Arterielle Hypertonie

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Transkript:

Reihe, KARDIOLOGIE REF.-R. Arterielle Hypertonie Empfohlen von der Deutschen Hochdruckliga / Deutsche Hypertonie Gesellschaft Bearbeitet von Prof. Dr. med. Martin Middeke 1. Auflage 2004. Buch. 252 S. Hardcover ISBN 978 3 13 126521 0 Format (B x L): 19,5 x 27 cm Weitere Fachgebiete > Medizin > Klinische und Innere Medizin > Kardiologie, Angiologie, Phlebologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

Praxis- und Klinikmessung 27 Praxis- und Klinikmessung Das Wichtigste in Kürze Der große Vorteil der konventionellen Gelegenheitsblutdruckmessung (GBDM) in der Praxis liegt in der Tatsache, dass unsere Kenntnisse über das Risiko der Hypertonie und die Risikoreduktion auf den Daten der großen epidemiologischen Studien, und der sehr erfolgreichen Therapiestudien basieren, die zum größten Teil mit der GBDM durchgeführt wurden. Die alten und neuen Definitionen und Klassifikationen beziehen sich auf die GBDM. Die konventionelle Messung durch den Arzt persönlich ist nach wie vor eine sehr wichtige und bedeutende ärztliche Tätigkeit, und ist für die Arzt-Patienten Kommunikation und Interaktion sehr förderlich. Die alleinige Praxismessung hat allerdings auch viele Limitationen, und ist für eine optimale und individuelle Therapie heute nicht mehr ausreichend. Die konventionelle Messung in Klinik und Praxis wird heute als so genannte Gelegenheitsblutdruckmessung (GBDM) bezeichnet, um sie klar von der ABDM (Ambulante Blutdruck-Langzeitmessung) und der Selbstmessung sowie anderen Messverfahren abzugrenzen. Die GBDM ist nach wie vor das wichtigste Verfahren für ein Hypertonie-Screening. Die Blutdruckmessung sollte möglichst bei vielen Arztkontakten, und nicht nur beim Hausarzt und Hausinternisten, sondern auch bei Spezialisten und Ärzten anderer Fachgebiete, wie z. B. Gynäkologen durchgeführt werden, um bei möglichst vielen Patienten frühzeitig eine Hypertonie aufzudecken. Vorteile der Gelegenheitsblutdruckmessung Die großen epidemiologischen Studien wurden ebenso wie die Therapiestudien mit der konventionellen Messung durchgeführt. Unsere Kenntnisse über das Risiko der Hypertonie und die Daten zur erfolgreichen Risikominderung durch eine antihypertensive Therapie basie- ren vorwiegend auf der konventionellen Messung. Darüber hinaus sind die lange Erfahrung mit Normwerten sowie die breite und einfache Anwendung die wichtigsten Vorteile der GBDM. Nachteile der Gelegenheitsblutdruckmessung Nachteilig ist allerdings, dass im Einzelfall die Aussagekraft des Sprechstundenblutdrucks durch einen nicht abschätzbaren Blutdruckanstieg in Gegenwart des Arztes bzw. durch die Situation in der Praxis oder Klinik (so genannter Weißkittel- oder Praxiseffekt), und durch die ausgeprägte spontane Variabilität des Blutdrucks belastet ist (1, 2, 4). Diese Faktoren können sich in der Betreuung des einzelnen Patienten auswirken, aber auch in wissenschaftlichen Untersuchungen eine Rolle spielen, wenn die konventionelle Messung für epidemiologische Untersuchungen, wie in dem aktuellen Ländervergleich zur Prävalenz der Hypertonie (Kapitel 1) nicht optimal eingesetzt wird: in Deutschland wurden im Rahmen des Bundes-Gesundheits-Surveys 1997/98 drei Messungen an nur einem Tag durchgeführt, wobei der Mittelwert aus zweiten und dritten Messung als Datenbasis für Prävalenzangaben dienten (3). Die Prävalenzdaten aus USA und Kanada basieren dagegen auf insgesamt sechs bzw. vier Messungen an zwei verschiedenen Tagen (6). Die höhere Anzahl der Messungen und die Berücksichtigung der Blutdruckwerte von zwei Tagen führt automatisch zu einem niedrigeren Blutdruckmittelwert und erklärt damit die niedrigere Prävalenz der Hypertonie in Nordamerika So erklärt sich auch die Robustheit und Sicherheit der Blutdruck-Langzeitmessung (ABDM) vor allen Dingen aus der hohen Messdichte (ca. 60 70 Messungen über 24 Stunden). Ein weiterer wesentlicher Nachteil der GBDM ist die fehlende Aussage zum Tag/Nacht-Profil des Blutdrucks, zum nächtlichen Blutdruck und zum morgendlichen Blutdruckanstieg. Ein ganz wesentlicher Aspekt für die Praxis, aber auch bei der Bewertung von Therapiestudien, ist die Unterschätzung der antihypertensiven Wirkung im Vergleich zur ABDM (2, 4). Die GBDM ist darüber hinaus bei der Kontrolle der antihypertensiven Therapie durch Blutdruck-Screening konventionelle Messung, Gelegenheitsblutdruckmessung Praxishypertonie ca. 25% Kontrolle Normalwerte <135/85 TMW <130/80 24 MW <120/75 NMW <140/90 normoton Selbstmessung >140/90 hyperton? >135/85 <135/85 ABDM hyperton? >135/85 >130/80 >120/75 Manifeste Hypertonie ca. 75% normoton Abb. 4.5 Konventionelle Gelegenheitsblutdruckmessung in der Praxis (GBDM), Blutdruck-Selbstmessung durch den Patienten, und ambulante Blutdruck-Langzeitmessung (ABDM) in der Diagnostik der manifesten Hypertonie (beachte niedrigere Normalwerte für die Selbstmessung und die ABDM) (TMW = Tagesmittelwert; 24 MW = 24-Stunden-Mittelwert; NMW = Nachtmittelwert).

28 4 Blutdruckmessung eine bestimmte Erwartungshaltung des Untersuchers bei der Praxismessung (expectation bias) behaftet, die zur Verfälschung der Blutdruckwerte führen kann (1). Praktische Durchführung der Gelegenheitsblutdruckmessung Die Verwendung automatischer Blutdruckmessgeräte mit digitaler Anzeige und Ausdruck der Werte führt zur Reduzierung der subjektiven Fehlerquelle bei der GBDM. Die GBDM sollte möglichst standardisiert in der Praxis durchgeführt werden, wobei mindestens drei Blutdruckwerte im Abstand von 1 2 Minuten nach einer Ruhephase von 5 Minuten gemessen werden sollten. Auf die richtige Manschettenlage, die Manschettengröße, die Bestimmung des diastolischen Blutdrucks beim vollständigen Verschwinden der Korotkowgeräusche (Phase 5), sowie die Vermeidung der Endziffernpräferenz (Auf- oder Abrunden auf Null oder Fünf) ist bei der auskultatorischen Methode zu achten (s. S. 22: Blutdruckmessung). Aufgrund der ausgeprägten situativen und periodischen Schwankungen des Blutdrucks ist eine zuverlässige Einschätzung allein aufgrund der Gelegenheitsmessung in der Praxis problematisch. Es sollten möglichst zusätzliche Informationen durch die Selbstmessung und falls möglich die ABDM herangezogen werden. Literatur 1. Middeke M, Klüglich M, Jahn M, Beck B, Holzgreve H. Praxishypertonie oder permanente Hypertonie? MMW 1990; 132: 768 771. 2. Pickering ThG, Gerin W, Schwartz AR. What is the whitecoat effect and how should it be measured? Blood Press Monit. 2002; 7: 293 300. 3. Thamm M. Blood pressure in Germany: current status and trends. Gesundheitswesen 1999; 61 Spec No: S90 S93. 4. Verdecchia P, Schillaci G, Borgioni C et al. White coat hypertension and white coat effect. Similarities and differences. Am J Hypertens. 1995; 8: 790 798. 5. Weber F. Prävalenzdaten nicht vergleichbar. MMW-Fortschr. Med. 2003; 145: 16. 6. Wolf-Maier K, Cooper R, Banegas JR, et al. Hypertension Prevalence and Blood Pressure Levels in 6 European Countries, Canada, and the United States. JAMA 2003; 289: 2363 2369. Ambulante Blutdruck- Langzeitmessung Das Wichtigste in Kürze Die ambulante Blutdruck Langzeitmessung (ABDM) über 24 Stunden hat längst Einzug in den klinischen Alltag gehalten und ist ein sehr wichtiges Instrument für die Diagnostik und Behandlung der Hypertonie. Durch die relativ hohe Messdichte von ca. 70 Messungen über 24 Stunden steigt die Sicherheit bei der Bewertung des wahren Blutdruckniveaus im Vergleich zu Einzelmessungen drastisch an. Mit der ABDM können unter anderem erfasst werden: die durchschnittliche Blutdruckhöhe, Blutdruckschwankungen und Blutdruckvariabilität, Blutdruckanstiege, die nur in klinischer Umgebung auftreten (z. B. Praxishypertonie); Fehlen oder Verminderung des normalen Blutdruckabfalls in der Nacht; Blutdruckanstiege, z. B. am Morgen, oder außergewöhnliche Blutdruckabfälle. Anhand der ABDM sind Wirkdauer und Wirkstärke eines Antihypertensivums unter Berücksichtigung der Dosierungsintervalle besser zu erfassen, intermittierende hypertone oder hypotone Phasen unter Therapie sind erstmalig dokumentierbar. Eine Optimierung von Dosis und Dosierungsintervallen ist nur mittels ABDM individuell lösbar. Die ABDM ist allen anderen Messverfahren, wie der Gelegenheitsmessung in Klinik und Praxis, der Blutdruckmessung unter standardisierter Belastung und der Selbstmessung durch den Patienten überlegen (12, 14). Die Darstellung der einzelnen Blutdruckwerte über 24 Stunden verdeutlicht, wie ausgeprägt die individuelle Schwankungsbreite des Blutdrucks über 24 Stunden bereits bei Normotonikern sein kann, und wie viel mehr noch bei (unbehandelten) Patienten mit primärer Hypertonie (Abb. 4.6a, b). Die ausgeprägten (chaotischen) Blutdruckschwankungen innerhalb des 24- Stunden-Zyklus zeigen zwar im Mittel nach Auswertung mit der Rhythmusanalyse (geglättete Kurve [18]) einen Tag/Nacht-Rhythmus, lassen aber im individuellen Fall eine adäquate Beurteilung nur mittels ABDM zu. Die Abbildung verdeutlicht die große Bedeutung der ABDM für die Diagnostik und Therapiekontrolle sehr anschaulich, da nur mittels ABDM die Tageszeit und der Tag/Nacht-Rhythmus adäquat berücksichtigt werden kann. Methodik Die Messung erfolgt mit automatisch messenden und registrierenden Geräten. Dabei sind in den letzten Jahren große Fortschritte hinsichtlich Größe der Geräte (ca. 250 400 g) und Dämpfung der Pumpgeräusche gemacht worden. Die Akzeptanz der Langzeitmessung ist inzwischen gut bis sehr gut. Die Geräte können in frei

Ambulante Blutdruck-Langzeitmessung 29 Abb. 4.6a, b Originalausdrucke der individuellen Blutdruckkurven (systolischer BD) und der geglätteten Mittelkurve (18) von 20 normotensiven Personen und 40 unbehandelten Patienten mit primärer Hypertonie (Middeke und Lemmer). a b programmierbaren Abständen den Blutdruck über 24 Stunden und länger messen. Der Blutdruck wird entsprechend der Gelegenheitsmessung am Oberarm indirekt gemessen. Die erste Messung sollte in der Klinik/Praxis erfolgen, um die Richtigkeit der Messung zu überprüfen und den Patienten zu instruieren, wie er sich bei der Messung zu verhalten hat: der Arm muss während der Messung ruhig und locker am Körper herabhängen (Abb. 4.7). In der Regel wird am nicht dominanten Arm gemessen falls keine signifikante Seitendifferenz vorliegt. Diese sollte bei jedem neuen Patienten mit der konventionellen Messung zuvor ausgeschlossen werden. Wichtig ist auch für die ABDM die Auswahl der richtigen Manschettengröße. Die meisten Fehlmessungen treten aufgrund von Armbewegungen während der Messung auf. Das Gerät wird dann automatisch nach ein bis drei Minuten eine erneute Messung durchführen. Wird also sehr häufig nachgemessen, weiß der Patient, dass er die Messbedingungen nicht optimal eingehalten hat. Die Manschette sollte fest sitzen und evtl. vom Patienten wieder richtig fixiert werden. Das Gerät sollte natürlich in der Nacht nicht ausgeschaltet werden. Häufig treten Fehlmessungen bei Vorhofflimmern auf. Hier ist die Messung nur sinnvoll, wenn mehrere Messungen zunächst in der Klinik/Praxis zeigen, dass eine korrekte Messung erfolgt. Dies ist evtl. auch mit einem konventionellen Gerät simultan zu überprüfen. Die ABDM erfolgt entweder auskultatorisch (mittels eines in die Manschette eingebauten Mikrophons), oszillometrisch oder wahlweise mit beiden Verfahren, um die Messgenauigkeit zu erhöhen. Die Artefaktrate moderner Geräte sollte nur noch bei maximal 5 % liegen. Die Geräte arbeiten inzwischen so gedämpft, dass die Umgebung des Patienten die Pumpgeräusche nicht wahrnimmt. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um auch unter Alltagsbedingungen die ABDM durchführen

30 4 Blutdruckmessung eine automatische Druckanpassung ist obligat, keine Pumpgeräusche, Artefaktrate der Messungen maximal 5 %, mindestens vier Auswertphasen pro 24 Stunden (tags, nachts, frühmorgens und 24-Stunden) sowie im Computerausdruck sollte die Anzahl der gemessenen bzw. ausgewerteten Blutdruckwerte angegeben, die Ergebnisse in einem individuellen Befundbericht zusammengefasst sein. Auswertung Abb. 4.7 ABDM-Gerät an einer Patientin. zu können, und die Störung während der Schlafphase zu minimieren. Die Rate der signifikanten Schlafstörungen liegt bei maximal 10 % der Patienten. Auch der nächtliche Blutdruck kann mittels ABDM zuverlässig erfasst werden. Die Messung selbst führt zu keiner Alarmreaktion und keinem Blutdruckanstieg in der Nacht. Der Schlaf kann zwar durch die Messung häufiger kurzfristig gestört werden, dies führt nicht zu einem signifikanten Blutdruckanstieg oder zu einer nächtlichen Hypertonie (10). Die Messungen werden tagsüber (07.00 bis 22.00 Uhr) alle 15 Minuten und nachts (22.00 bis 07.00 Uhr) alle 30 Minuten durchgeführt (5, 11). Die Geräte lassen sich entsprechend programmieren. Bei Schichtarbeit oder in anderen Ausnahmesituationen sind die Geräte individuell zu programmieren. Bei speziellen Fragestellungen kann ein drittes Messintervall (z. B. frühmorgens) sinnvoll sein, um einen überschießenden morgendlichen Blutdruckanstieg erfassen und therapeutisch beeinflussen zu können. Bei den meisten Geräten können über eine Datenanzeige auf dem Rekorder nach jeder Messung der systolische und diastolische Blutdruck sowie die Pulsfrequenz abgelesen werden. Es empfiehlt sich, die Anzeige auszuschalten, um die Rückmeldung an den Patienten zu unterbinden, und somit unnötige Angstreaktionen zu verhindern. Die Daten werden zusätzlich in einem Festspeicher aufgezeichnet. Die Auswertung kann direkt nach Beendigung der Messung innerhalb von Minuten erfolgen. Es werden die Mittelwerte und Standardabweichungen (über 24 Stunden, am Tag und in der Nacht) von Blutdruck und Pulsfrequenz errechnet und ein graphisches Blutdruck- und Pulsprofil erstellt. Die Anforderungen an ein ABDM-Gerät sind folgende: Mindestens drei verschiedene Manschettengrößen sollten verfügbar sein, eine effektive Manschettenfixation am Oberarm ist wünschenswert, Die Auswertung berücksichtigt zunächst den durchschnittlichen Blutdruck am Tage, nachts und über 24 Stunden. Die Normalwerte liegen deutlich niedriger als bei der konventionellen Messung. Als obere Normgrenze für den Tagesmittelwert gilt 135/85 mmhg (Tab. 4.3). Das entspricht einem Gelegenheitsblutdruck von 140/90 mmhg. Für den 24-Stunden-Mittelwert gilt ein Wert von 130/80 mmhg als obere Normgrenze; da normalerweise systolischer und diastolischer Blutdruck um ca. 10 15 mmhg in der Nacht abfallen, ergibt sich entsprechend ein oberer Nachtmittelwert von 120/75 mmhg (5, 7, 8). Bei bettlägerigen Patienten bzw. bei vollständiger Inaktivität während des Messzeitraums ist der Blutdruck erwartungsgemäß niedriger als unter normalen Alltagsbedingungen. Anhand des Tagesmittelwerts wird zunächst die Entscheidung getroffen, ob es sich um eine manifeste Hypertonie handelt, oder ob der Blutdruck normal ist. Der Schweregrad der Hypertonie kann ebenfalls anhand des Tagesmittelwertes bestimmt werden entsprechend den Grenzen für die konventionelle Messung (Tab. 4.3). Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese abgeleiteten Blutdruckbereiche ebenfalls deutlich unter den Praxiswerten liegen. Die schwere Hypertonie beginnt in der ABDM z. B. bereits bei einem diastolischen Tagesmittelwert unter 96 mm- Hg und einem systolischen Wert von 157 mmhg. Die Auswertung nach der Häufigkeit (Prozentwerte) erhöhter Werte (> 140/90 mmhg) ist problematisch, weil es hierfür keine akzeptierten Normwerte gibt. Man geht davon aus, dass bei ca. 25 30 % erhöhter Werte über 24 Stunden eine manifeste Hypertonie vorliegt. Dabei ist zu bedenken, dass die Beziehung zwischen der Blutdruckhöhe und den Prozentwerten nicht linear ist (1); so führt eine gleich große Blutdruckverände- Tabelle 4.3 Normalwerte und Schweregrade für die 24-Stunden-Blutdruckmessung Normalwerte Tagesmittelwert: < 135/85 mmhg Nachtmittelwert: < 120/75 mmhg 24h-Mittelwert: < 130/80 mmhg Schweregrade 1 Leichte Hypertonie: 135 146/85 89 mmhg 2 Mittelschwere Hypertonie: 147 156/90 95 mmhg 3 Schwere Hypertonie: > 157/> 96 mmhg

Ambulante Blutdruck-Langzeitmessung 31 Anteil von Messwerten > 90 mmhg a 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 55 65 75 85 95 105 115 125 Diastolischer Standardblutdruck (mmhg) Es sollte unbedingt ein Protokoll vom Patienten erstellt werden, um bei Blutdruckspitzen, starkem Abfall oder nächtlichem Anstieg eine entsprechende Zuordnung vornehmen zu können (Abb. 4.9). Neben der computertechnischen Auswertung ist eine schriftliche, individuelle Beurteilung des Untersuchungsergebnisses durch den untersuchenden Arzt obligat. In einem Befundbericht sollten die wichtigsten Messdaten erfasst werden. Auffälligkeiten des zirkadianen Blutdruckrhythmus, wie fehlende oder zu starke nächtliche Absenkung, ein sehr steiler morgendlicher Blutdruckanstieg, sowie eine postprandiale Hypotension, sind zu vermerken. Hieraus ergeben sich evtl. diagnostische und therapeutische Empfehlungen, die auch dem Patienten erläutert werden müssen (Abb. 4.10). 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 85 105 125 145 165 185 205 b Systolischer Standardblutdruck (mmhg) Anteil von Messwerten > 140 mmhg Abb. 4.8a, b Beziehung zwischen dem Anteil hypertoner Einzelwerte (> 140 bzw. > 90 mmhg) am Tage aus der ABDM und der Standardblutdruckhöhe nach Klinikmessung (GBDM), nach (1). rung in Abhängigkeit von der Blutdruckhöhe zu verschiedenen Änderungen der Prozentwerte (Abb. 4.8a, b). Völlig überflüssig für den klinischen Alltag sind die Histogramme, die die Verteilung verschiedener Blutdruckkategorien darstellen. Die Sichtauswertung des Blutdruckprofils ist sehr wichtig, um zu entscheiden, ob ein normaler Tag- Nacht-Rhythmus vorliegt oder ob dieser Rhythmus gestört bzw. aufgehoben ist. Hiervon betroffen sind Patienten mit verschiedenen Erkrankungen (s. u.). Der normale nächtliche Blutdruckabfall beträgt ca. 10 15 % systolisch und 15 20 % diastolisch. Sehr hilfreich für die Sichtauswertung sind Geräte, die eine automatische Markierung der Nachtruhephase im Blutdruckprofil ermöglichen, wenn der Patient die Zeiten des Zubettgehens und Aufstehens mit einer entsprechenden Taste eingegeben hat. Zur Beurteilung der ABDM sind mindestens 60 auswertbare Messungen pro 24 Stunden notwendig. Damit wird abhängig von der Quote fehlerhafter Messungen eine höhere Zahl von automatischen Messungen erforderlich. Indikationen Die ABDM ist vor Beginn einer Therapie immer dann indiziert, wenn Unsicherheit darüber herrscht, ob tatsächlich eine manifeste Hypertonie vorliegt. Dies gilt insbesondere bei einem Missverhältnis zwischen der Höhe des Gelegenheitsblutdrucks (GBDM) in der Klinik oder Praxis und dem Vorhandensein oder Fehlen von typischen hypertensiven Organschäden (Tab. 4.4). Typische Beispiele hierfür sind die Praxishypertonie (ca. 25 % der vermeintlichen Hypertoniker) und die Praxisnormotonie (Kapitel 5). Des Weiteren ist die ABDM angezeigt, wenn bei korrekter Technik Unterschiede zwischen den Blutdruckwerten bei der Selbstmessung des Patienten und der GBDM systolisch 20 mmhg und diastolisch 10 mmhg reproduzierbar überschreiten. Bei Verdacht auf nächtliche Hypertonie bzw. mangelnde nächtliche Blutdruckabsenkung kann nur die ABDM zur Klärung führen. Die Prävalenz eines teilweise oder ganz aufgehobenen Tag-Nacht-Rhythmus bei unterschiedlichen Formen der sekundären Hypertonie beträgt ca. 75 %. Hier sind insbesondere die renalen und endokrinen Hochdruckformen zu nennen. Insgesamt sind hypertensive Diabetiker das größte Kollektiv mit gestörtem zirkadianen Blutdruckrhythmus. Eine Reihe weiterer Erkrankungen kann zu mit einem gestörten zirkadianen Blutdruckrhythmus und einer nächtlichen Hypertonie führen (Tab. 4.5). Die ABDM ist weiterhin indiziert, wenn nach krisenhaften Blutdrucksteigerungen gefahndet werden muss. Auch bei Verdacht auf eine zu starke nächtliche Blutdrucksenkung mit der Gefahr für (stumme) zerebrale und kardiale Ischämien, ist die ABDM indiziert. Besonders geeignet ist die ABDM zur Überprüfung des Therapieerfolgs. Eine mittels ABDM gefundene deutliche Senkung des Blutdrucks ist fast immer als Therapieeffekt zu werten, während bei der GBDM so genannte Pseudo-Placeboeffekte auftreten können. Bei der langfristigen Therapiekontrolle (> 5 Jahre) ist die ABDM der GBDM hinsichtlich der Verhinderung hypertoniebedingter Organschäden signifikant überlegen (6). Mit der ABDM ist auch eine Aussage über das Wirkprofil von Arzneimitteln möglich. Die Langzeitmes-

32 4 Blutdruckmessung Tagebuch zur 24-Stunden-Messung Abb. 4.9 Patientenprotokoll für die ABDM. Name: Vorname: Datum: Bitte füllen Sie dieses Protokoll während des Messung aus. Es ist für die Bewertung der Messergebnisse wichtig Tragen Sie in möglichst vielen der nachstehenden 1/2 Stunden stichwortartig die Tätigkeiten während der darin erfolgten Blutdruckmessungen ein. Für die mit 1 10 gekennzeichneten Tätigkeiten genügt es, die entsprechenden Ziffern einzutragen. 1 Messung in der Praxis 2 Hausarbeit (welche?) 3 Fernsehen 4 körperliche Betätigung (welche?) 5 (spazieren)gehen 08.00 08.30 08.30 09.00 09.00 09.30 09.30 10.00 10.00 10.30 10.30 11.00 11.00 11.30 11.30 12.00 12.00 12.30 12.30 13.00 13.00 13.30 13.30 14.00 14.00 14.30 14.30 15.00 15.00 15.30 15.30 16.00 16.00 16.30 16.30 17.00 17.00 17.30 17.30 18.00 18.00 18.30 18.30 19.00 19.00 19.30 19.30 20.00 6 Autofahren (am Steuer) 7 Essen 8 am beruflichen Arbeitsplatz 9 Ruhen 10 Schlafen 20.00 20.30 20.30 21.00 21.00 21.30 21.30 22.00 22.00 22.30 22.30 23.00 23.00 23.30 23.30 24.00 0,00 0.30 0.30 1.00 1.00 1.30 1.30 2.00 2.00 2.30 2.30 3.00 3.00 3.30 3.30 4.00 4.00 4.30 4.30 5.00 5.00 5.30 5.30 6.00 6.00 6.30 6.30 7.00 7.00 7.30 7.30 8.00 Notieren Sie in folgender Liste die Namen während der Messung eingenommener Medikamente und die Uhrzeit(en) der Einnahme: 1 2 3 4 5 6 Medikamentenname Uhrzeit Uhrzeit Uhrzeit Uhrzeit Uhrzeit sung bietet verschiedene Möglichkeiten der Auswertung, die der so genannten Trough-to-Peak -Analyse (Kapitel 9) deutlich überlegen sind. Neben einer unterschiedlichen Beeinflussung von Ruheblutdruck und Blutdruck unter verschiedenen Arten individueller Belastung hat auch der Effekt auf nächtliche und frühmorgendliche Werte Bedeutung. Im Einzelfall kann geklärt werden, ob eine frühmorgendliche Medikamentengabe (Nachttischdosis) einer langwirksamen Substanz ausreicht und wann zusätzlich eine abendliche Medikation erforderlich ist. Eine Therapiekontrolle mittels ABDM ist besonders dann indiziert, wenn trotz guter Compliance des Patienten und adäquater Medikation keine ausreichende Senkung des Gelegenheitsblutdrucks in der Praxis und bei der Selbstmessung nachweisbar ist, die erfolgreiche Senkung erhöhter Blutdruckwerte in der Nacht belegt werden muss, eine Regression von Organschäden nach 6 bis 12 Monaten trotz guter Einstellung des Gelegenheitsblutdrucks fehlt, und wenn Nebenwirkungen (z. B. Schwindel bei übermäßiger Blutdrucksenkung) vorhanden sind, die durch die GBDM oder Blutdruckselbstmessung nicht geklärt werden können.

Ambulante Blutdruck-Langzeitmessung 33 ABDM-Befundbericht Name: Vorname: geb.: Abb. 4.10 ABDM-Befundbericht. Datum: Reg.-Nr.: stat./amb. Erfolgsquote: % Normbereich/Zielwert (% primär erfolgreicher Messungen) (> 90 %)(aus...validisierten Messungen, Ziel: > 60 Werte) 24-Std.-Mittelwerte: / mmhg (<130/80mmHg) (syst./diast.) Pulsfrequenz: /min Tages-Mittelwerte: / mmhg (<135/85mmHg) Pulsfrequenz: /min Nacht-Mittelwerte: / mmhg (<120/75mmHg) (intakte Tag/Nacht-Rhythmik: Absenkung um mind. 10 % syst. bzw. 15 % diast. gegenüber dem Tages-BD-MW) Normaler Tag/Nacht-Rhythmus ( Dipper ) Abgeschwächter Tag/Nacht-Rhythmus ( Non-Dipper ) Inverser Tag/Nacht-Rhythmus zu starke nächtliche Blutdruckabsenkung (< 70 mmhg diast. Mittelwert) Morgendlicher Blutdruckanstieg (2.00 9.00 Uhr) / (>20/20mmHg bei unbehandelter Blutdruckspitzen? Hypertonie) Blutdruckabfälle (z. B. postprandial)? Beurteilung: (inkl. therapeutischer Konsequenzen): Tabelle 4.4 Indikationen für die ABDM Vor Therapiebeginn V. a. Praxishypertonie bzw. Praxisnormotonie Missverhältnis: GBDM/Organschäden: Mittelschwere und schwere Hypertonie ohne Endorganschäden Normaler Blutdruck in der Praxis oder leichte Hypertonie mit Endorganschäden Blutdruckunterschiede > 20/10 mmhg zwischen GBDM und Selbstmessung Verdacht auf abnormen nächtlichen Blutdruck z. B. Diabetiker sekundäre Hypertonieformen Schlafapnoe-Syndrom u. a. m. Krisenhafte Blutdruckanstiege? Unter Therapie Unzureichende Blutdrucksenkung (GBDM und Selbstmessung) Schwer einstellbare Hypertonie Ausreichende Senkung erhöhter nächtlicher Blutdruckwerte? Fehlende Regression von Endorganschäden nach 6 12 Monaten Nebenwirkungen? (z. B. Schwindel) Tabelle 4.5 Mögliche Ursachen einer nächtlichen Hypertonie Diabetes mellitus, insbesondere mit Proteinurie und Niereninsuffizienz Sekundäre Hochdruckformen, insbesondere renale Hypertonie Schwere Hochdruckfolgeschäden, insbesondere renal Herzinsuffizienz Schlafapnoe-Syndrom Z. n. Schlaganfall Schwangerschaftshypertonie, Präeklampsie Autonome Insuffizienz, Shy-Drager-Syndrom Z. n. Herz- und Nierentransplantation Höheres Lebensalter Schichtarbeit

34 4 Blutdruckmessung Messungen zur Therapiekontrolle sollten unter möglichst gleichen Bedingungen erfolgen wie die Erstmessung ohne Medikation. Die Phänomene Praxishypertonie und Praxisnormotonie werden auch unter antihypertensiver Therapie beobachtet, und zwar bei etwa 18 bzw. 12 %. Das bedeutet, dass mindestens bei etwa 30 % der Patienten eine Umstellung der medikamentösen Therapie aufgrund der ABDM-Ergebnisse erforderlich ist. Zirkadiane Rhythmik Der Blutdruck verläuft normalerweise über 24 Stunden in einem charakteristischen Tag-Nacht-Rhythmus mit den niedrigsten Werten gegen 03.00 Uhr nachts, einem steilen Blutdruckanstieg, insbesondere mit dem Aufwachen bis in den Vormittag, einer kleinen (physiologischen) Absenkung gegen Mittag, gefolgt von einem Wiederanstieg am Nachmittag und Abend. Dabei zeigen sich zwei Blutdruckgipfel: einer gegen 09.00 Uhr und ein kleinerer gegen 19.00 Uhr. Dieser zirkadiane Rhythmus findet sich bei normotonen Personen und den meisten Patienten mit primärer (essentieller) Hypertonie. Im Rahmen des zirkadianen Blutdruckrhythmus kommt es so zu physiologischen Fluktuationen von 20 mmhg und mehr. Daraus wird ersichtlich, wie wichtig die Berücksichtigung der Tageszeit bei der Blutdruckmessung ist, insbesondere auch zur Beurteilung der Wirksamkeit einer antihypertensiven Therapie. Eine Umstellung der Schlaf- und Wachphasen, z. B. bei Schichtarbeit, führt auch zu einer entsprechenden Veränderung der Blutdruckrhythmik. Die rasche Umkehr des Tages- und Nachtrhythmus belegt, dass die zirkadiane Rhythmik hauptsächlich durch den Wechsel von Arbeit und Entspannung, bzw. Wach- und Schlaf- phase bestimmt wird. Eine mögliche endogene Rhythmik wird offensichtlich durch exogene Faktoren, d. h. von der Alltagsaktivität und von Ruhephasen vollständig maskiert. Parallel zum Blutdruckabfall im Schlaf kommt es auch zu einem Absinken der Pulsfrequenz als sicherer Ausdruck der Ruhephase. Zeigt sich trotzdem ein mangelnde nächtliche Blutdrucksenkung ( non dipping ) oder sogar ein Blutdruckanstieg in der Nacht, ist dies ein sicheres Zeichen dafür, dass entweder eine sekundäre Hochdruckform vorliegt oder bereits schwere Endorganschäden vorhanden sind (8). Dann muss die Stufendiagnostik entsprechend erweitert werden. Auch in höherem Lebensalter wird häufiger eine Abschwächung des Tag-Nacht-Rhythmus beobachtet (9). Abb. 4.11 zeigt Blutdruck-Profil eines Patienten mit leichter Hypertonie, normaler nächtlicher Blutdruckabsenkung, und einem steilen morgendlichen Blutdruckanstieg. Die Auswertung des morgendlichen Blutdruckanstiegs erfolgt automatisch (Fa. IEM). In Abb. 4.12 ist das Blutdruckprofil eines Patienten mit ebenfalls leichter Hypertonie am Tage, jedoch inversem zirkadianen Rhythmus mit höheren Werten in der Nacht (inverted dipper, S. 93) dargestellt. Die nächtliche Absenkung der Herzfrequenz deutet auf eine ungestörte Nachtruhe hin. Die zirkadiane Blutdruckrhythmik mit nächtlichem Blutdruckabfall und schnellem morgendlichen Blutdruckanstieg ist wegen des gehäuften Auftretens kardio- und zerebrovaskulärer Ereignisse am Morgen von besonderer Bedeutung. Der Tagesgipfel für Herzinfarkte, plötzlichen Herztod, zerebrovaskulären Ischämien und andere vaskuläre Ereignisse gegen 09.00 Uhr morgens fällt zusammen mit dem morgendlichen Blutdruckgipfel. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang, wenn der Zeitpunkt des Erwachens zugrunde gelegt wird: Kurz nach dem Aufwachen kommt es zu einer massiv Abb. 4.11 Original-Computerausdruck eines Patienten mit leichter Hypertonie und erhaltenem Tag- Nacht-Rhythmus mit nächtlicher Blutdruckabsenkung, und steilem Wiederanstieg des Blutdrucks in den frühen Morgenstunden. Die Nachtphase ist als schwarzer Balken am Fuße des Diagramms markiert: Der Patient ist um 23.52 Uhr zu Bett gegangen und um 06.18 Uhr aufgestanden. Zu diesen Zeiten erfolgte jeweils eine Eingabe mittels entsprechender Taste (Fa. IEM).

Ambulante Blutdruck-Langzeitmessung 35 Somit führt die Blutdruck-Langzeitmessung insgesamt derzeit zur besten Abschätzung des kardio- und zerebrovaskulären Risikos. Die ABDM korreliert besser als GBDM: Alle hypertensive Endorganschäden, LV-Masse/-Wanddicke/nächtliche Myokardischämie, arterielle Wandstärke/Intima-Media-Dicke, ZNS-Schäden/stumme Mediainfarkte, Nierenfunktion/Proteinurie und Retinopathie. Abb. 4.12 Original-Computerausdruck eines Patienten mit leichter Hypertonie am Tage und gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus: der Blutdruck steigt in der Nacht über das Tagesniveau an (inverted dipper). Die gleichzeitige Absenkung der Herzfrequenz in der Nacht ist ein wichtiger Hinweis auf eine normale Ruhephase. gesteigerten Anzahl von Myokardischämien und anderen kardio- und zerebrovaskulären Ereignissen, zeitgleich mit dem steilsten Blutdruckanstieg im Laufe des Tages. Neben dem Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg kommt es in den Morgenstunden auch zu gravierenden hämorheologischen Veränderungen, wie erhöhte Plasmaviskosität und Thrombozytenaggregation und verminderte Fibrinolyse. Sowohl die hämodynamischen als auch die hämorheologischen Aktivitätssteigerungen sind Folge des erhöhten Sympathikotonus am Morgen. Prognostische Aspekte Die ABDM hat eine engere Korrelation zur linksventrikulären Hypertrophie und zu weiteren kardiovaskulären Komplikationen und Folgeschäden als die in der Praxis gemessenen Blutdruckwerte (2, 4, 13, 16, 17). Patienten mit erhöhtem nächtlichen Blutdruck weisen aufgrund einer erhöhten Inzidenz an hochdruckbedingten Organschäden und kardiovaskulären Ereignissen eine schlechtere Prognose auf (2, 3). Inzwischen liegen mindestens sechs prospektive Studien vor, die alle zeigen, dass die ABDM eine bessere Risikoabschätzung ermöglicht als die konventionelle Gelegenheitsblutdruckmessung (3, 14). Das überrascht nicht, da bei alleiniger Berücksichtigung der GBDM Patienten mit Praxishypertonie unnötig behandelt werden bzw. Patienten mit Praxisnormotonie nicht ausreichend behandelt werden, und eine nächtliche Hypertonie nicht erkannt und entsprechend therapiert wird. Neben dem mittleren Blutdruck über 24 Stunden bzw. am Tage und dem nächtlichen Blutdruck kommen auch dem morgendlichen Blutdruckanstieg, intermittierenden Blutdruckspitzen bzw. der Blutdruckvariabilität prognostische Aussagekraft zu. Therapeutische Aspekte Mittels ABDM gelingt es beim einzelnen Patienten, die 24-Stunden-Wirkung eines Antihypertensivums verlässlich zu überprüfen. Dabei zeigt sich, dass nicht alle antihypertensiven Substanzen in gleicher Weise nach morgendlicher Einmaldosierung eine ausreichende Blutdrucksenkung über das gesamte 24-Stunden-Dosierungsintervall entfalten. Leider liegen immer noch kaum vergleichende Studien mit verschiedenen Antihypertensiva vor, die mittels ABDM die 24-Stunden- Wirkung exakt untersuchen. Erfreulicherweise setzt sich gerade bei neueren Substanzen die Prüfung mittels ABDM durch. Das so genannte Trough-to-peak -Verhältnis ist als Parameter für die 24-Stunden-Wirkung von minderer Bedeutung im Vergleich zu anderen Parametern, die aus der ABDM abgeleitet werden können. Beim individuellen Patienten kann auf zusätzliche Parameter völlig verzichtet werden. Hier zeigt ein Vergleich der Mittelwerte und Standardabweichungen vor und unter Behandlung sowie die Sichtauswertung der zirkadianen Blutdruckkurve, ob die antihypertensive Therapie über mindestens 24 Stunden auch am Ende des Dosierungsintervalls am nächsten Morgen ( trough ) wirksam ist, ohne den Blutdruck zum Zeitpunkt des Wirkungsmaximums ( peak ) zu stark zu senken. Mittels ABDM lässt sich ein überschießender morgendlicher Blutdruckanstieg identifizieren und nach entsprechender Vorverlagerung des Einnahmezeitpunkts (z. B. mit dem Aufstehen) und Verordnung einer langwirksamen Substanz kontrollieren. Patienten mit fehlendem nächtlichen Blutdruckabfall brauchen in der Regel auch eine abendliche Gabe der blutdrucksenkenden Medikation, um die erhöhten nächtlichen Blutdruckwerte effektiv zu senken. Patienten mit einer Inversion des zirkadianen Blutdruckprofils (höhere Werte in der Nacht als am Tage) haben meist eine schwere Hypertonieform und häufig eine eingeschränkte Nierenfunktion. Hier sind in der Regel Mehrfachkombinationen abends und morgens notwendig, um eine ausreichende Blutdrucksenkung zu erzielen. Der Therapieerfolg kann nur mittels ABDM dokumentiert werden.

36 4 Blutdruckmessung Blutdruck-Screening (konventionelle bzw. Gelegenheitsblutdruckmessung) <140/90 normoton >140/90 hyperton Selbstmessung Eine optimale antihypertensive Therapie mit individueller Anpassung der Dosis und insbesondere der Dosierungsintervalle und Einnahmezeiten ist nur mit der Blutdruck-Langzeitmessung zu verwirklichen. < 135/85 TMW < 130/80 24 MW < 120/75 NMW Praxishypertonie ca. 25 % normal: BD-Senkung (23 6 Uhr) um ca. 15 mmhg syst. (10 15 %) bzw. diast. (10 20 %): primäre (essenzielle) Hypertonie wahrscheinlich, sekundäre Hypertonie nicht ausgeschlossen Beachte: Herzfrequenz nächtlicher Abfall: normal nächtlicher Anstieg: nach nächtlicher Aktivität fragen (aber auch beim Schlaf-Apnoe-Syndrom) >135/85 <135/85 hyperton normoton > 135/85 TMW ABDM > 130/80 24 MW > 120/75 NMW manifeste Hypertonie ca. 75 % Tag-Nacht-Profil? BD-Senkung (23 6 Uhr) <10mmHg sekundäre Hypertonie wahrscheinlich nächtlicher BD-Anstieg (inverser BD- Rhythmus): sekundäre Hypertonie sehr wahrscheinlich Zielblutdruck: <135/85 (TMW) bzw. <130/80 (24h M): evtl. nächtliche RR-Senkung notwendig Abb.4.13 ABDM, GBDM und Blutdruckselbstmessung in der Diagnostik der manifesten Hypertonie. TMW = Tagesmittelwert 24 MW = 24-h-Mittelwert NMW = Nachtmittelwert Insbesondere Diabetiker und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, die in besonderem Maße von einer sehr guten Blutdruckeinstellung profitieren, sollten mittels ABDM exakt eingestellt und überwacht werden. Bei Messungen zur Therapiekontrolle sollte auf einen etwa gleichen Tagesablauf wie bei einer eventuellen Erstmessung geachtet werden. Die Therapiekontrolle mittels ABDM erfasst sowohl eine Überbehandlung als auch eine nicht ausreichende antihypertensive Therapie. Ca. 15 30 % der Patienten, bei denen aufgrund erhöhter Praxisblutdruckwerte die Indikation zur Therapieintensivierung gestellt wurde, benötigen aufgrund normotoner Werte aus der ABDM keine zusätzliche antihypertensive Therapie (6). Andererseits zeigen ca. 15 % der Patienten normale Praxiswerte unter Therapie, aber noch erhöhte Werte in der ABDM (15). Diese Befunde könnten die Beobachtung erklären, dass einige Patienten trotz normotoner Praxiswerte hypertensive Organschäden aufweisen. Literatur 1. Baumgart P, Walger P, Jurgens U, Rahn KH. Reference data for ambulatory blood pressure monitoring: what results are equivalent to the established limits of office blood pressure? Klin Wochenschr. 1990: 68: 723 727. 2. Clement DL, De Buyzere ML, De Bacquer DA, et al. Prognostic value of ambulatory blood-pressure recordings in patients with treated hypertension. N Engl J Med. 2003; 348: 2407 15. 3. Imai Y. Prognostic significance of ambulatory blood pressure. 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