Rechnungslegung nach den International Financial Reporting Standards (IFRS)

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www.boeckler.de Mai 2011 Copyright Hans-Böckler-Stiftung Rechnungslegung nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) Kapitel 1 - Überblick Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse: Informationen für Aufsichtsräte und Betriebsräte Auf einen Blick In diesem Kapitel geht es um die Grundlagen der Internationalen Rechnungslegung. Was steckt hinter dem Begriff? Wer muss einen Jahresabschluss nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) aufstellen und an wen richten sich diese Abschlüsse? Wie aussagekräftig sind Jahresabschlüsse nach den IFRS? Welche Folgen hat die Umstellung der Rechnungslegung auf die internationalen Vorschriften für das Bild des Jahresabschlusses?

Inhaltsverzeichnis 1. International Financial Reporting Standards: Überblick 4 1.1. Anwendbarkeit der IFRS 4 1.2. Was sind IFRS? 5 1.3. Aussagekraft von IFRS-Abschlüssen 6 1.4. Auswirkungen der Umstellung auf IFRS 6 1.5. Definition Vermögenswerte, Schulden und Eigenkapital nach IFRS 8 Hans-Böckler-Stiftung Mai 2011 2

Tabellenverzeichnis Tab. 1: Beispiel Deutsche Lufthansa AG (Konzern): Veränderung im Eigenkapitalausweis aufgrund der Umstellung auf IAS... 8 Hans-Böckler-Stiftung Mai 2011 3

International Financial Reporting Standards: Überblick Die nachfolgenden Ausführungen basieren insbesondere auf Müller, IFRS, S. 13 bis 107. Der Konzernabschluss von Kapitalgesellschaften beschäftigt Arbeitnehmervertreter regelmäßig mindestens einmal jährlich. Seit 2005 ist für börsennotierte Unternehmen europaweit die Anwendung der International Financial Reporting Standards (IFRS) vorgeschrieben. Spätestens ab 2007 mussten auch solche Unternehmen die IFRS zu Grunde legen, die nur Schuldpapiere an der Börse handeln lassen bzw. an der US-Börse notiert waren und US-Generally Accepted Accounting Principles (US- GAAP) anwendeten. Andere Kapitalgesellschaften dürfen den Konzernabschluss nach IFRS aufstellen. Das HGB bleibt Basis des Jahresabschlusses der einzelnen Gesellschaft. 1.1. Anwendbarkeit der IFRS Seit 1998 war es deutschen Konzernen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, anstelle eines Konzernabschlusses nach dem deutschen Handelsrecht einen nach internationalen Normen aufzustellen. Darunter waren die damals noch so genannten International Accounting Standards (IAS) oder die amerikanischen US-GAAP zu verstehen. Hintergrund dieser Neuerung war das Bestreben, es den deutschen Unternehmen zu erlauben, mit einer bei ausländischen Investoren anerkannten Basis der Rechnungslegung leichter an ausländisches Kapital zu gelangen. Die neue, um die Jahrtausendwende formulierte Rechnungslegungsstrategie der Europäischen Union setzt nunmehr europaweit auf den Einsatz der IFRS. Die breite Anwendung von IFRS innerhalb der EU stützt das Ziel einer weltweiten Harmonisierung der Rechnungslegung. Zunächst galten die IFRS ab 2005 innerhalb der EU für alle börsennotierten Mutterunternehmen. Diese müssen den Konzernabschluss nach den IFRS aufstellen. Spätestens ab 2007 waren auch die anderen kapitalmarktorientierten Unternehmen hierzu verpflichtet. Das sind die Unternehmen, die lediglich Schuldpapiere an der Börse handeln lassen. Auch Unternehmen, die bislang einen US-GAAP-Abschluss erstellten, weil sie aufgrund ihrer Notierung an einer US-Börse von den dortigen Behörden dazu gezwungen wurden, waren - nach einer Übergangsfrist - ab 2007 ebenfalls verpflichtet, ihren Konzernabschluss nach den IFRS aufzustellen. Für den Jahresabschluss eines deutschen Unternehmens bleibt es bei der Rechnungslegung nach dem Handelsgesetzbuch (HGB). Aufgrund der erheblichen Auswirkungen einer IFRS-Umstellung auf den Gewinnausweis ist es in Deutschland nicht gestattet, diese Standards für den Jahresabschluss zu nutzen. Immerhin richtet sich nach dem Gewinnausweis im Jahresabschluss die Bemessung der Ausschüttung an die Anteilseigner. Außerdem ist der Jahresabschluss Basis der steuerlichen Gewinnermittlung. Der Konzernabschluss dient dagegen nur Informationszwecken. Hans-Böckler-Stiftung Mai 2011 4

Das im Jahr 2009 verabschiedete Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) hat das HGB um Wahlrechte gemindert und sich in mehreren Punkten (wie des Wahlrechts zur Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens sowie der Einengung des Ansatzes von Aufwandsrückstellungen) an die IFRS angelehnt. 1.2. Was sind IFRS? Das innerhalb der EU anerkannte IFRS-Regelwerk besteht aus einer Vielzahl von Standards - einige der alten IAS sind jedoch aufgrund von Neuregelungen nicht mehr gültig - sowie neuen Standards unter der Bezeichnung IFRS 1 bis 8. Zitiert werden die Standards üblicherweise wie folgt: IAS 1.23 oder IFRS 3.39. Dies bezeichnet den jeweiligen Standard (im Beispiel IAS 1 und IFRS 3) und den jeweils gemeinten Abschnitt im Standard. Das grundlegende Rahmenkonzept (Framework) wird wie folgt zitiert: F.12. F steht für das Rahmenkonzept, die Ziffer auch hier für den zitierten Abschnitt. Die historisch entwickelte Nummerierung der Standards ist inhaltlich ohne Bedeutung. Gemäß IAS 1.7 bestehen die IFRS aus den - IFRS, - IAS und den - Interpretationen des International Financial Reporting Interpretations Committee (IFRIC) und des Standing Interpretations Committee (SIC). Anders als die handelsrechtlichen Vorschriften haben die IFRS keinen unmittelbaren gesetzlichen Charakter. Sie werden vom IASB (International Accounting Standards Board) erlassen, einem privaten, internationalen Zusammenschluss von Berufsverbänden, die mit der Rechnungslegung befasst sind. Das IASB ist Nachfolger des International Accounting Standards Committee (IASC), das 1973 gegründet wurde. Das IASB verfolgt das Ziel, eine weltweite Harmonisierung der Rechnungslegung zu erreichen. In der Consultative Group des IASC war auch der Internationale Bund Freier Gewerkschaften vertreten. Nach der Restrukturierung und Umbenennung des IASC ist diese gewerkschaftliche Vertretungsmöglichkeit entfallen. Der Adressatenkreis für Abschlüsse wird in den IFRS relativ weit definiert. Neben derzeitigen und potenziellen Investoren, Kreditgebern und Lieferanten werden ausdrücklich Kunden, Regierungen, die Öffentlichkeit sowie die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen erwähnt. Sie alle sollen Informationen über die Vermögens-, Finanzund Ertragslage erhalten, die ihnen bei wirtschaftlichen Entscheidungen nützlich (F.12) sind. Demzufolge ist ein wesentliches Kriterium bei der Zusammenstellung der Informationen die Entscheidungsrelevanz. Hans-Böckler-Stiftung Mai 2011 5

1.3. Aussagekraft von IFRS-Abschlüssen Der Abschluss soll ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermitteln. Obwohl dies der Formulierung im deutschen Handelsrecht entspricht, ist im Ergebnis doch ein erheblicher Unterschied zu vermerken: Im HGB überwiegt das Vorsichtsprinzip, das heißt, der ausschüttbare Gewinn wird eher geringer ausfallen, während nach IFRS eine wahre und faire Darstellung zu erfolgen hat. Der Grundsatz der Vorsicht hat sich dem Grundsatz einer periodengerechten Gewinnermittlung unterzuordnen. Gemäß F.36 gilt: Damit die im Abschluss enthaltenen Informationen verlässlich sind, müssen sie neutral, also frei von verzerrenden Einflüssen sein. Abschlüsse sind nicht neutral, wenn sie durch Auswahl oder Darstellung der Informationen eine Entscheidung oder Beurteilung beeinflussen, um so ein vorher festgelegtes Resultat oder Ergebnis zu erzielen. Inwieweit sich dieser Anspruch tatsächlich verwirklichen lässt, ist aber sehr zweifelhaft, weil der Vorstand einer Aktiengesellschaft bei der Abschlusserstellung unzweifelhaft interessengeleitet ist. Zwar ist der Spielraum für Bilanzpolitik aufgrund der geringeren Zahl expliziter Wahlrechte und engerer Kriterien auf den Gebieten Abschreibungen und Rückstellungsbildung auf den ersten Blick unter IFRS eingeschränkt, aber auf den zweiten Blick eröffnen sich scheunentorgroße Möglichkeiten durch Vorschriften auf dem Gebiet der Firmenwertbilanzierung und der Behandlung von Entwicklungskosten. Der oben dargestellten Zielsetzung der IFRS-Abschlüsse entspricht der Grundsatz, den wirtschaftlichen Gehalt der zugrunde liegenden Geschäfte höher zu gewichten als die rechtliche Gestalt ( substance over form ). Dieser Grundsatz wirkt sich z. B. bei Leasingverhältnissen aus, die unter IFRS häufig anders behandelt werden, als im Abschluss nach deutschem Recht, da dort die rechtliche Form höheres Gewicht hat als unter IFRS. Insgesamt betrachtet sind die IFRS-Regeln detaillierter und enger als das deutsche Handelsrecht. Außerdem gehen die Offenlegungsregeln sehr viel weiter als im HGB. Dies betrifft vor allem die Anhangsangaben. 1.4. Auswirkungen der Umstellung auf IFRS Die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Konzerns kann sich nach der Umstellung auf IFRS deutlich anders darstellen als zuvor. Verantwortlich dafür sind zahlreiche Abweichungen in Ansatz- und Bewertungsregeln zwischen IFRS und HGB. So dürfen im Bereich des HGB selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens (zum Beispiel Patente, Rechte oder Software) im Rahmen eines Wahlrechts bilanziert werden, während nach IFRS eine Aktivierungspflicht besteht, sofern die selbst geschaffenen immateriellen Vermö- Hans-Böckler-Stiftung Mai 2011 6

genswerte zukünftigen wirtschaftlichen Nutzen erwarten lassen und die Kosten ihrer Herstellung zuverlässig bestimmt werden können (IAS 38.51). Das Leasing von Anlagegegenständen ist heute weit verbreitet. Da es aber im deutschen Handelsrecht keine Vorschriften zur bilanziellen Behandlung geleaster Gegenstände gibt, richtet sich die Bilanzierung nach den Leasingerlassen der deutschen Finanzverwaltung. Die Zuordnung der Leasinggüter zum Leasinggeber oder -nehmer erfolgt dabei entsprechend der Gestaltung des Leasingvertrags. Aufgrund steuerlicher Vorteile werden die Verträge meist so gefasst, dass es nur selten zur Aktivierung des Gegenstands beim Leasingnehmer kommt. Da nach IFRS steuerlich motivierte Gestaltungen keine Rolle spielen dürfen, kommt es auf den wirtschaftlichen Gehalt der Leasingtransaktion und damit auf die tatsächliche Verteilung von Chancen und Risiken aus diesem Geschäft an. Die Prüfkriterien sind zudem enger gefasst als nach den Leasingerlassen. Daher muss oft unter IFRS ein so genanntes Finanzierungsleasing bejaht werden, während unter HGB dasselbe Geschäft als Mietleasing klassifiziert würde. Die Erfassung als Finanzierungsleasing führt zwangsläufig zu einer Aktivierung beim Leasingnehmer (IAS 17). Daher ist beim Übergang auf IFRS-Bilanzierung häufig ein Anwachsen entsprechender Positionen im Anlagevermögen zu beobachten. Im Gegenzug sind die dem Leasingvertrag zugehörigen Verpflichtungen zu passivieren. Unter anderem aufgrund dieser Regelung wuchs die Position Flugzeuge in der Bilanz der Lufthansa AG durch den Übergang auf IAS im Jahr 1997 um 1.573 Mio. DM oder ca. 16% an. Ein weiterer bedeutender Unterschied zwischen HGB und IFRS betrifft die Behandlung langfristig angelegter Fertigungsaufträge zum Beispiel in der Bauwirtschaft oder im Großanlagenbau. Während nach HGB im Normalfall während der Bauzeit nur Aufwendungen anfallen und Umsatzerlöse (und damit auch Gewinne) erst nach Fertigstellung realisiert werden, sind nach IFRS Teilgewinne zwingend bereits während der Bauphase entsprechend dem Baufortschritt zu ermitteln (Percentage-ofcompletion-Methode gemäß IAS 11). Nach IFRS werden Rückstellungen ebenso wie Verbindlichkeiten als Schulden (liabilities) gegenüber Dritten betrachtet, d. h. es bestehen Verpflichtungen gegenüber diesen. Pensionsrückstellungen sind unter IFRS verpflichtend nach dem Anwartschaftsbarwertverfahren zu ermitteln (IAS 19.64 ff.). Das Verfahren geht davon aus, dass in jedem Dienstjahr ein zusätzlicher Teil des endgültigen Leistungsanspruchs erdient wird (IAS 19.65 enthält hierzu ein Beispiel). Diese Methode unterscheidet sich erheblich vom deutschen steuerlichen Teilwertverfahren, das bis zur Anwendung des BilMoG vorrangig in handelsrechtlichen Jahresabschlüssen genutzt wurde. Große Effekte entstanden durch die dynamische Betrachtung der Verpflichtungen (Einbeziehung von Annahmen über die künftige Gehalts- und Rentenentwicklung) und die Orientierung des Abzinsungssatzes am langfristigen Kapitalmarktzins (unter HGB wurde vor BilMoG üblicherweise ein fester Zinssatz von 6% gemäß 6a EStG gewählt). Im Ergebnis lagen die zu bilanzierenden Werte der Pensionsverpflichtung Hans-Böckler-Stiftung Mai 2011 7

unter IFRS in den Geschäftsjahren vor 2010 deutlich höher als unter HGB. Die geschilderten Effekte lassen sich deutlich identifizieren, wenn man die Eigenkapitalüberleitung des Lufthansa-Konzerns betrachtet. Die Lufthansa hat die Rechnungslegung bereits 1998 umgestellt. Alle Umstellungseffekte waren dabei ergebnisneutral im Eigenkapital abzubilden. Das Eigenkapital nach HGB von 5.339 Mio. DM verminderte sich durch Umstellung auf IAS auf 4.496 Mio. DM. Besonders stark wirkten sich die abweichenden Verfahren zur Bilanzierung von Leasinggeschäften und von Pensionsverpflichtungen aus. Beide führten zu einer Minderung des Eigenkapitalausweises. Dagegen sorgten die engeren Vorschriften für die Bildung sonstiger Rückstellungen für eine Erhöhung des Eigenkapitals um 202 Mio. DM. Konzernjahresabschluss der Deutschen Lufthansa AG 1998 Das Ausmaß der Umstellung auf IAS illustrieren die Veränderungen im Eigenkapitalausweis. Angaben in Mio. DM Eigenkapital nach HGB zum 31.12.1996 (ohne Anteile im Fremdbesitz) 5.339 Konsolidierungskreisänderungen 134 Bewertung at equity 12 Finanzierungsleasing von Flugzeugen und Gebäuden -722 Pensionsrückstellungen -1.089 Sonstige Rückstellungen 202 Sonstige Bilanzierungs- und Bewertungsunterschiede 52 Latente Steuern 568 Eigenkapital nach IAS zum 1.1.1997 4.496 Quelle: Geschäftsbericht Deutsche Lufthansa AG 1998 Tab. 1: Beispiel Deutsche Lufthansa AG (Konzern): Veränderung im Eigenkapitalausweis aufgrund der Umstellung auf IAS 1.5. Definition Vermögenswerte, Schulden und Eigenkapital nach IFRS Die Bilanz nach IFRS kennt nur drei übergeordnete Posten (IAS 1.9): Vermögenswerte, Schulden und Eigenkapital. Vermögenswerte (assets) sind nach IFRS nur dann zu bilanzieren, wenn ihr Vorhandensein den Zufluss künftigen Nutzens erwarten lässt. Während die für den Jahresabschluss nach dem deutschen Handelsgesetzbuch geltenden Regeln als Ansatzkriterien nur die selbstständige Bewertbarkeit und einzelne Veräußerbarkeit Hans-Böckler-Stiftung Mai 2011 8

kennen, ist es daher für den Ansatz in einem IFRS-Abschluss erforderlich, den wahrscheinlichen Zufluss künftigen Nutzens aus dem Vermögenswert nachweisen zu können. Das HGB öffnet sich seit BilMoG dieser Sichtweise, z. B. durch das Wahlrecht zum Ansatz selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände (Entwicklungskosten). Eine Schuld ist eine gegenwärtige Verpflichtung des Unternehmens, die aus Ereignissen der Vergangenheit entsteht und deren Erfüllung für das Unternehmen erwartungsgemäß mit einem Abfluss von Ressourcen mit wirtschaftlichem Nutzen verbunden ist (F.49 b). Eigenkapital ist Saldo aus Vermögenswerten und Schulden (F.49 c). Hans-Böckler-Stiftung Mai 2011 9