Psychotherapie im Angesicht der Endlichkeit

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Transkript:

Psychotherapie im Angesicht der Endlichkeit Judith Alder Praxisgemeinschaft Schlüsselberg judith.alder@psychologie.ch Sterbestatistik Schweiz Anzahl verstorbener Personen 2015 67 606 Lebenserwartung 2014 Männer 81 Jahre Lebenserwartung 2014 Frauen 85.4 Jahre Sterberisiko der Menschen in der Schweiz lag auch 2015 wieder bei 100% (Schweizer und Ausländer) Psychotherapie scheint kein protektiver Faktor gegen das Sterben zu sein à Psychotherapie im Angesicht der Endlichkeit Bundesamt für Statistik BFS, 2016 1

Ich bin schon bei dir, solange du lebst Der Tod rückt oft erst ins Bewusstsein... bei der Diagnose einer Erkrankung, die mit starken Einschränkungen einhergeht oder zum Tod führen kann bei Erkrankung oder Tod eines Nahestehenden à Konfrontation auf kognitiver, emotionaler, spiritueller Ebene Was ist ein gutes Lebensende? Lebensabschnitt, der wie jeder andere, individuell verläuft à eigenes Lebensende finden Leben rückblickend als ein Ganzes, eine sinnvolle Gesamtheit sehen und verstehen können Sich und anderen verzeihen und vergeben können, Frieden schliessen mit Fehlern Vorbereitung auf den Tod, Leben beenden Abschied nehmen von Aufgaben, Menschen, Objekten 2

Belastungen einer Krebsdiagnose und -behandlung Belastungen auf emotional-kognitiver Ebene Angst, Trauer Wut, Traurigkeit, verändertes Selbstkonzept, Autonomieund Kontrollverlust Familiäre Belastungen Veränderung von Rollen und Aufgaben, Reaktion des sozialen Systems, Konflikte mit, Sorgen um Angehörige Existentielle und spirituelle Probleme Konfrontation mit Endlichkeit des Lebens, Suche nach Sinn Körperliche Symptome und Folgeprobleme Schmerzen, Fatigue, Vitalitätsverlust, Alopezie, Lymphödem Soziale, finanzielle und berufliche Belastungen Veränderung wichtiger sozialer, beruflicher Funktionen, Einsamkeit, Diskriminierung Probleme mit Versorgungssystem fehlende Intimität, Behandlungs- Arztwechsel, Kommunikation Prävalenz psychischer Belastungen bei Krebs subsyndromal Distress 59% Ängste 48% Depressivität 58% Psychische Störung alle 30% Fortgeschrittenes Erkrankungsstadium Affektive Störungen 10.8% Angststörungen 13.5% Anpassungsstörungen 8.0% Anpassungsstörungen 11-35% Major Depression 5-26% Mitchell et al., 2011; Holland et al., 2010; Singer et al., 2010; Mehnert et al., 2013 3

Konfrontation mit dem Lebensende Was geschieht angesichts der Bewusstwerdung der eigenen Endlichkeit 1. Emotional-kognitive Reaktion: Angst, Traurigkeit, Verzweiflung, Wut, Erleichterung, Mitgefühl, Bedauern u.a. Sorgen und Ängste in Bezug auf den Sterbeprozess Sorgen um die Hinterbleibenden Häufige Ängste bei palliativer Erkrankung Anderen zur Last zu fallen Abhängig von fremder Hilfe zu werden Isoliert und einsam sterben müssen Langes Leiden im Prozess des Sterbens, Angst vor Schmerzen Kontrollverlust über Körper und Geist Nicht sterben gelassen werden (medizinisch zu viel versuchen) Nicht ausreichend informiert sein Im Selbstbestimmungsrecht verletzt werden Sorge um die Angehörigen Mettner, 2004 4

Konfrontation mit dem Lebensende Was geschieht angesichts der Bewusstwerdung der eigenen Endlichkeit 1. Emotional-kognitive Reaktion: Angst, Traurigkeit, Verzweiflung, Wut, Erleichterung, Mitgefühl, Bedauern u.a. Sorgen und Ängste in Bezug auf den Sterbeprozess Sorgen um die Hinterbleibenden Bezug auf das eigene gelebte und noch mögliche Leben Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird zu leben Marcus Aurelius 5

Konfrontation mit dem Lebensende 2. Verhaltensbezogene Reaktion Aktivität durch Wunsch nach ordnen, klären, planen, verabschieden, erleben ( Bucket List ) 3. Soziale Dimension u.a. Zusammenrücken oder Distanzierung 4. Veränderung der Bedeutung der Zeit 5. Spirituelle Reaktion Orientierung finden in der Gesetzmässigkeit von Entstehen und Vergehen Suche nach Sinnhaftigkeit des Lebens Suche nach dem, was vom eigenen Leben und Selbst bestehen bleibt Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt Bertold Brecht 6

Konfrontation mit Lebensende als Trauerprozess Antizipierte Trauer: emotionale Reaktion auf bevorstehenden Verlust à bezieht sich auf den Verlust des eigenen Lebens/Selbst und kann sich auch zu einer anhaltenden Trauer entwickeln Trauer als Prozess mit Aufgaben 1. Verlust als Realität annehmen 2. Gefühl der Trauer erfahren und durchleben 3. Sich an veränderte Umwelt anzupassen, in dem das Verlorene fehlt 4. Dem Verlorenen emotional einen neuen Platz geben, Erinnerung daran mitnehmen und weiterleben Trauer als andauernder Spiralprozess auf körperlicher, psychischer, sozialer und spiritueller Ebene, Znoj, 2004, Worden, 2008, Borasio, 2011 Konfrontation mit Lebensende existentialphilosophische / -psychologische Perspektive Ende des Selbst Fragen nach dem Sinn des Lebens und Sterbens Bedeutung von Leidens als Teil das Lebens Auseinandersetzung mit dem Sterbeprozess Einsamkeit und Isolation Fragen zum Weiterleben à urpersönliche Auseinandersetzung à als Psychotherapeut Begleiter sein im Prozess der Auseinandersetzung mit existentiellen Themen und der individuellen Sinnfindung 7

Existentielle Themen (Grunderfahrungen des menschlichen Lebens wie Endlichkeit und Verantwortung) bei allen grossen Denkern zu finden Zu finden in der Philosophie, sämtlichen Religionen, Psychologie... bis hin zu populistischen Ratgebern, Esoterik Zentrales Thema der Existenzphilosophie (u.a. Heidegger, Sartre, Buber, Tillich, Kierkegaard, Nietzsche, Jaspers, Camus) Existentialpsychologische Annahmen: Menschen haben ein Bedürfnis nach Lebenssinn und ziel Menschsein charakterisiert durch Fähigkeit zur Freiheit, Wahl und Selbstverantwortung; Ausleben derselben hat positive Auswirkungen auf Wohlbefinden Menschen werden konfrontiert mit Grenzen und Herausforderungen im Leben, Auseinandersetzung damit führt zu besserem Wohlbefinden als Vermeidung Die Fähigkeit der bewussten, reflektierbaren Erfahrung Erfahrung und Erleben ist eng verbunden mit den Erfahrungen anderer Menschen Wichtige Vertreter der existentiellen Psychologie/ Psychotherapie: Viktor Frankl, Rollo May, Irving Yalom, Emmy van Deurzen) 8

Aufmerksamkeitsfokus im Verlauf einer tödlichen Krankheit Diagnose und Behandlung Remission, Adaptation Rezidiv Progredienz Therapieabschluss Terminalstadium Akzeptanz, Sinnfrage, biographische Integration Kontrolle der Krankheit und der Symptome Psychotherapie angesichts der Endlichkeit Zuwendung zu den eigenen Werte fördern Auseinandersetzung mit existentiellen und Sinnfragen anbieten Lebensrückblick begleiten Hoffnung neu definieren Konkrete Hilfestellungen anbieten: Patientenverfügung, Organisatorisches etc. Das Sterben und Totsein fassbarer zu machen: Wünsche und Befürfnisse herausarbeiten 9

Ziele der Psychotherapie in der Konfrontation mit der Endlichkeit die Stärkung des Selbstwertgefühls und des Gefühls von Würde Würdigung von Stärken und Errungenschaften im Leben des Patienten Reduktion von emotionalen und spirituellen Belastungen auch Verringerung von Gefühlen der Isolation und Einsamkeit Stärkung oder Klärung der Bindung zwischen Patient und Familie Mobilisierung innerer Ressourcen und Aufzeigen neuer Lebensperspektiven trotz einer spürbar begrenzten Lebenserwartung Förderung von Hoffnung, Mut und Kontrolle Klärung von Missverständnissen und Erwartungen Verbesserung der Kommunikation mit dem Behandlungsteam Therapeutische Grundhaltung in der Konfrontation mit dem Lebensende Nicht Problemlösen sondern menschlich solidarische Haltung Raum und Nähe anbieten, um das Unfassbare zu teilen Therapeut und Patient sitzen bzgl. existentieller Themen im gleichen Boot! Fragen die alle Menschen gleichermassen angehen, Gespräche auf gleicher Augenhöhe Es gibt keine richtige Perspektive bei existentiellen Fragen, Bedürfnisse nach Klarheit, Vorhersagbarkeit und Sicherheit werden nicht befriedigt. Eine klare, einfache Antwort gibt es in der Regel nicht Akzeptanz gegenüber der menschlichen Begrenztheit, alles verstehen, ableiten und erklären zu können 10

Therapiefokus Werte und Sinn Herausarbeiten von Werten als Richtungen in verschiedenen Lebensbereichen Was ist in meinem tiefsten Inneren wichtig für mich? Was gab und gibt meinem Leben Sinn? Was soll mein Lebensinhalt sein? Was für ein Mensch möchte ich sein? Wenn ich die Energie nicht für das Ringen mit den Gefühlen verwende worauf möchte ich die Energie und die Zeit richten? Welche Träume möchte ich mir erfüllen? 11

Das Vertrackte an einer lebensbedrohlichen Krankheit ist, dass sich die persönlichen Werte andauernd verändern. Ständig versucht man herauszufinden, was einem wichtig ist, grübelt unentwegt. Man beschliesst, als Neurochirurg zu arbeiten, doch zwei Monate später kann man ganz anderer Ansicht sein, vielleicht will man Saxofon spielen lernen oder sich mit Religion beschäftigten. Der Tod mag ein einmaliges Ereignis sein, doch mit einer tödlichen Krankheit zu leben ist ein Prozess. Therapiefokus Werte und Sinn Wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist (in Ihrem Leben), was würden Sie in einem Jahr, wenn Sie einen Rückblick machen, bedauern? Yalom sche Wunderfrage 12

Therapiefokus existentielle Themen und Sinnfragen Der Wert des unendlichen Lebens Wenn das Leben ohne Ende wäre... Müssten wir keine Entscheidungen treffen, da alles immer wieder möglich wäre, alle Handlungsoptionen wären gleichgültig Das seltene macht den Wert aus Die richtige Anzahl Lebensjahre der Wunsch nach einem längeren Leben Ist ein kurzes Leben weniger sinnvoll als ein langes? Kommt es auf die Dauer an oder darauf, wie es gefüllt wird? Wären wir doppelt so zufrieden, wenn der Tag 48 Std. hätte? Geht es darum was und wieviel ich mache oder wie ich es mache? Was wäre anders, wenn ich noch länger leben dürfte? Therapiefokus existentielle Themen und Sinnfragen Spuren hinterlassen Was bleibt von uns übrig: wir hinterlassen im Leben eine Wirkung auf unsere Umwelt und durch diese hindurch auf weitere Menschen und diese wiederum auf andere u.s.w. In der Erinnerung von anderen überdauern als eine Art des Weiterlebens Physisch sichtbare Spuren, Legate Rolle des Bewusstseins Vor der Geburt kein Bewusstsein, wie ist es für die Zeit nach dem Tod? Die Ewigkeit vor der Geburt beschäftigt weniger als diejenige nach dem Tod... Für viele Menschen ist am Tod schlimm, dass nachher nichts von uns mehr da ist; gleichzeitig kann dieses Nichts den Verlust des Lebens nicht beklagen 13

Therapiefokus Lebensrückblick begleiten Lebenslandschaft zusammen anschauen, Inhalte des Lebens zusammenfassen, Sinnvolles herausarbeiten Lebensbilanz Förderung einer ausgewogenen Bilanzierung positiver und negativer Erinnerungen, diese befrieden oder Ort dafür finden Sinnfindung Förderung der Sinngebung negativer Erlebnisse; welche Entwicklungen ergaben sich daraus Elaboration des Traumagedächtnisses Erinnerungen daran aufarbeiten und zu einer zusammenhängenden Geschichte verarbeiten Therapiefokus Lebensrückblick begleiten In welche Abschnitte können Sie Ihr Leben einteilen? Was waren die wichtigsten Dinge in Ihrem Leben? Warum? Wer hat Sie geprägt in Ihrem Leben? Was waren die wichtigsten Erfahrungen, die Sie machen durften? Was ist eine wichtige Erinnerung für Sie, wenn Sie an Ihr Leben denken? Was bedauern Sie? Worauf sind Sie stolz? Was würden Sie ändern, anders machen, unverändert lassen? Gibt es einen Ratschlag über das Leben, den Sie einer nächsten Generation geben möchten? Wenn Ihr Leben in einem Buch beschrieben würde, welchen Titel würden Sie dem Buch geben wollen? Was sind heute die wichtigsten Dinge im Leben? Wie leben Sie diese? 14

Therapiefokus Hoffnung neu definieren zuversichtliche innerliche Ausrichtung, positive Erwartungshaltung, dass etwas Wünschenswertes in der Zukunft eintritt ohne die Gewissheit zu haben Schwinden der Hoffnung als normaler Zustand vor dem Aufbau einer neuen Hoffnung à Hoffnungsfluktuation Aufbau einer neuen Hoffnung braucht Zeit Inhalt der Hoffnung ist etwas absolut Individuelles, wird mit Verlauf der Erkrankung oftmals differenzierter und vielseitiger Hoffen braucht Mut: Hoffnung kann begleitet sein von der Angst und Sorge, dass das Erwünschte nicht eintritt Die Bedeutung von Hoffnung bei fortgeschrittener Krebserkrankung 99% unheilbar kranker Patienten gaben an, dass Hoffnung für sie eine wichtige Rolle spielt (Greisinger et al., 2007) Hoffnung und Lebenssinn haben einen signifikanten Einfluss auf das emotionale Wohlbefinden todkranker Patienten und tragen dazu bei, dass Patienten besser mit ihrer unheilbaren Krankheit umgehen (Lin und Bauer-Wu, 2003) Hoffnung trägt signifikant dazu bei, die Erkrankung zu akzeptieren, Leiden zu mindern, psychosoziales Wohlbefinden und die Lebensqualität zu verbessern (Taylor, 1993; Bishara et al., 1997; Herth, 1989; Axelsson et al., 1998; Post-White, 1996; Mc Millan et al., 1998) 15

Therapiefokus Hoffnung neu definieren Welche Hoffnung ist es, die schwindet? Welche Hoffnung nicht? Was ist anders als vorher, was ist gleich (nach einer die Hoffnung verändernden Nachricht)? Worauf möchten Sie hoffen können, unabhängig davon, wie die Krankheit weiter fortschreitet? Gibt es konkrete Handlungen, die die Erfüllung dieser Hoffnung wahrscheinlicher machen? Alternativen zur Hoffnung auf vollständige Gesundheit Hoffnung auf Symptomkontrolle Hoffnung auf Lebensqualität und einem abgerundeten Leben Hoffnung auf bedeutungsvolle Begegnungen mit anderen Menschen Hoffnung für die Angehörigen Hoffnung, Liebe zu schenken und Liebe zu erfahren Hoffnung, dem Leben Sinn zu geben Hoffnung auf... Ereignis (erster Schultag des Grosskindes erleben etc.) Hoffnung auf Aussöhnung oder Klärung von Beziehungen Hoffnung auf Vergebung 16

Laufe nicht der Vergangenheit nach und verliere dich nicht in der Zukunft. Die Vergangenheit ist nicht mehr. Die Zukunft ist noch nicht gekommen. Das Leben ist hier und jetzt. Siddhartha Gautama Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Literatur zum Thema Albom, Mitch (2002). Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens. Verlag Goldmann Kalanithi, Paul (2016). Bevor ich jetzt gehe: Was am Ende wirklich zählt Das Vermächtnis eines jungen Arztes. Albert Knaus Verlag. Frankl, V.E. (1995). Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuch Verlag. May, R. (1990). Sich selbst entdecken. Seinserfahrungen in den Grenzen der Welt. Münsche: dtv. Yalom, Y (2008). In die Sonne schauen. Wie man die Angst vor dem Tod überwindet. München: btb 17