IPS-PREPRINTS. Annual 1994 No. 5. Edited by Gerhard Schurz und Alexander Hieke

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Transkript:

1 Title: Ein quantenmechanisches Argument für die Existenz konkreter Universalien Author: Gerhard Schurz IPS-PREPRINTS Annual 1994 No. 5 Edited by Gerhard Schurz und Alexander Hieke Vorveröffentlichungsreihe am Institut für Philosophie der Universität Salzburg Prepublication Series at the Department of Philosophy, University of Salzburg

2 EIN QUANTENMECHANISCHES ARGUMENT FÜR DIE EXISTENZ KONKRETER UNIVERSALIEN* Gerhard Schurz, Salzburg 1. Einführung Mit zwei Arten von Termen beschreiben wir die Welt. Singuläre Terme z.b. Eigennamen ("Peter"), persönliche Fürwörter ("ich"), deiktische Ausdrücke ("dieser Tisch") bezeichnen Individuen, generelle Terme z.b. Eigenschaftsbegriffe ("ist rot"), Artbegriffe ("ist ein Tisch") oder relationale Begriffe ("ist größer als") bezeichnen sogenannte Universalien. Soweit die sprachliche Evidenz. Doch entspricht diesem sprachlichen Unterschied auch ein Unterschied in der Realität? Gibt es in der Realität zwei grundlegende Arten von Entitäten, Individuen und Universalien? Das ist die Frage der Ontologie, und sie führt über die sprachliche Evidenz hinaus. Die uralte Auseinandersetzung zwischen der Position des Nominalismus, im folgenden kurz N, und der Position des Universalienrealismus, im folgenden kurz U, dreht sich um eben diese Frage. Ein Individuum ist ein Einzelding, das, wenn es existiert, nur einmal in der Welt existiert z. B. dieser Tisch, diese rote Farbe. Ein Universal dagegen kann, wenn es existiert, in der Welt mehrfach exemplifiziert sein, und ist es auch im Regelfall es gibt in der Realität viele Tische, und es gibt viele Exemplifizierungen der Eigenschaft, rot zu sein. Gemäß N existieren nur Individuen, nicht aber Universalien. Wenn wir generelle Terme verwenden, so handelt es sich N zufolge nur um eine Sprechweise, denn was generellen Termen in der Realität entspricht, läßt sich allein auf Individuen zurückführen. Gemäß U existieren dagegen neben Individuen auch Universalien. Im folgenden geht es mir um eine Entscheidung zwischen N und U, d.h. um die Frage: gibt es Universalien oder nicht? Wenn ich im folgenden das schillernde Wort "Existenz" verwende, so sei sogleich eingeschränkt, daß ich Existenz immer im Sinne konkreter, raumzeitlicher

3 Existenz verstehe. Ich bewege mich also im Rahmen einer naturalistischen Ontologie und frage danach, ob Universalien in der raumzeitlichen Realität existieren. Wenig hilft mir etwa Armstrongs Lösungsvorschlag, Universalien existierten als Konstituenten von Sachverhalten. Denn Sachverhalte sind abstrakte Entitäten, deren Existenz selbst problematisch ist (s. 2). Philosophen diskutieren die Frage nach der Existenz von Universalien zumeist anhand von Beispielen aus unserer Alltagswelt. Gibt es das Universal "Baum", oder gibt es nur die einzelnen Bäume? An diesem Beispiel scheint bereits alles wesentliche unsere Frage erkennbar zu sein. Was soll es da noch bringen, unsere Frage im Rahmen von so esoterischen Gebieten wie der Quantenmechanik abzuhandeln? Viel, wie ich meine. Hinter den Gegenständen unserer Alltagswelt stehen in Wirklichkeit komplexe Systeme, die sich aus Millionen von Mikropartikeln zusammensetzen. Gerade wenn man im Rahmen einer naturalistischen Ontologie nach der Existenz von Universalien frägt, sollte es doch vordringlich sein, diese Frage zunächst einmal für die kleinsten Bestandteile unserer Wirklichkeit zu stellen, also auf der mikrophysikalischen Ebene von Atomen und Elektronen. Damit handelt man sich zugleich zwei weitere Vorteile ein. Erstens sind mikrophysikalische Entitäten viel einfacher als makrophysikalische, ihre 'innere Natur' ist spartanisch und wird durch einige wenige essentielle Charakteristika beschrieben. Setzen wir etwa zwei Bäume nebeneinander, so bestehen zwischen ihnen, auch wenn sie derselben biologischen Art zugehören, noch immer Millionen kleiner Unterschiede. Ganz anders wird dies, wenn wir zwei Elektronen nebeneinander setzen. Zweitens sind unsere physikalischen Theorien über Elektronen ungleich vollständiger als unsere biologischen Theorien über Bäume; was einem Biologen nicht im Traum einfallen würde, nämlich den vollständig spezifizierten Zustand eines Baumes als Funktion der Zeit mathematisch berechnen zu wollen, das tut der Physiker für das Elektron. Wenn es den meisten Philosophen auf der Ebene der Alltagswelt aussichtlos erscheint, eine Entscheidung des Universalienstreites aufgrund wissenschaftlichen Wissens

4 herbeizuführen, so folgt daraus (selbst wenn man es unterschreibt) noch keineswegs, daß dies nicht eventuell auf der mikrophysikalischen Ebene möglich sein könnte weil die Wissenschaft hier ungleich mehr weiß. In der Tat wird mein Argument eben dies demonstrieren. Beide Positionen, N wie U, haben ein fundamentales Wie-Möglich-Erklärungsproblem. N muß erklären können, wie es möglich ist, daß zwei verschiedene Individuen diesselbe Eigenschaft haben, wenn es eigentlich nur die Individuen und nicht die Eigenschaft gibt. U dagegen muß erklären können, wie es möglich ist, daß ein und dasselbe Universal mehrfach exemplifiziert ist und insofern 'mehrfach existiert'? Zunächst werde ich die wichtigsten Probleme der Position N ( 2) und anschließend jene der Position U ( 3) besprechen. Ich gelange zum Resultat, daß eine kohärente Rekonstruktion von U, welche weder in eine Variante von N zurückfällt noch den Rahmen naturalistischer Ontologie verläßt, dazu zwingt, das Leibnizsche Prinzipium Identitas Indiscernibilium (PII) aufzugeben. Ich werde dann die Position U unter dieser Annahme rekonstruieren ( 4), anhand des mikrophysikalischen Beispieles zweier Elektronen. Es stellt sich heraus, daß man durch rein logische Überlegungen zu Konsequenzen gelangt, die einige Grundannahmen der Quantenmechanik (QM) vorwegnehmen. Die Rekonstruktion der QM ( 5) zeigt darüberhinaus, daß nur die Rekonstruktion des Elektronenbeispiels gemäß U, nicht aber jene gemäß N, zu empirisch zutreffenden Prognosen führt. Ein metaphysisches Problem ist damit empirisch sensitiv geworden. Abschließend verallgemeinere ich meine Resultate ( 6) und diskutiere ihre Konsequenzen für die philosophische N-U- Kontroverse ( 7).

5 2. Probleme des Nominalismus Gemäß N besteht die Welt aus nichts als Individuen, die sich in Raumzeitgebieten aufhalten. Wie ist es möglich, daß zwei verschiedene Individuen, z.b. zwei Elektronen e 1 und e 2, dieselbe Eigenschaft besitzen, z.b. elektrisch geladen zu sein, oder schlicht ein Elektron zu sein? Das Elektron-sein von e 1 und das von e 2 kann selbst kein Individuum sein, denn es kommt ja zweimal vor, an e 1 und an e 2, während Individuen immer nur einmal vorkommen können. Wie kann das Universal ein- Elektron-sein durch eine Welt erklärt werden, die nur aus Individuen besteht? Es gibt hierzu einige wohlbekannte Erklärungsansätze, die ich im folgenden nur insoweit anführe, als es für das spätere vonnöten ist. Dabei stütze ich mich auf die hervorragende Übersicht in Armstrong (1989). Der Klassennominalismus führt das Haben-einer-Eigenschaft auf die Zugehörigkeit zu einer Klasse von Individuen zurück ein Elektron zu sein bedeutet ein Element der Klasse aller Elektronen zu sein (Armstrong 1989, S. 12). Vier Probleme dieses Ansatzes machen ihn unbefriedigend. Erstens führt man damit neue abstrakte Individuen ein, nämlich Klassen denn Klassen haben keine konkrete, d.h. raumzeitliche Existenz. Zweitens lassen sich beliebige Kollektionen von Individuen zu Klassen zusammenfassen, und nicht jeder willkürlich gebildeten Klasse entspricht eine Eigenschaft. Man muß sich also auf natürliche Klassen beschränken auf solche, die einer Eigenschaft entsprechen (1989, S. 21ff) aber was ist das Kriterium der 'Natürlichkeit' von Klassen, wenn es Eigenschaften eigentlich gar nicht gibt, sondern nur Individuen? Drittens besteht das Koextensionsproblem: es kann vorkommen, daß verschiedene Eigenschaften ein- und derselben Klasse entsprechen (1989, S. 25f). Viertens würde sich dem Klassennominalismus zufolge jedesmal, wenn ein Vertreter einer Klasse ausstirbt oder ein neuer hinzukommt, die Klasse ändern die Eigenschaft, ein Elektron zu sein, ändert sich jedoch nicht jedesmal, wenn (in mikrophysikalischen Prozessen) ein Elektron vernichtet oder ein

6 neues erzeugt wird (1989, S. 27). Der Ähnlichkeitsnominalismus (1989, S. 39ff) führt das Haben-einer Eigenschaft eines Individuums auf seine Ähnlichkeit mit einem typischen Vertreter dieser Eigenschaft zurück. e 1 ist ein Elektron weil es einem Standardelektron e* ähnlich ist. Aber es gibt Ähnlichkeiten in verschiedenen Hinsichten (gleiche Ladung, gleiche Geschwindigkeit, usw.). Es wäre verführerisch, verschiedene Arten von Ähnlichkeiten einzuführen, doch sobald man dies tut, führt man offensichtlich wieder Universalien ein (1989, S. 40f). Der Ähnlichkeitsnominalist spricht daher nur von einer Ähnlichkeitsrelation, welche die Gesamtähnlichkeit mißt. Der Vorschlag lautet, statt eines einzigen Standardexemplars, auf den die Ähnlichkeitsrelation bezogen wird, eine repräsentative Standardklasse solcher Standardexemplare zu nehmen z.b. eine Menge von Elektronen, welche verschiedenste Zustände einnehmen. Ein Individuum besitzt dann eine Eigenschaft, wenn es allen Mitgliedern dieser Standardklasse ähnlich ist (1989, S. 47f). Auch dies ist noch nicht zufriedenstellend. Erstens gibt es Grade der Gesamtähnlichkeit. Man kann dieses Problem lösen, indem man fordert, ein Individuum müsse jedem Mitglied der Standardklasse mindestens so ähnlich sein, wie diese Mitglieder untereinander ähnlich sind (1989, S. 47). Zweitens bleibt das Koextensionsproblem. Denn wenn zwei verschiedene Eigenschaften F 1 und F 2 derselben Klasse K ent sprechen, so muß jede Standardklasse K' Ã K für F 1 auch eine geeignete Standard klasse für F 2 sein, und umgekehrt womit die koextensiven Eigenschaften F 1 und F 2 ähnlichkeitsnominalistisch ununterscheidbar sind. Drittens aber bleibt das Regressproblem, welches ich für das fundamentalste halte und sogleich bespreche. Der Tropennominalismus ist die fortgeschrittenste Variante von N. Er ist ein Ähnlichkeitsnominalismus zusammen mit einer verfeinerten Grundlage von Individuen. Die Tropentheorie geht nicht von den 'klassischen' Individuen aus, sondern von den individuellen Eigenschaftsinstanzen bzw. Universalieninstanzen, den

7 sogenannten Tropen. (1989, S. 113ff). Es gibt diese Röte, diese Baumheit, dieses elektrische Ladung, etc., sie sind Individuen, sozusagen die letzten ontologischen Konstitutenten des nominalistischen Universums. Gemäß einem Vorschlag von Simons (1994, 6) wären 'klassische' Individuen, wie dieses Elektron, als sogenannte Nuklei zu verstehen das sind Bündel von essentiell zusammengehörenden, nicht voneinander abtrennbaren Tropen (diese Elektronenmasse, diese negative Elektronladung, dieser Elektronenspin). Die Zugehörigkeit eines Tropus zu einer Eigenschaft bzw. zu einem Universal wird nun einfach durch die Ähnlichkeit zu einem Standardexemplar erklärt. Das Problem, daß es Ähnlichkeiten in verschiedener Hinsicht gibt, bzw. daß die Gesamtähnlichkeit verschieden stark ausgeprägt sein kann, verschwindet nun zumindest wenn man Basistropen betrachtet: sie sind einander entweder (ganz) ähnlich, oder (gar) nicht. Diese elektrische Ladung ist jener elektrischen Ladung entweder ähnlich nämlich wenn Vorzeichen und Betrag der beiden Ladungen identisch sind oder nicht (1989, S. 121). Auch das Koextensionsproblem wird nun lösbar, dann gegeben zwei koextensive Eigenschaften F 1 und F 2, so geht man nun von den individuellen F 1 - heiten und F 2 -heiten aus und faßt diese zu Ähnlichkeitsklassen zusammen. Aus diesem Grunde bringt Armstrong der Tropentheorie große Sympathien entgegen (1989, S. 120), man hat fast den Eindruck, als wäre der Universalientheoretiker Armstrong in (1989) zum heimlicher Tropentheoretiker geworden. Dennoch bleibt ein fundamentaler Einwand gegen die Tropentheorie (bzw. gegen jede Art von Ähnlichkeitsnominalismus) bestehen: das von Mill und Husserl antizipierte und von Russell formulierte Regressargument (Armstrong 1989, S. 53ff). Es besagt, daß N zufolge die einzelnen Ähnlichkeitsrelationen zwischen den einzelnen Individuen oder Tropen ja wiederum Individuen sein müssen. Wie erklären wir aber, daß diese einzelnen 'Ähnlichkeitsrelationsindividuen' zu einer gemeinsamen Art, nämlich der Art "Ähnlichkeitsrelation" gehören? Wenn wir darauf antworten: weil diese 'Ähnlichkeitsrelationsindividuen' untereinander ähnlich sind, so führen wir eine

8 Hierarchie von Ähnlichkeiten, Ähnlichkeiten-von-Ähnlichkeiten etc. ein, und gelangen offenbar in einen unendlichen Regress. Offenbar müssen wir auch hier zumindest noch ein Universal, das der Ähnlichkeitsrelation, voraussetzen. Armstrong glaubt, dieses Argument könne durch die Konzepte der internen Relation und der Supervenienz entkräftet werden. Ich halte diesen Ausweg für trügerisch und möchte begründen, warum. Daß Ähnlichkeit eine interne Relation ist, soll besagen, daß sie durch die Individuen bzw. deren 'individuellen Naturen' vollständig bestimmt ist, und 'nichts zusätzliches' ist (1989, S. 43f). Wie Armstrong jedoch bemerkt (1989, S. 129f), bringt der Begriff der "individuellen Natur" im Fall von Tropen über den Begriff des "Individuums" hinaus nichts, denn Tropen sind ja individuelle Naturen (die aus keinen noch grundlegenderen 'individuellen Naturen' bestehen). In diesem Fall bleibt nur die Möglichkeit, die individuelle Natur eines Individuums a mit der Eigenschaft zu identifizieren, mit a numerisch identisch zu sein. D.h. ein Individuum b besitzt die individuelle Natur x = a g.d.w. a = b. Zugleich ist dies die ontologisch harmloseste Definition des Begriffs der individuellen Natur. Betrachten wir nun die individuelle Ähnlichkeit zwischen unseren beiden Elektronen, e 1 und e 2, und nennen wir sie e 12. Daß e 12 eine interne Relation ist, bedeutet Armstrong zufolge: notwendigerweise existiert, wenn e 1 und e 2 existieren, auch e 12 (1989, S. 43ff). Man sagt auch, die individuelle Relation e 12 ist supervenient bzgl. e 1 und e 2. Angesichts des Regressargumentes legt dies Armstrong nun so aus: "The relation supervenes on the natures, and if it supervenes, I suggest, it is not distinct from what it supervenes upon" (1989, S. 56). Die individuelle Ähnlichkeitsrelation e 12 ist also gar kein 'neues', über e 1 und e 2 bzw. deren individuellen Naturen hinausgehendes Individuum, und somit sei das Regressargument nicht anwendbar. Armstromgs Argument ist jedoch schon aus logischen Gründen falsch. Wenn die individuelle Ähnlichkeitsrelation e 12 wirklich nicht verschieden ('not distinct') ist von den Elektronen e 1 und e 2, dann müßte doch e 12 = e 1 und e 12 = e 2 gelten. Es gilt jedoch e 1 e 2 Widerspruch: e 12 e 12. Ergo muß e 12 zumindest von e 1 oder von

9 e 2 verschiedenen sein. e 12 kann aber auch unmöglich mit nur einem der beiden Individuen, sagen wir mit e 1, identisch sein, aber verschieden sein von e 2. Denn dann könnte e 12 ihren Zweck, eine individuelle Ähnlichkeitsrelation zu sein, nicht erfüllen. Ergo muß e 12 ein sowohl von e 1 wie von e 2 verschiedenes Individuum sein. Der Fehlschluß in Armstrongs Gebrauch der "internen Relation" liegt m. E. also in folgendem. Natürlich kann aus der Existenz einiger Individuen a 1,,a n die Existenz eines weiteren Individuums b mit Notwendigkeit folgen, aber daraus folgt keineswegs, daß das Individuum b nun nicht mehr als ein von den a 1,,a n verschiedenes Individuum existiert. Im Grunde ist das Regressargument gegen den Tropennominalsimus ganz einfach. Nennen wir unsere Individuen 1, 2, i, (i œ) und die individuellen Ähnlichkeitsrelationen 12, 13, ij, (i,j œ). Wir wissen, daß die Individuen ij, falls sie existieren, von den Individuen i verschieden sind. Entweder die Individuen ij (i, j œ) existieren oder sie existieren nicht. Wenn nein, dann gibt es keine Ähnlichkeiten im nominalistischen Universum, und der Ähnlichkeits-N besitzt keine realistische Grundlage. Wenn ja, dann fragt sich, wie wir die Individuen ij zur Klasse der 'Ähnlichkeitsindividuen' zusammenfassen, und von den Individuen i abgrenzen. Da die Standardantwort "weil sie untereinander ähnlich sind" in einen Regress führen würde, müssen wir zumindest ein Universal voraussetzen: das der Ähnlichkeitsrelation.

10 3. Probleme des Universalienrealismus Die Probleme des Nominalismus schaffen erst die Motivation dafür, die Denkakrobatik, die uns jetzt erwartet, auf uns zu nehmen. Gäbe es eine einfache Lösung innerhalb N, so gäbe es dafür keinen Grund. Gemäß U existieren Universalien, z. B. das Universal "Elektron", welche mehrfach exemplifiziert sind. Was soll das bedeuten? Nehmen wir unsere beiden Elektronenindividuen, e 1 und e 2. Sie existieren. Was heißt es aber, daß darüberhinaus das Universal "Elektron" existiert? Existiert es (mindestens) zweimal, einmal an e 1, das andere Mal an e 2? Und wenn ja, müßten dann nicht eigentlich zwei Elektronenuniversalien existieren, die somit verschieden wären, weil es zwei sind? Auch hierzu gibt es verschiedene Lösungsansätze, die m. E. ebenfalls alle nicht befriedigend sind, bis auf den letzten, welcher uns jedoch, wie erwähnt, einiges an Denkakrobatik abnötigt. Um uns darauf vorzubereiten, zunächst einige terminologische Klärungen. Der Bereich von Entitäten, über die wir sprechen, umfaßt sowohl real existierende wie bloß konzeptuelle Entitäten ('mentale Konstrukte'). Jede Entität, die im Entitätenuniversum genau einmal vorkommt, ist (per definitionem) ein Individuum entweder ein real existierendes oder ein bloß konzeptuelles Individuum. Im Rahmen unserer naturalistischen Ontologie fällt "real existierend" mit "konkret, d.h. in Raum und Zeit existierend" zusammen; jede abstrakte Entität ist für uns somit zugleich eine bloß konzeptuelle Entität. Wir unterscheiden nun zwischen dem Universal als solchem (das Universal "Elektron") und seinen Exemplaren (das eine oder andere Elektronenexemplar). Der Unterschied ist vorläufig der: es gibt nur ein Universal "Elektron" als solches, es gibt jedoch (im Regelfall) mehrere Exemplare dieses Universals. Das Universal als solches ist ein Individuum jedoch ein abstraktes Indivuduum, da es, wie noch zu sehen ist, keine raumzeitliche Existenz besitzt. Wir nennen das Universal als solches daher auch das abstrakte Universal. Im Begriff

11 des "Exemplars eines (abstrakten) Universals", kurz "Universalienexemplars", lassen wir es jedoch offen, ob Universalienexemplare als Individuen aufgefaßt werden, oder aber anders nämlich als sogenannte konkrete Universalien, wie noch zu sehen ist. Es zwei Möglichkeiten, Universalien (reale) Existenz zuzuschreiben: (1.) indem man den Universalien als solchen Existenz zuschreibt, oder (2.) indem man den Universalienexemplaren Existenz zuschreibt. (1.1) Dem platonischen Universalienrealismus zufolge existieren Universalien als solche in einer zweiten, idealen Welt, die neben der konkreten raumzeitlichen Welt existiert (Armstrong 1989, S. 76ff). Selbst wenn man an die reale Existenz dieser zweiten idealen Welt glaubt, löst dieser Ansatz das Erklärungsproblem des U nicht, sondern verschiebt es nur. Denn Universalien werden hier als abstrakte Individuen aufgefaßt (die in der idealen Welt existieren), und die Frage lautet nun: was ist unter der Relation der Exemplifizierung zu verstehen was bedeutet es, daß ein Individuum der konkreten Welt ein Universal der idealen Welt exemplifiziert? Offenbar ist die Relation der Exemplifizierung selbst wieder ein Universal, das nun jedoch nicht mehr ausschließlich in der idealen Welt beheimatet sein kann (sonst gäbe es wiederum Exemplifizierungen der Exemplifizierungssrelation, und man käme in einen unendlichen Regress). Aus diesem Grund, aber auch weil ich mich von vornherein innerhalb einer naturalistischen Ontologie bewege, halte ich den platonistischen Weg für ungangbar. An dieser Stelle sei bemerkt, daß ich auch Armstrongs Sachverhaltsontologie für eine Variante des platonistischen Ansatzes ansehe. Armstrong schreibt: "We should think of the world as a world of states of affairs, with particulars and universals only having existence within states of affairs" (1989, S. 94). Sachverhalte sind jedoch m. E. abstrakte Entitäten; nur die ihnen zugrundeliegenden Ereignisse sind konkret. Armstrong selbst sieht Sachverhalt als raumzeitlich existierend an, weil er Raum- Zeit selbst durch Sachverhalte definiert: "Space-time is a conjunction of states of

12 affairs" (S. 99). Das heißt jedoch nur, daß Armstrongs Begriff der "Raum-Zeit" selbst ein Abstraktum ist, aber nicht, daß durch diese Definition der Unterschied zwischen abstrakten Sachverhalten und konkreten Ereignissen verschwindet. Das platonistische Problem der Relation zwischen konkreten Ereignissen und abstrakten Sachverhalten wird von Armstrong gar nicht gestellt er verbleibt in der platonistischen Welt. Dies ermöglicht ihm eine kohärente Lösung des Universalienproblems: er kann die Behauptung "Different particulars can have the very same property" (S. 99) ganz wörtlich nehmen. Ihm zufolge bedeutet es, daß es mehrere Sachverhalte geben kann, die sich lediglich hinsichtlich ihres Individuenbestandteiles unterscheiden, jedoch ein- und denselben Universalienbestandteil besitzen. Ein Beispiel wären die Sachverhalte "Am Ort s i befindet sich ein Elektron", für verschiedenste Orte s i. Mereologisch gesehen bedeutet dies, daß sich alle Armstrongschen Sachverhalte dieser Form überlappen: sie haben das Universal "Elektron" als gemeinsamen Teil. Die diesen Sachverhalten entsprechenden raumzeitlichen Konkreta, die Elektronen(ereignisse), haben jedoch keine gemeinsamen raumzeitlichen Teile. Dies verdeutlich die strukturelle Verschiedenheit abstrakter Sachverhalte und konkreter Raum-Zeit-Ereignisse. (1.2) Die zweite Denkmöglichkeit, dem Universal als solchen Existenz zuzuschreiben, besteht darin, es als ein riesiges räumlich oder raumzeitlich zersplittertes Individuum zu begreifen, bestehend aus allen seinen Exemplaren. Das Universal "Elektron" wäre somit die raumzeitliche Summe aller einzelnen Elektronen. Auch diese Lösungsmöglichkeit ist unbefriedigend. Erstens führt sie Universalien als solche auf konkrete Individuen auf und fällt somit damit in die Position N zurück. Zweitens handelt sie sich dieselben Schwierigkeiten ein wie der Klassennominalismus. So kann man in willkürlicher Weise viele räumlich zersplitterte Individuen bilden, und nicht jedes dieser Individuen entspricht einer Eigenschaft bzw. einem Universal also muß man sich auf 'natürliche' räumlich zersplitterte Individuen beschränken, aber was ist das Kriterium für Natürlichkeit? Es gibt auch wieder das

13 Koextensionsproblem: beispielsweise entspricht den beiden Eigenschaften "Elektronenmasse" und "Elektronenladung" jeweils die gleiche raumzeitliche Elektronensumme. Schließlich ändert sich die raumzeitliche Elektronensumme jedesmal, wenn ein Elektron vernichtet oder ein neues erzeugt wird, die Eigenschaft, ein Elektron zu sein, ändert sich dadurch jedoch nicht. Zusammengefaßt sehe ich keine Möglichkeit, dem Universal als solchem reale Existenz zuzuschreiben, jedenfalls nicht im Rahmen einer naturalistischen Ontologie. Wenn Universalien real existieren, dann nur über oder vermittels ihrer Exemplare. Daher fasse ich von nun an das Universal als solches, ganz wie die Position N, als konzeptuelles Konstrukt auf, und nenne es das abstrakte Universal. Damit ist natürlich auch die Relation der Exemplifizierung "x exemplifiziert y" ein konzeptuelles Konstrukt (nur ihr linkes Argument existiert real). Wie im Ähnlichkeits-N muß ich diese Exemplifizierungsrelation auf eine Relation zwischen den Universalienexemplaren zurückführen, und kann das abstrakte Universal z.b. durch Klassenkonstruktion aus den konkreten Universalienexemplaren gewinnen. Wie in N habe ich das Problem, zu erklären, was es realiter bedeutet, daß alle Exemplare desselben abstrakten Universal etwas gemeinsam haben. Alles kommt nun darauf an, wie die Universalienexemplare aufgefaßt werden. Hier sehe ich nur zwei Möglichkeiten. (2.1) Entweder man faßt die Universalienexemplare als Individuen auf - als klassische Individuen ("dieser Tisch", "dieses Elektron") oder Tropen ("diese Röte", "diese elektrische Ladung"). Bei dieser Alternative wären wir vollends im nominalistischen Hafen gelandet das Erklärungsproblem von N stellt sich uns aufs Neue: da die individuellen Universalienexemplare alle voneinander verschieden sind, fragt sich, was dasjenige ist, was sie miteinander gemeinsam haben. (2.2) Die verbleibende Alternative mutet eine Denkakrobatik zu. Wenn Universalienexemplare konkret existieren, jedoch von Individuen verschieden sein sollen, so müssen wir die Möglichkeit zulassen, daß dieselbe Entität mehrfach existieren kann. Derartige nichtindividuenhafte Universalienexemplare nennen wir von nun an

14 konkrete Universalien. Nehmen wir unsere zwei Elektronen e 1 und e 2, zwei Exemplare des abstrakten Universals "Elektron", nun aber nicht als Individuen, sondern als konkrete Universalien betrachtet. Als konkrete Universalien haben e 1 und e 2 keine individuellen Naturen sie sind sozusagen das, was übrigbleibt, wenn die Individuen e 1 und e 2 ihre individuellen Naturen abgestreift haben. e 1 und e 2 unterscheiden sich daher in nichts voneinander, in keiner einzigen Eigenschaft. (Wir werden dies später durch physikalische Gedankenexperimente simulieren.) Dennoch sind es zwei konkrete Universalien, und nicht bloß eines. Ist dies möglich? Offenbar zwingt uns diese Möglichkeit dazu, das Leibnizsche Prinzipium Identitas Indiscernibilium, PII, für konkrete Universalien fallenzulassen. Es besagt: wenn zwei Entitäten a und b in allen ihren Eigenschaften übereinstimmen, dann sind sie numerisch identisch, d.h. dann handelt es sich bei a und b um ein- und dasselbe Individuum. Formal: F(Fx Fy) x=y. Wir können die Preisgabe von PII dahingehend formulieren, daß wir zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Identität unterscheiden müssen. Zwei Entitäten a, b sind Leibniz-identisch, a b, wenn sie in allen ihren Eigenschaften übereinstimmen. Zwei Entitäten a, b sind numerisch identisch, a = b, wenn es sich bei ihnen um ein- und dieselbe Entität handelt, m. a. W., wenn die Menge bestehend aus a und b die Kardinalität 1 hat. Unsere vierte und von nun an verfochtene Denkmöglichkeit verlangt also, daß zwischen Leibniz-Identität und numerischer Identität unterschieden wird. Konkrete Universalien, die demselben abstrakten Universal zugehören, sind untereinander Leibniz-identisch, aber nicht numerisch identisch. Es gibt verschieden starke Versionen des PII, abhängig davon wie umfassend der Bereich von Eigenschaften ist, auf den sich der Allquantor in PII bezieht. Je umfassender der Eigenschaftsbereich, desto schwächer wird die korrespondierende Version von PII. In der stärksten Version bezieht sich PII nur auf monadische Eigenschaften. Ich bin dagegen hier nur an der schwächsten Version von PII interessiert, welche sich auf alle Eigenschaften, atomare oder komplexe, monadische

15 oder relationale, bezieht, einschließlich raumzeitlicher Positionen vorausgesetzt nur, daß die fraglichen Entitäten a, b diese Eigenschaften realiter besitzen, und es sich nicht um bloße Fiktionen handelt. (Kriterien für "realiter" finden sich in empirisch bestätigten Theorien; in unserem Fall der Quantenphysik.) Dies hat zwei Gründe. Erstens halte ich, wenn überhaupt, dann nur diese schwächste Version von PII für physikalisch plausibel. Denn man kann durchaus zwei mikroskopische Partikel so präparieren, daß sie sich außer in ihrer raumzeitlichen Position in nichts unterscheiden. Zweitens und voralledem möchte ich die hier vertretene Version von U so stark machen, daß sie mit N inkompatibel wird und sich dadurch von N eindeutig abgrenzt. Würde man sich in PII nicht auf alle Eigenschaften beziehen, die die Universalienexemplare a, b realiter besitzen, so könnte der Nominalist immer noch sagen: "Und doch gibt es gewisse Eigenschaften bzw. Ähnlichkeitsklassen von Tropen in denen sich a und b unterscheiden; das zeigt, daß deine 'konkreten Universalien' doch individuelle Naturen haben und sich wie Individuen verhalten". 4. Das Vertauschungsexperiment: Preisgabe des PII und Vorwegnahme der QM Ich möchte nun U in der Version (2.2) genauer rekonstruieren. Nehmen wir erneut unsere beiden Elektronen e 1 und e 2 (zu einem gegebenen Zeitpunkt). Sie sollen sich durch nichts unterscheiden. Im klassischen, anschaulichen Bild nehmen sie allerdings zwei verschiedene Orte s 1 und s 2 an in der QM entsprechen diesen unterschiedlichen Orten dann unterschiedliche Einelektronenzustandsfunktionen ψ 1 und ψ 2. Wir betrachten also ein System S im Zustand I: (I) s 1 s 2 e 1 e 2 Das System S besteht aus den beiden Elektronen e 1 und e 2, und der Zustand I ist jener, worin sich e 1 an s 1 und e 2 an s 2 befindet. Nun vertauschen wir die beiden

16 Elektronen: (II) s 1 s 2 e 2 e 1 Gemäß N handelt es sich es sich beiden Zuständen I und II von S um verschiedene Zustände denn e 1 und e 2 sind ja verschiedene Individuen. Die Zustände I und II stimmen in allen Eigenschaften überein, außer daß einmal e 1 and s 1 und e 2 an s 2 sitzt, und das andere Mal umgekehrt aber das ist ein realer Unterschied, denn e 1 und e 2 sind realiter verschiedene Individuen, mit verschiedenen individuellen Naturen. (Armstrong erwähnt die Konsequenz I II übrigens als "minor problem" der Tropentheorie (S. 132); wir werden sehen, daß es sich um ein "major problem" handelt.) Betrachten wir die Situation nun aus der Perspektive von U (in der Version 2.2). Wir fassen also e 1 und e 2 als zwei Leibniz-identische Exemplare ein und desselben abstrakten Universals auf nämlich des abstrakten Universals ein Elektron im System S zu sein. Somit haben e 1 und e 2 alle realen Eigenschaften gemeinsam. Dann müssen I und II aber streng identische Zustände des Systems S sein. Und nicht nur Leibniz-identische, sondern auch numerisch identische Zustände, denn das System S so wie in (I) und (II) beschrieben gibt es ja nur einmal. (Anders gesprochen, das System S ist ein Individuum.) Mit anderen Worten, die Beschreibungen I und II beschreiben ein- und dieselbe Entität, nämlich das System S in einem eindeutig bestimmten Zustand. Da die beiden Beschreibungen I und II sich jedoch als Beschreibungen voneinander unterscheiden, könnten sie beide nicht wirklich adäquat sein. Sie müssen, weil sie dasselbe beschreiben, Komponenten enthalten, denen nichts in der Realität entspricht. Eine wirklich adäquate Beschreibung müßte, bildlich gesprochen, irgendwo 'in der Mitte zwischen I und II' liegen, und sie müßte etwa so aussehen: (III) s 1 s 2 e e In Worten, im System S befinden sich zwei Elektronen, mehr kann nicht gesagt wer-

17 den, oder genauer, im System S befinden sich zwei Leibniz-identische Exemplare des Universals "Elektron im System S im Zustand III". Die Zustandsbeschreibung III unterscheidet sich von I und II offenbar darin, daß den einzelnen Elektronenexemplaren kein definitiver Ort mehr zugeordnet werden kann. Ein solcher definitiver Ort würde die beiden Elektronen ja unterscheiden (denn wir nehmen an, und das entspricht der Fermionennatur von Elektronen, s. u., daß die beiden Elektronen zusammengenommen die Orte s 1 und s 2 besetzen, und nicht bloß s 1 alleine, oder s 2 alleine). Wir müssen also sagen, unsere beiden Elektronen sind delokalisiert, und das klingt schon ganz nach QM. Mehr noch, wir müssen sagen, daß alle Eigenschaften, die e 1 von e 2 unterscheiden könnten, keine realen Eigenschaften der beiden Elektronen sind. Beispielsweise ist Genidentität keine reale Eigenschaft von e 1 oder e 2. Angenommen wir konnten e 1 und e 2 zu einem früheren Zeitpunkt unterscheiden damals verhielten sie sich wie Individuen und haben sie jetzt in das System S zusammengeführt, wo sie nicht mehr als Individuen, sondern als konkrete Universalien fungieren. Damit haben e 1 und e 2 ihre Genidentität verloren. Wir können nicht mehr sagen, welches welche Geschichte gehabt hat. Welche reale Eigenschaften haben unsere beiden Elektronen als konkrete Universalien überhaupt? Ihre essentiellen Eigenschaften (Elektronenmase, ladung, spin), die Zugehörigkeit zum System S, sowie alle sich aus dieser Zugehörigkeit ergebenden kontingenten Eigenschaften (z.b. sich im Raumzeitbereich des Systems S aufzuhalten, usw.). Wie steht es mit den logischen Identitätseigenschaften, speziell der Selbstidentität? Sicherlich ist Leibniz-Selbstidentität eine Eigenschaft unserer beiden Elektronen, mehr noch, Leibniz-Identität mit allen dem System S zugehörigen Elektronen (in unserem Fall sind es nur zwei). Numerische Selbstidentität ist dagegen keine reale Eigenschaft unserer beiden konkreten Universalien, denn wäre dies so, so wäre der bekannte Beweis des PII aus der PL 2. Stufe anwendbar, welches ja gerade nicht gelten soll. Beachten wir zum

18 Verständnis dieses Beweises zunächst, daß sich das PII auf beliebige Eigenschaften bezieht, die wir durch komplexe Formeln A (mit Trägervariable x) wiedergeben, gemäß der logischen Standardkonvention (S): Entität a besitzt Eigenschaft A mit Trägervariable x (realiter) g.d.w. A[a/x] das Resultat der Substitution von a für x in A wahr ist. Wäre numerische Selbstidentität eine Eigenschaft unserer beiden Elektronen, so wäre e 1 =e 2 wahr. Gemäß (S) hieße dies, daß e 1 die Eigenschaft x = e 1 (realiter) besitzt. Da e 1 und e 2 alle realen Eigenschaften gemeinsam haben (das Vorderglied des PII ist also wahr für e 1 und e 2 ), müßte auch e 2 die Eigenschaft x = e 1 besitzen, mithin müßte gemäß (S) e 2 = e 1 wahr sein (das Hinterglied des PII für e 1 und e 2 ). In derselben Weise läßt sich das PII für alle Entitäten x beweisen, die die Eigenschaft der numerischen Selbstidentität x=x besitzen. Die Konsequenz e 1 = e 2 würde bedeuten, daß die Menge {e 1,e 2 } die Kardinalität 1 besäße, bzw. daß unser System S nur ein konkretes Elektronenuniversal enthält, was physikalisch falsch ist es ist eine physikalisch leicht meßbare Eigenschaft des Systems S, zwei Elektronenexemplare zu enthalten (s.u.). Es folgt, daß numerische Selbstidentität keine reale Eigenschaft unserer beiden konkreten Universalien e 1 und e 2 sein kann. 1 Erinnern wir uns hier, daß wir mit der Eigenschaft x = e 1 die individuelle Natur von e 1 wiedergegeben haben. Daß x =e 1 keine Eigenschaft von e 1 ist, besagt also nichts anderes als daß das konkrete Universal e 1 keine individuelle Natur besitzt genau wie zu erwarten war. Wenn wir das PII für konkrete Universalien zurückweisen, müssen wir auch das logische Axiom der numerischen Selbstidentität, x(x=x), für konkrete Universalien zurückweisen. Dieser Schritt verliert seinen ad hoc Charakter, wenn wir uns die semantische Begründung dieses Axioms ansehen. Wir haben bis jetzt so getan, als könnten wir unsere beiden Elektronexemplare unterschiedlich benennen, das eine mit e 1 und das andere mit e 2. Natürlich können wir das nicht wirklich tun. Es gibt keine Möglichkeit, die Namen "e 1 ", "e 2 " durch irgendeine Konvenion so festzulegen, daß sie sich realiter nur auf das eine und nicht ebensogut auf das

19 andere Elektronenexemplar beziehen. Jede solche Konvention müßte sich auf einen realen Unterschied beziehen, und einen solchen gibt es nicht. M. a. W., unsere Namen "e 1 " und "e2" haben keine reale Referenz. Referenz hat nur der Ausdruck "Elektron im System S", der allerdings kein Name ist, sondern eine "Variable", allerdings eine sehr merkwürdige Variable. Bereits 1976 hat Cortes argumentiert, daß aufgrund der Verletzung des PII in der QM das Axiom der numerischen Selbstidentität x(x=x) preiszugeben sei (er bezieht sich allerdings auf Systeme von Bosonen, nicht auf Elektronen; s. 5). Cortes (1976, S. 498) weist auf den springenden Punkt hin: auch bei der Benutzung von Variablen nehmen wir an, daß dieselbe Variable in verschiedenen Vorkommnissen ein- und dieselbe Entität als Wert besitzt. Schreiben wir x=x, so meinen wir, daß dem linken und dem rechten x-vorkommnis ein- und dasselbe konkrete Universal als Wert zugeordnet wird. Unter dieser Annahme ist das Axiom x(x=x) natürlich semantisch gültig. Eben diese Annahme dürfen wir aber im Fall von konkreter Universalien nicht machen. Cortes gibt keinen Hinweis, wie wir denn mithilfe von Variablen überhaupt über konkrete Universalien sprechen sollen. Ich schlage folgende Lösung vor. Wenn wir uns mit Variablen auf konkrete Universalien beziehen, so müssen wir jedesmal, wenn wir diese Variable gebrauchen, der Variable freien Raum einräumen, ein beliebiges der (untereinander Leibniz-identischen) konkreten Universalien zu bezeichnen. Wenn die Variable in einem Satz mehrmals gebraucht wird, darf nicht angenommen werden, daß die Variable auch jedesmal ein- und dasselbe konkrete Universal herauspickt sie darf jedesmal frei variieren. Eine Formel über konkrete Universalien ist nur dann allgemeingültig, wenn sie für beliebige Belegungen ihrer Variablenvorkommnisse wahr ist. Wenn also x=x für alle Elektronen unseres Systems S wahr ist, dann müßte jedes beliebige Elektronen aus S ist mit jedem Elektronen aus S numerisch identisch sein, d.h. es müßte x y(x = y) gelten. Mein Vorschlag kann einfach durch die Forderung wiedergegeben werden, in der Rede über konkrete Universalien alle Variablenvorkommnisse wie

20 verschiedene Variablen anzusehen bzw. am einfachsten syntaktisch gleich von vornherein mit verschiedenen Variablen zu belegen. Nun können wir die Preisgabe des Selbstidentitätsaxioms für konkrete Universalien sehr einfach begründen. Da x S(x=x) dasselbe bedeutet wie x,y S(x=y), ist dieser Satz falsch, denn seine Wahrheit würde implizieren, daß unser System nur ein Elektronen enthält; tatsächlich enthält es jedoch zwei. Aber auch der Satz x S( x=x) ist falsch, denn es gibt ja Belegungen, worin dem linken und dem rechten x-vorkommnis ein- und dasselbe Elektronenexemplar in S zugeordnet wird (lediglich können wir dies auf keinerlei Weise garantieren). Fassen wir dies zusammen: Sei S eine Menge von untereinander Leibniz-identischen konkreten Universalien mit Kardinalität größer 1. Dann sind die beiden folgenden Sätze falsch (und daher ihre Negationen wahr): x S(x=x) und x S( x=x). Damit sind einige Grundlagen dafür gelegt, wie eine Logik konkreter Universalien aufzubauen ist. Betrachtet man Mengen von solchen, so wären diese als Tupel <u,n> zu charakterisieren, bestehend aus der Angabe des abstrakten Universals u (in unserem Fall: "Elektron im System S") und der Angabe der Kardinalität n. Nur im trivialen Fall n=1 verhält sich das Element einer solchen Menge wie ein Individuum und das numerische Selbstidentitätsaxiom gilt, sobald n >1, verliert es seine Gültigkeit und wir haben es mit konkreten Universalien zu tun. Johannes Brandl hat eingewandt, wenn man auf die konkreten Universalien nicht "zeigen" (referieren) kann, kann man sie auch nicht zählen, womit der Begriff der Kardinalität für Mengen konkreter Universalien seinen Sinn verliert. 2 Aber nicht der Begriff verliert seinen Sinn, bloß seine 'alltägliche' Verifikationsmethode ist nicht mehr anwendbar. Die Elektronenkardinalität unseres Systems ist eine physikalisch wohlbestimmte Eigenschaft, die auf mehrere Weisen meßbar ist. Entweder man ermittelt sie durch Ionisierung, indem man die Elektronen eines nach dem anderen aus dem System 'herausschlägt' in diesem Falle zählt man die Elektronen tatsächlich, das geht allerdings nur, weil man sie wieder in Individuen

21 zurückverwandelt und das System zerstört hat. Oder aber man ermittelt die Elektronenkardinalität durch indirekte Messung, etwa der Gesamtladung oder der Anzahl von Spektralserien. Hier beende ich meinen Versuch, die Position U in der Version (2.2) logisch stringent zu entwickeln, und wende mich der QM zu. Was ich an den bisherigen Überlegungen interessant finde, ist, daß diese wie gleich zu sehen sein wird einige wesentliche Prinzipien der QM vorwegnehmen. Alle Folgerungen aus U (2.2) werden sich in QM bewahrheitet findet, aber noch mehr: es wird dort möglich sein, zwischen N und U empirisch zu diskriminieren. 5. Die QM Daß die QM dem PII widerspricht, ist in der Literatur bereits diskutiert worden (Cortes 1976, Barnette 1978, Teller 1983), allerdings in Bezug auf Bosonen, und das legt ein Mißverständnis nahe. Man unterscheidet Fermionen (z.b. Elektronen) und Bosonen (z.b. Photonen), und gemäß einer 'populären' Version des Pauli-Prinzips dürfen zwei Fermionen niemals im selben Zustand sein, Bosonen dagegen wohl. Simons (1994, p. 571) schließt daraus, daß Fermionen im Prinzip immer unterscheidbar seien, Bosonen dagegen nicht. Dieser Schluß ist unzutreffend, denn die erwähnte 'populäre' Version vermittelt eine falsche Sicht der QM: als Bestandteile eines Systems sind sowohl Fermionen wie Bosonen ununterscheidbar. 3 Wie van Fraassen genau ausführt (1991, S. 385ff), kann man den einzelnen Elektronen eines Mehrelektronensystems keinen sogenannten reinen Zustand, sondern nur eine Zustandsmischung, einen sogenannten reduzierten Zustand zuschreiben, und dieser reduzierte Zustand ist für alle Elektronen derselbe. Der Unterschied zwischen Fermionen und Bosonen liegt lediglich in der Konstruktion der Gesamtzustandsfunktion eines Systems. Sie ist aus Summen von Produkten von reinen Einteilchenzuständen aufgebaut. Die exakte Version des Pauli-Prinzips besagt, daß

22 im Fall von Fermionen die Gesamtzustandsfunktion antisymmetrisch sein muß, d.h. sie wechselt bei Vertauschung der Indizes der reinen Zustände ihr Vorzeichen, wogegen sie im Fall von Bosenen symmetrisch ist, wobei als zweiter Unterschied im Bosonenfall ein Produkt auch zweimal denselben reinen Zustand enthalten kann, was im Fermionenfall nicht sein darf. Der erste, der darauf hinwies, daß in der QM das PII verletzt ist, für Fermionen wie Bosonen, war Henri Margenau (1944; s. auch van Fraassen 1991, S. 383). Van Fraassen versucht an PII festhalten, was ihm nur durch die Einführung von möglichen Welten gelingt (1991, S. 470ff) identische Elektronenexemplare verhalten sich nun in verschiedenen möglichen Welten verschieden ein Lösungsweg, der den Rahmen naturalistischer Ontologie verläßt und, wie ich meine, auch van Frassens Empirismus widerspricht. Nach diesen Vorbemerkungen zum Detail. Wir betrachten ein quantenmechanisches Zweielektronensystem nämlich das Heliumatom im ersten angeregten Zustand (für das folgende s. Kutzelnigg 1975, Kap. 8.3). Unsere beiden Elektronen e 1 und e 2 nehmen nun nicht Orte, sondern Zustandsfunktionen (Wellenfunktionen) ein. Gemäß wellenmechanischer Grundregel ist die Zustandsfunktion eines Mehrteilchensystems als Produkt der Einteilchenzustandsfunktionen zu beschreiben, oder als Linearkombination solcher Produkte. Es gibt im ersten angeregten Zustand zwei Einteilchenzustandsfunktionen, die von den beiden Elektronen besetzt werden, nämlich jene des 1s und jene des 2s Orbitals. Nennen wir die beiden Einteilchenzustandsfunktionen ψ 1 und ψ 2. Wenn wir, gemäß N, die beiden Elektronen als Individuen auffassen, so muß jedes genau eine Einteilchenzustandsfunktion besitzen oder salopp formuliert, jedes Elektron besetzt genau ein Orbital. Gemäß N gäbe es dann zwei mögliche Gesamtzustandsfunktionen des angeregten Heliumatoms: (I) ψ 1 (e 1 ).ψ 2 (e 2 ) (II) ψ 1 (e 2 ).ψ 2 (e 1 ) Die beiden Zustände sind realiter verschieden. Doch sie sind energetisch ununterscheidbar sie sind entartet, wie man auch sagt. Berechnet man durch Anwendung des Hamiltonoperators den Erwartungswert der Energie, so kommt in beiden Fällen

23 dasselbe heraus.3 Das Heliumatom im ersten angeregten Zustand hätte demnach genau einen Energiezustand. Gemäß U, wo e 1 und e 2 als konkrete Universalien betrachtet werden, und ebenso gemäß QM, sind beide Beschreibungen inkorrekt. Das Prinzip der Permutationsinvarianz (van Fraassen 1991, S. 380ff) verlangt, daß die Gesamtzustandsfunktion invariant sein muß bezüglich Vertauschung der Elektronenindizes, bis auf ihr Vorzeichen (die antisymmetrische Kombination ändert ihr Vorzeichen, die symmetrische Kombination ändert es nicht). Gemäß dem wellenmechanischen Linearkombinationsprinzip gibt es genau zwei Gesamtzustandsfunktionen, die diese Forderung erfüllen: (III) 1/ 2. ( ψ 1 (e 1 ).ψ 2 (e 2 ) - ψ 1 (e 2 ).ψ 2 (e 1 ) ) -: antisymmetrisch (IV) 1/ 2. ( ψ 1 (e 1 ).ψ 2 (e 2 ) + ψ 1 (e 2 ).ψ 2 (e 1 ) ) +: symmetrisch In den Beschreibungen (III) und (IV) nehmen die Einzelelektronen e 1 und e 2 überhaupt keinen reinen Zustand (ψ 1, ψ 2 ) mehr ein beide befinden sich vielmehr in demselben Mischungszustand bzw. reduzierten Zustand und sind dennoch zwei Elektronen Dies entspricht genau unserer Rekonstruktion von U in der Version 2.2 die beiden Elektronen sind zwei Leibniz-identische konkrete Universalien. Ihre realen Eigenschaften erschöpfen sich in ihren essentiellen Eigenschaften sowie in der Zugehörigkeit zum gegebenen Gesamtsystem (das angeregte Heliumatom). Zugehörigkeit zu einem bestimmten Einelektronzustand (früher war es der Ort) ist dagegen keine Eigenschaft der beiden Elektronen. Wir haben in unserer bisherigen Beschreibung noch nicht den Spin berücksichtigt. Einelektronen können zwei Spinzustände einnehmen, die man α und β nennt. Bei der Spinfunktion eines Zweielektronensystems gibt es vier mögliche Linearkombinationen (Kutzelnigg 1975, S. 140-144), von denen drei symmetrisch sind (ein sogenannter Triplettzustand) und eine antisymmetrisch ist (ein sogenannter Singulettzustand). 4 Die Gesamtfunktion (inklusive Spin) ist das Produkt aus Zustandsfunktion und Spinfunktion. Da Elektronen Fermionen sind, muß diese Gesamtfunk-

24 tion insgesamt antisymmetrisch sein. Das heißt, die antisymmetrische Zustandsfunktion (III) ist mit der symmetrischen Spinfunktion zu kombinieren, und die symmetrische Zustandsfunktion (IV) mit der antisymmetrischen Spinfunktion. Der springende Punkte ist nun: nur (III) und (IV) liefern korrekte Prognosen, nicht aber (I) und (II). Das ist das Wunder der QM. Denn wie man berechnen kann, entsprechen die Zustände (III) und (IV) energetisch verschiedenen Energieniveaus (III) liefert das niedrigere und (IV) das höhere Niveau. Im Gegensatz dazu liefern (I) und (II) gleichen Energieniveaus. Tatsächlich findet man im Spektrum des angeregten Heliumatoms zwei verschiedene Energiezustände die man auch als Orthound Parahelium bezeichnet. Für den Spin gilt dasselbe. Energetische Zustände mit verschiedenen Spinfunktionen können durch Anlegen eines Magnetfeldes aufgespalten werden. Die Rekonstruktion gemäß N ergäbe vier mögliche Spinfunktionen. 5 Demnach müßte man im Spektrum des angeregten Heliumatoms im Magnetfeld einen vierfach aufgespalteten Energiezustand sehen. Tatsächlich beobachtet man zwei Energiezustände, der energetisch tieferliegende ist dreifach aufgespaltet, und der energetisch höherliegende ist nicht aufgespaltet. Dies entspricht genau der QM-Prognose. Nennen wir die Rekonstruktion der Zustandsfunktion des angeregten Heliumatoms gemäß der Annahme, die Elektronen verhalten sich wie Individuen, N-QM, und die Rekonstruktion gemäß der Annahme, die Elektronen sind realiter ununterscheidbar, U-QM. Unser Resultat ist: U-QM liefert korrekte Prognosen, N-QM dagegen nicht. Darin sehe ich eine empirische Stärkung der Position U und eine empirische Schwächung der Position N. Allerdings keine Widerlegung von N, denn wie noch zu sehen ist, gibt es auch Wege innerhalb N, die Situation in der QM kohärent zu betrachten allerdings zwingen diese Wege dazu, den einzelnen Elektronen eines Mehrelektronensystems jegliche Existenz abzusprechen. 6. Eine Definition physikalischer Substanzuniversalien

25 Wir wollen nun klären, was unser quantenmechanisches Argument für die Universalienfrage genau leistet. Erstens ist zu fragen, wie in der QM Individuen zu verstehen sind. Grundsätzlich ist in der QM zwischen separierten und gekoppelten Entitäten zu unterscheiden. Sind zwei Entitäten (desselben Typs) gekoppelt, so ist ihrer beider Zustandsfunktion (in nicht vernachlässigbarer Weise) superponiert und das heißt, die beiden Entitäten verlieren ihre individuelle Natur und bilden ein inseparables Gesamtsystem, worin sie nur mehr als konkrete Universalien auftreten. Sind zwei Entitäten jedoch separiert, so ist die Superposition ihrer Wellenfunktionen (näherungsweise) null, und ihr tatsächlicher Zustand kann mit einer Einteilchenzustandsfunktion (wie z.b. ψ 1 (e 2 )) identifiziert werden die Entitäten haben dann individuelle Natur, verhalten sich wie Individuen. Z.B. verhält sich ein einzelnes Elektronen, das die Elektronenhülle eines Atoms in einem Ionisierungsexperiment verläßt, wie ein Individuum (kurzzeitig, bevor es woanders wieder eingefangen wird). Insbesondere verhalten sich quantenmechanische Gesamtsysteme wie Individuen denn wenn man ein Gesamtsystem betrachtet, setzt man voraus, daß es separiert ist (sonst müßte man zur korrekten Beschreibung ja ein noch größeres Gesamtsystem erfassen). Z. B. ist unser angeregtes Heliumatom ein Indivdiuum. Da die Superposition der Wellenfunktion makroskopischer Objekte im Regelfall näherungsweise null ist, sind der QM zufolge auch alle makroskopischen Objekte zumindest näherungsweise Individuen. Zweitens ist an den Unterschied zwischen Substanzuniversalien und Attributuniversalien zu erinnern. Erstere werden von Artbegriffen ausgedrückt - z. B. physikalische Teilchenarten wir "Elektron", "Proton", letztere von Eigenschaftsbegriffen z.b. "negative Ladung r", "Masse m". Unser Argument expliziert physikalische Substanzuniversalien mithilfe des Kriteriums der Leibniz-Identität ihrer gekoppelten Exemplare. Für die Explikation physikalischer Attributuniversalien ist diese Methode nicht geeignet (denn die ein- und demselben Substanzuniversal zugehörigen

26 Attributuniversale ließen sich so nicht diskriminieren).6 Armstrong zufolge werden in der modernen Naturwissenschaft Substanzuniversalien definitorisch auf Attributuniversalien zurückgeführt. Auf unsere Explikation von Substanzuniversalien trifft Armstrongs Ansicht nicht zu: sie verwendet ein physikalischen Kriterium, welches völlig unabhängig von Attributuniversalien funktioniert (s.u.). Mit "Universal" meine ich im folgenden immer "Substanzuniversal". Mein bisheriges Argument expliziert den Begriff des systembeschränkten Universals, z. B. des Universals "Elektron im System S", wobei das quantenmechanisches System S als Individuum fungiert. Ich habe zwischen dem abstrakten und dem konkreten Universal unterschieden. Das abstrakte Universal ist eine konzeptuelle Entität, die nur einmal existiert. Die Exemplare dieses abstrakten Universals existieren konkret und wurden konkrete Universalien genannt, weil sie untereinander Leibniz-identisch und dennoch numerisch mehrere sind. Ich habe die physikalische Existenz dieser konkreten Universalien nachgewiesen und damit gezeigt, daß es in den untersten Schichten unserer Realität konkrete Universalien gibt, die nicht auf Individuen reduzierbar sind, wodurch der Universalienrealismus eine naturalistische und physikalische Fundierung erfährt. Die Zugehörigkeit zweier (konkret existierender) Entitäten zum selben systembeschränkten (abstrakten) Universal "Elektron im System S" läßt sich durch deren Leibniz-Identität definieren. Nicht aber läßt sich auf diese Weise der allgemeine Begriff des Universals "Elektron" expliziert. Elektronen in verschiedenen Systemen, z. B. in verschiedenen Molekülen etc., unterscheiden sich in (mindestens) einer realen Eigenschaft, nämlich einem jeweils verschiedenen System anzugehören. Daher sind nicht alle Exemplare des abstrakten Universals "Elektron" untereinander Leibniz-identisch. Vielmehr wird die Menge aller Exemplare des abstrakten Universals "Elektron" durch die verschiedenen Systeme, in denen die Elektronen vorkommen, in verschiedene Leibniz-Identitätsklassen partitioniert. An dieser Stelle können wir unsere Terminologie weiter differenzieren: ein Exemplar eines abstrak-