Justiz und Inneres. 1. Regelungsgegenstände. I. Vertrag von Maastricht. II. Vertrag von Amsterdam

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Transkript:

Justiz und Inneres Die Justiz- und Innenpolitik zählt zu den dynamischsten Politikfelder der Union. Bis 1986 einigte man sich auf das europäische Vorgehen in Fragen der Justiz und des Inneren in Adhoc-Gruppen auf Regierungsebene völlig außerhalb der legislativen Strukturen der EU. Justiz und Inneres standen im Zentrum des Konzepts nationalstaatlicher Souveränität. Dies änderte sich im Mai 1986, als die Mitgliedstaaten beschlossen, in der Frage der Einreise von Drittstaatsangehörigen in die EU und ihrer Reise- und Aufenthaltsrechte in der EU zusammenzuarbeiten. Ein erster wichtiger Schritt bildete das Schengener Übereinkommen von 1985 über den Abbau der Binnengrenzkontrollen. Weitere folgten mit dem Maastrichter Vertrag. I. Vertrag von Maastricht Mit dem Maastrichter Vertrag (7.2.1992) wurden die Befugnisse der europäischen Handlungsebene unter ausdrücklichem Verweis auf das Prinzip der Subsidiarität erweitert und eindeutiger festgelegt. Darunter fielen auch die neuen Bestimmungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres. Unbeschadet der Zuständigkeiten der EU wurden zur Verwirklichung ihrer Ziele folgende Bereiche als Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse klassifiziert: Asylpolitik, Einwanderungspolitik, Grenzkontrollpolitik der EU-Außengrenzen, Bekämpfung der Drogen- und Betrugskriminalität im Bereich internationaler Kriminalität, justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen, die Zusammenarbeit im Zollwesen und die polizeiliche Zusammenarbeit im Bereich innerer Sicherheit zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels und sonstiger schwer wiegender Formen der internationalen Kriminalität in Verbindung mit dem Aufbau eines unionsweiten Systems zum Austausch von Informationen im Rahmen eines Europäischen Polizeiamtes. Damit wurde formell anerkannt, dass die Bereiche Justiz und Inneres Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse sind, und es wurde eine eigene legislative Struktur für den Erlass von Rechtsvorschriften in diesem Bereich geschaffen. Bei den mühevollen und langwierigen Rechtssetzungsakten handelte es sich konkret um Regierungsvereinbarungen, die für die EU rechtlich bindend sind. Sie wurden in Form internationaler Vereinbarungen verfasst, die von den EU-Regierungen anzunehmen und dann von jedem der nationalen Parlamente formell zu ratifizieren waren. II. Vertrag von Amsterdam Mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages (1.5.1999) wurden mehrere politische Schlüsselbereiche, darunter die Asyl- und Einwanderungspolitik sowie Fragen der Zusammenarbeit zwischen Zivilgerichten, in die normale gesetzgeberische Struktur der EU eingebunden. Zu dessen Umsetzung dienten die Bereiche Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr im EG-Vertrag und die Bestimmungen zur Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) im EU-Vertrag. 1. Regelungsgegenstände Geregelt wurde im EG-Vertrag die Visapolitik, die Voraussetzungen für den Aufenthalt von Zuwanderern, das Asylverfahren sowie die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Damit gelten für die jeweiligen Sachbereiche die EG-Vorschriften, d. h. die Beteiligung aller Organe

und die Kontrolle der Rechtmäßigkeit durch den Europäischen Gerichtshof. In diesen Angelegenheiten beschließt der Rat während eines Übergangszeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages einstimmig. Nach Ablauf dieser Übergangszeit wurden die Entscheidungsverfahren der EG angewandt. Die Europäische Kommission erhielt danach das volle Initiativrecht für den EGV-Titel. 2. Zusammenarbeit Nach dem EU-Vertrag erfolgte die Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden und anderen Strafverfolgungsbehörden hingegen weiterhin im Wege der Regierungszusammenarbeit. Dies gilt auch für die Rechtshilfe bei Strafsachen sowie für die wichtigsten Felder der Zusammenarbeit der EU-Staaten, nämlich Terrorismus, organisierte Kriminalität, Straftaten gegenüber Personen und Kindern, Drogen- und Waffenhandel sowie Betrug und Korruption im internationalen Maßstab. Die Form der Regierungszusammenarbeit bedeutete vor allem, dass gemeinsame Standpunkte festgelegt und gemeinsame Maßnahmen beschlossen werden konnten. Die eigentliche Verantwortung und Souveränität verblieb bei den Mitgliedstaaten. 3. Freizügigkeit Ein wichtiges Ziel des Amsterdamer Vertrages war die Schaffung eines europäischen Raumes, in dem Personen frei verkehren können und allen Bürgern ein hohes Maß an Sicherheit geboten wird. Folgende Instrumente wurden vereinbart: Engere Zusammenarbeit der Polizei-, Zoll- und anderen Behörden in den EU-Staaten, auch unter Einschaltung von Europol; Aufforderung der zuständigen Behörden der EU-Staaten, durch Europol Ermittlungen durchzuführen; Aufforderung an die EU-Staaten, gemeinsame Teams mit Europol-Vertretern in unterstützender Funktion zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu bilden; Erleichterung der Auslieferung zwischen den EU-Staaten; Festlegung unionsweit geltender Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die in den Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und Drogenhandel zu verhängenden Strafen; eine rechtliche Verpflichtung zu engerer Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden aller EU-Staaten, um Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Terrorismus, organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Straftaten gegenüber Kindern, Drogenhandel, Bestechung und Betrug zu verhüten und zu bekämpfen. 4. Haager Programm In der Folge verpflichteten sich die Mitgliedstaaten auf einem Sondergipfel des Europäischen Rates im Oktober 1999 in Tampere (Finnland) zu einer ganzen Reihe von Initiativen zum Asylrecht, zur Kriminalitätsbekämpfung und zur justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit. Das daraus folgende Haager Programm von 2004 setzte inhaltliche Schwerpunkte bei der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik, Fragen der Inneren Sicherheit (insb. Bekämpfung des internationalen Terrorismus) und der Integration im Bereich Zivil- und Strafrecht. Auf der Ebene der Kriminalitätsermittlung wurde vereinbart:

Euroteams: Gemeinsame Ermittlungsteams (Drogenhandel, Menschenhandel, Terrorismus) mit Unterstützung durch Europol; Task Force: Einrichtung einer operativen Task Force der EU-Polizeichefs, die mit Europol sich über grenzüberschreitende Kriminalität verständigt und operative Maßnahmen plant; Europol: Aufwertung und stärkere finanzielle Ausstattung des Europäischen Polizeiamtes; Eurojust: Bekämpfung der schweren organisierten Kriminalität; Akademie: Einrichtung einer europäischen Polizeiakademie. Als weitere Maßnahmen wurden vereinbart: Strafrechtsharmonisierung unter Betonung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung in Rechtsfragen; die Harmonisierung konzentriert sich auf gemeinsame Definitionen, Tatbestandsmerkmale und Sanktionen bei Delikten wie Finanzkriminalität, Drogen- und Menschenhandel, sexueller Kindesmissbrauch, Umweltkriminalität; uneingeschränkte Rechtshilfe bei schwerer Wirtschaftskriminalität; Forcierung der Drogenbekämpfung; Sondermaßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche. Die Umsetzung des Tampere- und des Haager Programms brachte der Union durch eine Vielzahl von Rechtsakten einen Integrationsschub. Das Ende 2009 vom Europäischen Rat verabschiedete Stockholmer Programm legt die Prioritäten und politischen Leitlinien für die Justizund Innenpolitik in der Union bis 2014 fest. Es stellt den Schutz der Unionsbürger in den Mittelpunkt. 5. Terrorismusbekämpfung Seit den Terroranschlägen in Madrid am 11.3.2004 hat die EU ihre Anstrengungen zur Bekämpfung des Terrorismus verstärkt und zu diesem Zweck konkrete Maßnahmen ergriffen. Der Tag selbst wurde zum Europäischen Tag der Opfer des Terrorismus erklärt. In einem Bericht hatte die Kommission eine Bestandsaufnahme all dieser Maßnahmen durchgeführt, ihre Umsetzung auf nationaler und europäischer Ebene überprüft und die noch zu bewältigenden Herausforderungen aufgeführt. Der Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung setzte diese Erklärung in strategisch erreichbare Zielsetzungen um, darunter die Beseitigung von Barrieren zwischen den Mitgliedstaaten bei der Verbreitung von Informationen zu Terrorismus, Aufspürung und Unterbindung der Terrorismusfinanzierung, Beseitigung der Ursachen für Terrorismus sowie die Vorbereitung auf die Bewältigung von Folgen möglicher Anschläge. III. Vertrag von Lissabon: Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Mit dem Lissabon Vertrag (1.12.2009) veränderte sich der rechtliche Rahmen erneut. Der bis dahin durch Regierungszusammenarbeit geprägte Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ist jetzt geteilte Unionszuständigkeit (Art. 4 Abs. 2 j AEUV) und in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren der Union überführt worden. Entsprechend Art. 3 EUV bietet die Union ihren Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität der freie Personenverkehr gewährleistet ist. 1. Allgemeines

In Titel V (Art. 67 89) des AEUV wird der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts systematisiert, in dem zunächst grundsätzlich die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden. Der Vertrag enthält folgenden allgemeinen Zielhorizont: 2. RFSR Die Union stellt sicher, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden. Sie entwickelt eine gemeinsame Politik in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Kontrolle an den Außengrenzen. Die Union wirkt präventiv und bekämpft Kriminalität, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Union fördert die Koordination und Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Organen der Strafrechtspflege; auch gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen. Erforderlichenfalls kann durch die Angleichung strafrechtlicher Rechtsvorschriften ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet werden. Die Union erleichtert den Zugang zum Recht, insb. durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Leitkonzept des Lissabon Vertrages für Justiz und Inneres integriert vier Politikfelder: Politik im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung, Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, Polizeiliche Zusammenarbeit. 3. Die Politik im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung Für die mit den Bereichen Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung definierte Unionspolitik gelten mit ihrer Umsetzung die Grundsätze der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten (einschließlich finanziellen Auswirkungen) unter den Mitgliedsstaaten. Alle Rechtsakte enthalten bei Erforderlichkeit Regelungen für die Anwendung dieser Grundsätze (Art. 80 AEUV). Im Bereich Grenzkontrollen entwickelt die Union eine Politik, mit der sichergestellt werden soll, dass Personen unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit beim Überschreiten der Binnengrenzen nicht kontrolliert werden. Ferner soll die Personenkontrolle und die wirksame Überwachung des Grenzübertritts an den Außengrenzen sichergestellt sein und ein integriertes Grenzschutzsystem an den Außengrenzen eingeführt werden (Art. 77 AEUV). Nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren können EP und Rat folgende wesentliche Maßnahmen erlassen, die diese Zielerreichung sicherstellen sollen: gemeinsame Visapolitik, Personenkontrollverfahren an den Außengrenzen, Maßnahmen des integrierten Grenzschutzssystems, Bestimmungen zu kurzfristigen Aufenthaltstiteln. Bestimmungen zu Pässen, Personalausweisen, Aufenthaltstiteln oder diesen gleichgestellten Dokumenten können gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren vom Rat einstimmig nach Anhörung des EP beschlossen, sofern ein Tätigwerden der Union im Rahmen des Art. 20 Abs. 2a AEUV (Recht des Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei bewegen und aufhalten zu können) erforderlich ist. Im Bereich Asyl entwickelt die Union eine gemeinsame Politik. Ziel ist eine unionsweite Regelung der asylrechtlichen Zuständigkeiten und die Einführung von Mindeststandards (Har-

monisierung). Damit soll jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten werden. Art. 78 Abs. 1 AEUV bindet die Unionspolitik ausdrücklich an das Genfer Abkommen vom 28.7.1951 (Genfer Flüchtlingskonvention) und das Protokoll vom 31.1.1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, das die 1951 festgeschriebenen geographischen und zeitliche Begrenzungen aufhebt. Das Unionsrecht beinhaltet einen gemeinsamen Sockel von Mindestvorschriften; dazu zählen: Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates für die Bearbeitung von Asylanträgen (Dublin II-Verordnung); verbesserte Identifizierung von Asylbewerbern (Eurodac-Verordnung); Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern (Richtlinie Aufnahmebedingungen); Definition des Flüchtlingsbegriffs und Personen, die subsidiären Schutz benötigen (Qualifikations-Richtlinie); Mindeststandards für das Asylverfahren (Asylverfahrens-Richtlinie). Entsprechend Art. 78, Abs. 2 AEUV entscheiden nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren EP und Rat in Bezug auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem. Für den Fall einer Notlage, kann der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des EP zugunsten des betroffenen Mitgliedsstaates (oder der betroffenen Mitgliedsstaaten) Maßnahmen erlassen. Im Bereich der Einwanderung entwickelt die Union eine gemeinsame Einwanderungspolitik. Eine wichtige Aufgabe ist die Bekämpfung des Menschenhandels und der illegalen Einwanderung unter strikter Beachtung der Menschen- und Flüchtlingsrechte. Langfristiges Ziel der Union ist die Harmonisierung der Einwanderungspolitik. Dazu können EP und Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen in folgenden Bereichen erlassen (Art. 79 Abs. 2 AEUV): Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen für einen langfristigen Aufenthalt (einschließlich Familienzusammenführung); Festlegung der Rechte von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedsstaat aufhalten; illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt, einschließlich Abschiebung und Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die sich illegal in einem Mitgliedsstaat aufhalten; Bekämpfung des Menschenhandels (insb. des Handels mit Frauen und Kindern). Zu ergänzen ist, dass Einwanderungsfragen in den Beziehungen der Union zu Drittländern eine immer wichtigere Rolle spielen. Sie können nicht nur durch Maßnahmen der Inneren Sicherheit behandelt werden. So verpflichtet der Europäische Pakt für Migration und Asyl (Beschluss des Europäischen Rates vom 15.10.2008) die Union, Migration stärker als Querschnittsthema anzugehen. Im Rahmen eines Gesamtansatzes zur Migrationsfrage verfolgt die Union einen intensiven Dialog mit Herkunfts- und Transitstaaten, vor allem mit Staaten Afrikas, des Mittelmeerraumes und dem östlichen Europa.

4. Die Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen Diese Justizielle Zusammenarbeit gemäß Art. 81 AEUV fördert die mit dem Binnenmarkt verbundene Freizügigkeit von Personen und Unternehmen. Sie zielt in erster Linie auf die Vereinheitlichung gerichtlicher Verfahren und die gegenseitige Anerkennung zivilgerichtlicher Entscheidungen und die Verbesserung des Rechtsschutzes. Nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren können EP und Rat folgende wesentliche Maßnahmen erlassen, die die Zielerreichung sicherstellen sollen: gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen; grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke, Zusammenarbeit bei der Erhebung von Beweismitteln; die Beseitigung von Hindernissen für die reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren; die Entwicklung alternativer Methoden für die Beilegung von Streitigkeiten; die Förderung der Weiterbildung von Richtern und Justizbediensteten. Maßnahmen zum Familienrecht mir grenzüberschreitendem Bezug werden gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren vom Rat einstimmig nach Anhörung des EP beschlossen. Angestrebt wird hier z. B. eine Verordnung, die das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen regeln soll. 5. Die Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Diese Justizielle Zusammenarbeit gemäß Art. 82 86 AEUV zielt auf eine Stärkung des wechselseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedsstaaten, um hierdurch Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu fördern und auch die grundlegenden Rechte der Verfahrensbeteiligten zu schützen. Demzufolge legitimiert der AEUV in der Lissabon Fassung Maßnahmen, um Regeln und Verfahren festzulegen, mit denen die Anerkennung aller Arten von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen in der Union sichergestellt wird; Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedsstaaten zu befrieden; die Weiterbildung von Richtern, Staatsanwälten und Justizbediensteten zu fördern; die Zusammenarbeit in der Strafverfolgung und im Strafvollzug zu erleichtern; Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen der besonders schweren Kriminalität festzulegen; dazu zählen: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität (vgl Art. 83 Abs. 1 AEUV). Für die genannten Maßnahmen gilt das ordentliche Gesetzgebungsverfahren. (Ausführlich: Strafrecht, Europäisches)

6. Die Polizeiliche Zusammenarbeit Diese Zusammenarbeit dient der Verhütung oder der Aufdeckung von Straftaten sowie entsprechende Ermittlungen spezialisierter Strafverfolgungsbehörden. Auf Basis des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens können z. B. Rechtsakte erlassen werden, die dem Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Austauschen sachdienlicher Informationen dienen. Hinzu kommen Maßnahmen im Personalbereich und zu gemeinsamen Ermittlungstechniken bei organisierter Kriminalität. Der Rat kann zusätzlich gemäß eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens nach Anhörung des EP Maßnahmen erlassen, die die operative Zusammenarbeit ausgewählter Behörden betreffen (Art. 87 Abs. 3 AEUV). Art. 88 AEUV regelt die Statuten und Befugnisse des Europäischen Polizeiamtes (Europol). IV. Institutionelle Dimension Der Erkenntnis, dass Freiheit, Sicherheit und Recht eng miteinander verbunden sind, folgt auch die Kommission. Mit der Kommission 2010 2014 existiert als Kern der Kommissionsbereich Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Ferner richtete die Kommission ein Europäisches Justizportal ein. Im EP existieren der Ausschuss Recht und der Ausschuss Bürgerliche Freiheiten und Inneres. Der Rat für Justiz und Inneres (JHA Justice and Home Affairs Council) ist der Rat in der Zusammensetzung der für Justiz und Inneres zuständigen Minister der Mitgliedsstaaten. Ferner ist der Bereich Justiz und Inneres mit seiner Aufgabenfülle durch eine wachsende Anzahl von EU-Einrichtungen gekennzeichnet. So wurden eingerichtet: Europäischer Datenschutzbeauftragter, Europäisches Polizeiamt (Europol), Europäische Einheit für justizielle Zusammenarbeit als Justizbehörde (Eurojust), Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen (EJN), Europäischer Gerichtsatlas für Zivilsachen, Europäisches Justizielles Netz in Strafsachen (EJN Strafsachen), Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex), Europäische Polizeiakademie (EPA), Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. Seit mehreren Jahren wird die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (EStA) in der Union kontrovers diskutiert. Mit Art. 86 AEUV ist die Errichtung der EStA ausgehend von Eurojust durch den Rat (einstimmig) und nach Zustimmung des EP möglich. Quelle: Lothar Ungerer, Justiz und Inneres. In: Bergmann (Hg.), Handlexikon der Europäischen Union. Baden- Baden 2012