Vom Schläger zum Pastor Johannes Kneifel erzählt Almut Engelien, wie er im Gefängnis einen neuen Weg fand

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Transkript:

2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Vom Schläger zum Pastor Johannes Kneifel erzählt Almut Engelien, wie er im Gefängnis einen neuen Weg fand Redaktion: Sendung: Petra Mallwitz Freitag, 05.07.13 um 10.05 Uhr in SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 1

TRANSKRIPT Johannes Kneifel, in Ihrem Buch Vom Saulus zum Paulus gibt es eine Stelle, Sie sind 22 und gerade aus der Haft entlassen, da träumen Sie davon, dass Sie irgendwann Ihr Abitur in der Tasche haben, die Bewährungszeit nach der Haft abgelaufen ist und Sie studieren, und dass dann keiner mehr fragen wird nach Ihrem Verbrechen und der Lücke in der Biografie, wo Sie im Gefängnis waren. Und dann veröffentlichen Sie, 8 Jahre später, mit 30, ein Buch, indem alles erzählt wird und das alles ständig präsent hält. Wozu? Ja, ich habe, zum Glück, doch sehr viele Jahre ein neues Leben leben können, indem meine Vergangenheit so gut wie keine Rolle gespielt hat. In der Phase konnte ich tatsächlich mein Leben im Jetzt leben und auch genießen. Und dann kamen erste Fragen wieder so nach meiner Vergangenheit, nach meiner Geschichte, das aber nicht so in dem negativen Sinne, dass ich jetzt darauf festgelegt worden wäre, nach dem Motto: einmal Skinhead, immer Skinhead, einmal Gewalttäter, immer Gewalttäter, einmal Häftling, immer Häftling oder so, sondern ganz im Gegenteil. Es gab Leute, die waren unglaublich dankbar dafür, dass ich meine Geschichte erzählt habe, weil meine Geschichte ihnen Hoffnung gemacht hat. Gerade so im Bereich der Arbeit mit Jugendlichen, wo ja viele Perspektiven für ihr Leben suchen, viele irgendwie falsche Wege einschlagen, auch in ähnliche Schwierigkeiten reinrutschen, vielleicht nicht so extrem reinrutschen wie ich damals, aber doch mit Alkohol, mit Gewalt, mit, ja, bestimmten Gruppierungen zu tun haben. Und da habe ich einfach gemerkt, ich kann von meiner Vergangenheit nichts ungeschehen machen und nichts wieder gut machen, aber ich kann die Lehren, die ich daraus gezogen habe und die Entwicklung, die ich vollzogen habe, das kann ich aufschreiben und das kann ich anderen Menschen weitergeben, und das möchte ich auch tun. Sie sind ja zurzeit in einer theologischen Ausbildung. Wo stehen Sie, für sich, im Moment in Ihrem Leben? Wo sehen Sie sich im Moment? Ja, im Moment bin ich auch wieder in so einer spannenden Phase, wo viele Veränderungen anstehen. Also ich stehe jetzt kurz vor Abschluss meines Studiums, werde demnächst hoffentlich dann auch den Platz haben, wo ich weiß, dass ich auch beruflich tätig sein werde. Privat geht s mir zurzeit super gut. Ich werde heiraten und mit meiner Frau zusammenziehen. Und da freue ich mich sehr drauf. Wenn man sich mit so einem Buch so exponiert, als Täter oder als ehemaliger Täter, das ist ja mutig und man macht sich angreifbar, aber man stellt sich auch in den Mittelpunkt. Und wenn man das liest, wo ist das Opfer? Man erfährt ganz wenig über Ihr Opfer, Peter Deutschmann. Wie sehr haben Sie sich denn eigentlich mit ihm befasst? 2

Ja, so sehr ich mich damit befassen konnte. Man hat als Täter leider kaum Möglichkeiten, etwas übers Opfer zu erfahren. In Gerichtsverhandlungen geht s nicht um die Opfer, es sei denn irgendwelche Angehörigen treten als Nebenkläger auf, was bei mir nicht der Fall war. Ich kannte Peter Deutschmann vor seinem Tod nicht als Menschen. Hatte im Gefängnis ja auch keine Möglichkeit, irgendwie Information über ihn einzuholen. Das wurde auch nicht gefördert, dass man sich wirklich mit dem Opfer befasst? Nee. Nee, das wurde nicht gefördert. Ganz im Gegenteil, das war eher so, wenn man fragte, ob s denn irgendwo Angehörige gibt, dass dann eher gesagt worden ist: Nee, Datenschutz, solche Sachen dürfen wir nicht weitergeben. Auch ein Stückweit immer dieses Misstrauen, dass ich eventuell den Angehörigen oder so noch irgendwas tun wollte oder mich über sie lustig machen wollte oder wie auch immer. Ja, mir wurde ja im Gefängnis auch lange Zeit überhaupt nicht zugetraut, dass ich Menschen irgendwie positiv begegnen kann und mich irgendwie ernsthaft auch entschuldigen wollte oder sowas. Und jetzt auch nach meiner Entlassung habe ich sowieso erst mal damit zu tun gehabt, selber den Weg in mein Leben zu finden. Und hab dann erst, nach einigen Jahren, nach und nach noch ein bisschen was über Peter Deutschmann als Menschen erfahren und bin auch froh, dass mir doch ein paar Menschen begegnet sind, die mir ein bisschen was über ihn gesagt haben. Und dass ich halt den Menschen noch wenigstens ein bisschen kennen lernen konnte. Und das finde ich selber auch sehr wichtig, sehr wertvoll. Er war 44, als er starb. Genau. Jetzt müssen wir da doch noch mal auf die Tat kommen. Sie sagen, Sie haben ihn nicht mal gekannt. Ja. Wie ist es denn dann dazu gekommen, dass Sie ihn so verprügelt, so zusammengeschlagen haben? Ja, da kamen mehrere ungünstige Faktoren zusammen. Also zum einen war ich in der damaligen Zeit schon ein stückweit auch alkoholabhängig, psychisch zumindest, und habe mich sehr, ja, sehr viel betrunken. Das hat natürlich auch die Hemmschwelle runter gesetzt. Ich war zu der Zeit in der rechten Szene, wo Gewalt 3

ständig als legitimes Mittel propagiert worden ist, und es, ja, ein Welt- und ein Menschenbild gab, wo Menschen nun mal auch bekämpfenswert, sogar vernichtenswert waren, was ich damals übernommen habe. Ich habe aber auch mein eigenes Leben als Kampf wahrgenommen. Ich habe selber Gewalt erfahren, habe erfahren, dass Menschen mich physisch, ja, zumindest schädigen, wenn nicht sogar vernichten wollten. Und bin in so einem Denken drin gewesen, dass ich gesagt haben: entweder ich oder der andere. Und dann kam bei der Tat auch noch dazu, dass ich ein total falsches Verständnis von Freundschaft, von Loyalität hatte. Ihr Kamerad, Ihr Freund hatte Ihnen gesagt: Der hat mich irgendwie angesprochen. Der hat gesagt, ich soll mit dem rechten Zeug aufhören. Und das war im Grunde alles, was Peter Deutschmann getan hatte. Genau. Das war der Auslöser, dass mein damals bester Freund, der auch in der rechten Szene war, halt gesagt hatte, er hätte vor kurzem Streit mit Peter Deutschmann gehabt. Das heißt, er hat nicht den Namen Peter Deutschmann gesagt, ich habe den Namen ja erst bei der Vernehmung durch die Polizei erfahren. Er hat gesagt, er hat Stress mit dem Hippie gehabt und Der hieß immer der Hippie? Genau. Und dann? Ja, dann haben wir halt, als wir getrunken hatten, die Idee gehabt, dahinzugehen, es zu klären, ihm einen Denkzettel zu verpassen. Und da war irgendwie schon klar, wir wollen ihn schlagen oder so, aber wie genau das ablaufen sollte, da haben wir uns keinen Kopf gemacht. Sie waren beide 17, 18 und sturzbetrunken. Genau. Und dann sind Sie zu ihm und haben ihn in seiner eigenen Wohnung überfallen. Ja. Und erinnern Sie irgendwas davon? 4

Ja, sehr wenig. Ich meine, das ist natürlich auch so eine ein Stückweit konstruierte Erinnerung. Also ich kann den Tatablauf so ungefähr zusammenbringen. Ich habe aber keine bildhafte Erinnerung. Und Fakt ist, dass wir da reingegangen sind, uns Zugang zur Wohnung verschafft haben und auf ihn eingeschlagen und eingetreten haben. Ja, nicht in der Absicht ihn zu töten oder schwer zu verletzten, aber halt mit den Folgen, dass genau das passiert ist. Am nächsten Tag. Ja. Erinnern Sie den Moment noch, wo Ihnen klar wurde oder wo Sie erfuhren: dieser Mann ist wirklich tot? Erinnern Sie das noch irgendwie, wie das war? Ja, das war der erste Moment vor dem Haftrichter. Also bei der Vernehmung hat Peter Deutschmann noch gelebt. Ich bin verhaftet worden wegen versuchtem Totschlag. Dann hat der Haftrichter gesagt, dass ich nicht wegen versuchtem Totschlag vor ihm stehe, sondern wegen Totschlag. Das war, ja, für mich erst mal ein sehr großer Schock, weil ich mir ja, also auch von den Verletzungen her, überhaupt nicht vorstellen konnte, dass Peter Deutschmann davon sterben würde. Er hat zwar relativ stark geblutet im Gesichtsbereich, aber ich habe mir gedacht: das sind halt Platzwunden, die bluten im Gesichtsbereich stark, wenn eine Lippe aufplatzt oder so. Und das wird genäht und dann bleiben ein paar kleine Narben zurück und das ist alles. Und dann irgendwie gesagt zu bekommen, dass diese Verletzungen zum Tod eines Menschen geführt haben, von daher waren diese Worte überhaupt erst mal ein Riesenschock für mich, weil ich wusste, jetzt ist mein Leben auch vorbei. Und man denkt als Mensch in solchen Situationen normalerweise erst mal an sich selber und was es für andere bedeutet, für Peter Deutschmann bedeutet, das muss man ja erst mal realisieren. Als 17-Jähriger sind einem so Begriffe wie Tod und Sterben nicht besonders geläufig und keine Dinge, mit denen man sich vorher großartig beschäftigt. Ein wichtiges Merkmal in Ihren Skinhead-Auffassungen war ja die Ausländerfeindlichkeit, Hass auf Ausländer. Und jetzt in der Untersuchungshaft waren Sie der einzige Deutsche unter lauter Ausländern oder unter lauter Einwanderern. Genau. In der ersten Abteilung, wo ich war, da mögen vielleicht einige den deutschen Pass gehabt haben, aber in meinem damaligen Denken waren solche Menschen ja trotzdem Ausländer. Und da war ich tatsächlich der einzige, der keine schwarzen Haare hatte. 5

Haben die Sie gleich identifiziert als Skinhead? Haben die gleich begriffen, wen sie da vor sich haben? Nein, sie haben mich nicht gleich identifiziert als Rechtsradikalen oder wie auch immer. Aber das ist natürlich in Gesprächen schnell klar geworden, mit was für einer Vergangenheit ich ins Gefängnis gekommen bin. Wobei ich sagen muss, dass gerade diese Begegnungen mit den jungen Migranten im Gefängnis, Begegnungen waren, für die ich sehr dankbar bin, weil das die ersten Menschen waren, die mir eine zweite Chance zugebilligt haben. Die gesagt haben: Okay, wir hätten uns wahrscheinlich geprügelt, wenn wir uns draußen begegnet wären. Aber wir sind alle hier, weil wir draußen unsere Fehler gemacht haben. Und was da draußen war, interessiert uns eigentlich nicht. Und wenn du hier drin korrekt zu uns bist, sind wir korrekt zu dir. Dass mir da von Anfang an zugebilligt worden ist, dass ich aus meinen Fehlern lernen kann, dass ich umdenken kann und ein neues Leben anfangen kann. Und da bin ich sehr dankbar für. Letztendlich war es so, dass es vorher für mich undenkbar gewesen wäre, dass ich Freundschaft mit Ausländern schließe. Und das waren letztendlich die besten Freundschaften, die ich hinter Gittern hatte, mit ausländischen Mithäftlingen. Welche Nationalitäten denn? Ach alles Mögliche. Also ich bin auch sehr gut mit Arabern, Türken zurecht gekommen, aber auch Taiwanern und Afrikanern. Hat es relativ schnell Ihr gesamtes Weltbild über den Haufen geworfen oder wie war das? Also ein Stückweit ist mein Weltbild ja sofort zusammengebrochen, schon beim Haftrichter im Prinzip, wo ich in diesem Moment wusste, was ich in meinem bisherigen Lebensweg angerichtet hatte, dass ich auch, wenn ich diesen Weg weitergehen würde, überhaupt keine Zukunftsperspektiven für mich haben würde, und da gesagt habe: so kann und will ich nicht weiterleben. Und dann hatte ich im Gefängnis eine Begegnung mit Ausländern, wo ich sehr schnell gemerkt habe, so dieses rassistische Weltbild, das kann ich nicht aufrechterhalten, dass Menschen unterschiedlich viel wert sind, wertvoll, wertlos. Und das war dann auch der letzte Schritt, wo ich gemerkt habe: das ist endgültig Vergangenheit. Noch mal zurück in die Vorgeschichte. Also, das Wenige, was Sie über Ihre Familie schreiben, hört sich irgendwie gar nicht so schlimm an. Man hat nicht das Gefühl: der kommt jetzt aus einem katastrophalen Elternhaus. Ihre Eltern waren beide schwer behindert, also Ihr Vater war fast blind, Ihre Mutter bekam Multiple Sklerose, als Sie wie alt waren? 6

Ja, im Prinzip als ich ein kleines Kind war. Also sie saß dann schon im Rollstuhl als ich in der Grundschule war. Und waren beide arbeitslos, durch die Situation. Genau. Meine Eltern waren halt sehr mit ihrer eigenen Situation beschäftigt und konnten mir vieles auch nicht geben, was ich gebraucht hätte. Vor allem nach außen hin hab ich mich ständig benachteiligt gefühlt, besonders als ich aufs Gymnasium kam. Wo haben Sie sich benachteiligt gefühlt? Nach außen hin, weil ich mich halt mit Gleichaltrigen verglichen habe, und gerade in der Zeit als ich aufs Gymnasium gekommen bin, gesehen habe, welche Möglichkeiten andere Kinder durch ihre Eltern hatten. Also Sie haben sich total als Loser gefühlt. Jemand, der irgendwie ganz schlechte Karten hat, die falschen Klamotten an, sich nichts leisten kann. So ungefähr. Ja, genau. Ich habe mich für sehr vieles total geschämt. Ihr Hauptproblem war Scham? Ihr Hauptproblem war gar nicht, dass Ihre Eltern schlimm gewesen wären oder so? Ihre Eltern, Sie nennen wenige Dinge, aber irgendwie wirken die eigentlich nett. Also Ihr Vater hat aufopferungsvoll Ihre Mutter gepflegt. Und man hat jetzt nicht das Gefühl, der hatte die schrecklichen Eltern. Ich hatte auch keine schrecklichen Eltern. Das würde ich so nicht sagen. Also, ich habe natürlich die Situation meiner Eltern gesehen, dass meine Eltern es sehr schwer haben, sehr viele Probleme haben, und dass ich ihnen irgendwie nicht zur Last fallen möchte. Und deswegen halt nie gelernt habe, mit meinen Problemen zu meinen Eltern zu kommen. Die Kinder in der Schule haben ständig irgendwie von ihren Eltern geschwärmt, was die irgendwie können und machen und wie toll die sind. Und das konnte ich nicht, weil ich überhaupt nichts Positives mehr sehen konnte, so in meinem Leben, auch im Leben meiner Eltern. Aber was so eigenartig ist, Sie schildern ein paar Sachen, ich muss es sagen, obwohl s mir leid tut, die einen wirklich richtig doll erschrecken, dass Sie in Auseinandersetzungen Ihren Vater als Versager und Ihre Mutter als Krüppel beschimpft haben. Und da hat man das Gefühl, der Junge schämt sich für Sachen, 7

für die man sich nicht schämen muss, nämlich dass die Eltern zum Beispiel schwer behindert sind. Und für Sachen, wo man sich wahnsinnig schämen muss, sich so zu verhalten, ist er bar jeder Selbstkritik. Also irgendwie haben Sie ja auch als Kind schon eine bestimmte Einstellung gehabt. Ja, ich habe da so ein total verdrehtes Wertesystem gehabt. Also, ich hätte da schon Erwachsene gebraucht, die mit mir darüber gesprochen hätten, die mich in meiner Situation gesehen hätten. Und ich war halt völlig verzweifelt und habe scheinbar Lösungen ergriffen, die sich dann als wirklich fatal rausgestellt haben. Nämlich, dass Sie sich dann in der rechten Szene entwickelten. Ja, genau. Wobei die rechte Szene für mich erst mal was war, wo ich gedacht habe: es ist was Gutes, endlich wieder Anschluss zu haben und auch Leute zu haben, die mich ermutigen, meine Schule weiterzumachen, wo ich ja vorher überhaupt keinen Sinn drin gesehen hab, weil ich nicht gesehen habe, dass mir das irgendwelche Perspektiven bietet, immer nur gesehen habe: jetzt muss ich noch 7 Jahre lang mit den Leuten zur Schule gehen, wo ich mich jeden Tag irgendwie benachteiligt sehe. Und dann einfach die Motivation bekommen habe, so durch die Szene, zu sagen: ja, wir brauchen gut ausgebildete Leute, die Führungspositionen einnehmen können und es ist wichtig, wenn du deinen Abschluss machst. Und dadurch dann eben die Motivation zu nehmen und auch überhaupt wieder irgendwo Anschluss zu haben, Leute zu haben, die mir Wert geben. Dass die Leute mir gesagt haben, ich brauche mich nicht schämen, sondern ich kann stolz sein. Ich bin stolz ein Deutscher zu sein. Genau. Das ist auch eigentlich ein blöder Satz, weil das ja nicht meinen Wert als Menschen ausmachte, dass ich einen deutschen Pass hatte. Aber es war halt, nachdem ich mich jahrelang nur geschämt habe, war es für mich ein Ausweg aus dieser Scham und ein Ausweg, den ich sehr dankbar angenommen habe, und wo ich diesen Stolz in mich aufgesogen habe. Aber es ist natürlich so, wenn man darüber redet, wie das alles war, kriegt es fast automatisch so eine Färbung von: entschuldigen was dann passiert ist. Es kriegt fast automatisch eine Schräglage. Wie vermeiden Sie das eigentlich? Wie gehen Sie damit um? Sie erzählen hier und ich kann das alles gut nachvollziehen und dann denke ich: ja, und dieser arme Peter Deutschmann ist mit 44 tot. Und dann später hat sich auch noch rausgestellt, er hat auch eine Tochter und die hat ihren Vater verloren. Also es ist ja so, auch wenn ich die Sachen erzähle, das kann ja nichts entschuldigen. Das kann s ja nicht leisten. 8

Ich find s für mich selber aber auch sehr wichtig, und auch für andere, dass es ein Stückweit erklärbar wird, denn irgendwie muss es ja erklärbar sein und muss es auch für mich erklärbar sein. Das ist ja auch ein Punkt, der die Wiederholungsgefahr vermeidet, dass ich weiß, warum es damals so passiert ist, was in mir passiert ist, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe. Das soll nichts entschuldigen. Aber auf der anderen Seite kann ich jetzt auch nicht sagen: die Tat ist passiert einfach nur deswegen, weil ich ein böser Mensch war. So einfach ist es nämlich auch nicht. Wenn man in einem Umfeld lebt, wo das normal ist, dann merkt man selber auch nicht, dass das eigene Verhalten eben nicht normal ist, sondern gerade Das war im Gefängnis auch weiter normal? Ja, gerade. Also, Sie schreiben an einer Stelle, Sie haben im Gefängnis mehr Leute verprügelt als vorher draußen. Genau. Also gerade im Gefängnis war es so, dass ich mich dem überhaupt nicht entziehen konnte. Ich meine es war halt so, dass gerade im Gefängnis das Leben unter den Insassen nach ganz klaren Regeln abgelaufen ist. Und die waren gewalttätig. Und letztendlich war s dann ja erst der Punkt, dass ich Gott begegnet bin und diese Begegnung mit Gott mein Leben wirklich so verändert hat, dass ich gesehen habe, dass ich auch anders werden kann und anders denken, anders handeln kann. Sie sind viel in Gottesdienste gegangen im Gefängnis, haben dann da auch schon ein bisschen mitgeholfen. Es gab Christen, die Gefangene besuchten. Das waren alles wahrscheinlich schon wichtige Begegnungen, wo Sie mal für Leute nicht der letzte Dreck waren. Ja. Und dann, wie kam denn dieser Moment, wo Sie sagen, Sie sind Gott begegnet? Wie war das denn oder wie sieht das aus, Gott begegnen? Ich habe ja im Gefängnis diese Gewalt auch weiter gelebt, weil ich keinen Ausweg gesehen habe und gleichzeitig mich irgendwie nach was gesehnt, wo s möglich ist, anders zu leben. Und im Prinzip, Außenkontakte gibt es ja so gut wie keine, wenn man im geschlossenen Vollzug sitzt, im Prinzip waren die Gottesdienste immer die einzigen Momente, wo ein Fenster in eine schönere Welt aufgegangen ist. Wo auch in den Predigten ein anderer Umgang miteinander thematisiert worden ist, wo auch von einem Gott gesprochen wurde, der Menschen nicht auf ihre Schuld festlegt, sondern einen Neubeginn ermöglicht. 9

Das waren immer Sachen, die ich mir gewünscht habe. Auf der anderen Seite habe ich natürlich auch die Bibel gelesen und gemerkt: Gott stellt aber auch Forderungen an mich und so wie ich lebe, tue ich sehr viele Dinge, die Gott eben nicht gut findet. Und deswegen war ich immer im Zwiespalt, zum einen mir das zu wünschen und auf der anderen Seite zu wissen, ich bin da total weit weg von und es muss sich eigentlich sehr viel ändern, um dahin kommen zu können. Und ich muss eigentlich sehr viel ändern. Und dann hatte ich auch diese Angst, dass ich das in diesem Umfeld nicht ändern kann, weil, wenn ich hier drin auf Gewalt verzichte, bin ich das Opfer. Das wollte ich nicht sein. Und habe deswegen lange Zeit im Gefängnis auf der einen Seite Gott gesucht, mich mit dem Thema Glauben beschäftigt und auf der anderen Seite gesagt: das ist was für den späteren Lebensabschnitt Leider muss ich weiterhin zuschlagen. Ja. Ja. Im Prinzip war das leider so. Und dann war ich an so einem Punkt, als 20-Jähriger, dass mir schon gesagt wurde, ich kann nicht mehr in die Gesellschaft entlassen werden, weil ich zu gefährlich bin. Das kann niemandem zugemutet werden. Und im Prinzip wär s das Beste für die Gesellschaft, wenn ich Sicherungsverwahrung kriegen würde. Und das war natürlich ein Punkt, wo ich gemerkt habe: ich bin jetzt an einer Stelle in meinem Leben, wo ich mir sehnlichst ein anderes Leben wünsche, wo ich aber durch mein eigenes Verhalten dieses andere Leben unerreichbar für mich mache. Ich selber komme hier nicht raus, also kann nichts dafür tun. Die Leute, die mich raus lassen könnten, die werden alles tun um das zu verhindern, weil sie das für zu gefährlich halten. Und im Prinzip ist meine Situation jetzt festgefahren. Und das war eine Situation, wo ich wusste: ich kann mir nicht mehr helfen. Und wo ich dann in den Gottesdienst gegangen bin und in der Predigt für mich gemerkt habe, mit den Worten, die der Pastor gesprochen hat, spricht noch irgendjemand anderes zu mir, spricht eigentlich Gott zu mir. Und in dieser Situation zu merken: irgendwie findet Gott einen Weg, in mich reinzusprechen, wo kein anderer mich mehr erreichen konnte. Es gab ja genug Leute, die gesagt haben: Du musst Dinge in deinem Leben ändern und das hat alles nichts gebracht. Und dann zu merken: da spricht jemand durch meine ganzen Barrieren durch und er spricht mich darauf an, dass mein Leben anders werden muss, aber er bietet mir halt auch, ja, das Angebot, dass er bereit ist, mein Leben neu zu machen. Und das war was, wo ich gemerkt habe: ich bin an dem Punkt, wo sich was ändern muss und ich sehe jetzt auch zum ersten Mal, dass jemand mir dabei hilft und dass dieser Jemand auch die Macht hat, mir zu helfen und Dinge zu verändern und auch mich zu verändern. Und hat sich nach diesem Erlebnis wirklich was geändert, spürbar? 10

Das war für mich wirklich eine spürbare Erfahrung. Ich habe dann auch gebetet. Ich habe zum einen gebetet, dass mir meine Schuld vergeben wird und habe körperlich gemerkt, wie eine Last von mir genommen wird. Ich glaube, es hat sich auch viel in meiner Ausstrahlung geändert. Ich habe eine Erfahrung gemacht, die mich wirklich so intensiv verändert hat, dass ich das ausgestrahlt habe. Also ich war vorher so, wie man sich so einen Häftling irgendwie vorstellt: ziemlich kalt, ziemlich muskulös, sehr aggressiv. Und ich hätte nie, nie gelächelt, weil das hat nicht zu meinem Selbstbild gepasst. Es wäre für mich eher ein Zeichen von Schwäche gewesen oder so. Und ich habe was erfahren, das mich einfach glücklich gemacht hat, das hat mich tatsächlich glücklich gemacht, diese Erfahrung mit Gott. Ich habe eine Freude auf einmal in meinem Leben gehabt, die ich auch ausgestrahlt habe. Und ich habe das nicht mehr nötig gehabt, so aggressiv gegenüber anderen aufzutreten, sondern bin Leuten mit einem Lächeln begegnet. Und das ist auch mal so eine Sache mit agieren und reagieren. Wie man in den Wald hineinruft. Genau. Ich bin danach gar nicht mehr in Situationen gekommen, wo Leute mich jetzt irgendwie angegriffen hätten oder sowas. Und ich bin auch in Gesprächen mit Vollzugsbediensteten anders wahrgenommen worden, einfach weil die auch gesehen haben: da ist jetzt nicht mehr nur die harte Schale, da ist doch irgendwie was anderes, er lässt auch ein bisschen sein Menschsein erkennen. Das konnte ja letztendlich keiner leugnen, dass ich mich dauerhaft anders verhalten habe. Sie sind dann etwas eher rausgekommen, ich glaube, zwei Monate hat man Ihnen erlassen. Was eine Sensation ist, angesichts dessen, wie unterirdisch Ihr Image im Gefängnis war. Und dann haben Sie sich einer Baptistengemeinde angeschlossen. Also, Sie waren erst in so einem sozial-pädagogischen Projekt, wo Sie ein bisschen betreut waren, Gott sein Dank, und Unterstützung hatten. Und wieso die Baptisten eigentlich? Ja, da kann man jetzt auch wieder sagen: es war Zufall. Ich sage: es war Gottes Führung. Ich habe schon beim ersten Mal, als ich diese Gemeinde zum Gottesdienst besucht habe, gemerkt das ist wirklich ein Ort, der mir guttut, da sind Menschen, die mir guttun. Und ich habe, als ich angesprochen worden bin, wo ich denn herkomme, wo ich zuletzt gelebt habe, habe ich gesagt wo ich herkomme und die Reaktion war nicht, dass die Leute zurückgewichen sind und gesagt haben Jetzt müssen wir erst mal ein bisschen aufpassen hier, sondern die Reaktion war die: Was können wir für dich tun, damit du dich hier wohlfühlst? Was brauchst du in deinem Leben? Wir wollen für dich da sein. Und das hat mir sehr gut getan, von Anfang an war da nicht nur irgendwie: da ist jemand, um den wir uns kümmern müssen, weil der es gerade schwer hat. Von 11

Anfang war da auch diese Sichtweise auf mich: da ist jemand, der ist auch begabt, der hat selber was, was er einbringen kann. Und sehr schnell auch dieses Vertrauen, die Förderung da mitzuarbeiten. Das ist ein Bereich, für den ich sehr dankbar bin. Also vorher war die Erfahrung ja, dass mir immer gesagt wurde, andere Menschen müssen vor mir geschützt werden. Und in der Gemeinde war s dann so, dass junge Mütter auf mich zukamen und gefragt haben, ob ich ihre Kinder im Kindergottesdienst betreuen möchte. Also die schützenswertesten und kostbarsten Dinge, die Mütter haben, haben sie in meine Hände vertraut. Und ich habe Gleichaltrige gefunden, mit denen ich Freundschaften geschlossen habe. Und, ja, war da wirklich Zuhause. Ja. Wir sind am Ende unseres Gesprächs, Johannes Kneifel. In Ihrem Buch kann man auch über den langen Weg lesen, den Sie nach dem Gefängnis gegangen sind, das ist ja jetzt auch schon wieder 8 Jahre her, und an wie vielen Stellen Sie sich noch mal neu entscheiden mussten, nicht in die alten Fehler zurück zu verfallen, das kann man da alles nachlesen. Dieses Buch ist sehr lesenswert, es heißt Vom Saulus zum Paulus Skinhead, Gewalttäter, Pastor meine drei Leben, Pastor werden Sie ja erst. Es ist im Wunderlich-Verlag bei Rowohlt erschienen und kostet 18,95 Euro. Herzlichen Dank, Johannes Kneifel. Am Mikrofon verabschiedet sich Almut Engelien. Buchhinweis: Johannes Kneifel Vom Saulus zum Paulus Skinhead, Gewalttäter, Pastor meine drei Leben Wunderlich-Verlag, Rowohlt 2012, 18,95 Euro. 12