1 Callcenter-Controlling als Bestandteil von Unternehmensführung & Controlling 1.1 Problemstellung Die NÜRNBERGER CommunicationCenter GmbH (NCC), die 1999 als Service-Center mit einem klaren Fokus auf die Abwicklung komplexer telefonischer Anfragen im Bereich Finanzdienstleistungen gegründet wurde, ist ein mittelständisches Callcenter, dessen primäre Geschäftsaktivität die Abwicklung telefonischen Kundenservices ihrer Muttergesellschaft, der NÜRNBERGER Versicherungsgruppe, ist. Die NÜRNBERGER Versicherungsgruppe mit Hauptsitz im mittelfränkischen Nürnberg setzte mit ca. 32.500 Mitarbeitern im Jahr 2008 etwa 4,5 Milliarden Euro um. Knapp 250 Mitarbeiter der NCC werden hauptsächlich für die Abwicklung von Inbound-Projekten der Muttergesellschaft eingesetzt, um den Kunden des NÜRNBERGER-Konzerns einen erhöhten Service und verbesserte Erreichbarkeiten zu gewährleisten. Inbound-Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass Kunden im Callcenter anrufen. Darüber hinaus bietet die NCC auch Outbound- Leistungen (Kunden werden vom Callcenter angerufen) in einem immer größer werdenden Volumen an und ist dazu für Drittkunden (Kunden außerhalb des NÜRNBERGER-Konzerns) tätig, wobei dies nur einen geringen Teil ihrer Geschäftstätigkeit betrifft. Callcenter sind organisatorische Einheiten, deren primäre Aufgabe darin liegt, mit Hilfe modernster Informations- und Telekommunikationstechnik einen serviceorientierten und effizienten multimedialen Dialog des Unternehmens mit seinen Kunden bzw. Interessenten zu gewährleisten (vgl. z.b. Wiencke, W./ Koke, D. (1997), S. 11). Sie sind meist aus zuvor existierenden Serviceabteilungen und Telefonzentralen eines Unternehmens hervorgegangen, um Kunden durch eine verbesserte Erreichbarkeit und Kundenbetreuung langfristig zu binden. Grundsätzlich werden Callcenter immer stärker von Unternehmen eingesetzt. Während es 1996 europaweit etwa 270.000 Callcenter-Arbeitsplätze gab, sind heutzutage alleine in Deutschland rund 400.000 Personen in Callcentern
12 Callcenter-Controlling als Bestandteil von Unternehmensführung & Controlling beschäftigt (vgl. Weiß, J./Kleer, M./Molz, J. (2008), S. 3; Wiencke, W./Koke, D. (1997), S. 14), um den veränderten Marktstrukturen und Wettbewerbssituationen gerecht zu werden. Diese ergeben sich aufgrund der zunehmenden Entwicklung moderner Informations- und Kommunikationstechniken, dem Wandel von der bloßen Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft sowie der Globalisierung. In den meisten heutigen Volkswirtschaften gewinnt der tertiäre Sektor überproportional an Bedeutung. Der Strukturwandel von bloßen Industriegesellschaften zu Dienstleistungs- und Servicegesellschaften wird dabei in Deutschland durch den zunehmenden Anteil der Dienstleistungsunternehmen an der Bruttowertschöpfung bzw. durch den Anteil der Erwerbstätigkeiten im Dienstleistungsbereich verdeutlicht (vgl. z.b. Corsten, H./Gössinger, R. (2007), S. 8ff; Witt, F.-J. (2003), S. 1ff.). 1991 lag die Bruttowertschöpfung im Dienstleistungsbereich (im Einzelnen die Bereiche Handel, Gastgewerbe und Verkehr, Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister sowie die öffentlichen und privaten Dienstleister ) bei gerade einmal 63 Prozent, 2007 bereits bei 69 Prozent. Der Anteil der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor betrug 2007 72 Prozent, wobei der Bereich Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister am stärksten gewachsen ist: 1991 waren lediglich zehn Prozent in diesem Bereich tätig, 2007 bereits 17 Prozent. Das produzierende Gewerbe (ohne Baugewerbe) hat im Gegenzug stark an Bedeutung verloren. Deren Anteil betrug 1991 noch 30 Prozent und ging bis 2007 auf 26 Prozent zurück (vgl. Corsten, H./Gössinger, R. (2007), S. 8ff; Statistisches Bundesamt (2008), S. 81ff.). Die Verschärfung des Wettbewerbs zwingt die Unternehmen dazu, sich mit der Effizienz ihrer internen Geschäftsprozesse sowie den kundenspezifischen Geschäftsabläufen zu beschäftigen. Im Vordergrund stehen in diesem Zusammenhang Möglichkeiten der Wettbewerbsdifferenzierung und Kosteneinsparung durch geeignete Controllingkonzepte (vgl. z. B. Menzler-Trott, E. (1999), S. 1; Schmid, C./Jendro, L. (2001), S. 17f.). Allerdings sind industrielle Controllingkonzepte weitgehend auf Sachleistungen ausgerichtet. Daher können diese auf Dienstleistungsunternehmen bzw. Callcenter nicht direkt übertragen werden. Controllingkonzepte für Dienstleistungsunternehmen müssen die Besonderheiten und Charakteristika von Dienstleistungen berücksichtigen und bedürfen ei-
Callcenter-Controlling als Bestandteil von Unternehmensführung & Controlling 13 ner dienstleistungsspezifischen Modifikation (vgl. z. B. Fischer, R. (2000), S. 2). Das Callcenter-Controlling, als eine spezielle Ausprägung des Dienstleistungscontrolling, bedarf zudem eines besonderen Augenmerks aufgrund des stochastisch geprägten Geschäftmodells von Callcentern. Callcenter erhalten die Anrufe, die sich prinzipiell in ihrem Umfang und bzgl. ihres Anliegens unterscheiden, zufallsbedingt. Muster sind von vornherein nicht bekannt (vgl. Schümann, F./Tisson, H. (2006), S. 19). Dieser Tatbestand erschwert vor allem die Planung von Personalkapazitäten, welche sich am prognostizierten Anrufaufkommen orientieren muss und deren Ziel letztlich darin liegt, die für das Callcenter relevanten Komponenten Mensch, Technik und Organisation so aufeinander abzustimmen, dass Personalressourcen kostenminimal und zugleich kundenorientiert genutzt werden (vgl. Wiencke, W./Koke, D. (1997), S. 28). Um Callcenter adäquat planen, steuern und kontrollieren zu können, müssen die unterschiedlichen Perspektiven des Callcenters und dessen Wechselwirkungen berücksichtigt werden. Zudem müssen immer stärker qualitative und immaterielle Ziele und Kennzahlen formuliert werden, um den veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Daher hat mittlerweile die Balanced Scorecard (BSC) als Callcenter-Controlling Instrument stark an Bedeutung gewonnen, weil sie nicht mehr ausschließlich nur auf quantitative und finanzielle Kennzahlen abstellt und darüber hinaus für eine Ausgewogenheit an Ergebniskennzahlen und Leistungstreibern sorgt (vgl. Schümann, F./Tisson, H. (2006), S. 41; Weiß, J./Kleer, M./Molz, J. (2008), S. 240ff.). Ergebniskennzahlen ohne Leistungstreiber, bspw. Fehlerquoten oder Durchlaufzeiten, verdeutlichen nicht wie die Ergebnisse erreichbar sind und sie geben keine frühzeitige Rückmeldung über den Erfolg der Strategieumsetzung. Umgekehrt ermöglichen Leistungstreiber ohne Ergebniskennzahlen zwar die Erreichung kurzfristiger Verbesserungen für das Unternehmen bzw. die Geschäftseinheit, zeigen aber nicht auf, ob diese Verbesserung auch zu einem höheren Geschäftsvolumen mit alten und neuen Kunden und ggf. zu einer verbesserten Finanzleistung geführt haben (vgl. Weber, J./Schäffer, U. (2008), S. 191f.)
14 Callcenter-Controlling als Bestandteil von Unternehmensführung & Controlling 1.2 Zielsetzung und Aufbau des Buches Ziel dieses Buches ist es, die Möglichkeiten der Planung, der Steuerung und der Kontrolle durch die Darstellung eines Callcenter-Controlling-Konzepts für mittelständische Callcenter aufzuzeigen. Obwohl die Bedeutung von Callcentern in modernen Volkswirtschaften immer mehr zunimmt, widmen sich bisher zu wenige Forschungs- und Praxisarbeiten einer zielgerichteten Steuerung der Aktivitäten dieser Dienstleistungsunternehmen. Durch ein modernes, wertschöpfungsorientiertes Controlling können Effizienz und Effektivität von Callcentern deutlich gesteigert werden. Dies wird am Beispiel der NCC veranschaulicht. Dazu wird eine Callcenter-Scorecard für die NCC entworfen, welche das Unternehmen als strategisches Steuerungsinstrument einsetzen und nutzen kann. Außerdem wird ein Projektcontrolling an einem konkreten Beispiel konzeptionalisiert, um eine verursachungsgerechtere Möglichkeit der Kostenkalkulation aufzuzeigen. Nach einer kurzen Einführung in die Thematik beschreibt das zweite Kapitel die theoretischen Grundlagen des Dienstleistungscontrolling und des Untersuchungsobjektes Callcenter. Das dritte Kapitel verdeutlicht zunächst die Ziele und Aufgabenfelder des Dienstleistungscontrolling für Callcenter, bevor anschließend detailliert auf relevante Größen des Callcenter-Controlling eingegangen wird. Dieses Kapitel schließt mit einem Zwischenfazit ab, welches die Callcenter-Scorecard als Instrument der strategischen Steuerung des Callcenters hervorhebt. Im vierten Kapitel wird die Callcenter-Scorecard für die NCC konzeptionalisiert. Dazu werden die für Callcenter geeigneten Perspektiven entwickelt, mit geeigneten Ziel- und Steuerungsgrößen beschrieben, die Ursache- Wirkungsbeziehungen ermittelt und erforderliche Maßnahmen zur Steuerung im Falle einer Abweichung zu den Planvorgaben erörtert. Abschließend wird die Callcenter-Scorecard gesamthaft dargestellt. Das fünfte Kapitel zeigt an einem Beispielprojekt die Möglichkeiten des Projektcontrolling. Dazu wird zunächst das Beispielprojekt beschrieben, bevor die derzeitigen Durchführungswege bei der Kosten- und Erlöskalkulation sowie bei der Erfolgsrechnung für das Beispielprojekt dargestellt werden. Ein nächster Schritt veranschaulicht, wie eine prozessorientierte Projektkalkulation eine verursachungsgerechtere Kostenverrechnung ermöglicht und für mehr Transparenz und Effizienz im unternehmerischen Kontext sorgt. In einer Erlöskalkulation werden darüber hin-
Callcenter-Controlling als Bestandteil von Unternehmensführung & Controlling 15 aus nicht nur unternehmensbezogene Aspekte betrachtet, sondern auch marktbezogene Controlling-Ansätze berücksichtigt. Abschließen wird dieses Kapitel mit einem Vorteilhaftigkeitsvergleich für das Beispielprojekt zwischen Eigenfertigung und Fremdbezug, um den Effizienzvorteil durch die Vergabe des Beispielprojekts an das Callcenter anhand dessen Stärken-Schwächen-Profils visuell zu bestätigen. Das letzte Kapitel liefert einen zusammenfassenden Überblick über die NCC in Form einer SWOT-Analyse, welche die Stärken und Schwächen sowie die Chancen und Bedrohungen für das Unternehmen darstellt. Hier fließen zusätzlich auch aktuelle Entwicklungen der Callcenter Branche ein, die einen Ausblick für die NCC darstellen. Kap. 1 Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau des Buches Kap. 2 Dienstleistungscontrolling Call Center Kap. 3 Ziele und Aufgabenfelder des Dienstleistungscontrolling für Call Center Besonderheiten des Call Center Controlling Entwurf einer Call Center-Scorecard für Konzeptionalisierung eines Kap. 4 die NÜRNBERGER Kap. 5 Projektcontrolling CommunicationCenter GmbH Kap. 6 Schlussbetrachtung Abbildung 1-1: Aufbau des Buchs 1.3 Charakteristika des deutschen Mittelstands Bislang liegt keine eindeutige und allgemein gültige Definition für mittelständische Unternehmen vor. Bisher werden die Begriffe Mittelstand, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Familienunternehmen überwiegend synonym verwendet werden (vgl. Damken, N. (2007), S. 57ff.; Becker, W./Ulrich, P. (2009), S. 2ff.). Aufgrund der Heterogenität dieser Unternehmen gestaltet
16 Callcenter-Controlling als Bestandteil von Unternehmensführung & Controlling sich eine Operationalisierung des Begriffs vor allem nach qualitativen Kriterien als sehr schwierig. Die im deutschen Sprachraum am weitesten verbreitete Definition orientiert sich eher an quantitativen und damit leichter messbaren Kriterien und stammt vom Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn. Danach werden mittelständische Unternehmen nach den Kriterien Beschäftigtenzahl und erzielter Jahresumsatz abgegrenzt. Die Gesamtheit der KMU beschäftigen dabei weniger als 500 Mitarbeiter und erzielen einen Jahresumsatz von bis zu 50 Millionen Euro. Kleinstunternehmen, die weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigen, sind nicht inbegriffen (vgl. IfM Bonn (2002)). Unternehmensklassifikation Kleine Unternehmen Beschäftigtenzahl Bis 9 Jahresumsatz (in Mio. EUR) < 1 Mittlere Unternehmen 10 bis 499 1 bis 50 Großunternehmen Mehr als 499 > 50 Abbildung 1-2: KMU-Definition des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn (Quelle: Günterberg, B./Kayser, G. (2004), S. 3) Die ab 2005 europaweit gültige Empfehlung der Europäischen Kommission verwendet zur Definition dieselben Merkmale, führt aber mit der Bilanzsumme noch ein weiteres Kriterium für die Mittelstandsdefinition ein. Unternehmensklassifikation Beschäftigtenzahl Jahresumsatz (in Mio. EUR) Bilanzsumme (in Mio. EUR) Kleinstunternehmen 0 bis 9 Bis 2 Mio. EUR Bis 2 Mio. EUR Kleinunternehmen Mittlere Unternehmen 10 bis 49 50 bis 249 Bis 10 Mio. EUR Bis 50 Mio. EUR Bis 10 Mio. EUR Bis 43 Mio. EUR Abbildung 1-3: KMU-Definition der Europäischen Kommission (Quelle: Europäische Kommission (1996); Europäische Kommission (2003)) Danach dürfen KMU entweder 43 Millionen Euro Jahresbilanz nicht überschreiten oder weniger als einen Jahresumsatz von 50 Millionen Euro erzielen.
Callcenter-Controlling als Bestandteil von Unternehmensführung & Controlling 17 Zudem beträgt die Beschäftigtenzahl höchstens 250 Personen (vgl. IfM Bonn (2005)). Legt man die KMU-Definition des IfM Bonn zu Grunde, wird deutlich, dass KMU das Rückgrat der deutschen Wirtschaft darstellen, denn etwa 99 Prozent der Unternehmen zählen zum Mittelstand (vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (2002), S. 3). Auf KMU entfielen 2007 etwa 38 Prozent aller Umsätze und 71 Prozent aller Beschäftigten bzw. 66 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Ihr Anteil an den Auszubildenden beläuft sich auf 83 Prozent. An der Nettowertschöpfung der Unternehmen halten sie einen Anteil von 47 Prozent (vgl. IfM Bonn (2002); Destatis (2008) S. 1ff.). Als qualitative Abgrenzungskriterien gelten vor allem typische Kennzeichen, die mit der Eigentümerstruktur im Mittelstand verbunden werden. Dabei sind in mittelständischen Unternehmen größtenteils die Unternehmer selbst Anteilseigner. Die Leitung des Unternehmens erfolgt in über 80 Prozent der Fälle durch den Inhaber. Außerdem können durch das qualitative Element der wirtschaftlichen und rechtlichen Selbstständigkeit der mittelständischen Unternehmen konzernabhängige Unternehmen aus dem Kreis der KMU ausgeschlossen werden (vgl. Becker, W./Staffel, M./Ulrich, P. (2008), S. 16). Des Weiteren ist der Mittelstand durch flache Hierarchien und einer geringen Anzahl weiterer Führungskräfte gekennzeichnet (vgl. Damken, N. (2007), S. 58ff.). In diesem Zusammenhang dominiert das operative Geschäft, im Rahmen der strategischen Planung existieren häufig Defizite. Dazu finden strategische Controllinginstrumente im deutschen Mittelstand kaum Anwendung. Dies wird vor allem auch mit den Studien von Töpfer/Linstädt/Förster (2002, S. 80ff.) zur Verbreitung der Balanced Scorecard (BSC) deutlich: Die Unternehmensgröße hat einen signifikanten Einfluss auf die Verbreitung der BSC, weswegen die Einsatzhäufigkeit der BSC bei Großunternehmen deutlich höher ist als bei mittelständischen Unternehmen. Lediglich 20 Prozent der befragten mittelständischen Unternehmen setzen die BSC ein. Der Grund für die Nichtanwendung liegt dabei hauptsächlich in der mangelnden Vertrautheit mit dem Konzept der BSC. Veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen verbunden mit der Dynamik, der Komplexität und den Diskontinuitäten der Unternehmensumwelt bewirken eine tendenziell sinkende Profitabilität des Unternehmens. Aufgrund des intensiven Wettbewerbs im Mittelstand erscheint daher auch die Wahrnehmung von
18 Callcenter-Controlling als Bestandteil von Unternehmensführung & Controlling Controllingfunktionen für KMU von besonderer Bedeutung (vgl. Graumann, M. (2008), S. 6). Aus Gründen der erhöhten Praktikabilität für die anwendungsorientierte Mittelstandsforschung hat das Deloitte Mittelstandsinstitut an der Universität Bamberg eine neue Mittelstandsdefinition erarbeitet (vgl. Becker, W./Ulrich, P. (2009), S. 2ff.). Die Größenkriterien wurden hier im Vergleich zu früheren Untersuchungen mit Mittelstandsfokus deutlich nach oben angehoben. Mittelständische Unternehmen sind gemäß Becker/Ulrich (2009, S. 3) in einer ersten Annäherung quantitativ wie folgt zu definieren: Unternehmensklassifikation Kleinstunternehmen Beschäftigtenzahl Bis ca. 30 Jahresumsatz (in Mio. EUR) Bis ca. 6 Mio. EUR Kleinunternehmen Bis ca. 300 Bis ca. 60 Mio. EUR Mittlere Unternehmen Bis ca. 3.000 Bis ca. 600 Mio. EUR Große Unternehmen Über 3.000 Über 600 Mio. EUR Abbildung 1-4: Quantitative Mittelstandsdefinition des Deloitte Mittelstandsinstituts (Quelle: Becker, W./Ulrich, P. (2009), S. 3) Um eine überschneidungsfreie Untersuchung mittelständischer Unternehmen zu ermöglichen, wird diese erweiterte Mittelstandsdefinition mit einer Typologie mittelständischer Unternehmen verbunden, welche auf dem konstitutiven Charakter der beiden Kategorien Besitz und Leitung beruht. Eine Vielzahl mittelständischer Unternehmen kann als Eigentümer- Unternehmen klassifiziert werden. Diese Unternehmen besitzen hinsichtlich ihrer Leitungs- und Besitzstruktur besondere Merkmale. So kann sowohl Besitz als auch Leitung einer Einzelperson zugeordnet werden. Familienunternehmen weisen in Bezug auf Leitungs- und Besitzstruktur einen unmittelbaren Einfluss der Familie auf. Oberster Entscheidungsträger (z.b. als CEO) ist stets ein Familienmitglied auch dann, wenn ein Fremdmanagement in der Geschäftsführung etabliert ist.
Callcenter-Controlling als Bestandteil von Unternehmensführung & Controlling 19 Der fremdgeführte Mittelstand zeichnet sich dadurch aus, dass sich das Unternehmen im Besitz einer Einzelperson oder einer Familie (mindestens zwei Personen) befindet, während die Leitung komplett an ein externes Management vergeben wurde. Aufgrund der zunehmenden Entfernung der Familie von dem operativen Geschäft werden in Anlehnung an die quantitative Mittelstandsdefinition des Deloitte Mittelstandsinstituts an der Universität Bamberg nur Unternehmen bis ca. 3.000 Mitarbeiter oder 600 Millionen Euro Umsatz zu dieser Gruppe gezählt. Größere Unternehmen mit vergleichbaren Besitz- und Leitungsstrukturen sind qualitativ eher mit Publikumsgesellschaften vergleichbar. Mischfinanzierte Unternehmen und Publikumsgesellschaften sind bis zu einer Größe von ca. 3.000 Mitarbeitern und ca. 600 Millionen Euro Umsatz noch als mittelständisch anzusehen. NCC ist eine mittelständische Publikumsgesellschaft, die sich zu 100 Prozent im Fremdbesitz der NÜRNBERGER Versicherungsgruppe befindet. Publikumsgesellschaften Management Familie Einzelperson Leitungsstruktur Fremdgeführter Mittelstand Familien- Unternehmen (i.e.s.) Eigentümer- Unternehmen Mischfinanziertes Unternehmen Besitzstruktur Einzelperson Familie Fremdbesitz Abbildung 1-5: Typologie des Mittelstands (Quelle: Becker, W./Ulrich, P. (2009), S. 5)
2 Theoretische Grundlagen Die primäre Zielsetzung dieses Abschnittes ist es, die für diesen Beitrag bedeutsamen theoretischen Grundlagen herauszuarbeiten und damit das notwendige Hintergrundwissen für ein allgemeines Verständnis von Dienstleistungscontrolling und Callcentern zu liefern. Daher wird zunächst ein Einblick in die Grundlagen des Dienstleistungscontrolling gegeben, der die Herausforderungen des Dienstleistungscontrolling aufgrund der Besonderheiten von Dienstleistungen darstellt. Außerdem werden die wesentlichen Callcenter-Grundlagen aufgezeigt, um die Funktionsweise von Callcentern und damit auch die Geschäftstätigkeit der NCC besser begreifen zu können. 2.1 Grundlagen des Dienstleistungscontrolling 2.1.1 Begriff und Funktionen des Controlling Die betriebliche Funktion des Controlling ist ein Konstrukt der Wirtschaftspraxis und wurde erst später von der Wissenschaft als Teildisziplin der Betriebswirtschaftslehre aufgegriffen. Bereits im 15. Jahrhundert wurde am englischen Königshof zur Dokumentation von ein- und ausgehenden Gütern und Geldern ein Controller of Accounts eingeführt. Im Jahre 1880 entstand in der amerikanischen Eisenbahngesellschaft Atchison, Topeka & Santa Fe Railway System die Funktion eines Comptroller (abgeleitet aus dem französischen contre-rôle, sinngemäß als Buchführung übersetzbar), bei der es sich um eine rein retroperspektive Kontrolle des betrieblichen Rechnungswesens handelte. 1892 wurde die erste Stelle eines Controllers beim Unternehmen General Electric Company mit finanz- und erfolgswirtschaftlichen Steuerungsaufgaben eingerichtet. Bis 1970 waren derartige Stellen und Funktionen in deutschen Unternehmen weitgehend unbekannt (vgl. z. B. Barth, T./Barth, D. (2008), S. 1ff.; Graumann, M. (2008), S. 7; Weber, J./Schäffer, U. (2008), S.3ff.). In deutschen Unternehmen entstand ab 1970 eine zunehmende Verbreitung des Controlling, die primär mit der zunehmenden Internationalisierung und Diversifizierung der Unternehmenspraxis einherging (vgl. z. B. Graumann, M. (2008), S. 7; Weber, J./Schäffer, U. (2008), S. 7ff.).