Kalb seinen eigenen Tränkeeimer, dieser wird mit einem Milchtaxi gefüllt. Nun überlegen wir, die Milch anzusäuern und die Tränke ad libitum anzubieten. Fotos: Riesberg Josef Angermaier Petra Bauer Antonie Schwarz Anita Schwimmer
nen Kälber kann man einen deutlichen Eisenmangel feststellen. Bei Schwergeburten ist sogar ein drastischer Anstieg auf 40 Prozent zu verzeichnen. Doch gerade das Eisen sei sehr wichtig für den Sauerstoff-Transport sowie den Kohlendioxid-Abtransport im Blut und spiele eine entscheidende Rolle bei der Antikörperproduktion in den Lymphknoten. Kunz sprach daher die Empfehlung aus den neugeborenen Kälbern ein Gramm Eisen zu spritzen, wie es auch bei den Ferkeln üblich ist. Es werde dann ein entsprechendes Eisendepot in der Leber aufgebaut. Ansonsten sollte man jedoch zumindest einen Vollmilchaufwerter verwenden. Drenchen will gelernt sein Trinkschwache Kälber können ein Hinweis auf eine schlechte Selenversorgung der Kälber sein, mahnte Kunz anschließend. Entscheidend sei dabei, wie gut der Versorgungsstatus des Muttertieres ist. Diesen gelte es regelmäßig zu überprüfen, um entsprechende Vorbeuge treffen zu können. Ist es nicht immer möglich, die für den Gesundheitsstatus des Kalbes erforderliche Biestmilchmenge über den Saugreflex in das Tier zu bekommen, hilft nur noch eines: Drenchen. Doch Kunz warnte: Das Drenchen will gelernt sein, sonst bedeutet es nur Stress für die Tiere. Dieser wiederum kann die Aufnahme der Immunglobuline hemmen. Er empfahl, hier unbedingt eine Tränkemenge von drei bis vier Liter, je nach Größe des Kalbes, einzuhalten, um über die Menge den Stress auszugleichen. Blähungen kämen beim Drenchen eher selten vor, so Kunz. Im Weiteren empfahl Kunz, die Kälber in der ersten Woche mit einem Gemisch aus Biestmilch und normaler Milch in angesäuerter Form (ph 5,5) ad libitum zu füttern. Programmierungsvorschlag für Tränkeautomat Tränkeplan für 210 bis 336 Liter bzw. 30 bis 47 kg MAT Liter 7 6 5 4 3 2 1 0 Biestmilch ad lib Haupttränkephase 1 W 4 Wochen 4 Mahlzeiten à 1,5 Liter (MAT: 160 g / l) Mindestmenge = 1,5 l Höchstmenge = 2,0 l schers einzusetzen, so der Experte. Außerdem müsse die Wasserversorgung von Anfang an sichergestellt sein (siehe Grafik). Dazu wird den Tieren in Futterkamp ab dem zweiten Lebenstag Wasser zur freien Aufnahme angeboten. Natürlich nehmen die Tiere das Wasser unterschiedlich gut an, aber es ist wichtig, dass sie es überhaupt kennen. Denn werden die Tiere abgesetzt, kommen in die Gruppenbox und saufen sich dann richtig voll, kann es ebenfalls zu Durchfällen kommen. Auch für die Kraftfutterversorgung gab Kunz verschiedene Beispiele an (siehe Tabelle unten). Bei jüngsten Untersuchungen zur Kälberfütterung am Lehrzentrum Futterkamp wurden restriktive Fütterung und ad-libitum-fütterung in den ersten drei Lebens- Woche Abtränkphase 6 Wochen (MAT: 120 g / l) Mindestmenge = 2,0 l Höchstmenge = 2,5 l 3 bis 5 Wochen 3 bis 5 Wochen Quelle: LK Schleswig Holstein Einen genauen Tränkeplan erstellen Für die anschließende Tränke gab Kunz den Seminarteilnehmern zwei beispielhafte Tränkepläne vor. Der Tränkeplan als Programmierungsvorschlag für den Tränkeautomaten kann der obenstehenden Grafik entnommen werden. Tränke mit Nuckeleimer: Hauttränkeperiode: (mindestens drei Wochen, maximal fünf Wochen) täglich dreimal zwei oder zweimal drei Liter. Abtränken: Zwei Wochen zweimal zwei Liter, anschließend eine oder zwei Wochen einmal zwei Liter. Bei den Kühen bestimmen wir den Energie und Rohproteingehalt für eine bedarfs- und leistungsgerechte Ration ganz genau. Bei Kälbern passiert das nur quer über den Daumen gepeilt. Hier müssen wir noch besser werden, kritisierte Kunz. Wichtig sei es dabei, pro Liter Wasser 160 g eines hochwertigen Magermilch-Austauwochen (anschließend identische Rationen) hinsichtlich der täglichen Zunahmen der Kälber während der ersten zwölf Lebenswochen miteinander verglichen. Die Ergebnisse sind bestechend: In der ersten Lebenswoche nahmen die zurückhaltend gefütterten Kälber im Schnitt nur 318 g/tag zu. Ihre Artgenossen, denen die Tränke zur freien Verfügung stand, brachten es auf durchschnittlich 1174 g/tag. Dies entspricht einer Differenz von 856 g/ Tag. Im Laufe der weiteren Aufzucht holten die restriktiv gefütterten Kälber zwar auf, doch die ad-libitum-gruppe nicht mehr ein. So ergab sich im Zeitraum von der Geburt bis zur zwölften Woche eine durchschnittliche Differenz bei den täglichen Gewichtszunahmen von etwa 250 g. Max Riesberg Hans-Jürgen Kunz, Kälberexperte aus Schleswig-Holstein (re.) empfahl auf dem Hof des Erdinger Landwirts Gottfried Widl (li.), die Kälber zum Start mit vier Litern Biestmilch zu versorgen.