Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit Woche für seelische Gesundheit Asklepios Kliniken Hamburg Harburg, 01.11.2010 Prof. Dr. Bernhard Badura Universität Bielefeld Kulturwandel Kennzeichnend für die gegenwärtige Situation in Wirtschaft und Verwaltung ist der Wandel von einer Kultur der kollektiven Unachtsamkeit und Sorglosigkeit zu einer Kultur der kollektiven Achtsamkeit für Gesundheit. 2
Entwicklung einer Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit. beinhaltet einen kollektiven Lernprozess. Dieser Lernprozess beginnt in den Köpfen einiger Engagierter ( Initiativgruppe ) und verbreitet sich über deren Netzwerke in die gesamte Organisation. 3 Kultur der Unachtsamkeit Ein Beispiel für die Kultur der Unachtsamkeit für Gesundheit sind in Organisationen noch vielfach anzutreffende Überzeugungen, insbesondere, dass: seelische Gesundheit ein Tabu ist. wer zur Arbeit erscheint gesund und wer fehlt krank ist. Gesundheit im übrigen Privatsache ist. das Topmanagement wenig oder gar nichts über die Gesundheit ihrer Belegschaft wissen muss. 4
Kultur der Unachtsamkeit wer zur Arbeit erscheint gesund und 5 Kultur der Unachtsamkeit wer fehlt krank ist. 6
Kultur der Unachtsamkeit Gesundheit im übrigen Privatsache ist. 7 Kultur der Unachtsamkeit das Topmanagement wenig oder gar nichts über die Gesundheit ihrer Belegschaft wissen muss. 8
Volkswirtschaftliche Gründe für den Kulturwandel Strukturwandel der Wirtschaft: In der Dienstleistungswirtschaft wird der Kopf zum wichtigsten Organ für Arbeit und Gesundheit; Alterung der Belegschaften: von der Früh- zur Spätberentung; Globaler Wettbewerb: mehr Arbeit muss von weniger und von älteren Mitarbeitern bewältigt werden; Kostensteigerung in der medizinischen Versorgung: Gesundheitsförderung vermeidet Behandlungskosten; Zunehmende Heterogenität der Erwerbsbevölkerung: erhöhter Integrationsbedarf der Belegschaften. 9 Betriebswirtschaftliche Gründe für den Kulturwandel liegen in der wachsenden Erkenntnis, dass eine Kultur der Unachtsamkeit für Gesundheit die Produktivität beeinträchtigt, zu vorzeitigem psychischen und physischen Verschleiß beiträgt, das Image einer Organisation beschädigt und die Personalrekrutierung erschwert. 10
Die Entwicklung einer Kultur der Achtsamkeit Die Entwicklung einer Kultur der Achtsamkeit beginnt aber auch bei jedem Einzelnen in Eigenverantwortung und sorgsamen Umgang mit der eigenen Gesundheit. 11 Die Entwicklung einer Kultur der Achtsamkeit Die Entwicklung einer Kultur der Achtsamkeit ist eine Führungsaufgabe, die nicht an Gesundheitsexperten deligierbar ist. Aufwertung der Gesundheit als Unternehmensziel Niederlegung von Führungsgrundsätzen (Betriebsvereinbarungen) Bereitstellung von Ressourcen Benennung eines Beauftragten Aufbau eines betrieblichen Gesundheitsmanagements 12
Kultur der Achtsamkeit Eine Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit in der Arbeitswelt kann nur entstehen, wenn das Topmanagement sich dafür in seinen Verlautbarungen und Entscheidungen stark macht Worte und Taten übereinstimmen Mitarbeiter den Kulturwandel als authentisch und glaubwürdig empfinden gelebte Achtsamkeit für Gesundheit, Anerkennung und Belohnung erfährt. 13 Führung mit einer Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit Vorgesetzte Achtsamkeit für eigene Gesundheit Achtsamkeit für Gesundheit der Mitarbeiter Achtsamkeit für die Gesundheit der Organisation Risiken Potentiale Risiken Potentiale Risiken Potentiale 14
Die zentrale Bedeutung des psychischen Befindens Arbeitsverhalten Leistungsfähigkeit Leistungsbereitschaft Kreativität Sozialverhalten Kooperationsbereitschaft Vertrauen Empathie Psychisches Befinden angespannt / entspannt gereizt / locker hilflos / zielstrebig unglücklich / glücklich Gesundheitsverhalten Bewegung Ernährung Tabak Alkohol etc. Biologie Immunsystem Herz- Kreislaufsystem Neurogenese 15 Ansatzpunkte Betrieblicher Gesundheitspolitik Sozialkapital Kulturentwicklung 1. Kooperation & Betriebsergebnis Führungskräfteentwicklung Teamentwicklung Arbeitsgestaltung 1. Betriebswirtschaftliche Fragestellung 2. Gesundheitswissenschaftliche Fragestellung 1. Qualifikation 2. Psychisches Befinden, Krankheit, Behinderung 16
Kultur der Achtsamkeit Gemeinsamkeiten in Gedanken, Gefühlen, Absichten, Handlungen bilden den Rohstoff von Kultur. Im Falle einer Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit sind es Gemeinsamkeiten im Denken, Fühlen und Handeln in Sachen Gesundheit. 17 Koexistenz von Gemeinsamkeiten und Vielfalt Schwache Gesundheitskultur Starke Gesundheitskultur Experten Führung Produktion Gesundheit = physische Gesundheit Personal Gemeinsame Überzeugungen, Werte und Regeln zum Thema Gesundheit Gesundheit = bio-psychosoziale Gesundheit
Gemeinsamkeit trotz Vielfalt Je größer die Vielfalt ( diversity ) ihrer Mitglieder bedingt durch Unterschiede in Geschlecht, Religion, Nationalität, Alter, ethnischer Hintergrund etc., um so bedeutsamer werden Kernüberzeugungen und Kernwerte einer Organisation zur Entwicklung von Zugehörigkeitsgefühl gegenseitigem Vertrauen und zielorientierter Kooperation. 19 Kultur der Achtsamkeit Eine Kultur der Achtsamkeit insbesondere für das psychische Befinden bildet den Nährboden für Spitzenleistungen. 20
Kosten durch chronische Krankheiten Chronische Krankheit Durchschnittliche Kosten (in US-Dollar) durch Medizinische Behandlung Absentismus Präsentismus insgesamt Allergie 1442 377 5129 6947 Arthritis 2623 441 6095 9127 Asthma 1782 383 5661 7870 Rücken- /Nackenschmerzen 2249 839 6879 9975 Atemwegserkrankungen 2274 2446 7663 12384 Depressionen 2017 1525 15322 18864 Diabetes 3663 514 5414 962 Quelle: Baase 2007 aus Brandenburg, Nieder (2009) Herz-Kreislauf-Erkankungen 2531 613 6207 9359 Migräne/ chronische Kopfschmerzen 1689 945 6603 9232 Magen-Darm-Beschwerden 2585 800 679 10188 Quelle: Baase aus Fehlzeitenreport 2006 21 Welche Gesundheitsthemen sind die größten Produktivitätsräuber? (in Tagen, pro 1000 MA pro Jahr) Kopfschmerzen Allergien Schlaf Stress Depression Rückenschmerzen Verdauung Erkältung Arthritis Absentismus Bluthochdruck Präsentismus Grippe Diabetes Asthma 0 1000 2000 3000 4000 5000 Quelle: HDI 2007 aus Brandenburg, Nieder (2009) 22
Kernprozesse des Betrieblichen Gesundheitsmanagements 23 Vertrauen und Organisationsdiagnostik Ohne Vertrauen in Vorgesetzte, Experten und oberste Führung gibt es keine Offenlegung des eigenen Gesundheitszustandes durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 24
Quelle: Personalmagazin 11/2008 25 Treiber und Ergebnisse des Unternehmensmodells Treiber Netzwerkkapital Führungskapital Überzeugungsund Wertekapital Fachliche Kompetenz Arbeitsbedingungen Quelle: Badura (2010) Betriebliche Gesundheitspolitik Ergebnisse Spätindikatoren Fehlzeiten Qualität der Arbeitsleistungen Produktivität der Mitarbeiterinnen Arbeitsunfälle Fluktuation Frühindikatoren Gesundheit Psychisches Befinden Physisches Befinden Commitment Organisationspathologie Work-Life-Balance
Abteilungsvergleich zum Ausmaß von Gerechtigkeit im Betrieb 15 12 9 6 3 AB25 AB24 AB23 AB22 AB21 AB20 AB19 AB18 AB17 AB16 AB15 AB14 AB13 AB12 AB11 AB10 AB9 AB8 AB7 AB6 AB5 AB4 AB3 AB2 AB1 8,89 8,72 n = 954 p =,008 9,59 9,05 9,29 8,11 9,14 10,21 8,52 9,44 8,89 8,00 10,14 8,87 9,41 10,00 9,20 8,92 9,07 9,33 8,88 D15: Ausmaß von Gerechtigkeit im Betrieb (Skala: 3-15) Quelle: Badura et al. (2008) Sozialkapital Grundlagen von Gesundheit und Unternehmenserfolg 10,09 8,63 9,50 10,35 27 Abteilungsvergleich zur Häufigkeit psychosomatischer Beschwerden 20 16,08 15 10 5 0 14,98 14,63 AB1 AB2 13,96 AB3 13,48 AB4 14,23 AB5 12,78 12,64 AB6 AB7 13,71 13,59 AB8 AB9 11,76 AB10 14,10 AB11 AB12 12,38 12,20 12,24 AB13 10,75 12,56 13,70 14,33 14,53 Y1: Häufigkeit psychosomatischer Krankheitsbeschwerden (Skala: 7-35) Quelle: Badura et al. (2008) Sozialkapital Grundlagen von Gesundheit und Unternehmenserfolg AB14 AB15 AB16 AB17 AB18 AB19 AB20 13,44 AB21 11,45 AB22 12,88 12,44 13,18 AB23 AB24 AB25 28
Führungskapital und Gesundheit n = 2287 r =,250** Akzeptanz des Vorgesetzten und Wohlbefinden der MitarbeiterInnen Quelle: Badura et al. (2008) Sozialkapital Grundlagen von Gesundheit und Unternehmenserfolg 29 Netzwerkkapital und Gesundheit n = 2287 r = -,326** Quelle: Badura et al. (2008) Sozialkapital Grundlagen von Gesundheit und Unternehmenserfolg Zusammengehörigkeitsgefühl und Depression 30
Wertekapital und Gesundheit n = 2287 r = -,356** Quelle: Badura et al. (2008) Sozialkapital Grundlagen von Gesundheit und Unternehmenserfolg Konfliktkultur und Krankheitssymptome insgesamt 31 Zusammenhang von Sozialkapital, immateriellen Organisationbedingungen und Gesundheit n = 2287 RMSEA:.058 RFI:.936 CFI:.951.39.61.25.23.20.34.31.26 Werte- kapital Arbeits- bedingungen R 2 =43 Führungs- kapital R 2 =37 Netzwerk- kapital R 2 =49.26.41.37 Qualität der Arbeit R 2 =75.27 Gesundheit R 2 =41 Quelle: Badura et al. (2008) Sozialkapital Grundlagen von Gesundheit und Unternehmenserfolg 32
Fallbeispiel: Eckdaten zum Unternehmen Branche: Produktionsunternehmen/ Metallindustrie Größe: ca. 320 Mitarbeiter Organisationsform: Gruppenarbeit (seit 1996) Erfahrungen mit Gesundheitsarbeit: ganzheitliches BGM (seit 1999) Quelle: Baumanns 2009 33 Investitionen in das Sozialkapital Quelle: Badura et al. (2010) S. 171 34
Kosten der Interventionen Quelle: Badura et al. (2010) S. 176 35 Produktivitätsentwicklung Entw icklung der Produktivität Interventionsbetrieb vs. Kontrollbetrieb (rel. Produktivität in Prozent) 120 115 110 105 Kon trollb etrieb 100 Inter ventionsbetri eb 95 2. Ha lbj. 05 1. Halb j. 0 6 2. Halbj. 06 1. Ha lbj. 0 7 2. Halb j. 07 1. Ha lbj. 08 2. Halb j. 0 8 Quelle: Baumanns 2009 36