AG QUALITÄT im Fachbereich Mathematik der Universität Hannover Welfengarten1, 30167 Hannover Gleispflege Auch ein "normales" Gleis muss im Rahmen der Instandhaltung der Bahn gepflegt werden. Diese Pflege ist notwendig, weil Schienen mit der Zeit verriffeln (siehe dazu Bild 1). Wenn sie an einem bestimmten Tag (Neuschliff) neu geschliffen wurden, ist der Vorbeifahrpegel der Züge leiser, als wenn die Schienen verriffelt sind. Natürlich sind unterschiedliche Zuggattungen (wie ICE-Züge oder Güterzüge) nicht immer gleich laut. Aber es gibt Verfahren, nach denen verschiedene Zuggattungen, verschiedene Geschwindigkeiten, verschiedene Bremssysteme und verschiedene Zuglängen miteinander verglichen werden können. Die Vergleichsgröße ist dann ein "Normzug", dessen Stundenpegel "Grundwert" heißt. Der Grundwert von 51 ist erreicht, wenn ein IC-Zug (D Fz =0 für Fahrzeugart 6 der Schall 03) mit einer Länge von 100 m, einer Geschwindigkeit von 100 km/h, zu 100% aus mit Scheibenbremsen ausgerüsteten Fahrzeugen bestehend, auf Schienen in durchschnittlich gutem Schienezustand fahrend, in 25 m seitlicher Entfernung und 3,5 m über Grund in ebenem Gelände einen Vorbeifahrpegel von 81 db(a) erzeugt. Daraus ergibt sich ein Stundenpegel (d.h. ein auf eine Stunde bezogener Mittelungspegel) von 51 db(a). Um Lärmbelastungen auch dann vorhersagen zu können, wenn (noch) keine Züge fahren, wurden mit der SCHALL 03 bzw. mit der 16.BImSchV Rechenverfahren angegeben, mit deren Hilfe der Lärm für fast jede Zugvorbeifahrt berechnet werden kann. Voraussetzung dafür ist allerdings ein "durchschnittlich guter Schienenzustand". Dieser Schienenzustand ist dadurch charakterisiert, dass der Grundwert unterhalb von 51 db(a) liegt. Direkt nach dem Schleifen beträgt der Grundwert beidem im Bild 1 dargestellten Beispiel 48 db(a). Der berechnete Lärmpegel wird damit direkt nach dem Schleifen eingehalten(und sogar unterschritten). Mit zunehmender Riffelzeit nimmt dann auch die Verriffelung zu; damit verschlechtert sich der Grundwert. Wenn geschliffen wird, bevor der Grundwert von 51 db(a) erreicht ist (in dem Bild 1 bei Riffelzeit 20), dann bleiben die gemessenen Vorbeifahrpegel unter den nach der 16.BImSchV berechneten Pegel. An vielen neu gebauten Strecken sind im Rahmen von Planfeststellungsverfahren die Lärmbelastungen berechnet worden. Auf dieser Grundlage wurde entschieden, ob der vorgesehene Schienenverkehrslärm bei "durchschnittlich gutem Schienenzustand" innerhalb der örtlich vorgeschriebenen Grenzwerte bleibt oder ob wegen Überschreitung dieser Grenzwerte Lärmschutzwände gebaut werden müssen. Für diese "planfestgestellten" Strecken muss der Grundwert bei einem "durchschnittlich guten Schienenzustand" unter 51 db(a) bleiben. Daher ist es erforderlich, dass die Gleise geschliffen werden, bevor die Verriffelung zu einer unzulässigen Lärmbelastung führt.
Die Überprüfung eines Gleises auf Einhaltung der Grenzwerte erfordert die Kenntnis verschiedener Daten: 1. Neuschliff 1.a) Termin des letzten Neuschliffs 1.b) gemessener Grundwert beim letzten Neuschliff. (Wenn mehrere Messwerte erfasst wurden, ist weder der geringste Grundwert noch ein Mittelwert der Grundwerte wichtig; nur der maximale Grundwert ist zu verwenden.) 2. Messung des Grundwertes 2.a) Termin der letzten Messung des Grundwertes 2.b) gemessener Grundwert zu diesem Termin Falls der Termin der letzten Messung des Grundwertes nicht zu lange zurückliegt, reichen diese Daten zur Feststellung der Einhaltung von Grenzwerten aus. Falls der Grundwert höher als der Grenzwert ist, wurde bereits die zulässige "planfestgestellte" Lärmbelastung überschritten; es muss sofort geschliffen werden. Falls der Grundwert den Grenzwert noch nicht erreichte, kann der Schleif-Termin abgeschätzt werden. Dazu werden folgende Bezeichnungen eingeführt: Bezeichnung Abkürzung Beispiel Bezug Termin des letzten Neuschliffs TN 0 Tage 1.a) (gemessener) Grundwert vom Termin TN des letzten Neuschliffs GN 45.0 db(a) Termin der letzten Messung des Grundwertes TJ 220 Tage 2.a) (maximaler) Grundwert vom Messtermin TJ GJ 49.5 db(a) Ist dann GS der Grundwert, bei dem geschliffen werden muss, so gilt für den Schleif-Termin 1.b) 2.b) TS = (TJ-TN) / (GJ-GN) (GS-GN) + TN (S) In dem Beispiel von Bild 2 ist GS=51 db(a) und damit TS = [(220-0) Tage] / [(49.5-45) db(a)] [(51-45) db(a)] + 0 Tage = 220 / 4.5 6 Tage = 293 Tage Gleispflegezuschlag (GPZ) Wird ein Gleis nicht gepflegt, d.h. wird erst so spät geschliffen, dass der Maximalwert der Grundwerte zwischen den Schleifterminen auf (51+y ) db(a) angewachsen ist, so wird hier ein "Gleispflegezuschlag (GPZ)" von y db(a) eingeführt: Die nach der 16. BimSchV
berechneten Emissionswerte sind jeweils um y db(a) zu erhöhen. Ein solches Gleis wird auch als "schlecht gepflegtes Gleis" bezeichnet. Gleispflegeabschlag (GPA) Wird ein Gleis besonders gepflegt, d.h. wird bereits geschliffen, wenn der Maximalwert der Grundwerte zwischen den Schleifterminen unter (51-x ) db(a) liegt, so wird hier ein "Gleispflegeabschlag (GPA)" von x db(a) eingeführt: Die nach der 16. BImSchV berechneten Emissionswerte sind jeweils um x db(a) zu erniedrigen. Ein solches Gleis wird als "besonders überwachtes Gleis" bezeichnet. Ist jedoch eine Schienenstrecke nicht "planfestgestellt" (das trifft insbesondere oft bei bestehenden Schienenwegen zu), so gibt es keine Grenzwerte für Schienenverkehrslärm. Überwachung der Gleispflege Für "planfestgestellte" Gleise darf der zu einem beliebigen Zeitpunkt gemessene Grundwert eine festgesetzte Grenze GS nicht überschreiten. Andernfalls überschreiten die Vorbeifahrpegel die zugesicherten maximalen Lärmbelastungen. Daher ist die Einhaltung dieser Grenze zu überwachen. Wenn diese Überwachung durch das Eisenbahn-Bundesamt vorgenommen wird, kann von diesem ein Messprotokoll erbeten werden. In der untenstehenden Tabelle sind beispielhaft Ergebnisse eines solchen Protokolls (Eisenbahn-Bundesamt, Außenstelle Hamburg) abgedruckt: Auswertung der Schallmesswagenfahrt Hamburg - Kiel vom 25.11.1999 Zusammenstellung der Bereiche mit Überschreitungen von mindestens 3 db von km bis km mittlere Überschreitung (db) Überschreitung > 10 db 6,0 9,8 7 km 9,1 bis 9,2 10,0 12,7 8 km 10,5 bis 10,8 12,9 19,4 5 km 12,1 bis 12,3 Tabelle 1: Messprotokoll einer Schallmesswagenfahrt km 13,3 bis 13,4 Überschreitungen hätten nicht auftreten dürfen; durch rechtzeitige Prüfung des Schienenzustandes hätte der Schleif-Termin so festgelegt werden müssen, daß keine Überschreitung stattfindet. Dieses Protokoll zeigt jedoch, dass es Streckenabschnitte gibt, bei denen Überschreitungen von mehr als 10 db(a) auftreten (z.b. von km 10,5 bis km 10,8). Es wird nicht angegeben, um wie viel die Überschreitung höher ist als 10 db(a). Es wurde in diesem Protokoll der Mittelwert (8 db(a)) über das gesamte Gleisstück von 2,7 km Länge gebildet. Daher kann z.b. für einen Anlieger etwa bei km 10,6 die Überschreitung 13 db(a) betragen (siehe Bild 3 dieses Bild wurde mangels Informationen vom Autor dieses Aufsatzes willkürlich rekonstruiert, wobei die Überschreitungen insgesamt in diesem Streckenabschnitt den
(energetischen) Mittelwert von8 db(a) erreichen.). Die Mittelwertbildung, die in dem Messprotokoll (Tabelle 1) angegeben ist, eignet sich nicht für die Beurteilung von Schallpegeln, die bei einer Messfahrt des Schallmesswagens in Abhängigkeit vom Messort gemessen wurde. Ein solches Gleis ist ein "schlecht gepflegtes Gleis" im oben bezeichneten Sinn. Für derartige Gleise ist ein Gleispflegezuschlag GPZ in Höhe der maximalen Überschreitung anzusetzen, also für den Streckenabschnitt von km 10,5 bis km 10,7 zunächst GPZ = 13 db(a). Das Messprotokoll der Tabelle 1 entstand jedoch nichtwährend des Schleifens, sondern während einer Prüfung des Schienenzustandes. Der reale Gleispflegezuschlag kann daher noch höher sein, weil dieser beim Schleif-Termin bestimmt werden muss. In Bild 4 werden die Schleifzyklen für ein "besonders überwachtes Gleis" dargestellt: es gibt keine Überschreitung. In Bild 5 wurde dann der reale Schleifzyklus aus dem Beispiel der Tabelle 1 dargestellt: Wenn der Schleifzug 5 Riffelzeiten nach der Feststellung der Überschreitung kommt, verriffelt das Gleis in der Zwischenzeit nochmals um 0.5 db(a). Damit ist für den Anlieger bei km 10,6 der Vorbeifahrpegel infolge der Verriffelung bei jeder Zugvorbeifahrt um 13.5 db(a) höher als der Wert, der in der Planfeststellung angerechnet wurde; es gilt daher GPZ=13.5 db(a), d.h. die zulässige Lärmbelastung wird infolge der Verriffelung um 13.5 db(a) überschritten. Windelberg, D.: Lärmbelastung durch ungepflegte Gleise. AG Qualität, Fachbereich Mathematik, Universität Hannover. Februar 2000. Bild 1: Verriffelungskurve und Schleif-Termin Bild 2: Schätzwert für den Schleif-Termin
Bild 3: Ergebnis der Messung des Grundwertes durch einen Schallmesswagen: Überschreitung des Grundwertes für ein büg um 13 db(a) Bild 4: Schleifzyklen für ein "besonders überwachtes Gleis (büg)" (ohne Überschreitungen) Bild 5: gemessene Überschreitung des Grundwertes von 48 db(a) für ein büg in Hamburg: 13 db(a)